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Kirchliche Friedenspolitik in El Salvador

Sybille Bachmann | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Zwei Vermittler zwischen den Bürgerkriegsparteien in El Salvador sind Kandidaten für den Friedensnobelpreis 1994: der Erzbischof von San Salvador, Arturo Rivera y Damas, und der deutsche Bischof Emil Stehle. Das wirft die Frage auf, welche Rolle die salvadorianische Kirche seit dem Beginn des Bürgerkrieges Anfang der 80er Jahre gespielt hat. Unter den konkreten Bedingungen El Salvadors ist die Frage des Friedens und die Problematik eines „Nationalen Dialogs“ von Anfang an mit der Frage nach der Herstellung demokratischer und sozial gerechterer Verhältnisse verbunden gewesen.

Eine zahlenmäßig begrenzte, aber von ihrem politischen Einfluß her beachtliche Gruppe bilden konservative Kräfte innerhalb der katholischen Kirche des Landes. Nach ihrem Verständnis schuf der Militärputsch von 1979, der in der Folge auch großbürgerlich-reformistischen Kräften einen gewissen sozialen Spielraum bot, die Grundlagen für eine neue demokratische Entwicklung. Daher lehnten sie weiterführende Reformen der gesellschaftlichen Verhältnisse weitgehend ab. So unterstützten ihre führenden Vertreter – der Militärvikar und Oberst der salvadorianischen Armee Josef Eduardo Alvarez, Bischof von San Miguel, sowie der Großgrundbesitzer Pedro Aparicio, Bischof von San Vicente – ohne nennenswerte Einschränkungen die Politik der herrschenden Teile der einheimischen Großbourgeoisie und der jeweiligen US-Administration, die sich die vollständige Vernichtung der Befreiungsorganisation FMLN/FDR zum Ziel gesetzt hatten. Diese Haltung wurde besonders in der Frage des Dialogs zwischen der Regierung und der FMLN/FDR deutlich, den diese Kräfte ausdrücklich zurückgewiesen haben, da es ihrer Meinung nach „ein Dialog zwischen Kriminellen und dem Staat“ wäre.

Eine andere Haltung nahm der im Februar 1977 ins Amt gekommene Erzbischof von San Salvador, Oscar Arnulfo Romero, ein. Unerwarteterweise setzte er nicht nur die kirchliche Sozialarbeit seines Amtsvorgängers Luis Chavez y González fort, sondern verstärkte sie und entwickelte allmählich eine positive Haltung zu den entstehenden Basisgemeinden, der Theologie der Befreiung und den bestehenden Volksorganisationen. Anfangs hatte Romero die Tätigkeit revolutionärer Volksorganisationen abgelehnt. Die Entwicklung der Ereignisse (1977 Scheitern der Agrarreform, Amtsantritt von General Carlos Humberto Romero und Ermordung seines Freundes Paters Rutilio Grande) veranlaßten den Erzbischof jedoch zu einer Anerkennung der Volksorganisationen und letztlich zur Annäherung an sie und zur Zusammenarbeit mit ihnen. In seinem 4. Hirtenbrief kam die Erkenntnis hinzu, daß der Marxismus als eine mögliche politische Strategie zur Machterlangung durch das Volk betrachtet werden könne, die es zu analysieren gelte. Angesichts der alltäglichen Repression gegen alle demokratischen Kräfte und der Entwicklung des revolutionären Volkskampfes ging es beim Verhältnis zu den Volksorganisationen in zunehmendem Maße um die Frage der Gewaltanwendung. Romero verurteilte zunächst die „institutionalisierte Gewalt“ grundsätzlich. Im Mai 1977 lehnte er Gewalt als Mittel zur Lösung bestehender Konflikte völlig ab und bezeichnete die Revolution als Untergrabung jeglicher Ordnung. Doch schon im Frühjahr 1978 anerkannte er das Recht des Volkes auf gewaltsamen Widerstand: „Die Doktrin der Kirche erlaubt eine Rebellion im äußersten Falle, wie der Krieg das letzte Mittel zur Verteidigung einer guten Sache ist.“ Mit dem Zusammenbruch der nach dem Sturz General Romeros 1979 gebildeten ersten Junta, die mit ihren Reformversuchen am Widerstand der Oligarchie gescheitert war, und dem anwachsenden Terror als Antwort auf die erstarkende Volksbewegung erkannte Romero immer deutlicher, daß ohne die Volksorganisationen keine dauerhafte Lösung erzielt werden kann und diese Lösung vielleicht nur über einen Volksaufstand erreichbar sei. Kurz vor seiner Ermordung äußerte Romero, sich auf den konterrevolutionären Terror und die immer offensichtlicher werdende Aussichtslosigkeit von Reformen beziehend: „Deshalb verstehe ich, erkläre ich mir und rechtfertige ich die Option für den bewaffneten Weg, um die Probleme zu lösen, die dieses Land bewegen, doch versteht mich auch: als Pastor und Oberhaupt der katholischen Kirche kann ich nicht der Führer des Volkes auf den Wegen der revolutionären Gewalt sein…“

Jedoch konnte der Erzbischof die Regierungssoldaten aufrufen, den Brudermord zu beenden. Diesen Aufruf bezahlte er mit seinem Leben. Das Martyrium Romeros hatte genau das zur Folge, wozu er beitragen wollte: den Vereinigungsprozeß der Volkskräfte. In ihrer Einheit sah Romero eine Alternative zum Bürgerkrieg. Romeros Worte „wenn man mich tötet, werde ich im salvadorianischen Volk auferstehen“ wurden unmittelbar Wirklichkeit und sein Wirken wurde in der ganzen Welt zum Symbol für eine Kirche an der Seite des Volkes.

Der erst 1983 zum neuen Erzbischof ernannte Arturo Rivera y Damas steht zwischen den konservativen und revolutionären Kräften in der katholischen Kirche des Landes. Er war 17 Jahre lang Weihbischof von Luis Chavez y Gonzalez und 1977 der Favorit der volksverbundenen Priester für das freie Amt des Erzbischofs, welches aber Romero als angeblich Konservativem übertragen wurde. A. Rivera y Damas hatte viele Jahre in der Katholischen Aktion gearbeitet, welche die Christdemokratie unterstützte, die Rivera nach wie vor als Alternative zum „Kommunismus“ betrachtet. Im Sinne der Verwirklichung eines christlichen Humanismus unterstützte er die militärischzivile (christdemokratische) Junta besonders in ihren Reformversuchen. Sein Verhältnis gegenüber den Volksmassen ist zurückhaltender als das von Romero. Die Stellung der Kirche sah er zu Beginn des Bürgerkrieges 1981 folgendermaßen: „Die Rolle der Kirche in diesem Konflikt ist es, dem Volk zu dienen und ihre Identität zu bewahren, weder für die Regierung noch für die Revolutionäre Partei (zu) ergreifen.“ Die salvadorianische Bischofskonferenz CEDES übte lange Zeit starken Druck auf Rivera aus, um ihn zu veranlassen, der „vorzugsweisen Option für die Armen“ eine endgültige Absage zu erteilen. Doch ähnlich wie Erzbischof Romero hat auch Erzbischof Rivera y Damas – zusammen mit seinem Weihbischof Gregorio Rosa Chavez – die Frage des Friedens zunehmend mit der nach sozialer Gerechtigkeit verbunden. Die Ursachen des Bürgerkrieges und der Gewalt liegen für diese Kräfte in der „Sünde der sozialen Ungerechtigkeit“.

Die vorwiegend ethisch-moralisch begründete Verurteilung der Gewaltanwendung richtet sich in erster Linie gegen den Terror der rechtsextremen paramilitärischen Organisationen und die „institutionalisierte Gewalt“ des Staates gegen die Bevölkerung, aber auch gegen die revolutionäre Gewalt der FMLN. Es wurde zwar eine vorsichtige und widersprüchliche Anerkennung des „Rechts auf Verteidigung“ des Volkes gegenüber dem Terror der Reaktion sichtbar; selbige wurde aber mit dem Wahlsieg der Christdemokraten nicht mehr in den Vordergrund gerückt. Von diesen Positionen aus vertreten die Kräfte um Rivera y Damas ihre Konzeption zur Lösung des Konfliktes, die auf der Grundlage der „Selbstbestimmung und der Nicht-Intervention“ sowie einer verstärkten Wirtschaftshilfe für das Land erfolgen soll. Sie wenden sich gegen die Einmischung ausländischer Kräfte und lehnen die Einordnung des nationalen Konfliktes in die internationale Auseinandersetzungen ab. Die Gruppe um den Erzbischof folgt der Linie der von den lateinamerikanischen Bischöfen auf ihren Konferenzen von Medellin (1968), Puebla (1979) und Santo Domingo (1992) vertretenen Konzeption eines „dritten Weges“, der weder dem „materialistischen Kapitalismus“ noch dem „atheistischen und kollektivistischen Marxismus“ entsprechen dürfe.

Ausgehend von der Anerkennung der inneren Ursachen für die Existenz der revolutionären Volksbewegung und bedingt durch eine realistische Wertung ihrer militärischen Stärke und gesellschaftlichen Wirksamkeit stellten die kirchlichen Kräfte um Rivera y Damas seit etwa November 198! die Führung eines ständigen Dialogs zwischen Regierung und FMLN/FDR in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen zur Wiederherstellung des Friedens im Land.

Rivera y Damas und der Weihbischof Rosa Chävez gerieten mit dieser Position in den 80er Jahren des öfteren in Konflikt zu den übrigen salvadorianischen Bischöfen. Als ein Beispiel sei der Pastoralbrief der CEDES vom 8. August 1985 genannt, der den Titel „Versöhnung und Frieden“ trug. Auch in ihm wurde auf die unbedingte Fortsetzung des Dialogs orientiert, doch war ein Abgehen von früheren Positionen deutlich, als es hieß: „…wir haben auf der einen Seite eine verfassungsmäßige Regierung, die Ergebnis eines demokratischen Prozesses ist, garantiert durch den massiven Andrang zu den Wahlurnen in vier aufeinanderfolgenden Wahlen, die ein wiederholtes Referendum zugunsten der Demokratie waren; und wir haben auf der anderen Seite die FMLN/FDR, die sich anmaßt, das Volk zu repräsentieren, was sie nicht eindeutig beweisen kann, und die außerdem Gewalt und Sabotage als besondere Waffen des Kampfes benutzt, wodurch sie sich in eine Lage bringt, die wir nicht anerkennen können.“ Die durch Wahlbetrug und große Stimmenenthaltung an die Macht gelangte Regierung wurde als verfassungsmäßig anerkannt, die Bereitschaft der FMLN/FDR zu Verhandlungen zur Beendigung des Bürgerkrieges wurde ignoriert. Der Pastoralbrief veranlaßte damals die FMLN/FDR. der Bischofskonferenz CEDES die Vermittlerrolle zwischen ihr und der Regierung abzusprechen, da sie sich bereits für eine Seite, die Regierung, entschieden hätte. Im Oktober 1985 gelang es jedoch Erzbischof Rivera y Damas, das Vertrauen der FMEN/FDR zurückzugewinnen und im Falle der entführten Tochter des Präsidenten, Inés Duarte, und dem sich daraus ergebenden größeren Gefangenenaustausch erfolgreich zu vermitteln. Die Bischofskonferenz als Ganzes blieb jedoch von jenem Zeitpunkt an als Vermittler ausgeschlossen und der Erzbischof von San Salvador übernahm diese Aufgabe fast gänzlich.

Angesichts der konkreten Bedingungen wandten sich die Kräfte um Rivera y Damas objektiv vor allem gegen die interventionistische Politik der USA gegenüber der Region. Mit ihren in der Öffentlichkeit vertretenen Positionen, die auch eine Kritik und Verurteilung der wachsenden US-amerikanischen Militärhilfe einschloß, gerieten sie in einen stärkeren Widerspruch zur US-Administration. Andererseits vermieden die Verfechter der Reformlinie stets direkte Angriffe gegen die USA und ihre Politik, da sie in deren Wirtschaftshilfe die mögliche materielle Basis für ihr Programm sozialer Reformen in El Salvador sehen. Zugleich darf in der Bewertung der Gesellschaftskonzeptionen dieser Kräfte nicht das Ziel der Erhaltung sozialen Einflusses der katholischen Kirche und das Verklammern der divergierenden kirchlichen Strömungen auf Positionen einer national orientierten Friedenskonzeption für El Salvador außer acht gelassen werden. Unbedingt hervorzuheben ist jedoch, daß die Kräfte um Rivera y Damas ehrlich an der Wiederherstellung des Friedens interessiert sind und durch ihre realistische Einschätzung des existierenden Kräfteverhältnisses sowie durch die Betonung der Notwendigkeit eines Dialogs letztlich auch zur Stärkung der Positionen der Volksbewegung beigetragen haben. So sind die für März 1994 anberaumten Wahlen in El Salvador, unter Beteiligung des FMLN, nicht zuletzt auch ein Ergebnis kirchlicher Friedensbemühungen während zwölf Jahren Bürgerkrieges, wobei Erzbischof Arturo Rivera y Damas ein besonderer Platz gebührt.

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