Pobre México, tan lejos de Dios y tan cerca de los Estados Unidos.[1]
(Der Satz wird dem Diktator Porfírio Díaz zugeschrieben)
Mexiko ist vor allem eins: vielfältig. Die Vielfalt zeigt sich bereits in den zahlreichen Naturräumen, die sich über Wüsten im Norden des Landes, über das gemäßigte zentrale Hochland, die beiden Küstenregionen am Golf von Mexiko und der Karibik sowie an der Pazifikküste (die das Land zum Westen hin begrenzt) und den Urwald in Chiapas erstrecken. Gerade einmal 100 Millionen Menschen leben auf einer Fläche von mehr als 1,98 Millionen km², die zwei Prozent der weltweiten Biodiversität vereint. Die Vielfältigkeit spiegelt sich auch auf den Tellern. Statt des bei uns mit Mexiko assoziierten Chili con carne findet man auf mexikanischen Speiseplänen Weizen- und Maistortillas, burritos im Norden, tacos und quesadillas im Süden, tamales, frijoles und Reis, Eintöpfe, wie pozole oder sopa azteca mit Mais, Reis, Schwein und Huhn (pollo); Saucen, wie die berühmten moles aus Puebla und Oaxaca sowie salsas. Ohne Chili, Limonen und frischem Koriander kommt man in Mexiko nicht aus. Besonders ungewohnt für unsere Gaumen: dulces (Süßes) und Obst mit Chilipulver und Limonen. Gegen den Durst helfen leckere aguas, die meist aus Tamarinde, Hibiskus oder Reiswasser (horchata) hergestellt werden, Milchmixgetränke (licuados) und jugos. Der Tequila bietet eine ungleich größere Auswahl an Geschmäckern und Abstufungen als uns hier im Supermarkt suggeriert wird.
Im Norden, dem Gebiet der norteños wird die Nähe zu den USA mehr als deutlich. In den Städten haben die Menschen das Lebensgefühl und den Lebensstil – inklusive der Ernährungsgewohnheiten – des nördlichen Nachbarn verinnerlicht. Im Norden nimmt man sich als fleißig und gläubig wahr – nicht so flojo und konfliktfreudig wie die indígenas aus dem Süden Mexikos. Der Norden des Landes gilt als wirtschaftlich entwickelter als der Süden. Hier haben sich viele Unternehmen angesiedelt und hierher kommen Arbeitskräfte aus dem Süden, um in den Fertigungswerken (maquiladoras) oder in der industrialisierten Landwirtschaft ihre Arbeitskraft unter Wert zu verkaufen: die Produkte werden zu fast 90 Prozent in die USA exportiert.
Dagegen erscheint Mexiko nirgends weiter von den USA entfernt als im Süden. Der Großteil der Einwohner fühlt sich einer der sechzig indigen Sprachgruppen, die sich in Mexiko finden, zugehörig: als Urenkel der prekolonialen Einwohner wie mixtecas, zapotecas, otomí oder lacandones. Dennoch sind auch hier das koffeinhaltige Brausegetränk und Pritschenwagen mit Kennzeichen aus Kalifornien oder Oregon präsent. Die Präsenz der USA wird vor allem durch deren Sogwirkung und entsprechend hohe Abwanderungsraten deutlich. Um den sozialen und ökonomischen Problemen, oder politischen Spannungen zu entfliehen, versuchen viele unter hohen materiellen Risiken und körperlichen Strapazen al otro lado zu gelangen. Nicht selten endet der Versuch, die Grenze zu überschreiten, in den Fängen der US-Border Patrol oder gar mit dem Tod.
Jeder fünfte Mexikaner ist chilango, lebt also in Mexiko-Stadt. Der Moloch bricht fast zusammen unter den, durch die dichte Besiedlung verursachten Problemen, wie Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung, dem hohen Verkehrsaufkommen oder der dadurch oft extremen Luftverschmutzung, die durch die Kessellage der Stadt verschärft wird. Mexiko-Stadt erscheint wie eine Aneinanderreihung von Dörfern, wo viele Stadtteile durch die ländliche Lebensweise ihrer zugereisten Bewohner geprägt sind. D.F. ist aber auch Wirtschafts-, Kultur-, intellektuelles und Wissenschaftszentrum des Landes. Die in der „Provinz“ lebenden Mexikaner weisen immer wieder auf die hohe Unsicherheit in Mexiko-Stadt hin. Die Kriminalitätsstatistiken sprechen Bände. Dagegen sind ländliche Regionen und andere Städte durch die Präsenz von Militärs geprägt, im Kampf gegen den organisierten Drogenhandel in Mexiko oder im Süden durch Polizeikräfte, die Oppositionelle im Zaum halten sollen. Politische Oppositionelle und Journalisten werden nicht selten bedroht oder gar getötet. Und das nicht nur in Oaxaca, Chiapas oder Guerrero, den am meisten unterdrückten und nun rebellierenden Gebieten, sondern auch im Norden des Landes, wo der Transfer von Kokain, Marihuana und Metamphetaminen in die USA organisiert werden muss. Pobre México…
[1] Armes Mexiko – so weit weg von Gott und so nah den Vereinigten Staaten