Die territoriale Problematik Nikaraguas ist gekennzeichnet durch folgende Faktoren:
- ungleichmäßige Besiedlungsdichte;
- unangemessene Verwendung und Schädigung der natürlichen Ressourcen;
- ökonomische und territoriale Zergliederung;
- Konzentration des Exports auf wenige Produkte;
- mangelnde Management-Fähigkeiten der lokalen Regierungen;
- mangelnde Integration der Bevölkerung;
- der ungeregelte Investitionsprozeß ohne eine territoriale Strategie.
Im Hinblick auf den Umweltschutz verlangenEntwaldung und Verlust der Biodiversität besondere Aufmerksamkeit. Ihre Ursache sind im immer weiteren Fortschreiten der Landwirtschaftsgrenze zu suchen. Die Landwirtschaftsgrenze begann an der Pazifikküste und reicht bereits bis zur Atlantikküste. Obwohl sich die Bevölkerung innerhalb der letzten 25 Jahre verdoppelt hat, ist bei der Mehrheit der Nikaraguaner die Auffassung tief verwurzelt, daß die natürlichen Ressourcen des Landes unerschöpflich sind. Von 1950 bis 1996 wurden von den acht Millionen Hektar Wald, über die das Land verfügte, ungefähr fünf Millionen Hektar abgerodet. Das bedeutet, daß bei unverminderter Geschwindigkeit dieses Prozesses in zehn bis fünfzehn Jahren sämtliche Wälder des Landes von der Bildfläche verschwunden sein werden.
Es war und ist ein generelles Phänomen, daß die Böden, die die vergangenen Regierungen ebenso wie die gegenwärtige im Zuge der Agrarreformen den sozial marginalisierten Gruppen überließen, natürlich bewaldete Gebiete sind. Es ist eine Tatsache, daß diese Strategie der Agrarreform durch nichts zu rechtfertigen ist. Letztendlich handelt es sich dabei um eine demagogische Politik, die aus der Suche nach kurzfristigen Lösungen für die Landforderungen der sozial marginalisierten Gruppen resultiert.
Die Landübergabe oder die illegale Besetzung von Land durch Bauern in Waldgebieten hat sich nicht in einer Steigerung der Produktion oder einem höheren Lebensniveau der marginalisierten Sektoren niedergeschlagen. Im Gegenteil: die Zahl der verarmten Bauern ist größer geworden und die Armut auf dem Land hat extreme Ausmaße angenommen. Gewachsen ist dagegen das Phänomen des Großgrundbesitzes, von den 50er bis zu den 80er Jahren zuerst in der pazifischen Region und danach in der Zentralregion, und in den 90er Jahren schließlich in der Atlantikregion. Dabei wiederholt sich stets aufs neue folgendes Modell: die Bauern erhalten Waldgebiete oder besetzen diese, sie verkaufen die Edelhölzer, brennen die verbleibenden Bäume ab, nutzen den Boden zwei oder drei Jahre, wobei die Flächen in periodischen Abständen erneut abgebrannt werden. Wenn schließlich die Biodiversität vernichtet und der Boden erschöpft ist, verkaufen die meisten Bauern das Land wieder an Großgrundbesitzer oder Spekulanten oder auf dem freien Markt und ziehen weiter in das nächste bewaldete Gebiet. Entweder erhalten sie dann erneut Land von der Regierung, oder sie besetzen das Land. Aufgrund der Armut der Bauern und der Tatsache, daß alle Parteien sie als Wähler für sich einnehmen möchten, gibt es keine Kritik am Vorgehen der Bauern. Ungeachtet der falschen Entwicklungspolitik und der ökonomischen Abhängigkeit des Landes von wenigen Exportprodukten, die wiederum eine sehr selektive, auf diese Produkte gerichtete Förderung durch ausländische Investoren begünstigt, muß man feststellen, daß im allgemeinen der Initiativgeist und die Solidarität und Kooperation der Bauern untereinander ein sehr niedriges Niveau haben. Viele haben sich an ihre Situation gewöhnt und rechnen mit der Hilfe des Staates und in den letzten 20 Jahren auch verstärkt mit der internationalen Hilfe, die die Nicht-Regierungsorganisationen des Landes erhalten.
Folgende Aspekte tragen zur Verschärfung des genannten Problems bei:
- Die fehlerhafte Kreditpolitik der Banken des Landes in Bezug auf die Landwirtschaft: Die Banken fördern nur landwirtschaftlich genutzte Flächen mit Krediten, während es für Kleinbauern schwierig ist, Kredite für forstwirtschaftlich genutzte Flächen oder ein umweltfreundliches Management des Landes (Schutz der Wälder) zu bekommen. Damit bieten die Banken einen Anreiz für die Abholzung von Wäldern.
- Die Ansiedlung zahlreicher Menschen (Flüchtlinge, entlassene Armeeangehörige, Mitglieder der Contra) nach Beendigung des Bürgerkriegs in bewaldeten Gebieten: Diese Menschen wurden von der vorhergehenden Regierung in den sogenannten „Entwicklungszentren“ (ländliche Entwicklungsprojekte) angesiedelt, die von verschiedenen internationalen Entwicklungshilfeorganisationen gefördert wurden. Häufig boten diese Gebiete keine geeigneten Bedingungen für eine nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung.
- Die fehlerhafte Landvergabepolitik des Nationalen Instituts für Agrarreform: häufig werden Landtitel für die landwirtschaftliche Nutzung in Wäldern oder in Gebieten vergeben, die vorwiegend für die Forstwirtschaft geeignet sind. Gegenwärtig beschäftigt sich das Institut mit 46.000 Anträgen auf Landtitel, die insgesamt ein Gebiet von 2 Mio. Hektar umfassen. Ein großer Teil dieses Gebiets ist allerdings bereits von den Antragstellern – legal oder illegal – besetzt.
- Die zahlreichen Schwächen und Wider-sprüchlichkeiten in der Umweltpolitik des Landes, vor allem im Hinblick auf die Energiepolitik und die Gesetze für die Forstwirtschaft.
Ökologische Probleme Nikaraguas
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Institutioneller Rahmen
Ein Management der natürlichen Ressourcen war in Nikaragua vor 1979 nicht gesetzlich verankert. Das einzige Gesetzeswerk im Zusammenhang mit dem Management der natürlichen Ressourcen waren das Waldschutzgesetz (1905) und das Regelwerk über den Bergbau vom 19. März 1906. Die hauptsächlichen natürlichen Ressourcen befanden sich unter der Aufsicht des Landwirtschaftsministeriums. Bereits 1949 wurde das Forstwirtschaftsdepartment geschaffen (Dekret Nr. 128), das Teil des Landwirtschafts- und Arbeitsministeriums war und die Erhaltung und Wiederaufforstung der Wälder und die Überwachung des Waldschutzgesetzes zur Aufgabe hatte. In Bezug auf die Forstwirtschaft wurden weitere Gesetze verabschiedet und Institutionen gegründet mit dem Ergebnis, daß das Management der natürlichen Ressourcen auf verschiedene Institutionen verteilt war, welche wiederum unterschiedlichen Ministerien unterstanden. Diese Zergliederung war dem Fehlen einer ganzheitlichen Perspektive auf das Umweltmanagement geschuldet. 1979 wurde als eine der ersten Maßnahmen der sandinistischen Regierung das Nikaraguanische Institut für Natürliche Ressourcen und Umweltschutz (IRENA) geschaffen (Dekret Nr. 56). Diese Institution sollte die natürlichen Ressourcen schützen und verwalten, welche zum Staatsbesitz erklärt wurden.
Gleichzeitig legte das Dekret den Grundstein für eine neue administrative Vorgehensweise: das ganzheitliche Management und die rationale Nutzung der natürlichen Ressourcen sollten von nun an in der Gewalt des Staates liegen (Art. 10. des Dekrets Nr. 56). Damit wurde die Basis für die Doppelfunktion des Staates in den achziger Jahren in Bezug auf die natürlichen Ressourcen geschaffen: Er war gleichzeitig Administrator und Unternehmer. Im Dekret Nr. 112, Statut von IRENA, wurden die Funktionen des Instituts detailliert festgelegt; sie waren weitreichend und verliehen ihm die Macht, Maßnahmen zur rationellen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und zum Schutz der Umwelt zu ergreifen und entsprechende Normen festzulegen, darunter die Mindestwerte der Luft-, Wasser- und Bodenqualität. IRENA erhielt den Rang eines Unabhängigen Dezentralen Organs des Staates mit eigenem juristischen Status und eigenen Geldern, einen politischen Rang zweiten Grades, obwohl sein Direktor de facto den Rang eines Ministers hatte.
Allerdings stellte sich bald heraus, daß IRENA keine wesentliche Rolle bei der Erfüllung der ihr zugeteilten Aufgaben spielte. Der Grund dafür war, daß das Institut sich als Hindernis für kurzfristige ökonomische Entwicklungspläne der Regierung erwies. Von Anfang an wurden seine Aufgaben anderen autonomen Körperschaften mit unternehmerischen Interessen übertragen, wie z.B. der Forstwirtschaftlichen Körperschaft des Volkes (CORFOP) oder dem Nikaraguanischen Institut für Agrarreform (INRA). Schließlich wurde das Institut aufgelöst und als eine weitere Abteilung in das Ministerium für Landwirtschaftliche Entwicklung und Agrarreform (MIDINRA) eingegliedert (Dekret Nr. 336). Damit hatte der Versuch eines Umweltmanagements aus einer ganzheitlichen Perspektive sein Ende gefunden.
Mit dem Regierungswechsel 1990 wurde IRENA erneut juristischer Status verliehen, und ihr wurde der Status eines unabhängigen Organs zurückgegeben (Dekret Nr. 510): d.h. das Dekret Nr. 112 wurde in seiner Gänze wiederhergestellt, aber es wurde keine Klarheit geschaffen über die Kompetenzen, welche dieses Dekret IRENA verlieh, welche aber gleichzeitig im Kompetenzbereich anderer Regierungseinrichtungen lagen. Die negativen Erscheinungen der achtziger Jahre wiederholten sich: die Regierung schuf die Nationale Kommission für Umwelt und Territoriale Anordnung CONAMOR (Dekret Nr. 17-90). Diese übernahm die Aufgabe, der Exekutive Vorschläge hinsichtlich der nationalen Umweltpolitik und der territorialen Anordnung für ein vernünftiges Umweltmanagement und ein nachhaltiges ökonomisches Modell zu unterbreiten. Eine weitere Aufgabe von CONAMOR – die Lösung von Problemen und die Durchführung spezifischer Projekte in Bezug auf das Umweltmanagement – stand im Konflikt mit dem Mandat von IRENA, die im Prinzip die gleichen Aufgaben zu erfüllen hatte. Dazu kam eine Kürzung des Etats von IRENA, welche das Institut zwang, seine Funktionen und seine Vertretungen in den Territorien neu zu definieren. In dieser Situation gibt es keine plausible Erklärung dafür, daß die Regierung IRENA in das Ministerium für Umwelt und natürliche Ressourcen (MARENA) umwandelte (Dekret Nr. 194). Die Situation von MARENA ist damit die gleiche, die in den achtziger Jahren vorherrschte: es ist eine Institution, die dem Land wenig Nutzen bringt.
Unabhängig von der beschriebenen Situation befugt der Art. 2 Absatz 6 des Gründungsdekrets von MARENA das Ministerium zur Organisation und Koordination des Nationalen Systems für Umweltinformation und -aufsicht sowie zur Verwaltung bzw. Pflege von Naturschutzgebieten, Reservaten und Nationalparks des Landes (Art. 2 des Dekrets Nr. 194). Damit hat MARENA die Kontrolle über die Gebiete, welche per Gesetz zu Schutzgebieten erklärt wurden. Innerhalb dieser Gebiete hat MARENA weitreichende Befugnisse über Planung, Verwaltung, Pflege und Nutzung, was wiederum ernsthafte Beschränkungen für Besitzer von Bodeneigentum in diesen Gebieten mit sich bringt. Diese Beeinträchtigung des Privateigentums ist gedeckt durch die soziale Funktion des Eigentums nach Artikel 5 und 103 der Verfassung des Landes.
Schutzgebiete und Nationalparks
Eine der Abteilungen von MARENA ist das Nationalpark-Amt SINASIP (Exekutiv-Dekret Nr. 340). Seine Aufgabe ist die Untersuchung, Entwicklung und Verwaltung geeigneter Zonen für die Erhaltung oder den Schutz der Fauna und Flora mit dem Ziel der Einrichtung von Nationalparks zu wissenschaftlichen, erzieherischen, touristischen und rekreativen Zwecken. Diese Befugnisse wurden dem Nationalpark-Amt durch MARENA übertragen. Ein juristisches – und letztendlich ein ökonomisches – Problem besteht darin, daß keinerlei Gesetz oder Dekret erlassen wurde, das die Vorgehensweise bei der Benennung von entsprechenden Gebieten regelt. Ebenfalls fehlen Regelungen für die Festlegung der unterschiedlichen Kategorien für Management und Pflege dieser Gebiete, weswegen die meisten der bisher festgelegten Gebiete auf der Grundlage heterogener oder zufälliger Kriterien benannt wurden. Bis zur Schaffung des Nationalpark-Amts 1980 wurden einige geschützte Gebiete wie das Wildschutzgebiet Cosigüina und Nationalparks wie die von Cerro Saslaya und der Vulkan Masaya benannt. 1983 wurden der Nationalpark Archipel Zapatera und das Wildschutzgebiet Río Escalante-Chacocente geschaffen. 1990 erfolgte die Einrichtung von Naturschutzgebieten im Südosten Nikaraguas. Von den drei genannten Nationalparks wurde nur um den Park Vulkan Masaya Land durch den Staat gekauft. Der Einrichtung der anderen Nationalparks gingen keine Studien bezüglich des Landbesitzes voraus, und es wurde kein Land erworben, was dazu führte, daß der Nutzung des Landes durch die eigentlichen Eigentümer Beschränkungen auferlegt wurden (vergleiche oben).
Rechtliche Situation des Umweltschutzes in Nikaragua
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Gegenwärtig existieren 73 geschützte Gebiete im Land, von denen 70 gesetzlich durch Exekutiv-Dekrete festgelegt wurden. Diese sind in elf Management-Kategorien zusammengefaßt und umfassen 2,2 Mio. Hektar, d.h. 16,6 Prozent des Territoriums des Landes. Eines der 73 Gebiete – der Nationalpark Vulkan Masaya – befindet sich unter effektivem Management, d.h. es gibt einen Management-Plan, der zu 60 Prozent erfüllt wird. In elf Gebieten gibt es Vertretungen von MARENA, und man führt kontrollierende und umwelterzieherische Maßnahmen durch. Diese sind La Flor, Chacocente, Zapatera, Mombacho, Isla Juan Venado, Cosigüina, Bosawas, Siapaz, Cayos Misquitos y Miraflor und Reserva Genética de Yúcul. Die Reservate Bosawas, Siapaz und Cayos Misquitos haben ein dezentralisiertes Management, verfügen über finanzielle Mittel, haben eine unabhängige Verwaltung und sind in ihren Entscheidungen autonom. Die Einrichtung von Wildschutzgebieten ist eine schwierige Aufgabe, vor allem aufgrund der mangelnden Akzeptanz und des fehlenden Verständnisses der Bevölkerung. Das betrifft insbesondere die Bevölkerung der an das Schutzgebiet angrenzenden Gebiete. Dieses Problem hat seinen Ursprung in den fehlenden Kenntnissen der Bevölkerung über die Bedeutsamkeit umwelt-schützerischer Maßnahmen für die Erhaltung der Lebensgrundlagen in der Zukunft. Die Notwendigkeit, Wildschutzgebiete einzurichten und zu verwalten, ist angesichts der massiven Zerstörung von produktiven Ökosystemen im Land, welche durch Abholzung, Erosion, Kontaminierung und Austrocknung oberirdischer Wasserläufe verursacht wurde, von besonderer Bedeutung. Ein anderes Problem ist die Unterordnung der integralen Pläne und der Verwaltung des Landes unter ökonomische und politische Interessen politischer Gruppierungen und der internationalen Wirtschafts- und Finanzorganisationen. In solchen integralen Plänen wurde die Bedeutung und die Notwendigkeit einer Verbindung zwischen dem Management geschützter Gebiete und der regionalen Entwicklung festgehalten, so daß die Schutzgebiete eine Basis für die Entwicklung der Region sein können. Die Praxis zeigt jedoch ein anderes Bild: Für fast 40 Prozent des nikaraguanischen Territoriums wurden Konzessionen zur Prospektion und zur Ausbeutung von Bodenschätzen vergeben, darunter auch in Schutzgebieten.
Das Allgemeine Gesetz über Umwelt und natürliche Ressourcen wurde am 27. März 1996 verabschiedet (Gesetz n.° 217). Es hat zum Ziel, Normen für die Erhaltung, den Schutz, die Verbesserung und die Wiederherstellung der Umwelt und der natürlichen Ressourcen aufzustellen, welche ihre rationale und nachhaltige Nutzung gewährleisten (Art. 1 des Gesetzes n.° 217). Damit brach man mit einem traditionellen Ansatz, bei dem nur die für die Landwirtschaft maßgeblichen Ressourcen mit einem greifbaren ökonomischen Wert normiert wurden. Andererseits stellt dieses Gesetz einen ersten Versuch dar, den Zugang zu den genetischen Ressourcen und der Bio-diversität zu regulieren. Außerdem werden in diesem Gesetz mehrere Begriffe definiert, darunter Umwelt, Nutzung, Biodiversität, Konservierung, Nachhaltige Entwicklung, Ökosysteme, Natürliche Ressourcen und Geschützte Gebiete. Das Allgemeine Gesetz über Umwelt und natürliche Ressourcen ist ein positiver juristischer Beitrag, der helfen kann, die Stagnation des legislativen Prozesses und der Institutionen in Nikaragua zu überwinden, die sich sehr negativ auf den Umgang mit natürlichen Ressourcen ausgewirkt haben.
Aus dem Span.: Gabi Pisarz