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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Venezuela sprengt die Ketten 5. Juli 1811
Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung

Javier Santos | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten
Venezuela - Venezuela sprengt die Ketten (221 Downloads )

Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung Venezuelas. Bildquelle: cervantesvirtual.com. Original Bild von Martin Tovar y Tovar 1876Die Geschehnisse in Europa am Ende des XVIII. und Anfang des XIX. Jahrhunderts beschleunigten ein Ereignis, das unweigerlich bevorstand: Die Emanzipation der spanischen Kolonien in der Neuen Welt. Die Kreolen in Amerika begannen, sich über die Ungerechtigkeiten zu ärgern, die ihnen durch ein ineffizientes Handelsmonopol auferlegt wurden. Die politische Ausgrenzung der weißen Kreolen gegenüber den Weißen der Iberischen Halbinsel sorgte für Spannungen zwischen den vorherrschenden Gruppen. Das zunehmende Drängen der Mulatten und Sklaven, um eine gerechtere Behandlung zu erreichen, rief Revolten hervor und sah nach einem Bürgerkrieg zwischen den Rassen aus. Die Zutaten für einen Bruch der bestehenden Ordnung waren bereits vorhanden, aber es waren die humanistischen Gedanken der französischen Revolution und die darauffolgende napoleonische Invasion in Spanien, die den Weg für den Beginn der glanzvollsten aber auch blutigsten Phase der lateinamerikanischen Geschichte bereiteten: Die Zeit der Unabhängigkeitserklärungen war gekommen.

Die Nachricht, dass Spanien von den Franzosen eingenommen worden war, erreichte Caracas zuerst. Sie war auch die erste Stadt in den spanischen Kolonien in Amerika, in der sich eine Nation entwickelte. Alles nahm seinen Anfang im Juli 1808, als am Hafen La Guaira Neuigkeiten aus dem Mutterland eintrafen. Spanien war von den Truppen Napoleons eingenommen worden und das Volk hatte sich am blutigen 2. Mai von Madrid erhoben. Die Kette der kolonialen Herrschaft war durchbrochen und die Venezolaner mussten zum ersten Mal selbst entscheiden, welche Stellung sie beziehen wollten: Die Rechte des abgesetzten Königs verteidigen oder die Anweisungen der neuen Regierung befolgen (Lynch S. 194. 2007).

Die Venezolaner entschieden sich im April 1810 dafür, die Junta Conservadora de los Derechos de Fernando VII zu schaffen. Zunächst musste im Verborgenen agiert werden, um Repressionen der skeptischen Kolonialbehörden zu vermeiden, welche die Aktionen der Volksbewegung nicht duldeten. Venezuela unternahm die ersten Schritte in Richtung Freiheit. Unter den Gruppen mit kreolischen Anführern ragte die von Simón Bolívar gegründete Sociedad Patriótica aufgrund der Vehemenz, mit der sie die vollständige Unabhängigkeit des Landes forderte, gegenüber den konservativeren Haltungen anderer Gruppierungen, die nur eine Autonomie unter dem Schutz der bourbonischen Krone anstrebten, heraus.

Bolívar wusste, was der gerade erst geschaffene Kongress Venezuelas, der sich am 2. März 1811 zum ersten Mal versammelte, aufs Spiel setzte. Der spätere Unabhängigkeitsheld und seine Gruppe riskierten einen hohen Einsatz. Der vollständige Bruch aller politischen Bindungen mit Spanien war der einzig mögliche Ausweg für Venezuela. „Die patriotische Junta achtet, wie es sich gehört, den Nationalkongress; der Kongress sollte jedoch auf die Junta, Zentrum des Lichts und aller revolutionären Interessen, hören.” erklärte Bolívar am 4. Juli. Am nächsten Tag wurde die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet (Liévano Aguirre. S. 64. 2010).

Das am 5. Juli 1811 durch Vertreter aus sieben venezolanischen Provinzen angenommene Dokument legte die Gründe dar, die das Land dazu führten, die koloniale Ordnung zu zerschlagen. Die „Übel, Beeinträchtigungen und Entbehrungen, die das unheilvolle Recht der Konquista in Venezuela verursacht hat”, waren die Argumentationsgrundlage der Kongressmitglieder, in ihrer Mehrheit kreolische Konservative und von ihrer Abstammung her selbst Spanier. Die Unterzeichnenden sahen Spanien jedoch nicht als Feind an, was sich später ändern sollte. Ihre Unzufriedenheit richtete sich vielmehr gegen den Missbrauch der Anweisungen von der Iberischen Halbinsel, mit denen auf die Autonomiebestrebungen von Caracas reagiert wurde. Die Mehrheit der Anführer des Kongresses verfolgte eine autonomistische Linie und wollte der Krone Ferdinand VII. weiter die Treue halten, jedoch innerhalb eines neuen politischen Rahmens. Mit seinem Irrtum und der nachfolgenden Unterdrückung machte sich das Mutterland die einzigen, die seine Interessen verteidigen konnten, zu seinen Feinden.

Trotz unserer Vorschläge, unserer Genügsamkeit, unserer Großzügigkeit und der Unverletzlichkeit unserer Prinzipien werden wir, gegen den Willen unserer Brüder in Europa, als Aufständische bezeichnet, werden wir blockiert, angegriffen, werden uns Bevollmächtigte geschickt, um uns gegeneinander aufzuhetzen, und man versucht, uns bei den europäischen Nationen zu diskreditieren, indem man sie um Hilfe anfleht, um uns zu unterdrücken. So die Unabhängigkeitserklärung Venezuelas.

Die in dem Befreiungsdokument verwendete Sprache zeugt mehr von Verbitterung denn von Verachtung. Der Hass kam erst später auf, während der Krieg um die Freiheit Venezuelas die schlimmste Seite der Verteidiger des kolonialen Systems zum Vorschein kommen ließ, um „einen Teil unserer großen Familie zu Feinden zu machen”, so die Unterzeichnenden. Die Ursache für die Unabhängigkeit Venezuelas sahen die Kongressmitglieder in der schlechten kolonialen Führung Spaniens, das die Motive der Aufständischen vom April 1810 nicht verstanden hatte. Sie legten ihre Gründe dar und argumentierten, dass: „die Notwendigkeit uns gezwungen hat, weiter zu gehen, als wir beabsichtigt hatten”(*4), aber gleichzeitig waren sich andere Anführer der Unabhängigkeitsbewegung, bereits vor dem Fall der Bourbonen in Spanien, schon darüber im Klaren, was man aus der Situation in Venezuela machen sollte.

Für Bolívar war der Verrat des Vertrauens der konservativen Autonomisten von Seiten Spaniens keine Überraschung. Am 4. Juli, einen Tag vor Unterzeichnung der Urkunde, erinnerte Bolívar den Nationalkongress an das, was seine Mitglieder bereits wussten: „Lasst uns ohne Angst den Grundstein für die südamerikanische Freiheit legen. Zögern heißt, uns zu verlieren.”(Liévano Aguirre. 64. 2010). Der Kongress hörte zu und stimmte der politischen Trennung vom Mutterland zu, indem er in der Urkunde erklärte: „Wir glauben, dass wir die Verbindungen, die uns an die spanische Regierung banden, nicht aufrecht erhalten können und sollen” (*4). Der entscheidende Schritt war bereits getan, nun musste das Gebiet gegen die Rückeroberungsversuche von Seiten Spaniens verteidigt und das Land politisch neu strukturiert werden.

Es war nicht vorherzusehen, dass der Unabhängigkeitskrieg so lang und blutig werden würde. Bolívar dachte 1815: „Welch Irrsinn unseres Feindes zu versuchen, Amerika ohne Marine, ohne Vermögen und fast ohne Soldaten zurückzuerobern”(Documentos. S. 56). Und dennoch versuchte Spanien es und erst nach dem entscheidenden Sieg der Patrioten in der Schlacht von Carabobo, am 24. Juni 1821, konnten die Venezolaner sich sicher sein, dass ihre Unabhängigkeit Bestand haben würde.

Auf politischem Gebiet war in Venezuela alles neu zu gestalten, aber niemand wusste, wie dies geschehen solle. „Die Stellung der Bewohner der amerikanischen Hemisphäre ist über Jahrhunderte hinweg ausschließlich passiv gewesen: ihre politische Existenz war so gut wie nicht vorhanden”(Documentos. S. 60) sagte Bolívar Jahre später, als er sich auf die administrative Erfahrung der kreolischen Venezolaner bezog, denen die meisten öffentlichen Ämter im kolonialen System verwehrt gewesen waren. Nach Einschätzung Bolívars ließ diese Situation die vorherrschenden einheimischen Klassen „in Bezug auf öffentliche Vorgänge in einer Art kindlicher Unerfahrenheit”(Documentos. S. 61) zurück.

Die Venezolaner versuchten weiterhin, mit Erfahrung in Verwaltung und Politik oder ohne, die junge Republik zu festigen. Im Dezember 1811 erließ der Kongress die erste Verfassung. Sie war föderalistisch und von der der USA inspiriert, aber sie war auch, in den Worten Bolívars: „das übertriebenste föderale System, das es je gegeben hat”(Documentos. S. 64), da sie eine sehr schwache Exekutive gegenüber den Regionen zum Ergebnis hatte. Die Verfassung schaffte die Kastengesellschaft ab, aber hielt die Klassengesellschaft aufrecht, indem sie das Wahlrecht auf Männer mit einem so hohen Einkommen beschränkte, dass sie in der Praxis die Mehrheit der Einwohner des Landes ausschloss. Frauen, Mulatten, Indigene und Arme blieben von der Verteilung der Macht ausgeschlossen und Sklaven blieben weiterhin Sklaven.

Als sie ein Jahr alt war, im Juli 1812, starb die erste venezolanische Republik, erdrückt von ihren strukturellen Problemen, die letztendlich die Türen für die Truppen der Reconquista öffneten. In Venezuela „kämpften die Royalisten für die alte Ordnung, die Unabhängigkeitskämpfer für die kreolische Vormachtstellung und die Mulatten und Sklaven für ihre eigene Befreiung” (Lynch S. 197. 2007). Caracas wurde von den Royalisten wieder für die spanische Krone eingenommen. Die Anführer der Republik mussten fliehen. Aber es gab kein Zurück mehr, weder in Venezuela noch in Lateinamerika. Am 5. Juli 1811 wurde dem Land gezeigt, dass es frei sein könne und der Kampf hörte nicht auf, bis ganz Amerika es ebenfalls war.

Bibliographie:
1.    Lynch, John. Las revoluciones Hispanoamericanas 1808-1826. Editorial Ariel. Barcelona. Décima edición, febrero 2007. ISBN 978-84-344-6507-7
2.     Liévano Aguirre, Indalecio. Bolívar. Editorial de las Ciencias Sociales. La Habana. 2010. ISBN 978-959-06-1290-9
3.     Simón Bolívar. Documentos. Casa de las Américas. 2010. ISBN 978-959-260-323-3
4.     Congreso de la República. Acta Solemne de Independencia. Facsímil del texto manuscrito original Existente en el Congreso de la República.

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Übersetzung aus dem Spanischen: Monika Grabow

Bildquelle: Biblioteca Virtual Miguel de Cervantes

3 Kommentare

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  3. jan z. volens sagt:

    Das Gaeren zur Unabhaengigkeit hatte in Lateinamerika schon mit den Revolutionen in USA und Frankreich begonnen. In Brasilien schon am Ende des 18ten Jahrhunderts – A Inconfidencia (Tiradente). Wahrscheinlich vollzog sich manches im Freimaurertum. Die „Weissen Kreolen“ („Americanos“) und die weissen „Peninsulares“(von Spanien) – waren nicht die identischen Voelker – denn die „Weissen Kreolen“ hatten auch haufig „entfernte“ Abstammung von indianischen und afrikanischen Ahnmuettern: Beispiel Simon Bolivar der sehr reiche „Weisse Kreole“ hatte etwas afrikanische Abstammung. In Brasilien hatten vier der weissen Praesidenten seit 1900 etwas afrikanische Abstammung, darunter Fernando Henrique Cardozo (Praesident bis 2002), von Beruf Professor der Soziologie. Im Befreiungskrieg der „Americanos“ gegen die „Peninsulares“ – kaempften auch eine Anzahl von englischen und irischen Militaerabenteurer. Die Marine einiger lateinamerikanischen Nationen wurde von Englaendern und Iren gegruendet. Gabriel Garcia Marquez beschrieb das Ende Simon Bolivars in „Der General in seinem Labyrinth“. Ein Buch das man gelesen haben sollte, wenn moeglich in Spanisch.

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