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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Auf den Spuren des Jaguar im Land der Naso

Jörn Ziegler | | Artikel drucken
Lesedauer: 17 Minuten

Diesen Artikel schreibe ich für das Volk der Naso, einem Stamm Indigener, die in einem noch unberührten Regenwald leben und deren Existenz durch die globale Wirtschaft bedroht ist. Die Naso sind den vielen Einflüssen und Eingriffen internationaler Firmen ausgeliefert. Mein Ziel ist es, mit diesem Artikel auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Ich bin Adolfo und seiner Familie, Antonio, Edwin unendlich dankbar für die Möglichkeit, einen Einblick in ihre Welt bekommen zu haben.

Panama - Jörn Ziegler unterwegs mit den Naso im Regenwald - Foto: Jörn Ziegler

Unterwegs mit den Naso im Regenwald.

Schon als kleines Kind hatte ich die Vorstellung mit Ureinwohnern durch den Regenwald zu laufen, dem Reich des Jaguars. Mein Kindheitswunsch hat sich in den letzten Jahren mehr als erfüllt, und die Republik Panama und ihre indigenen Völker haben seitdem einen besonderen Platz in meinem Leben. Neben dem Jaguar gibt es noch vier weitere Raubkatzen in Panama – Puma, Ozelot, Margay und Jaguarundi. Den Puma und seine Spuren kannte ich schon aus der Wüste und dem Bergland von Arizona, USA – hier in Panama durchstreift er auch den dichten Regenwald. Nachdem ich bei meinem ersten Besuch allein den Bergnebelwald im Hochland von Chiriqui erkundete und mein, abgesehen von „Hola“, nicht vorhandenes Spanisch ausbaute, begann ich, mich nach weiteren wilden Orten umzuhören. Zu meiner freudigen Überraschung stellte ich fest, dass in Panama einige indigene Völker leben und dort der Wald noch weiträumig erhalten ist. Es kam, wie es kommen sollte, und die Dinge nahmen ihren Lauf.

Panama: Regenwald - Foto: Jörn Ziegler

Unberührter Regenwald.

In der Jugendherberge meines Freundes Miguel entnahm ich einem Reiseführer Informationen über das Volk der „Naso“ oder „Teribes“ in der Nachbarprovinz Bocas del Toro an der Grenze zu Costa Rica. Ihr Siedlungsgebiet liegt unweit der Provinzhauptstadt zwischen dem Nationalpark und Weltkulturerbe „La Amistad“, Costa Rica und dem Atlantik. Das Gebiet ist von ursprünglichem Regenwald und vielen Flüssen durchzogen, die von der Kordillere hinab Richtung Atlantik fließen. Während die anderen indigenen Stämme Panamas in semi-autonomen Selbstverwaltungsgebieten (Comarcas) leben, ihre Heimat dadurch geschützt und ihr Stamm bekannt ist, sind die Naso weder bekannt, noch haben sie eine „Comarca“, in der sie ihre Existenz und Kultur dauerhaft sichern können. Ein junger Franzose erzählte dann eines Abends, dass er dort einen Tag lang durch den Dschungel gerannt war und er aufgrund des hohen Tempos fast zusammengebrochen wäre. Dann fiel mir auch noch ein Flyer in die Hand. Wenig später war ich unterwegs zu den Naso. Es sollte meine bisher wildeste Erfahrung werden, so wild, dass ich im folgenden Jahr wiederkehren musste. Die Busfahrt führte über die Kordillere in das Wald- und Wasserschutzgebiet „Reserva Fortuna“. Dieser Wald bildet die Pufferzone des Nationalparks „La Amistad“ und ist teilweise von einem Stausee zur Elektrizitätsgewinnung überflutet worden. Der Anblick dieses gigantischen Bauwerks vor den Kulissen des unberührten Regenwalds wirkte befremdend auf mich und sollte mich auf die Herausforderungen der Nasos einstimmen. Der Kleinbus ist längst überfüllt und schiebt sich im Schneckentempo die Berge hoch, dafür geht es mit Vollgas bergab. Serpentinen in den Alpen sind eins, Serpentinen in Panama etwas anderes. Hoffentlich kommt jetzt kein Gegenverkehr, und zum ersten Mal bin ich froh, dass es bei uns den „TÜV“ gibt.

Im Camp von Ex-Diktator Noriega

Panama: de-facto Machthaber Manuel Noriega (03.01.1990) - Foto: US Marshals Service

De-facto Machthaber Manuel Noriega (03.01.1990).

Am Abend kam ich nach langer Busfahrt in Changuinola an und traf dort Adolfo, der mich mit einem Motorboot vom Randbezirk der Stadt zum Ausgangspunkt meiner Reise, der Ökotourismus Lodge der Naso „Weckso Odesen“ brachte. Adolfo lebt mit seiner Frau und Kindern auf dem Gelände, und während seine Frau die Bewirtung der Gäste übernimmt, koordiniert Adolfo das Programm für die Besucher. Auf der kurzen Fahrt entdeckte Adolfo gleich ein Faultier im Baum hängen, die vielen Reiher, Eisvögel und Geier konnte ich auch ohne Adolfos Blick sehen. Als ich ein Jahr später in dieses Paradies kam, konnte ich Weckso bereits mit einem Offroad Taxi über die Brücke des Staudammprojektes „Bonyik“ – mitten im Naturschutzgebiet „Bosque Protector Palo Seco“ und somit in der Heimat des vom Aussterben bedrohten Volkes der Naso gelegen – erreichen.

Panama: die Ökotourismus Lodge der Naso 'Weckso Odesen' auf dem ehemaligen Militärgelände von Ex-Diktator Manuel Noriega  - Foto: Jörn Ziegler

Ökotourismus Lodge der Naso 'Weckso Odesen'.

Weckso hat etwas Besonderes, denn hier hatte früher Panamas Diktator Noriega seine Eliteeinheiten für das Überleben im Dschungel ausbilden lassen. Auf den Fundamenten und Ruinen des Militärgeländes haben die Nasos ihre traditionellen Häuser für die Gäste errichtet. Während Noriegas Hubschrauberlandeplatz schon überwuchert ist, so kann man den alten Jaguarkäfig, das Waffenlager und die an die Wände geschriebenen Leitbilder noch sehen. Neben dem Nationalparkbüro wurde ich freundlich von Adolfos Kindern empfangen. Das Camp liegt auf einer Anhöhe neben dem Fluss, der Lebensader für die Dörfer der Naso, weiter oben im Wald. Die Hütten sind in traditioneller Weise auf Stelzen gebaut und mit gedrehten Palmenblättern bedacht und sehr komfortabel. Abends sitze ich im Restaurant und spiele Karten mit den Kindern der Familie. Das Abendessen besteht aus Fisch aus dem Fluss und Kartoffeln. Als hätte jemand den Lichtschalter betätigt, wird es gegen 19 Uhr stockfinster. Die Geräuschkulisse steigt, und die Welt der Naso wird lebendig. Riesige Kröten, Fledermäuse, gigantische Käfer, Motten und natürlich Moskitos kommen zu Besuch. Der Dieselgenerator läuft noch kurz, so dass ich meine Tour in die Berge und Wälder ihrer Vorfahren mit Adolfo besprechen kann. Den „Loma Santa“ (heiliger Berg), den wir erklimmen wollen, werde ich am nächsten Morgen vom Motorboot aus am Horizont erblicken. Adolfo und ich sprechen auch über die Zukunft der Naso und über Projekte, welche die Traditionen der Naso und die unberührte Natur hier bewahren helfen könnten. Adolfo überblickt die Situation seines Volkes, er macht sich Sorgen um den ökologischen Schaden sowie den Verlust von Grundstücken und Wasserstraßen für den Staudammbau, er wünscht sich, dass die Kinder der Naso weiter ihre eigene Sprache lernen dürfen und alte Traditionen gepflegt werden. Für Adolfo geht es um mehr als nur um die Versorgung seiner eigenen Familie unter schwierigen finanziellen Umständen. Ich habe großen Respekt vor seinem Charakter und seinem Engagement. Für seine Weitsichtigkeit und Sorge um Mutter Erde bin ich dankbar. Es wäre viel einfacher und auch nachvollziehbar, sich nur um seine eigenen Herausforderungen zu kümmern.

Flussaufwärts im Land der Naso

Am nächsten Morgen kommt Edwin, um mich mit seiner Frau auf einem mit Ananas beladenen Boot abzuholen. Die Boote der Naso sind Einbäume aus riesigen, ausgehöhlten Stämmen. Am Bug wird einfach ein Motor eingehängt. Edwin sitzt hinten und steuert, während seine Frau mit einem langen Stock die Wassertiefe ertastet. Es ist Ende der Trockenzeit, und wir müssen immer wieder aussteigen und das Boot durch die Stromschnellen schieben. Bei meiner zweiten Reise war der Fluss reißend, und die Fahrt glich einer Tour auf einer Wildwasserbahn. Der Ausblick war beide Male unbeschreiblich schön – tausend Jahre alte, in Nebelschwaden gehüllte Baumriesen, in der Ferne endloses Grün, Hänge, Hügel und Täler. Hier sind weit und breit keine Viehweiden und gerodete Flächen zu sehen. Edwin und seine Frau leben flussaufwärts in einer Siedlung namens „Sieying“. Sie betreiben beide einen kleinen Laden mit Lebensmitteln und arbeiten mit Adolfo für das Ökotourismusprojekt. Nachdem ich die Ananas Monokulturen von „Dole“, die sich kilometerweit in Costa Rica entlang der Straße befinden, betrachten konnte, würde ich für kein Geld der Welt jemals wieder eine solche Ananas essen. Aber Edwins Ananas, frisch aus dem Wald geschlagen, schmeckt wahnsinnig gut. Hier soll ich Antonio treffen, der mir als einer der Naso angekündigt wurde, die den Wald, die Sprache seines Volkes und das Wissen seiner Vorfahren noch kennen. Antonio wird mir unzählige Heilpflanzen, Früchte des Waldes und Techniken seiner Vorfahren zeigen. Auf unserer Wanderung nimmt er Ruben mit, einen jungen Cousin von Edwin. Ich möchte tief in den Regenwald gehen, um Spuren wilder Katzen zu entdecken. Das wird auf jeden Fall keine „Wanderung zum Wasserfall“ für Touristen. Hier bin ich ganz weit draußen, abgeschnitten von der Zivilisation, unauffindbar, und ich freue mich tierisch.

Pana Jungla – Ab in den Wald

Panama: Zeichen des ehemaligen Militärcamps 'Pana Jungla' am Fluss Teribe - Foto: Jörn Ziegler

Ort des ehemaligen Militärcamps 'Pana Jungla' am Fluss Teribe.

Wir verlassen das Dorf in den Morgenstunden. Edwins Frau kommt noch zu mir und bringt mir ein Lunchpaket eingewickelt in Bananenblätter. Der Inhalt war, wie ich abends am Lagerfeuer entdeckte, eine breiige Masse irgendeiner Frucht und schmeckte ausgezeichnet. Die ersten beiden Stunden wandern wir einen schmalen Trampelpfad entlang eines Bergkammes. Als wir dann an einen der vielen Flüsse kommen erblicke ich eine Tayra, ein pechschwarzer Riesenmarder und Verwandter unseres Baummarders, auf einem Baumstamm sitzend, der über den Fluss ragt. Neugierig betrachtet er uns, bevor er sich in den Wald verzieht. Wir nehmen das Flussbett, um weiter voranzukommen. An einer Biegung halte ich inne und entdeckte im Wasser einen Fischotter, der auf mich zutreibt. Mitten in einer Stromschnelle erblickt er mich und schießt mit Lichtgeschwindigkeit aus dem Wasser in den Wald am Ufer. Noch nie habe ich ein Tier so schnell reagieren gesehen. Das Video von meiner Kamera bekommt sogar in Zeitlupe nicht mehr als ein Plätschern auf die Linse. Auf einem Stein kann ich noch einen Pfotenabdruck fotografieren. Wenig später sehe ich eine oben schwarze, unten durchsichtige Schlange zwischen zwei Felsen. Selbst Antonio hatte diese Schlange noch nie zuvor gesehen.

Panama: ein seltener Erdbeerfrosch unterwegs im Regenwald - Foto: Jörn Ziegler

Seltener Erdbeerfrosch

Weiter flussaufwärts spazierte völlig entspannt ein Nasenbär am Ufer und bemerkte uns erst, als Ruben einen lauten Schrei ausstieß. Später dann entdeckte Ruben, Antonios junger Begleiter, die ersten Fußabdrücke eines Jaguars, der am Fluss vorbeigegangen war. Nicht weit davon entfernt war ein Hirsch zum Trinken an den Bach spaziert. Kein Wunder, dass diese Geister des Waldes so wie wir den Fluss als Weg nutzen. Am Flussufer geht es steil bergauf, und vor lauter Grün kommt man ohne Machete keinen Meter voran. Neben mehreren Jaguarspuren fanden wir auch Pumaspuren an diesem Tag. Auf dem Rückweg entdeckten wir vor uns frische Spuren eines Ozelots und ein vom Ozelot geplündertes Vogelnest. Auf dem Weg nach Panama hatte ich über einen eingeschleppten Pilz gelesen, der in Panama Froschbestände ausrottet. Hier ist davon nichts zu bemerken, wahrscheinlich weil dieses Gebiet nicht touristisch und auch nicht landwirtschaftlich erschlossen ist. Jedenfalls sehe ich unzählige Pfeilgiftfrösche, darunter den seltenen Erdbeerfrosch. Außerdem gibt es hier die größten und farbenprächtigsten Schmetterlinge. Der Himmelsfalter mit seinen blauen bis zu 12 cm großen Flügeln flattert an mir vorbei den Fluss entlang.

Abendessen aus dem Wald

Panama: geführte Wanderung mit dem Indigena Antonio durch den Regenwald  - Foto: Jörn Ziegler

Antonio

Bei meiner ersten Tour schlugen wir unser Nachtlager direkt am Flussufer auf und bauten uns einen Unterstand auf einer ebenen Fläche. Ich wollte nur noch raus aus den Gummistiefeln und rein in das Wasser. Während Ruben fünf Meter hoch in den Bäumen des steilen Flussufers hing und einarmig mit der Machete Feuerholz schlug, bereitete Antonio die im Wald gesammelten Bananen und Samen für den Kochtopf vor. Die großen, an dicke Bohnen erinnernden Samen einer Frucht wurden im Ufersand gewaschen, geschält und dann über dem Feuer geröstet. Antonios Wissen um die vielen Pflanzen und ihre Verwendung war mehr als beeindruckend. So konnte ich das weiße und süße Fruchtfleisch der Kakaofrucht essen und meinen Energieakku nach einem langen Tag mit Bananen voll schlagen. Auch weiß ich jetzt, niemals Palmenherzen in einem Restaurant bestellen zu wollen, denn für ein etwa 10cm großes Stück Palmenherz wurde die gesamte Palme gefällt. Zum Nachtisch gab es dann noch Tee von Blättern, die leicht nach Zitrone schmeckten. Ich versuchte, mir während der Wanderung so viele Notizen wie möglich zu machen, es waren aber einfach zu viele verschiedene Pflanzen und Früchte in zu kurzer Zeit, auf die mich Antonio hinwies. Je mehr Interesse ich zeigte, desto mehr Informationen kamen zurück. Beeindruckend war, dass er die meisten Pflanzen nicht nur in seiner Naso Sprache benennen konnte, sondern auch ihre Bezeichnung im Spanischen kannte. Leider stimmen diese meist nicht mit den wissenschaftlichen Bezeichnungen überein: Der Jaguar wird hier Tiger genannt, der Flussotter Wasserkatze und der Riesenmarder schwarze Katze.

Die Nacht verlief ruhig, und ich machte mich früh morgens auf und setzte mich auf einen großen Felsen mitten im Flussbett in der Hoffnung, ein Tier beim morgendlichen Trinken beobachten zu können. Das Flussbett gleicht einem Geröllfeld. Überall liegen riesige Felsen und umgestürzte Bäume, die das Wasser in der Regenzeit mitgerissen hat.

Dann geht es weiter. Wir erreichen nach einigen Stunden den Berg „Loma Santa“ und blicken auf das Hinterland der Naso und den Nationalpark „La Amistad“. Soweit das Auge reicht, sieht man grün, mit Bäumen besetzte Hügel und ein Flusstal. Dieser Ausblick wird mir ewig als Zeugnis von wahrer Wildnis in Erinnerung bleiben. Antonio berichtet, wie hier seine Vorfahren gelebt haben. Vielleicht tun sie es immer noch, denke ich mir. Nach einem Gewaltmarsch kommen wir in der Dunkelheit wieder im Dorf an. Jetzt noch das mit Hilfe des angelehnten Brettes die Hütte erklimmen und meine Hängematte aufhängen. Am nächsten Morgen geht es zurück nach „Weckso“. Als Überraschung wird in einer halben Stunde ein Floß aus Balsaholz gebaut, mit dem es dann den Fluss herunter geht.

Nachts im Reich des Jaguars

Unterwegs im Regenwald Panamas - Bild einer Spinne - Foto: Jörn Ziegler

Spinne

Bei der zweiten Tour erreichten wir unser Lager erst nach etwa zehn Stunden Fußmarsch, tiefer im Wald und fernab des Flusses, an dem wir beim ersten Mal übernachtet hatten. Die Bäume hier sind gigantisch und weder in Schrift noch Bild zu beschreiben, 20 Meter hohe Farne und Baumstämme, die einen Menschen wie eine Playmobilfigur aussehen lassen. Unterwegs konnten wir Kapuzineraffen beobachten, die sich über uns durch das Blätterdach schwingen. Antonio bastelte sich aus Grashalmen eine Pfeife und versuchte den größten Adler der Welt, den Harpiye anzulocken. Ich war aufgrund der Literatur davon ausgegangen, dass der Harpiye nur im Darien, dem Grenzgebiet zu Kolumbien vorkommt. Genügend Affen und Faultiere, Beutetiere der Harpiye gibt es hier anscheinend schon. Dem Harpiye sollte ich ein Jahr später im wilden Darien auf die Spur kommen. Aber das ist eine andere Geschichte. Mein Magen freute sich auf die riesige Bananenstaude, die wir gepflückt hatten und jetzt kochen werden. Die Blätter, die wir unterwegs immer mal wieder gegessen haben, und die darin enthaltenen Kohlenhydrate waren schon lange wieder verbraucht. Es war ein heißer Tag und ein langer Marsch Hügel rauf und wieder runter, immer der Machete von Antonio hinterher. Ich habe literweise Flüssigkeit verloren und im Gegensatz zu den beiden auch entsprechend viel getrunken. Das sollte sich am nächsten Tag bezahlt machen. Jetzt spanne ich meine Hängematte zwischen zwei Bäume und entzünde das Feuer, das Antonio vorbereitet hat, mit meinem Magnesium Stab. Vorher hatte er mir anhand eines riesigen Feuersteins, den er in einem Bachlauf entdeckt hatte, gezeigt, wie seine Vorfahren Feuer machten. Danach entfernen wir uns in der kurzen Dämmerung tiefer in den Wald. Ich habe die Hoffnung, einen Jaguar zu hören, Antonio möchte noch sein Abendessen jagen. Er hat es auf Trompetervögel abgesehen, die sich in der Dämmerung zum Schlafen auf Bäume zurückziehen und die durch ihre regelmäßigen Rufe zu lokalisieren sind. Ich versuche ihn noch davon zu überzeugen, Vegetarier zu werden, leider zwecklos. Nachts habe ich großen Respekt vor jedem Schritt, denn es ist die Zeit der tödlichen Lanzenottern und Buschmeister-Schlangen, die sich regungslos auf Wege legen und auf ihre Beute warten. Antonios Kommentar war einfach und deutlich. „Wenn wir nachts durch den Wald laufen und Essen suchen, suchen wir auch die Lanzenotter.“ Er hatte einmal Glück, die Schlange erwischte seine Gummistiefel und konnte nicht richtig zubeißen. Beeindruckend war, wie sicher sich Antonio selbst im Stockdunkeln orientieren konnte. Ich konnte nicht mal mehr meine eigene Hand vor den Augen erkennen. Auf einmal hörte ich einen schrillen Schrei aus der Nacht, und plötzlich stand Ruben vor uns. Ohne Jagderfolg und ohne Jaguarbrüller gingen wir zum Nachtlager zurück. Vor lauter Müdigkeit schlief ich relativ schnell ein, wachte allerdings nach wenigen Stunden wieder auf. Das Feuer war nur noch eine Glut, Antonio konnte ich nicht sehen, nur Ruben schlief auf dem Boden neben dem Feuer. Ein unglaubliches Gefühl – um mich herum absolute Finsternis aus der vereinzelt seltsame Geräusche und Rascheln zu hören sind. Der Jaguar, von vielen indigenen Völkern auch als Geist des Waldes bezeichnet, schleicht sich in meiner Vorstellung auf jeden Fall gerade von hinten an meine Hängematte an. Ich kann nicht mehr schlafen und entscheide mich aufzustehen und das Feuer neu zu entfachen. Vollgepumpt mit Adrenalin bemerke ich gar nicht, wie ich auf einen Ast trete und mir diesen in meinen Fuß bohre. Das Loch in meinem Fuß bemerke ich erst am nächsten Morgen. Noch nie habe ich mich so über Tageslicht und die Sonne gefreut. Sogar Antonio liegt wieder da. „Ich war nur noch mal im Wald und habe versucht zu jagen“, war seine Antwort.

Wir treten den Rückweg an, und ich fühle mich fit und munter. Dabei merke ich, wie Antonio und Ruben ihr Tempo verlangsamen und vielleicht dem Flüssigkeitsmangel von gestern Tribut zollen. Antonio fragt mich nach den Tieren in Deutschland. Was erzähle ich jemandem, in dessen Wald hunderte von Arten leben? Ich entscheide mich, ihm von unseren Wildschweinen und vom Steinbock zu erzählen.

Wie unterschiedlich unsere Welten sind, merke ich, als Antonio mich nach meiner Rückkehr fragt und ein Flugzeug mit „die großen Dinger in der Luft“ betitelt. Ich habe neue Freunde gefunden und ich weiß, dass ich hier nicht das letzte Mal zu Besuch war. Panama gehört zu den fünf „Hot Spots“, die Orte mit der höchsten biologischen Vielfalt weltweit, lese ich in meinem Biologiebuch. Das kann ich auf jeden Fall bestätigen. Oh wie schön ist Panama … da hat jemand sehr weise gesprochen.

Wir in der „zivilisierten Welt“ leben auf Kosten der Natur und ihrer Völker, die noch in Einklang mit der Natur leben. Es sind gerade internationale Konzerne, die EU und unsere Banken, die fernab von Deutschland für Profit andere ausbeuten. Dagegen möchte ich an jeden Einzelnen appellieren seine Gewohnheiten und Entscheidungen zu überdenken und einen Unterschied zu machen. Alles was wir der Natur antun, tun wir uns selber an, denn auch wir sind nur ein Teil der Natur, die in Perfektion und Harmonie das Leben auf der Erde bestimmt und von der wir abhängig sind und so viel Nutzen ziehen können.

Bildquelle: [1][2] , [4][8] Jörn Ziegler (Diese Bilder unterliegen dem Copyright. Die Bildrechte liegen der Redaktion vor), [3] US Marshals Service.

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