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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Quo vadis, ChaveZuela? (Teil 2)

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Nach dem Tod von Chávez – Legitimitätsdiskurse und Prognosen

Venezuela: Chavez Abschied - Foto: Ministerio del Poder Popular para la Comunicación y la Información VenezuelaDer Tod von Hugo Chávez am 5. März 2013 markiert eine tiefe Zäsur für Venezuela und Lateinamerika. Als Führungs- und Zentralfigur des Chavismus ist er einerseits kaum zu ersetzen, andererseits hat er in den letzten 14 Jahren zuviel bewirkt, um die Uhren einfach zurückdrehen oder den Transformationsprozess stoppen zu können. Die Wahlen vom 14. April, die einen unerwartet knappen Sieg für seinen Nachfolger Nicolás Maduro erbrachten, verweisen auf die zahlreichen Probleme und Schwierigkeiten, denen sich das unvollendete Projekt des Chavismus gegenübersieht. Das weltweite Medienecho auf beide Ereignisse – Chavez‘ Tod und die folgenden Wahlen – war auf zwei Fragen fokussiert: Wie sind Wirken und Werk des Hugo Chávez zu bewerten? Und wie ist es um die Zukunft des Chavismus ohne Chávez bestellt? Kurz: Quo vadis, ChaveZuela?

Das diskursive Kräftemessen um die Legitimität des Chavismus, das sich in den Medienberichten widerspiegelt, folgt zwei Mustern [1]: Zum einen gibt es deutliche Unterschiede in der Bewertung des Chavismus zwischen Lateinamerika und dem Westen, zum anderen spielt dabei die politisch-ideologische Verortung der jeweiligen Medien im Links-Rechts-Spektrum eine entscheidende Rolle. In Lateinamerika wird die Legitimität des Chavismus in den offiziellen Verlautbarungen der Staats- und Regierungschefs kaum infrage gestellt. Vielmehr wird Chávez als großer Lateinamerikaner gewürdigt. Dabei liegt der Fokus auf seiner Person und seinen Verdiensten in der Außen- und regionalen Integrationspolitik. In Abgrenzung zum Westen wird Chávez als wichtiges Mitglied der „lateinamerikanischen Familie“ von außergewöhnlicher Statur gewürdigt. Auch seine Parteinahme für die Armen und Marginalisierten findet ein positives Echo. Im venezolanischen Wahlkampf konnte es sich selbst der anti-chavistische Präsidentschaftskandidat, Henrique Capriles, nicht leisten, Chavez‘ Verdienste und Legitimität direkt infrage zu stellen. Die Kommentare der Medien in den lateinamerikanischen Ländern folgen zwar – wie in den westlichen Ländern – ihrer Positionierung innerhalb des Links-Rechts-Spektrum, fallen aber in den Negativwertungen zumeist rechtsorientierter Kommentatoren verhaltener aus als in analog verorteten westlichen Medien.

In der deutschen Presse wurde Hugo Chavez vor allem in den linksorientierten Zeitungen „neues deutschland“ und junge welt“ gewürdigt, während bürgerlich-konservative Presseorgane wie „Die Welt“ geradezu hasserfüllt über ihn berichten. Die „Süddeutsche Zeitung“ liegt zwischen beiden Polen, vertritt eine gemäßigte Position und zeichnet ein differenziertes Bild des Verstorbenen. Generell ist zu konstatieren, das gerade in den deutschen Mainstream-Medien einseitig, wenig fundiert und politisch motiviert über Lateinamerika berichtet wird.

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Kommentare und Nachrufe deutschsprachiger Medien, die sich bei der Berichterstattung und der Politikanalyse zu Lateinamerika durch fachliche Kompetenz auszeichnen. Neben den Ibero-Analysen des Ibero-Amerikanischen Instituts (IAI) Berlin (s.o.) sei stellvertretend auf Publikationen des Instituts für Lateinamerika-Studien im GIGA-Verbund Hamburg und der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Berlin sowie die österreichische Zeitschrift „lateinamerika anders“ verwiesen.[2] Gemeinsam ist allen Beiträgen, dass der Fokus auf die Zukunft des Chavismus gerichtet ist. Unter den fünf Artikeln von „lateinamerika anders“ sind außerdem zwei (aus der Feder von Ralf Leonhard und Leo Gabriel), die sich speziell mit dem Wirken von Hugo Chavez befassen. Der Grundtenor verweist auf die zu erwartenden Probleme und Schwierigkeiten bei der Festigung und Fortsetzung des Chavismus ohne Chávez.

Diese werden vor allem gesehen

  • in der schwierigen wirtschaftlichen Situation (Inflation, nötige Investitionen im Energiesektor, hohe Kosten der Sozialprogramme, Haushaltsdefizit, Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten),
  • im Zusammenhalt der verschiedenen Sektoren des Chavismus (hier wird vor allem die zukünftige Rolle des Militärs thematisiert),
  • in der ausufernden Gewalt und der Herstellung der öffentlichen Sicherheit sowie
  • im außenpolitischen Machtverlust (mit Konsequezen vor allem für Kuba und das ALBA-Projekt; zunehmendes Gewicht Brasiliens als regionaler Führungsmacht).

Nur bei „lateinamerika anders“ findet der Leser weitergehende Überlegungen zur Fortsetzung und Vertiefung der Agrarreform und eine vergleichende Bewertung der Wirtschaftsdaten Venezuelas mit denen anderer Länder. So liegt der Anteil der venezolanischen Staatsverschuldung am BIP bei 51 Prozent – nahe am lateinamerikanschen Durchschnitt von 49 Prozent, aber noch weit unter dem Durchschnitt der EU-Staaten von 87 Prozent (alles Angaben des IWF). Bezüglich der Inflationsrate wird darauf verwiesen, dass die Venezuelas schon immer zu den höchsten des Kontinents gezählt habe, aber mit 27,1 Prozenz (2011) noch immer unter den Werten der Vor-Chávez-Ära liegt (S. 11).

Die hier sichtbar werdende Differenz in der Analyse des Chavismus zwischen „Lateinamerika anders“ einerseits und den Kommentaren von GIGA und SWP andererseits macht auf ein grundsätzliches Defizit der meisten deutschsprachigen Beiträge zu diesem Thema aufmerksam. Es fehlen zumeist der Vergleich mit anderen Ländern und mit der Situation vor Chávez sowie eine adäquate Bewertung externer Faktoren. Es besteht vielmehr die Tendenz zur Personifizierung und Singularisierung der venezolanischen Entwicklung seit 1999. Damit wird einem neuen, chavistischen Exzeptionalismus der Weg bereitet und eine sachliche Analyse erschwert. Auch der inflationäre Gebrauch unscharf belassener Begriffe wie „Populismus“ und „Caudillo“ fügt sich in diesen Trend ein.

Kann ChaveZuela überleben?

Intensiv wird darüber diskutiert, ob der Chavismus ohne Chávez überleben kann. Der österreichische Venezuela-Kenner Drekonja-Kornat verneint dies klar: „Ich meine, Venezuela hat noch nicht das Stadium erreicht, dass es einen Chavismo ohne Chávez geben kann. Nur was als Alternative kommen wird, ist sehr schwer vorauszusagen: militärische Intervention, bürgerkriegsähnliche Elemente? Wir hoffen, dass es eine sanfte Lösung geben wird. Einen Chavismo sin Chávez halte ich für undenkbar.“ [3]

Venezuela: Chavismo nach Chavez - Foto: Ministerio del Poder Popular para la Comunicación y la Información VenezuelaEine andere Variante vertritt Heinrich Sassenfeld in einem Beitrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). [4] Obwohl auch er die Meinung teilt, das das Projekt des Chavismus vor existentiellen Herausforderungen steht, schließt er doch nicht aus, dass er sich in Richtung Peronismus entwickeln könnte. Der Verbleib des Chavismus ohne Chávez an der Macht hängt seiner Meinung nach davon ab, inwiefern es ihm gelingt, einen stabilen und effizienten Verwaltungsapparat aufzubauen. Außerdem gäbe die Stärke und Einheit der anti-chavistischen Opposition den Ausschlag in der Machtfrage.

Der linke Venezuela-Experte Raúl Zelik schließt zunächst kein Szenario aus: Regierungskontinuität, Rechtsruck, Bürgerkrieg oder populare Demokratisierung – alles ist denkbar.[5] Aber eines kann man mit Sicherheit sagen: Die „Bolivarische Revolution“ steht an einer Wegscheide. Immerhin gebe es allein in der regierenden PSUV mindestens vier Flügel. Neben der Gruppe um Nicolás Maduro die Fraktion um den Ex-Militär Diosdado Cabello, den viele als Vertreter der „Bolo-Bourgeoisie“ ansehen, dann eine dritte Strömung um Rafael Ramírez, Chef des staatlichen Erdölkonzerns PdVSA, der die ölfinanzierte Wohlfahrtspolitik fortsetzen möchte und eher sozialdemokratische Positionen vertritt, sowie eine vierte Position, die von Vizepräsident Elias Jaua als Ansprechpartner der sozialen Bewegungen vertreten wird. Ein weiteres Problem besteht darin, dass das Regierungslager über kein klares politisches Projekt verfügt. Angesichts dessen sei ein Zerfall des Chavismus denkbar. Da jede Krise aber immer auch eine Chance darstellt, könne man eine Erneuerung des Chavismus nicht ausschließen. Mit Blick auf das regionale Szenario konstatiert Zelik durch den Tod von Chávez „einen herben Verlust“ für Lateinamerika. Zugleich besäße der Chavismus als lateinamerikanisch-soziales Reformprojekt durchaus das Potenzial, auch ohne seinen Gründer zu bestehen.

Ein Minimum an Zusammenhalt des chavistischen Lagers vorausgesetzt, dürfte der regionale Faktor tatsächlich eine entscheidende Rolle für das Überleben von ChaveZuela spielen. Die UNASUR-Staaten können es sich einfach nicht leisten, dass aus dem bisherigen Vorreiter und Stabilitätsfaktor Venezuela ein unkontrollierbarer Konfliktherd wird. Außerdem hat keine der genannten Fraktionen des Chavismus ein Interesse an einer Entwicklung, die zu einem Bürgerkrieg oder zu einer Intervention der USA führen könnte. In diesem Fall wären sie alle die Verlierer. Auch wenn die Haltung der USA bei diesen Überlegungen als Unsicherheitsfaktor anzusehen ist, so sollte in Washington doch das realpolitische Kalkül entscheiden. Angesichts der globalen Krise und der zahlreichen Konfliktherden, von denen der Nahe Osten sicherlich der gefährlichste ist, sollten es sich gerade die USA als schwächelnde globale Hegemonialmacht ernsthaft überlegen, ob sie mit Venezuela einen weiteren explosiven Konflikherd, noch dazu vor der eigenen Haustür, riskieren wollen. Zumal der Solidarisierungseffekt mit einem US-bedrohten Venezuela weltweit Wellen schlagen würde.

Alles in allem spricht mehr dafür als dagegen, dass der Chavismus auch ohne Chávez überleben kann. Offen ist allerdings, welche Richtung er einschlagen und welche Ergebnisse er dann zeitigen wird. Bei allen Schwierigkeiten, denen sich der Chavismus zweifellos gegenüber sieht, sollte doch nicht vergessen werden, dass die zahlreichen Verästelungen und Risiken der globalen Krise inzwischen ein Gefahrenpotential bergen, das sich überall entladen kann. Wann und wo die Kette reißen wird, ist ungewiß, aber dass sie reißen wird, ist absehbar. Der Überlebenstest, den der Chavismus derzeit zu bewältigen hat, steht uns in globaler Hinsicht noch bevor. ChaveZuela wird dabei eine wichtige Rolle spielen.

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[1] Vgl. zu den folgenden Aussagen: Hermann, Isabella: Ofizielle Stellungsnahmen und internationales Medienecho zum Tod des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, Ibero Analysen 26, Berlin, Juni 2013

[2] Vgl. GIGA: Soliz Landivar, Ana/ Scholvin, Sören: Die „Bolivarische Revolution“ nach Hugo Chávez, GIGA Focus Lateinamerika, 3-2013; SWP: Zilla, Claudia: Chavismo reloaded in Venezuela, SWP-Aktuell 27, Mai 2013; Venezuela: Hugo Chávez – seine Ära, sein Erbe, in: lateinamerika anders, 2/ 2013, S. 4-14.

[3] Lateinamaerika anders, S. 8.

[4] Vgl. Sassenfeld, Heirich: Die Zukunft des Chavismus. Venezuela auf dem Weg zu einem Projekt nach Art des Peronismus. FES, Januar 2013

[5] Vgl. http://www.raulzelik.net/venezuela-texte/414-venezuela-nach-chavez-chance-auf-erneuerung

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Bildquellen: [1], [2] Ministerio del Poder Popular para la Comunicación y la Información Venezuela.

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