Mitten in den Kuba-Boom und die westliche Romantisierung der letzten sozialistischen Enklave schickt der deutsche Regisseur Uli Gaulke mit seinem Dokumentarfilm „Havanna mi amor“ eine Ernüchterung (oder vielleicht auch Erleichterung) für alle, die glaubten, daß Kuba nur aus musizierenden alten Männern bestehe. Nachdem Gaulkes Film schon sehr erfolgreich auf der diesjährigen Berlinale gelaufen war, fand er nun auch in der Veranstaltungsreihe „DOK Zwischendurch“ in den Passage-Kinos in Leipzig ein begeistertes Publikum.
Gaulkes erster Film über die Patientenband des Psychiatrischen Hospitals in Havanna lieferte die Idee für diesen zweiten. Damals lernte er den Femsehmechaniker Jose kennen, der im nächsten Film den Zuschauer in die kubanischen Küchen, Wohnzimmer und vor die Fernsehgeräte führen sollte. Die Trennung Joses von seiner Frau und seine seelische Krise zerstörten zwar diese Idee, aber nicht das gesamte Projekt. Es entstanden Bilder von Liebe, Hoffnung, Leid und von bewundernswert selbstbewußten und unendlich gastfreundlichen Menschen.
Allabendlich versammelt sich Havanna vor den Fernsehern, um in der Telenovela Zerstreuung vom Alltag zu suchen. Doch die meist altersschwachen sowjetischen Lizenzgeräte verweigern immer öfter ihren Dienst. In diesen Kampf um Bild und Ton mischen sich auch Träume und Sehnsüchte der Menschen, für die die Mattscheibe eine Projektionsfläche bietet. Kuba hat sich ins Privatleben zurückgezogen. Der Fernsehstart der ersten kubanischen Telenovela wurde von Gaulke zum Anlaß genommen, um mit jungen und älteren Pärchen und Singles darüber zu diskutieren, wie „realitätsnah“ diese Serie ist und ob sie die Sorgen der Kubaner teilt.
Sie jammern nicht, die Kubaner, aber sie erscheinen müde. Allzu oft fallt das Wort „Kampf, und zwar nicht im revolutionären Sinne, sondern auf das alltägliche Überleben bezogen. Eine junge Kubanerin gesteht, daß die Flucht in Rum und Samba fehlenden Strom, Wasser und materielle Grundbedürfnisse nicht ewig ersetzen kann. Sie und die anderen Protagonisten des Films beeindrucken durch ihre überraschende Offenheit, Ehrlichkeit und ihren Humor im Umgang mit der westlichen Kamera – egal ob im Frisiersalon, im Bus oder am Strand, ob in Gesprächen über Ex-Frauen, Geliebte, Sex oder den kubanischen Machismo.
Der westliche Wohlstandszuschauer fragt sich an dieser Stelle, warum Kuba uns menschlich um einiges voraus zu sein scheint und ob dieser Fortschritt wirklich nur mit wirtschaftlicher Rückständigkeit zu erkaufen ist. Der morbide Charme der verfallenen Kolonialbauten Havannas und die Schönheit der Menschen, die auch Zahnlücken und verschlissene Klamotten nicht zu zerstören vermögen, machen die Faszination dieses Films aus. Gaulke ist es gelungen, den Stolz und die bewundernswerte Geduld der Kubaner zu dokumentieren, ohne damit gleichzeitig das realsozialistische System zu glorifizieren.
Der Regisseur hofft auf eine Kino Verwertung seines Film, ansonsten bleibt dem neugierig gewordenen Leser noch das Warten auf die Fernsehausstrahlung im ORB, der an der Produktion beteiligt war.