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Interview mit Salvador Sánchez Cerén
Erster Verantwortlicher der FPL (Fuerzas Populares de Liberación) und Mitglied der Politischen Kommission der FMLN

Heidrun Zinecker | | Artikel drucken
Lesedauer: 9 Minuten

Gesunder Wettbewerb statt Hegemonismus

Zwischen den fünf Gruppierungen der FMLN hat es immer Differenzen gegeben. Gegenwärtig scheinen sich diese Differenzen jedoch zugespitzt zu haben. Die FMLN befindet sich in einer Krise, das haben auch führende Politiker der Frente in letzter Zeit wiederholt geäußert. Wenn das richtig ist, worin bestehen die Ursachen dieser Krise?

Ja, die Krise gibt es seit den Friedensverträgen. Wir hatten ja eine strategische Einheit und ein Transitionsprojekt, die bis zu den Friedensverträgen geführt haben. Seitdem sind wir auf der Suche. Diese Krise mußte kommen, doch warum ist sie so evident? Innerhalb der FMLN hatten wir in den zwölf Jahren des Krieges stets Differenzen, die wir intern debattiert haben. Aber wegen der spezifischen Mechanismen des Krieges drangen sie nicht nach außen. Jetzt, da wir als FMLN in das politische Szenarium gestellt sind, wird alles, was in der FMLN gesagt wird, auch publik.

Die Bildung der FPL war 1970 von Salvador Cayetano Carpio (Marcial) initiiert worden, der bis zu diesem Zeitpunkt Generalsekretär der Kommunistischen Partei El Salvadors gewesen war. Späterhin hat sich gerade zwischen FPL und KP eine besonders scharfe Polemik entwickelt. Heute nun hat man dagegen den Eindruck, daß die Positionen der FPL denen der KP weitaus ähnlicher sind als denen der anderen FMLN – Mitgliedsorganisationen. Ist dieser Eindruck richtig?

Die FPL unterscheidet sich von allen anderen Organisationen. Doch hat sich in den Debatten gezeigt, daß unsere Positionen denen der KP und des PRTC am nächsten kommen. Langfristig gesehen, betrifft das vor allem die Bündnispolitik, das gesamte Konzept der Transition, die Rolle der FMLN in diesem Prozeß und die Notwendigkeit, daß die FMLN ihr Profil als Protagonist des Wandels behalten sollte.

Doch zuweilen gibt es auch bestimmte Differenzen, besonders hinsichtlich der Frage, wie wir uns die FMLN vorstellen. Das heißt, wir unterscheiden uns von der KP und dem PRTC durch unseren Zweifel daran, daß der entscheidende Faktor für das Wachstum und die Profilierung der FMLN die politische Gleichheit in ihr sei. Wir glauben, daß es innerhalb der FMLN mehr Raum für Demokratie geben sollte. Gelingt das nicht, wird die FMLN Probleme haben zu überleben. Die Leute an der Basis möchten nicht, daß die Entscheidungen von oben getroffen werden, sie wollen selbst an den Entscheidungsmechanismen teilhaben.

Schließlich sollte sich die FMLN nicht nur um sich selbst kümmern, sondern auch nach außen schauen und außerhalb der eigenen Reihen Einfluß gewinnen. Denn das linke Spektrum in El Salvador hat sich verbreitert.

Ja, in der jetzigen Situation gibt es mehr Übereinstimmung mit der KP und dem PRTC als mit der RN und der ERP. Doch jede Organisation hat ihr eigenes Profil, und man kann erkennen, daß sich fünf Tendenzen herausgebildet haben, die sich langfristig auf drei oder zwei reduzieren könnten.

Die FPL hat – vielleicht abgesehen von der ERP – die tragischste Erfahrung mit dem Hegemonismus gemacht. Ich denke da an die verhängnisvolle Rolle Marcials*, des ersten Comandante en Jefe der FPL. Welche Mechanismen hat die FPL heute gefunden, um einen neuen Hegemonismus zu verhindern?

Ja, seit den 70er Jahren hatten wir sowohl einen ziemlich starken Radikalismus und Hegemonismus als auch Sektierertum in unseren Reihen. Doch 1983 trat ein Wandel ein. Seitdem bemüht sich die FPL, mit diesen Erscheinungen zu brechen, auch indem sie ihre Mitglieder dazu anhält, selbst nachzudenken, die eigene Meinung zu äußern, sich politisch zu entfalten. Damit wollen wir mehr Flexibilität zugunsten der Einheit der FMLN erreichen.

Und warum dann die erneuten Vorwürfe, die FPL sei hegemonistisch ?

Die Tatsache, daß die FPL über mehr politisches Gewicht und eine größere organisatorische Stärke verfügt als andere FMLN-Glieder, wird zuweilen als Hegemonismus interpretiert. Wenn unsere Leute ein wenig frustriert fragen, warum denn die Demokratie in der FMLN nicht so funktioniert wie sie es eigentlich sollte, oder wenn die FPL -weil sie eine größere Basis besitzt und auch eine gute internationale Arbeit leistet – mehr Einfluß bzw. Unterstützung hat, dann wird dies manchmal von anderen als Hegemonismus bezeichnet.

Wir meinen, daß sich in der FMLN ein gesunder Wettbewerb entwickeln sollte. Wenn manche denken, daß man auch als kleine Gruppe und mit wenig Arbeit politisch vertreten sein und Abgeordnete haben kann, dann breitet sich dort der Geist des Opportunismus aus.

Als FPL sind wir mit der Beseitigung des Hegemonismus gut vorangekommen. Dieses Phänomen ist allerdings nicht nur in der FPL beheimatet, es ist vielmehr ein Problem, das zu überwinden die gesamte FMLN angetreten ist. Es gibt durchaus Erscheinungen des Hegemonismus in der FMLN, zum Beispiel wenn man eine höhere Abgeordnetenquote haben will, ohne zuvor die dafür notwendige Arbeit geleistet zu haben.

Wenn wir fragen, worin sich denn der Hegemonismus der FPL zeige, antwortet man uns, daß wir deshalb mehr arbeiten, um die Mehrheit innerhalb der FMLN zu erreichen. Doch zu überwiegen, bedeutet nicht Hegemonismus. Hegemonismus wäre, die eigene Position aufzudrängen und anderen „die Beine stellen“ zu wollen. Das ist nicht mehr der Fall.

Facundo Guardado, der zweite Verantwortliche der FPL, war ursprünglich als Kandidat für die Vizepräsidentschaft für die Wahlen 1994 vorgeschlagen worden. Warum hat die FPL die Kandidatur zurückgezogen?

Wir glauben noch immer, daß die Kandidatur Facundos den Volkssektoren eine klare Perspektive vermittelt hätte, denn er war mit ihnen immer sehr verbunden. Doch ein Kandidat, der aus der FPL stammt, war in der FMLN nicht gern gesehen. Als wir sahen, daß es in der FMLN zu Facundo keinen Konsens gibt, haben wir versucht, eine Variante zu finden, die der Einheit der FMLN dient. Deshalb zogen wir die Kandidatur zurück. Diese Entscheidung hatten wir schon vor dem Auffinden des Waffenarsenals in Nikaragua getroffen. Das Waffenproblem hat mit Facundo Guardado und Salvador Samayoa zwei wichtigen Persönlichkeiten der FMLN sehr geschadet. Doch die Entscheidung, die Kanidadatur Facundos zurückzuziehen, war nicht diesem Problem geschuldet, wir hatten sie bereits zuvor getroffen, um als FMLN zu einem Konsens zu gelangen.

Ich denke, daß die von der FMLN nun gefundene Formel** sehr gut ist, viele Möglichkeiten impliziert und ihren Interessen entspricht.

* Marcial gilt als der geistige Autor des Mordes an Melida Anaya Montes (Comandante Ana Maria), der zweiten Verantwortlichen der FPL, 1983 in Managua. Marcial selbst hatte daraufhin Selbstmord verübt.

** Am 24. August 1993 hat die FMLN die Kandidatur von Dr. Francisco Lima für die Vizepräsidentschaft offiziell bekanntgegeben.

(Das Interview führte Heidrun Zinecker am 14. September 1993 in San Salvador)


Kurzporträt: Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional – FMLN Front für die Nationale Befreiung Farabundo Marti

Die FMLN hatte sich am 10. Oktober 1980 durch den Zusammenschluß von zunächst vier – FPL, PCS, ERP und FARN* (* vgl. dazu Abschnitt zur RN) – politisch-militärischen Organisationen konstituiert, denen sich am 5. Dezember 1980 mit dem PRTC eine fünfte anschloß. Die FMLN behielt stets den Charakter einer Front, d.h. eines Organisationenbündnisses. Seit dem 1. September 1992 besitzt sie den Status einer legalen politischen Partei, innerhalb derer die fünf Gruppierungen ihre Selbständigkeit jedoch behalten haben. Coordinador General der FMLN ist Schafik Jorge Hándal (PCS). Die der FMLN angehörenden Organisationen sind:

Die FPL (Fuerzas Populares de Liberación „Farabundo Marti“), gebildet am 10. April 1970 von einer Gruppierung, die sich auf Initiative des damaligen Generalsekretärs Salvador Cayetano Carpio (Marcial) von der Kommunistischen Partei getrennt hatte. Nach dem Suizid von Marcial, dem die Verantwortung für den Mord an der zweiten Verantwortlichen der FPL, Melida Anaya Montes, 1983 in Managua angelastet wurde, übernahm eine kollektive Führung, an deren Spitze Salvador Sanchez Ceren (nom de guerre „Leonel Gonzalez“) steht, die Leitung der FPL.

Die ERP (Expresión Renovadora del Pueblo), früherer Name: Ejercito Revolucionario del Pueblo, war aus der Juventud Demócrata Cristiana und der Union de Jóvenes Patriotas (der Keimzelle der Kommunistischen Jugend) hervorgegangen, trat zunächst als „El Grupo“, einer Art Stadtguerrilla, in den bewaffneten Kampf ein. Nachdem der Versuch, sich mit der Gruppierung um Marcial zu vereinen, an dessen Widerstand gescheitert war, formierte sich die ERP 1971 endgültig als selbständige politisch-militärische Organisation. Im Mai 1975 kam es innerhalb der ERP zu einer tragischen Auseinandersetzung, in dessen Verlauf der bekannte salvadorianische Poet Roque Dalton Garcia von den eigenen Kampfgefährten erschossen wurde. Joaquin Villalobos ist Vorsitzender der ERP.

Die RN (Resistencia Nacional), ihre bewaffneten Kräfte trugen die Bezeichnung FARN -Fuerzas Armadas de la Resistencia Nacional, hat ihren Ursprung in einer Gruppierung innerhalb der ERP. Nach dem Mord an Roque Dalton trennte sich diese Gruppierung, die sich – im Unterschied zur „offiziellen“ ERP – von jeher stark dem politischen Massenkampf verschrieben hatte, von der ERP und bildete die FARN, die ihre Zugehörigkeit zur FMLN exakt erst mit dem 3. November 1980 datiert. Generalsekretär der RN ist Eduardo Sancho Castaneda („Fermán Cienfuegos“).

Der PRTC (Partido Revolucionario de los Trabajadores Centroamericanos) hat seinen Ursprung in einem 1971 formierten Núcleo Inicial, einer streng konspirativen Gruppe, die zunächst versucht hatte, eine Verbindung mit der ERP einzugehen und die sich später den Namen ORT (Organización Revolucionaria de los Trabajadores) gab. Für Ende Dezember 1975/Anfang Januar 1976 berief diese Organisation den Gründungskongreß des PRTC ein. Im Jahre 1980 gliederte sich der salvadorianische PRTC in die zentralamerikanische Bewegung gleichen Namens als nationale Sektion ein; am 5. Dezember des gleichen Jahres trat der PRTC auch der FMLN bei. Im Prinzip ist von dieser zentralamerikanischen Bewegung heute nur der salvadorianische PRTC, der seine nationalen Ambitionen inzwischen nicht mehr einem „Zentralamerikanismus“ unterordnet, übriggeblieben. Der PRTC wird von Francisco Jovel („Roberto Roca“) geführt.

Der PCS (Partido Comunista de El Salvador), gegründet am 28. März 1930, ist einerseits die FMLN-Organisation mit der längsten Tradition, andererseits jene, die sich als letzte dem bewaffneten Kampf zugewandt hat. Einer ihrer Begründer war Augusto Farabundo Marti, der mit der Insurrektion vom Januar 1932 die bis dato größte Volkserhebung angeführt hat, und in dessen Tradition sich die FMLN mit ihrer Namensgebung bewußt verstand. Im Mai 1980 hatte der PCS mit den FAL (Fuerzas Armadas de Liberación), die inzwischen aufgelöst sind, seinen bewaffneten Arm gebildet. Generalsekretär des PCS ist Schafik Jorge Hándal.

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