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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Die Reise der "mulas"

María Cristina Dorado | | Artikel drucken
Lesedauer: 11 Minuten
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Die Mehrzahl der den Problemen des Drogenhandels geltenden Analysen und Politiken geht davon aus, daß dessen Protagonisten einer „hegemonialen“ Gruppe – der Männer – angehören. Doch die im Drogenhandel aktive Frau agiert unter ganz bestimmten Umständen, die sich von denen der Männer unterscheiden. Der Drogenhandel bietet ihr die Gelegenheit, sich an einem Geschäft zu beteiligen, das zwar nicht nur illegal, sondern auch von Männern beherrscht ist, das aber für sie dennoch höchst lukrativ ist, da der für sie herausspringende ökonomische Nutzen mehr als eine Million Pesos betragen kann – in Abhängigkeit von der Quantität der Drogen, dem Bestimmungsort und der vorgesehenen Handelsroute. Eine solch hohe Summe kann der Frau als Teil einer Familie mit geringen ökonomischen Ressourcen die wirtschaftliche Situation erleichtern.

Dabei ist dieses Geschäft von denselben strukturellen Beschränkungen gekennzeichnet wie die formalen Ökonomien es sind. Die Frauen stellen 55 Prozent der Armen des Landes, weisen die höchsten Analphabetismusraten auf, üben die am niedrigsten qualifizierten Arbeiten aus und erhalten auch die niedrigsten Einkommen auf dem Arbeitsmarkt. Hinzu kommt, daß Frauen in der Mehrzahl der (einzige) Haushaltsvorstand sind, ob nun als Witwen oder als alleinstehende bzw. geschiedene Mütter, was bedeutet, daß für sie jede Konfrontation mit der Justiz gravierende soziale Konsequenzen nach sich zieht. Da die für den Kampf gegen diese Straftaten vorgesehene Bestrafung eigentlich zum Ziel hat, die großen Chefs der Organisation, die „Mr. Bigs“, zu ergreifen, berücksichtigt sie die besonderen Umstände und Motivationen der weiblichen Drogenkuriere nicht.

Zwar lassen sich die folgenden Beobachtungen bis zu einem bestimmten Punkt auch auf die männlichen Drogenkuriere anwenden, dennoch verdient, im Falle, daß es sich um Frauen handelt, das Geschlecht eine besondere Aufmerksamkeit und dies nicht nur in der individuellen Bedeutung, sondern auch hinsichtlich der sozialen Konsequenzen, die das impliziert.

Die europäische Anti-Drogenpolitik

Die vom Drogenproblem alarmierten Länder der Europäischen Union haben auf selbiges reagiert, indem sie alle mit dem Thema illegale Drogen im allgemeinen und Drogenhandel im besonderen verbundenen Probleme aufbauschten. Ihre Politik haben sie auf die Empfehlungen des „Drogenkrieges“ gegründet, der von den USA geführt wird, und die in die internationalen Konventionen, deren Rezepte sich auf das Strafrecht konzentrieren, Einzug gehalten hatten. So wurden in diesen Ländern schließlich die Strafgesetzbücher gerade in dieser Hinsicht modifiziert. Für Drogendelikte sind harte Haftstrafen von etwa fünf bis zwanzig Jahren vorgesehen, wobei die härtesten Strafen und Konfiszierung von Geldern bei einem Handel mit harten Drogen (Heroin, Kokain) festgelegt sind. Dennoch sitzen jeden Tag mehr Gefangene in europäischen Gefängnissen wegen Drogenhandel ein.

Kolumbianerinnen in europäischen Gefängnissen

Innerhalb der wegen Transport von Drogen in europäischen Gefangnissen einsitzenden Lateinamerikanerinnen, im Jargon „mulas“ und offiziell „Drogenkurierinnen“ oder „Drogentransporteurinnen“ genannt, stellen die Kolumbianerinnen die größte Gruppe. Dabei sind die kolumbianischen Frauen keine Ausnahme: So gab es beispielsweise 1997 in Madrid 368 Frauen, die wegen Drogentransport einsaßen, von denen 71 Prozent Kolumbianerinnen waren. Diese Zahl erhält eine noch größere Bedeutung, wenn man bedenkt, daß die nächstgrößere Gruppe, die der Venezolanerinnen, nur 4,6 Prozent ausmachte. In Frankfurt a. M. gab es 1995 47 lateinamerikanische weibliche Strafgefangene, von denen 75 Prozent Kolumbianerinnen waren, gefolgt von der Gruppe der Chileninnen mit insgesamt 7 Frauen. In England saßen 1996 lediglich zehn Lateinamerikanerinnen ein, die alle aus Kolumbien stammten. Die folgenden Aussagen basieren auf persönlichen Interviews der Autorin mit diesen Gruppen von Frauen.

Profil

Im Durchschnitt sind die Drogentransporteurinnen zwischen 26 und 40 Jahren alt, obgleich es auch Fälle von Frauen gibt, die älter als 60 Jahre sind. In der Mehrzahl handelt es sich um – getrennt lebende, alleinstehende oder geschiedene – Mütter, die im Durchschnitt zwei bis drei Kinder haben. In vielen Fällen mußten sich diese Insassinnen vor ihrer Inhaftierung auch noch um das Wohl ihrer eigenen Mütter kümmern, die ihrerseits Alleinstehende, Witwen oder geschieden sind. Das Bildungsniveau ist relativ niedrig; 65 Prozent haben die Mittelschule bzw. das Abitur nicht abgeschlossen und nur drei Prozent haben für eine gewisse Zeit die Universität besucht. Ihre Berufserfahrung haben die Frauen bei Handarbeit in kleinen Betrieben oder im informellen Sektor als Hausmädchen, Selbständige (in der Regel im Verkauf von Schmuggelwaren oder Lebensmitteln) oder anderen Dienstleistungen, einschließlich der Prostitution, gesammelt. Die Mehrzahl hat keine kriminelle Vergangenheit.

Ursachen

Während sich einige auf eine Reise zum Zweck des Drogentransports aus Ignoranz einlassen, sind sich andere der Risiken durchaus bewußt, sind aber der Meinung, daß in diesem Moment ihre prekäre ökonomische Situation schwerer wiegt. Viele tun es auch wegen der Garantien, die ihnen bei der Rekrutierung versprochen werden. Die große Mehrheit akzeptiert das wegen des schnellen Geldes, mit dessen Hilfe ein ökonomischer Mangel behoben werden kann, z.B. die Kosten für eine medizinische Behandlung eines Familienmitgliedes oder Mietschulden. Andere Gründe liegen darin, daß die Frauen so die Verantwortung für die wirtschaftliche Absicherung ihrer Kinder übernehmen können. Oft ist es aber auch die einzige Möglichkeit in ihrem Leben, eine Reise ins Ausland zu unternehmen. Einige Interviews vermitteln einen Eindruck von der Situation der „mulas“:

So hat Amanda* beispielsweise eine solche Reise akzeptiert, um drei Millionen Pesos zu verdienen, mit denen sie fast ihre gesamten Schulden hätte tilgen können. Sie traf diese Entscheidung, ohne diese mit ihrer Mutter abgestimmt und natürlich auch ohne Absprachen zur Betreuung ihres Sohnes, der zu dieser Zeit fünf Jahre alt war, getroffen zu haben. Sie hatte nicht einmal die Zeit „zu zweifeln … ganz abgesehen davon, daß sie mir den totalen Erfolg garantierten“, einschließlich einer Verteidigung vor Gericht im Falle des Scheiterns der Reise.

Carla sagt: „Als ich die Entscheidung traf, hatte ich gerade meine Arbeit verloren, ich verkaufte Essen, und viele Leute haben mir nicht einmal dafür bezahlt. Meine Mutter war krank und konnte nicht arbeiten… ich war wirklich verzweifelt und bereit, alles zu tun.“ Clara steht für einen sehr verbreiteten Fall. Sie hatte in einem Betrieb gearbeitet, und als sie diesen zugemacht hatten, begann sie mit dem Verkauf von Kosmetika, die in das Land durch Schmuggel Eingang gefunden hatten. Dies war den Behörden wohlbekannt und niemals sanktioniert worden. Diese Art von Geschäft wird von „gewöhnlichen“ Schmugglern genauso wie von Leuten beherrscht, die mit dem „Versand“ von Drogen ins Ausland zu tun haben. Das Geschäft versetzt die Frauen in eine sehr schwierige Situation, denn mit dem Augenblick, da eine Freundschaft mit diesen Leuten beginnt, wird es fast unmöglich, eine Tätigkeit als Drogentransporteurin abzulehnen. In vielen Fällen sind Frauen zu diesen Reisen wegen der Bedrohung ihrer Familien gezwungen.

Drogentransporte

Es gibt verschiedene Formen des Drogentransports: Einige befördern die Drogen auf dem Schiffsweg, andere auf dem Luftweg. Einige transportieren die Drogen im Gepäck, doch die am meisten verbreitete Variante ist die, daß die Schmugglerinnen mit Heroin oder Kokain gefüllte Kapseln verschlucken. Da diese Variante die populärste ist, verdienen sie und ihre typischen Aspekte hier eine spezielle Beachtung:

Die Verantwortlichen für die Organisation der Reise, die „Frachtspediteure“, die in einigen Fällen auch die Transporteure rekrutieren, verfolgen bei der Vorbereitung der Transporteurinnen für die Reise bestimmte Routinen, wenn auch mit bestimmten Abweichungen, die auch die Besorgung der entsprechenden Ausweispapiere etc. einschließen.

Die Drogentransporteurinnen werden entweder aus den Reihen von Frauen rekrutiert, die bereits eine Reise erfolgreich bestanden haben, oder es handelt sich um eine Absprache von Personen, die sich dieser Tätigkeit im speziellen widmen, mit einem „Frachtspediteur“: Eine vielgenutzte Technik ist die, sich in die Frauen „zu verlieben“, die für eine solche Tätigkeit für nützlich gehalten werden. Normalerweise interessiert man sich dabei für Personen, die wegen Geldproblemen verzweifelt sind und die keine kriminelle Vergangenheit besitzen. Die Absprachen werden vielfach von den künftigen Drogentransporteurinnen akzeptiert, weil sie dem Versprechen Glauben schenken, daß die Reise vom Erfolg gekrönt sein wird.

Es wird behauptet, daß „mulas“ ihr Geld leicht verdienen. Doch die Transporteurinnen müssen sich zuvor einigen speziellen Vorbereitungen unterziehen. Zuerst müssen sie – vor allem die drei Tage unmittelbar vor der Reise – eine strenge Diät befolgen, die fette Speisen und Gemüse ausschließt. Ihr Zuhause müssen sie ein Tag vor der Reise verlassen, um den zweiten Schritt der Vorbereitung zu vollziehen, der die „ordnungsgemäße Befrachtung“ mit den zu transportierenden Kapseln erfaßt.

Die Kapseln besitzen, da auf niedrige Herstellungskosten geachtet wird, keine gute Qualität und bestehen aus elementaren Materialien wie Operationshandschuhe, Zahnseide und Kohlepapier. Letzteres wird benutzt, um die Drogen zu tarnen und zu verhindern, daß sie durch Röntgenstrahlen entdeckt werden könnten, welche die Behörden auf den verschiedenen Flughäfen bei denen anwenden, die sie verdächtigen, verschluckte Drogen zu transportieren. Das Endprodukt, die Kapsel, hat in der Regel einen Durchmesser von zwei Zentimetern, ist sechs Zentimeter lang und wiegt fünf bis zehn Gramm.

Der Prozeß der „Befrachtung“ kann die ganze Nacht dauern. In der Regel wird er in leeren Wohnungen an unbekannten Orten vollzogen, in der entsprechenden Heimatstadt der Frauen oder in Bogota. Die Frauen können bis zu 100 Einheiten schlucken mit einem Gesamtgewicht von 900 Gramm bis zu einem Kilogramm. Dies hängt von der entsprechenden Fähigkeit der jeweiligen Person ab, die zwei oder drei Tage zuvor überprüft wird, indem die Personen eine bestimmte Anzahl von Möhrenstückchen oder von grünen Weintrauben schlucken müssen.

Der Prozeß dauert lange – in bestimmten Abständen werden fünf bis sechs Einheiten mit etwas Wasser, manchmal auch mit Öl oder Silikon, einem geleeartigen Anästhetikum, verschluckt. In diesem Moment hat dies schon mehr als eine Frau bereut und versucht, den „Frachtspediteur“ davon zu überzeugen, die Reise zu annullieren. Aber dafür ist es dann schon zu spät, und unter allen möglichen Drohungen müssen die Frauen – bis zur letzten – alle Kapseln verschlucken. Sind die Frauen physisch nicht in der Lage, alle Kapseln zu schlucken, dann kann der Rest auch über die Scheide oder den Mastdarm eingeführt werden, oder die Drogen werden in Schuhsohlen, Kleidungsstücken, Koffern mit doppeltem Boden, Keramikstatuen etc. versteckt.

Während es für die „mulas“ sehr schwer ist, diese Etappe zu überstehen, hat dies für den „Frachtspediteur“ eine völlig andere Bedeutung. So hat einer von ihnen zu Protokoll gegeben: „Eine ‚mula‘ bedeutet für mich nichts. Das Einzige, was mich interessiert, ist, ob ich die Arbeit abschließe und mein Geld bekomme.“

Der Höhepunkt der Reise

Die danach zu überwindenden Schwierigkeiten hängen davon ab, ob die Reise vom Erfolg gekrönt ist oder nicht. In den europäischen Flughäfen werden die „mulas“ in der Regel nach Stereotypen identifiziert. So kann ein Passagier von den Drogenbehörden als „verdächtig“ festgehalten werden, weil er oder sie sich verdächtig verhält oder ein bestimmtes Aussehen besitzt, Farbige(r) ist oder wie ein(e) Lateinamerikaner(in) aussieht, oder weil er oder sie aus einem Land einreist, das als Drogen produzierendes Land katalogisiert ist.

In der Routine der Gesetzeshüter ist es der nächste Schritt zu beweisen, daß tatsächlich eine Straftat vorliegt. In der Regel geschieht dies durch Röntgenaufnahmen und strenge Vernehmungen durch die Polizei, was eine ganze Nacht dauern kann.

Wenn diese Untersuchungen die Schuld nachweisen, dann wird das Ausscheiden der Kapseln eingeleitet, ein Prozeß, der von zwei Tagen bis zu einer Woche dauern kann. Die europäischen Behörden haben dabei eine solche Paranoia erreicht, daß sie, weil sie befürchten, daß einige der ausgeschiedenen Kapseln versteckt werden könnten, spezielle WCs installiert haben, bei denen es möglich ist, das kleinste Detail des Ausscheidens der Kapseln zu beobachten. Diese Erfahrung hat -so bekannten Betroffene – bei ihnen zu Selbstmordversuchen geführt.

Die Drogentransporteurinnen gehen dieses und weitere Risiken, darunter das körperlicher Folgeerscheinungen, für einen Lohn von etwa 10.000 bis 12.000 US-Dollar ein, ohne den Wert oder den Reinheitsgrad der Drogen zu kennen, die sie transportieren. Sie haben auch keinerlei Kenntnis über die Personen oder Organisationen, für die sie arbeiten.

Der nächste Schritt wird dann im Untersuchungsgefängnis vollzogen, wo die Frauen etwa sechs Monate auf ihre Verurteilung für ein Verbrechen gegen die Sicherheit des Landes und die öffentliche Gesundheit und damit auf schwere Strafen warten. In einigen Ländern, wie beispielsweise in Spanien, werden diese Straftaten juristisch terroristischen Verbrechen gleichgesetzt, die strenge Strafen in Gestalt eines Freiheitsentzugs bis zu fünfzehn Jahren und mehr fordern.

Denjenigen, denen es gelingt, ihre Reise mit Erfolg abzuschließen, wird in der Regel innerhalb einer Woche nach der Reise die Hälfte des versprochenen „Lohns“ und der Rest erst in fünfzehn Tagen gezahlt. Es wird auch von Fällen berichtet, wo die „mulas“ betrogen worden sind und ihnen nichts bezahlt wurde. Andere wiederum wurden verpflichtet, bei der Rekrutierung neuer „mulas“ zu helfen oder diverse Tätigkeiten im Drogengeschäft auszuüben.

Schlußfolgerung

Es muß leider festgestellt werden, daß aufgrund des Fehlens einer juristischen Definition des Phänomens „mula“ die Maßnahmen, die vorgesehen sind, „Mr. Big“ und dessen Organisationen „aufzubringen“, auch für Delikte dieser- untergeordneten – Personengruppe Anwendung finden. Es ist schließlich auch zu schlußfolgern, daß diese Maßnahmen bislang nicht erfolgreich waren – vor allem wegen der Persistenz des Problems, aber auch, weil der Ansatz falsch war. Wenn es sich dabei tatsächlich um ein Problem der öffentlichen Gesundheit handelte, müßten relevante Maßnahmen zur Prävention des Konsums, zur Aufklärung und zur Rehabilitation erwartet werden können. Und selbst wenn Drogentransport als Straftat angesehen wird, müßte diese auf der Grundlage konkreter Definitionen und Lösungen analysiert werden. Es ist schließlich unumgänglich, daß auf der Basis der entsprechenden Erfahrungen auch alle negativen Konsequenzen des Verbots der Drogen untersucht und juristische sowie politische Programme erarbeitet werden, die der sozialen Situation der Straftäterin, d.h. der sozialen Umstände, unter denen sie das Delikt begangen hat, entsprechen.

Übers. a. d. Spanischen: Heidrun Zinecker

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* Name (ebenso wie alle folgenden) geändert

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