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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Interview mit Stephanie Schütze
Mexikanische Hometown Associations in Chicago

Jessica Seyler | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Politik ohne Grenzen: Mexikanische Migrantenorganisationen in Chicago

Mexiko: Immigration in die USA - Foto: unsure shot (Karen)Bei den Lateinamerika-Gesprächen vom 11.01.-13.01.2013 in Weingarten ging es in diesem Jahr um den Zusammenhang von Frauen und Macht in Lateinamerika. In diesem Rahmen hielt Dr. Stephanie Schütze – von der FU Berlin – einen Vortrag zu Migrantenorganisationen und deren politischer Partizipation. In ihrer qualitativen Forschung fokussiert sich Schütze auf die Hometown Associations (HTAs) in Chicago und untersucht diese unter den Gesichtspunkten von politischem empowerment und Geschlechterrollen. Migration aus Mexiko in die USA ist ein prominentes Thema. Doch was passiert nach der Migration? Viele MigrantInnen schließen sich in den HTAs zusammen und wollen damit Unterstützungsarbeit für ihre Herkunftsgemeinden in Mexiko leisten.

Warum haben Sie Chicago und keine grenznähere Stadt, wie San Diego oder Los Angeles, für ihre Untersuchungen der HTAs ausgewählt?

Oft ist es ein bisschen zufällig, welche Orte man für seine Untersuchungen wählt, aber im Nachhinein ist mir klar geworden, dass es hier nicht zufällig war. Ich bin von einem Professor der Universität in Chicago eingeladen worden. Dieser Professor war Friedrich Katz, der berühmte Mexikohistoriker, der vor drei Jahren gestorben ist. Er kam damals nach Berlin und hat darüber berichtet, dass sich in Chicago zunehmend mexikanische politische Parteien gründen. Da ich im Vorfeld und auch schon in meiner Dissertation zu Parteien und sozialen Bewegungen gearbeitet habe, hatte ich die Idee, zu Migration zu forschen. Auch in meiner Doktorarbeit habe ich mich damit beschäftigt. […] Professor Katz erzählte dann von diesem Phänomen, was ich sehr spannend fand […].

Chicago ist momentan die Hochburg politischer Aktivität mexikanischer MigrantInnen. Natürlich ist Kalifornien das klassische Ziel, da sind die Menschen schon seit den 40er Jahren immigriert, um in der Landwirtschaft zu arbeiten. Aber seit den 70er Jahren ist Chicago immer mehr ein Zielort von mexikanischen MigrantInnen geworden. Die meisten mexikanischen MigrantInnen leben – nach Los Angeles – in Chicago. Hinzu kommt, dass Chicago eine sehr politisierte Stadt ist. Nicht nur in Bezug auf die mexikanische Bewegung, auch historisch haben dort schon viele politische Bewegungen stattgefunden. Daher ist Chicago schon der richtige Ort, um dieses Phänomen zu untersuchen. Natürlich könnte man es ebenso an anderen Orten untersuchen, denn ich glaube, es ist eine Erscheinung die sich in vielen US-amerikanischen Städten findet.

Gibt es in den USA auch HTAs, die reine Frauenorganisationen sind?

Nein, die HTAs fangen an, sich zu bilden, indem dort ganze Familien Mitglieder werden. Es geht von dem traditionellen Bild der Familie aus, dass alle mitmachen. Jedoch ist es oft so, dass man schwer eine geschlechterspezifische Analyse von den HTAs allein über die Mitgliederlisten vornehmen kann, denn dort findet man – in ihrer Eigenschaft als Familienoberhäupter – fast nur Männer. Oft sind die Frauen auch Mitglieder, aber eben über die Mitgliedschaft ihre Männer. Es gibt wirklich keine HTA, in der allein Frauen aktiv sind. Ein wirklich spezieller Fall ist jedoch die Organisation Durango Unido in Chicago, denn die haben eine Tradition mit Frauen in der Führungsrolle. Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass das ein Zufall ist, aber man kann sagen, dass die HTAs in der Regel männlich geprägt sind. Reine Frauenorganisationen gibt es nicht, und es ist auch nicht so gedacht, denn man kann sagen, dass es eher Familienorganisationen sind.

Sind die HTAs in Chicago repräsentativ für die USA insgesamt?

Mexico: Teresa Fraga, Aktivistin in Chicago - Foto: Victor M. EspinosaWas die Geschlechtsspezifik angeht, denke ich auf jeden Fall. Dann gibt es natürlich unterschiedliche Erklärungsansätze, warum hauptsächlich Männer in den Führungsrollen der HTAs sind. Ein wichtiger Aspekt ist die Männlichkeit, die mit der Begleitung höherer Ämter bekräftigt wird. Anerkennung und Respekt sind wichtige Motive, die die Mitglieder über ihre politische Partizipation gerade in ihrem Heimatland erhalten möchten. Das ist oftmals für die politisch aktiven Frauen unwichtiger. Sie politisieren sich meistens über Bildung für die Kinder. Das ist etwas, was sich in den Interviews mit den Frauen durchzieht. Meistens sind sie an dem Punkt politisch aktiv geworden, an dem ihre Kinder in den USA in die Schule gekommen sind. Dann haben sie sich in erster Linie im Bildungssystem engagiert und waren nicht so sehr auf Anerkennung durch das Herkunftsland konzentriert. Ich denke, dass ist schon etwas, was man auch US-weit beobachten kann. Ansonsten ist Chicago […] ein besonderer Ort, weil die HTAs in Chicago eine besonders starke Politisierung haben. Hinzu kommt, dass sie gleichzeitig auch in anderen Organisationen wie Gewerkschaften oder politischen Parteien organisiert sind. Das ist ein Phänomen, das Chicago von anderen Städten unterscheidet.

Bei der Betrachtung von HTAs spielt das „3×1 Programm“ der mexikanischen Regierung eine bedeutende Rolle. Hierbei wird die von der HTA investierte Summe vervierfacht, indem pro mexikanischem Peso jeweils ein weiterer von den drei staatlichen Ebenen hinzu gegeben wird. Das bedeutet allerdings, dass im Vorfeld Verhandlungen zwischen den HTAs und dem staatlichen Repräsentanten, z.B. dem Gouverneur, stattfinden müssen. Welche Auswirkungen hat das 3x1Programm?

Plötzlich erlebt jemand, der aus einer sehr armen Gemeinde in Durango oder Michoacán kommt, durch die Migration einen sozialen Aufstieg. Die sind dann ja nicht die Elite, sondern die Mittelklasse in den USA und politisieren sich. Im Rahmen des 3×1 Programms der mexikanischen Regierung unterstützen sie z.B. Infrastrukturprojekte in Mexiko. Dadurch gewinnen sie Prestige in ihren Herkunftsgemeinden und durchleben dort einen sozialen und politischen Aufstieg. Und plötzlich verhandeln dann Leute, die ursprünglich aus der Unterschicht in Mexiko kommen, direkt mit dem Gouverneur eines Bundesstaates (von Mexiko). Das ist für die politische Elite in Mexiko – und auch für die politische Elite von Mexikanern, die in Chicago leben – gar nicht so leicht, weil in Mexiko die Klassen sehr stark getrennt sind. Dass sich jemand aus der politischen Elite an einen Tisch setzt mit ehemals ganz armen Leuten, und zwar face to face und nicht nach dem Motto ‚Ich esse gönnerhaft mit armen Leuten‘, ist für sie schwierig. Die politischen Anführer der HTAs sind ja Leute, die ein besonderes politisches Prestige haben, und in der Öffentlichkeit stehen. María Soto erzählte mir, dass der Gouverneur von Durango sie wie ein kleines Mädchen behandelte. Und dann sind die Männer von den anderen Verbänden eingesprungen und haben so etwas gesagt wie: ‚Passen Sie mal auf, so geht das nicht, das ist eine sehr wichtige politische Person und die müssen Sie respektieren‘. Sie hatte mir erzählt, dass sie gar nicht so viele Probleme mit ihren männlichen Kollegen in Chicago hat, sondern eher mit den männlichen Politikern Mexikos, die einfach nicht daran gewöhnt sind, dass eine solche Frau (ehemals aus der Unterschicht oder unteren Mittelschicht) in so einer Position ist.

Das Interview mit Dr. Stephanie Schütze zeigt somit, dass mexikanische MigrantInnen auch in den USA nach politischer Partizipation streben. Dabei überschreiten sie geografische wie gesellschaftlich-soziale Grenzen. Geografisch arbeiten sie sowohl in den USA als auch in Mexiko. Doch auch im Bezug auf Geschlechterverhältnisse und Klassenzugehörigkeiten werden Grenzen verwischt. So treten MigrantInnen der Unterschicht in Verhandlungen mit einem Gouverneur, und Frauen werden anerkannte politische Akteure, die es verstehen, ihre Entscheidungen zu treffen und zu verteidigen.

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Bildquellen: [1] unsure shot_; [2] Víctor Manuel Espinoza_

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