Von März bis Mai 2010 zeigte die Denkmalschmiede Höfgen eine Ausstellung mit naiver Malerei aus Haiti. Aus diesem Anlass war der bekannte haitianische Maler Frantz Zéphirin in Grimma zu Gast. Der folgende Text, den uns Kristina Bahr, Mitarbeiterin der Denkmalschmiede Höfgen, zur Verfügung stellte, berichtet über diesen Arbeitsaufenthalt.
Der Maler Frantz Zéphirin (*1968) aus Port-au-Prince galt bereits vor dem Erdbeben als Star der haitianischen Malerei. Nach der Katastrophe ist das Interesse an seinen Werken weltweit noch größer. Gleich drei Ausstellungen bereiten seine Galeristen derzeit vor, zwei in Philadelphia, eine in Nizza. Dennoch reist der Maler nach Grimma, um ungestört zu malen.
Das sächsische Künstlerhaus Denkmalschmiede Höfgen zeigt in seiner Galerie seit März eine Sammlung des Hauses mit naiver Malerei aus Haiti. Aus diesem Anlass hat die Denkmalschmiede Höfgen den Maler zu einem Arbeitsaufenthalt eingeladen.
Zéphirin malt mit einem unglaublichem Tempo, die ersten vor Ort entstandenen Werke sind bereits in der Galerie zu sehen, weitere Werke für Philadelphia sind im Entstehen.
Erdbeben in Chile, in China, Aschewolken über Europa – für einen Augenblick hatte das geschundene Haiti Aufmerksamkeit und Empathie der ganzen Welt gefunden, dann wurde das verheerende Erdbeben vom 12. Januar dieses Jahres von neueren Ereignissen überlagert, um nicht zu sagen verdrängt. Für das Künstlerhaus Denkmalschmiede Höfgen bei Grimma/Sa. war die haitianische Katastrophe Anlass, kurzfristig eine Sonderausstellung mit naiver Malerei aus Haiti zu konzipieren. Seit März sind in der Studiogalerie Kaditzsch Werke von 16 herausragenden haitianischen Malern der Gegenwart, darunter Frantz Zéphirin (*1968), Henri Robert Brésil (1952–1999) und Préféte Duffaut (*1923) zu sehen. Das Konvolut ist Teil der Sammlung des international ausgerichteten Künstlerhauses, das überwiegend aus Schenkungen besteht.
Ist eine faszinierende, leuchtende Farbigkeit und überwältigende Präsenz allen diesen Bildern gemeinsam, so sind ihre Sujets doch ganz unterschiedlicher Art. Humorvolle Alltagsszenen finden sich neben religiösen und spirituellen Darstellungen, bei denen die Formen afrikanischer, indianischer und europäischer Malerei verschmelzen.
Auf Bildern mit paradiesisch anmutenden Landschaften begegnet man – wie in den Arbeiten Eric Jean-Louis oder Henri Robert Brésils – einer überbordenden Vegetation, die sich dschungelhaft gebärdet. In dem dreiteiligen Werk Prozession von O. Bertrand sind es filigran verschlungene Pflanzen und Blüten, die sich mäandernd weit in den Himmel erheben, die unter ihnen wandelnden winzigen Menschen gleichermaßen begleitend wie auch beschützend.
Im heute weitgehend abgeholzten Haiti ist eine derartige Vegetation kaum mehr auffindbar – die ökologische Katastrophe längst Realität geworden.
„Erinnerungen an ein Paradies?“, der Untertitel der Ausstellung bezieht sich aber eben nicht nur auf diese einstige Schönheit der tropischen Insel, sondern auch auf Traum, Vision und Realität eines Landes, das als erstes auf der Welt die Sklaverei abschaffte, eine Republik errichtete, dessen 500-jährige Geschichte alles aufzubieten hat, was an Grausamkeit und Leid mit Sklaverei, Diktatur und Fremdherrschaft nur einhergehen kann.
Die Surrealisten um André Breton entdeckten nach dem 2. Weltkrieg in der naiven Malerei Haitis die Vorwegnahme ihrer surrealistischen Manifestationen. Der Amerikaner Dewitt Peters gründete 1944 das Centre d’Art in Port-au-Prince, um die Maler zu fördern, was bald zu einer Bewegung führte, die das ganze Land erfasste. Zu dieser Zeit war Haiti ein Mekka für Künstler, Touristen und Aussteiger, bis der Machtantritt des Diktators François Duvalier 1957 eine Epoche brutalen Terrors einleitete.
Der Haitianer malt, um eine unerträgliche Welt zu entfliehen. Neben idealisierten, ins Surreale gesteigerten Darstellungen aus der Natur und dem Alltag der Menschen sind es sehr häufig auch religiöse und historisch-politische Sujets, die die haitianische Kunst prägen. So zeigt ein Werk von Jean-Bapstiste Jean mit dem ironischen Titel „Engel“ vom Himmel schwebende, geflügelte Invasionstruppen mit US-amerikanischen Flaggen und Panzern.
Mythologisch-religiöse Themen beschäftigen auch Frantz Zéphirin, der seit einigen Wochen in einem der Ateliers der Denkmalschmiede Höfgen Nacht für Nacht unermüdlich malt.
Einige seiner gerade entstandenen Gemälde sind – sozusagen frisch von der Staffelei – jetzt bereits in der Ausstellung zu sehen. Sie thematisieren die folgenreiche Ankunft der spanischen Eroberer im 15. Jahrhundert, zeigen Mischwesen aus Mensch und Tier, verweisen auf Legenden der karibischen Ureinwohner und überraschen immer wieder mit Augen und Kreuzen, auch Zahlen, rätselhafter Symbolik, die sich aus Elementen christlicher Religion und dem Vodoo speist. Daneben aber auch Arbeiten, die von gegenwärtigen Ereignissen erzählen: Vor dem Bild Humanitarian´s Soldiers wird der Betrachter plötzlich in die Perspektive der Verschütteten versetzt, die aus den Trümmern nach Hilfe rufend, nicht die Gesichter sondern die Stiefel der aus dem Ausland herbeigeeilten Hilfskräfte erblicken.
Die große Aktualität der in Kaditzsch geschaffenen Werke Zéphirins verleihen der Ausstellung eine Authentizität, die die Begegnung mit der Kunst Haitis emotionalisiert und damit einen besonderen Zugang zu einem faszinierenden Land ermöglicht.
Die Malerei Haitis ist geprägt von unbesiegbarer Hoffnung und sprühender Lebensfreude. Bilder sind Botschafter und Identitätsträger. Es besteht kein Zweifel, dass die Malerei auch in dieser vielleicht schwersten Krise des Landes eine wichtige Rolle dabei spielt, der Katastrophe zu trotzen und die lebensnotwendigen Visionen zu entwickeln.
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Die Denkmalschmiede Höfgen hat einen Spendenaufruf gestartet, um einen Kulturaustausch mit Haiti ins Leben zu rufen. Mit dieser Form einer nachhaltigen Kooperationsbeziehung soll gezielt der Wiederaufbau des Centre d’Art in Port-au-Prince unterstützt werden. Diese herausragende Ausbildungs- und Ausstellungsstätte wurde durch das Erdbeben zerstört.
Spendenkonto: Gesellschaft für Landeskultur e.V. – Förderverein der Denkmalschmiede Höfgen, Kennwort: „Haiti Kulturaustausch“, Deutsche Bank Wurzen, BLZ: 860 700 24, Kontonummer: 228 630 000
Ausstellungskatalog: Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen mit Grußworten der Sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Prof. Sabine von Schorlemer, und Grimmas Oberbürgermeister, Matthias Berger, sowie mit Essays von Dr. Claus Deimel, Prof. Dr. Ina-Maria Greverus, Prof. Gina Athena Ulysse, Ministerialrat a.D. Hans Wallow, Kristina Bahr und Dr. Kurt Uwe Andrich.
96 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen, Broschur, 17 x 22cm, Preis: € 16,–
Denkmalschmiede Höfgen – Edition Wæchterpappel 2010, ISBN 978-3-933629-30-2
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Alle Bilder sind aus dem Katalog Haiti Art Naïf. Erinnerungen an ein Paradies entnommen.
Von internationalen Kunstkennern werden die Maler Haitis schon seit Generationen bewundert. (Der Schriftsteller Salman Rushdie hat geschrieben: „Ein Freund hat mir ein Gemaelde von Haiti geschenkt. Ich habe diese immer vor mir wenn ich schreibe – sonst kann ich gar nicht schreiben!“) ABER HIER IST EIN GEHEIMNIS WELCHES DIE DEUTSCHEN NOCH NICHT KENNEN: Die „Alten Meister“ der Compas-Musik Haitis – bieten heute die eleganteste, schoenste, und angenehmste Musik in der Welt! Die „Alten Meister“ der Compas-Musik sind zwei verschiedene Bruderpaare von Petion-Ville in Haiti – die Dejean-Brueder und die Chancy-Brueder. Hier ist das youtube Video der Dejean-Brueder, von ihren Konzert in Martinique (Frankreich in den karibischen Antillen): „FRERES DEJEAN NAIDE“ ( das Publikum sind die Franzosen der Antillen ). Die Chancy-Brueder haben ihren Wohnsitz in New York, und deshalb ist „New York City“ in dem Titel fuer dieses youtube Video – aber gluecklicherweise ist das Video nur in oder an den franzoesischen Antillen in der Karibik gefilmt: „TABOU COMBO NEW YORK CITY“ ( Ich wuensche ihnen „bon voyage“ fuer diesen 10 Minuten im Karibiktraum!)