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Venezolanischer Forscher mit deutschen Wurzeln
Die Geschichte von Rodolfo Jaffé

Lisa Kühne | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Rodolfo Jaffé. Foto: Silvio KisonIm Jahr 2004 haben nach Angaben des Statistischen Bundesamts 3.809 Menschen nach Art. 116 Abs. 2 GG die Deutsche Staatsbürgerschaft erlangt. Das Gesetz besagt, dass frühere Deutsche, die während des zweiten Weltkrieges aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen ihre Staatsbürgerschaft verloren haben, einen Anspruch auf Wiedereinbürgerung haben. Einen solchen Antrag hat auch die Familie von Rodolfo Jaffé gestellt.

Der Venezolaner ist in die naturwissenschaftlichen Fußstapfen seiner Vorfahren getreten, die bis 1935 in Deutschland gelebt haben und ihr Heimatland während des NS-Regimes verlassen mussten. An der Martin-Luther-Universität in Halle an der Saale schrieb Jaffé seine Doktorarbeit über „Die Paarungsbiologie der Bienen und Ameisen“ und wird diese demnächst verteidigen. Seit Juli 2005 geht Rodolfo Jaffé seinen Forschungen nach. Im Hohen Weg 4 in Halle untersucht er zum Beispiel an Treiberameisen, ob die verschiedenen Formen der Arbeiterinnen – die sogenannten Soldaten und Krankenschwestern – eine genetische Basis haben. Innerhalb von BEESHOP, einem EU-Netzwerk mit neun europäischen Partnern, das Jaffés Betreuer, Prof. Dr. Robin Moritz koordiniert, erforscht er außerdem den Stand des Umweltschutzes von europäischen Honigbienen.

Wie es für Rodolfo Jaffé nach seinem Forschungsprojekt an der MLU weitergeht, weiß er noch nicht. Schon im Februar hätte er Deutschland verlassen müssen. Nun wurde das Projekt um ein halbes Jahr verlängert und bis August hat der Wissenschaftler Zeit, sich auf seine mögliche Abreise vorzubereiten. „Ich fühle mich wohl hier“, sagt der Venezolaner, „solange man einen Job hat, ist es als Ausländer kein Problem in Deutschland zu bleiben, wenn nicht, muss man sofort weg.“ Als Student könnte er das Visum verlängern, muss aber, wie es in einem Merkblatt steht, „über ausreichende Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfügen“. Dafür solle er beispielsweise ein Sperrkonto mit einer Mindestdecksumme von 7.716 Euro eröffnen.

Für Jaffé könnte es aber auch einen anderen Weg geben, „die Freiheit zu bekommen, hier zu bleiben und weiterforschen zu können“, wie er sagt. Dem deutschstämmigen Venezolaner steht nach dem „Wiedergutmachungsgesetz“ die hiesige Staatsbürgerschaft zu.

Rodolfo Jaffé erhielt den Namen seines Urgroßvaters Rudolf Jaffé (1885–1975), der deutscher Staatsbürger war und 1935 aufgrund der Judenverfolgung nach Venezuela immigrierte. Der Urgroßvater arbeitete einst im Berliner Krankenhaus Moabit. Daran erinnert heute eine Gedenktafel, die am 30. Mai 1997 enthüllt wurde. Nachdem er aufgrund seiner jüdischen Vorfahren pensioniert wurde, floh er mit dreien seiner Kinder in die venezolanische Hauptstadt Caracas. Das vierte, Rodolfo Jaffés Großvater, kam später nach. Rudolf Jaffé senior gründete in Venezuela das Pathologische Zentrum, das heute zur „Universidad Central de Venezuela (UCV)“ gehört. Obwohl der Pathologe nicht in Deutschland bleiben konnte, schrieb er 1940 an den Deutschen Gesandten in Venezuela, dass er im Ausland weiterhin für das Ansehen der deutschen Wissenschaft arbeitet und die Pathologische Anatomie nach deutschem Muster einführt.

Auch Rudolf Jaffés Vater Benno Jaffé (1848–1923), der ebenfalls Naturwissenschaftler war, ist noch heute in Berlin bekannt. Er gründete 1874 zusammen mit dem Chemiker und Wissenschaftshistoriker Ludwig Darmstaedter (1846–1927) das Unternehmen Dr. Benno Jaffé & Darmstaedter. Dem Industriellen und Kommunalpolitiker ist heute eine Straße in Berlin-Charlottenburg gewidmet. „Er half den Armen und wurde Ehrenbürger von Berlin“, sagt sein Ur-Urgroßenkel Rodolfo Jaffé. Benno Jaffé war zwischen 1901 und 1918 Stadtrat von Charlottenburg und gründete 1910 eine Stiftung für bedürftige Bürger. Für sein kommunalpolitisches und soziales Wirken erhielt er 1919 die Ehrenbürgerschaft von Charlottenburg. Das Museum Charlottenburg-Wilmersdorf verfügt heute über Dokumente zu seinem Wirken. Zu seinem Ur-Urenkel Rodolfo Jaffé möchte es nun Kontakt aufnehmen.

Großvater von R. Jaffé. Foto: Museum Charlottenburg-WilmersdorfKennengelernt hat der Forscher seine bekannten Vorfahren nie. Nur sein Opa kann noch die deutsche Sprache und spricht Spanisch mit einem starken deutschen Akzent. „Er hat die Tradition des Weihnachtsbaums und Stolleessens mit in die Familie gebracht“, sagt Jaffé.

Ein Gesetz nach Art. 116 Abs. 2 GG, das auf der Internetseite des Bundesverwaltungsamtes in Köln nachzulesen ist, besagt Folgendes: „Frühere Deutsche können sich wieder auf ihre frühere Staatsangehörigkeit berufen, wenn ihnen während der Zeit des NS-Regimes die deutsche Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen wurde. Das gilt auch für die Nachkommen dieses Personenkreises, wenn sie ohne die damalige Ausbürgerung Deutsche geworden wären“. Einen Antrag auf Wiedereinbürgerung hatte Rodolfo Jaffés Familie bei der Deutschen Botschaft in Caracas im Jahr 2003 gestellt. „Auf diesen Antrag hin gab es jedoch nie eine Antwort“, erinnert sich der Doktorand.

Als Jaffé nach Deutschland kam, berief er sich auf diesen Antrag. Das Bundesverwaltungsamt in Köln verwies darauf, dass die Stadt Halle für den Antrag zuständig sei. Das war im November. Eine Ablehnung des Einbürgerungsantrages kam im Januar vom hiesigen Amt. Der eigentliche Grund dafür wird aus dem Schreiben nicht ersichtlich. Darin steht lediglich, dass „eine (…) Einbürgerung im Rahmen nationalsozialistischen Unrechts ebenfalls nicht mehr in Betracht käme, wie dies bereits durch das Bundesverwaltungsamt anlässlich dort gestellter Einbürgerungsanträge der Familie Jaffé festgestellt worden sei.“ Eine Anfrage vom Uni-Magazin bei der Stadt Halle ergab, dass der Antrag erneut geprüft werde. Der Forscher hofft, den Grund für seine Ablehnung endlich zu erfahren. In fünf Monaten muss Rodolfo Jaffé wissen, wie es für ihn weitergeht. „Ich werde schauen, wo es ein interessantes Forschungsprojekt für mich gibt“, sagt der Biologe.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Uni-Magazins der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; scientia halensis: www.magazin.uni-halle.de

Nachtrag:
Rodolfo Jaffés Antrag auf Wiedereinbürgerung wurde abgelehnt, er hat Deutschland verlassen. Einige Zeit hat er in Perth/Australien weitergeforscht. Momentan erkundet er Thailand.

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Bildquellen: [1] Silvio Kison, [2] Archiv Museum Charlottenburg-Wilmersdorf

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