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Verhärtete Fronten im Stellungskrieg Die Wahlen vom 20. Oktober 1996 in Nikaragua

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Die 1996er Wahl in Nikaragua hat auf den ersten Blick die Wahlentscheidung von 1990 bestätigt. Erneut hat Daniel Ortega, bis 1990 Präsident und heute Generalsekretär der FSLN, mit 37,7% der Stimmen (1990: 40,4%) gegen ein antisandinistisches Wahlbündnis verloren. Ähnlich hoch wie die U.N.O. (Union Nacional Opositora) sechs Jahre zuvor (54,8%) hat diesmal die Alianza Liberal (AL), ein Zusammenschluß aus sechs liberalen Parteien und Gruppen, die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden können. Ihr Kandidat Arnoldo Aleman – ein reicher Cafetalero und Rechtsanwalt – war bis 1995 Bürgermeister von Managua. Mit 51% der Stimmen hat er bereits in der ersten Runde so eindeutig gewonnen, daß die Fälschungen zu Ungunsten der Sandinisten (ca. 60.000 Stimmzettel) gar nicht nötig gewesen wären. Die Strategie der FSLN, einen zweiten Wahlgang (ab 45% der Stimmen und darunter) durchzusetzen und dann die Mehrzahl der Stimmen des politischen Zentrums zu gewinnen, ist jedenfalls nicht aufgegangen. Auch die Aufstellung von Juan Manuel Caldera, einem reichen Unternehmer mit verwandtschaftlichen Bindungen in die USA, und ein Wahlbündnis mit der Gruppe um den Ex-Contra José Benito Bravo alias „Comandante Mack“, dem im Falle eines Wahlsieges von D. Ortega das Innen- und Umweltministerium sowie die Leitung des Agrarreforminstituts versprochen worden war, brachten eher Schaden als Nutzen.

Als am 8. November schließlich die Wahlergebnisse offiziell bekanntgegeben wurden, beharrten die Sandinisten wegen der nicht nur von ihnen reklamierten „Unregelmäßigkeiten“ weiter auf deren Nichtanerkennung. Auch an der Amtseinführung Alemans – nach Ortegas Worten nur ein „De-facto-Präsident“ ohne wirkliche Legitimation -am 10. Januar diesen Jahres nahmen sie nicht teil. Die erste Sitzung des neugewählten Parlaments wurde von den Sandinisten boykottiert, da sie mit dem Modus der Wahl der Parlamentsvorsitzenden nicht einverstanden waren. Das parlamentarische Kräfteverhältnis läßt weitere Konfrontationen erwarten, da die 42 AL-Mandate in der 90köpfigen Nationalversammlung für die absolute Mehrheit nicht ausreichen. Auch die 37 FSLN-Abgeordneten sind auf Bündnisse mit den übrigen Parteien angewiesen, unter denen die Partei des Christlichen Weges mit 4 Sitzen unerwarteterweise noch die meisten Abgeordneten stellt.

Angesichts der bisherigen Ankündigungen Alemáns nimmt es nicht Wunder, daß die Zeichen auf Konfrontation stehen. Sein massiver Antisandinismus, mit dem er im Wahlkampf auch den Mangel an eigenen Konzepten zu verbergen suchte, konzentriert sich auf die Eigentumsfrage. Obwohl unter der Regierung seiner Vorgängerin Violeta Chamorro bereits über 5.000 Enteignungen aus der Revolutionszeit rückgängig gemacht wurden, sind noch mehr als 125.000 Rückgabeklagen anhängig. Die politische Biographie Alemans – er entstammt einer somozistischen Familie und saß unter den Sandinisten im Gefängnis – läßt befürchten, daß er mit seiner Rollback-Politik Ernst zu machen gedenkt. Was passieren wird, wenn die Lawine der Rückübertragungen erst einmal losgetreten ist, kann man sich angesichts des Umfangs und der sozialen Sprengkraft der Eigentumsfrage leicht vorstellen. Entgegen allem Augenschein bedeutet der Wahlsieg Alemans also keineswegs eine „Konsolidierung der Demokratie“, sondern verschärft statt dessen die durch Polarisierung und Instabilität geprägte Situation.

Unter dem Vorzeichen der Restauration birgt die durch Wahlen bestätigte Kontinuität ein Höchstmaß an Explosivität und Unwägbarkeit. 1990 und 1996 haben deutlich gemacht, daß die nikaraguanische Gesellschaft in zwei etwa gleich starke Blöcke gespalten ist. Vor diesem Hintergrund haben sich seit 1990 zwei gegensätzliche Gesellschaftskonzeptionen herauskristallisiert. Während sich um den Unternehmerverband COSEP, die Amtskirche, die antisandinistischen Massenmedien und die Hardliner der U.N.O., deren Rolle im Vorfeld der letzten Wahlen von den Liberalen übernommen worden war, ein „nostalgisches“ Projekt der Restauration formiert hat, vertritt das von den Sandinisten politisch angeführte Lager ein „neobourgeoises“ Projekt. Dieses sucht das Erbe der Revolution -Agrarreform, Gemischtwirtschaft, soziale Bewegungen und ehemalige Revolutionselite – in die künftige Entwicklung zu integrieren. Wenn Aleman im Unterschied zur Regierung Chamorro jedoch statt auf Koexistenz lieber auf Konfrontation setzt, dann kann dies das Land zurück in den Bürgerkrieg treiben. Neu ist nicht so sehr die Radikalität des von Alemän vertretenen Antisandinismus, sondern eher die Machtstellung und Geschlossenheit seiner Protagonisten, die ihm eine weitaus größere politische Durchsetzungskraft als zuvor verleihen.

Hatte doch die große Heterogenität der U.N.O. den Sandinisten nach 1990 erlaubt, eine Art des Mitregierens (cogobierno) mit dem politischen Zentrum um Chamorro und ihren Schwiegersohn Lacayo zu praktizieren.

Zwar war es diesmal für das antisandinstische Lager schwerer, den Sieg über die FSLN zu erringen, dafür aber wiegt die Niederlage auch schwerer als 1990. Die Kombination von Radikalität und Geschlossenheit ihrer Gegner stellt die Sandinisten vor neue Herausforderungen, die mit der bisherigen politischen Taktik eines „Sandinismus light“ nicht zu bewältigen sind. In der Eigentumsfrage, die jetzt durch Aleman aufgeworfen worden ist, können es sich die Sandinisten jedenfalls bei Strafe ihres politischen Untergangs nicht erlauben, nachzugeben. Der strategische Nachteil, aufgrund der Wahlniederlage aus der Opposition heraus die Entscheidungsschlacht um die Zukunft des revolutionären Erbes schlagen zu müssen, kann sich jedoch in einen Vorteil für die Sandinisten verwandeln.

So ist zu fragen, welchen Spielraum eine sandinistische Regierung unter den gegebenen globalen und regionalen Kräfteverhältnissen hätte, ihre Politik umzusetzen. Sie müßte die Verantwortung für die bitteren Folgen einer Politik übernehmen, auf deren Gestaltung sie unter den Bedingungen neoliberaler Globalisierung und des Rückfalls der Region in die weltpolitische Marginalisierung kaum Einfluß hätte. Der Oppositionsstatus beinhaltet für die Sandinisten gleichermaßen Chance wie Zwang, sich tatsächlich zu erneuern. Strategie, Programm und Organisation müssen auf die Höhe der Zeit gebracht werden, wenn die FSLN als politische Kraft überleben will. Das Pendeln zwischen cogobierno und außerparlamentarischer Opposition war den Sandinisten auf der Suche nach linken Antworten auf die Restaurationspolitik unter neoliberalen Vorzeichen eher hinderlich. Vielleicht klappt’s diesmal.

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