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Lithium in Bolivien: Das „weiße Gold“ der Zukunft?

Andrea Lammers | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Salzarbeiter im Salar de Uyuni - Foto: Katharina BühlerDer Dokumentarfilm „Der weiße Schatz und die Salzarbeiter von Caquena“ von Katharina Bühler zeigt die Lebenswelt der indigenen Bevölkerung am Uyuni-Salzsee vor der geplanten industriellen Ausbeutung von Lithium für die Elektromobilität des Nordens

„Für die internationalen Konzerne ist Bolivien das, was Tibet für China ist“, sagt der Manager und rührt in seinem Kaffee. Die Claims an dem riesigen Salzsee von Uyuni, in dem das größte Lithiumvorkommen der Welt vermutet wird, seien längst abgesteckt. Aber man warte eben „bessere Zeiten“ ab. So gesehen sei die Regierung von Evo Morales, die man in seinen Kreisen ohnehin für inkompetent und überfordert halte, gar nicht so schlecht beraten, sich in dieser Situation nicht in die Karten gucken zu lassen und das Thema möglichst aus der öffentlichen Debatte fernzuhalten. Lithium gilt als das „weiße Gold“ der Zukunft. Ohne Lithiumcarbonat keine leichten Hochleistungs-Akkus, ohne diese keine Elektroautos mit bis zu 500 Kilometern Reichweite. Mobilität und Gewinn für die reichen Industrieländer. Das Modell sind die „offenen Adern Amerikas“, der schleichende Mord an den Bergarbeitern von Potosí. Das Gegenmodell, die Ausbeutung in eigener, nationaler Regie – Bolivien als das „neue Saudi-Arabien“ – könnte für die indigene Bevölkerung vor Ort im schlimmsten Fall „das Gleiche in Grün“ bedeuten. Von den möglichen Folgen unseres Lithiumhungers für das Ökosystem in Uyuni ist jedenfalls bisher in beiden Varianten nicht die Rede – und schon gar nicht von den Menschen am Rande des Sees und am Rande der globalen Ökonomie.

Genau um diese Menschen geht es in dem für seine wunderbare Kameraarbeit mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilm „Der weiße Schatz und die Salzarbeiter von Caquena“ von Katharina Bühler. Die Absolventin der Ludwigsburger Filmhochschule hat für ihren Abschlussfilm eine glückliche Entscheidung getroffen und sich nicht in den Debatten, Rivalitäten und Geheimniskrämereien um die künftige Lithiumausbeutung verzettelt, sondern sich ganz auf den Alltag und die traditionelle Lebensweise der Menschen eines kleinen Dorfes am Ufer des Salzsees Salar de Uyuni konzentriert. Nach einem ganz kurzen Ausflug in die schöne neue Welt der zukünftigen Elektroflitzer auf den „Genfer Auto-Salon“ erleben wir mit, wie es sich anfühlt, Tag für Tag in der unerbittlichen Strahlung auf 3.670 Metern Höhe mit einfachen Hacken Salzblöcke aus der harten und gleißenden Kruste des Salzsees zu schlagen. Mal gibt es zusätzliche Widrigkeiten, beispielsweise wenn das alte, klapprige Fahrzeug der ArbeiterInnen mitten auf dem See eine Reifenpanne hat, mal kleine Vergnügungen und Abwechslung bei traditionellen Festen. In jedes Ritual, jedes Fest und in das alltägliche Leben sind die Vorfahren einbezogen, genauso wie die Natur, vor allem die magisch-mächtigen Vulkane, die den Salar säumen.

Lebt am Salar de Uyuni - Daniel - Foto: Katharina BühlerAm leichtesten fand Katharina Bühler, die mit einem minimalen Budget im Zweierteam (mit Tonmann und Kamerassistent Robert Nickolaus) unterwegs war und nur einige Wochen in dem Dörfchen Caquena verbringen konnte, Zugang zu den Kindern und Jugendlichen. Sie besitzen fast nichts, genießen die nicht allzu fordernde Schule und ihre wenige Freizeit. Sie scheinen hin- und hergerissen zwischen den ersten Ankömmlingen der westlichen Warenwelt in Form von Handys, Motorrädern, zwischen den noch weit entfernten Träumen von einem leichteren, besseren Leben und ihrer traditionellen Lebensweise, der alles überwältigenden Präsenz der rauen, fast brutalen Schönheit des Salzsees. „Ein Paradies“, sagt der 13-jährige Hauptprotagonist Daniel Lopez. Es klingt glaubwürdig und doch auch ein bisschen wie ein fremdes Wort aus einer ihm fremden Sprache und Kultur. Der Film fängt sehr behutsam und humorvoll die letzten Momente einer schweren und doch unbeschwerten Kindheit ein, in denen die Jungs hart arbeiten, aber sich noch nicht entscheiden müssen, welchen Weg sie einschlagen werden. Eine alte Frau, die am Rande mühsam bewässerter Felder Lamas hütet und Wolle spinnt, macht sich derweil Gedanken über die möglichen Folgen des Abbaus der ominösen, nicht greifbaren Substanz Lithium. Für sie war schon der forcierte Salzhandel zulasten der althergebrachten Viehwirtschaft und des Gemüseanbaus ein kultureller Sturm. Der jetzt bevorstehende Wandel könnte einem alles hinweg fegenden Tsunami gleichen. Die Männer der mittleren Generation bleiben indes wortkarg und reserviert, auch was ihre Kommentare zur Zukunft angeht. Sorgen haben sie, dass ihren Dörfern buchstäblich das Wasser abgegraben und ihre Lebensgrundlage, das Salz, verunreinigt und unbrauchbar wird. Wir können nur ahnen oder vage vermuten, ob sie sich dagegen wehren oder möglichen Fortschrittsversprechen den Vorrang geben werden.

Sicher ist, dass nicht nur politisch Interessierte, sondern gerade auch CineastInnen bei diesem klassisch beobachtenden, nachdenklichen und auf unprätentiöse Weise „schönen“ Film auf ihre Kosten kommen. Es schadet nichts, dass am Ende einige brisante Fragen offen bleiben. Ein bisschen bedauerlich ist allenfalls, dass heutigen ZuschauerInnen die Situation in dem Örtchen Caquena unwillkürlich als repräsentativ für die der betroffenen Aymara-Bevölkerung am Salar de Uyuni (etwa 10.000 Menschen) erscheinen mag, auch wenn der Film das nicht behauptet. Auf diese Weise könnte in Vergessenheit geraten, dass es der jahrelange massive und organisierte Widerstand der indigenen Bevölkerung am Uyuni-Salzsee war, der vor über zwanzig Jahren schon einmal das Verscherbeln ihres Lebensraums verhindert hat: Nicht zuletzt wegen des Drucks der Federación Regional Única de Trabajadores Campesinos del Altiplano Sur (FRUTCAS) musste die neoliberale Regierung Paz Zamora den schon unterschriebenen Vertrag mit dem transnationalen Unternehmen Lihco Inc. 1990 aufkündigen. Richtig bedauerlich ist, dass die BewohnerInnen von Caquena und der anderen Dörfer am Salar de Uyuni den Film noch nicht sehen konnten. Bisher war diese elementare Partizipation der ProtagonistInnen offenbar keinem institutionellen Geldgeber auch nur einen Euro wert. Die FilmemacherInnen starten deshalb eine crowdfunding-Aktion, damit sie nach Bolivien reisen und ihr Werk denen zeigen können, die es ermöglicht haben. Sie sind es schließlich, die – weit über den Film hinaus – das Recht haben, Subjekte und ProtagonistInnen ihrer Geschichte zu sein.

Lamas am Salar de Uyuni - Foto: Katharina BühlerAls Ergänzung zum Thema „Lithium in Bolivien“ sei an dieser Stelle ein hörenswertes Interview von Radio Z mit Gert Eisenbürger (ila) empfohlen. Mit den globalen Implikationen des Lithiumabbaus setzt sich der neue Fernsehfilm „Die Lithium-Revolution“ auseinander (2012, 52 Minuten, Regie: Andreas Pichler und Julio Weiss, Produktion: Gebrüder Beetz; Erstausstrahlung am 10. April 2012, arte). Als allererster Einstieg ins Thema kann zudem der von Spiegel TV für 3sat produzierte Beitrag „Bolivien im Lithium-Rausch“ (2011) dienen. Dort wird das Großprojekt der staatlichen Bergbaugesellschaft COMIBOL auf dem Salar de Uyuni vorgestellt, aber auch ein alternatives Projekt der TU Bergakademie Freiberg erläutert, mit dessen Hilfe die Menschen vor Ort auf relativ einfache Weise und mit wesentlich kleinerem ökologischen Fußabdruck selbst konzentrierte Lithiumlauge gewinnen könnten. Angesichts der gigantischen politischen Interessen, der fehlenden Aufklärung über die ökologischen Folgen des industriellen Lithiumabbaus und der fehlenden interkulturellen Vermittlung erscheinen die simplen „Freiberger Verdampfungskegel“ allerdings wie eine wahnwitzige Utopie oder, aus bolivianischer Perspektive, vielleicht sogar wie ein falsches Versprechen, hinter dem sich in Wahrheit andere deutsche (Rohstoff)-Interessen verbergen könnten. Noch ist es jedoch nicht zu spät: Während hierzulande die ersten Projekte zur Rückgewinnung von Lithium aus gebrauchten Akkus anlaufen und die bereits erschlossenen chilenischen und argentinischen Lithiumreserven wohl noch für etliche Jahre ausreichen, könnten sich die Dinge vielleicht noch ändern.

Wir, die KonsumentInnen von Lithium-Akkus, könnten ein Bewusstsein dafür entwickeln, was Ressourcengerechtigkeit und der viel missbrauchte Begriff der „Nachhaltigkeit“ in der globalen Welt wirklich bedeuten. Vielleicht wäre noch Zeit dafür, dass die Salzbauern von Uyuni und wir hier voneinander für die Zukunft lernen. Die von vielen Seiten bedrängte Regierung Boliviens hat übrigens inzwischen (Anfang April 2012) einen Vertrag mit dem südkoreanischen Konsortium KORES-POSCO geschlossen, um mit Hilfe eines neuen Verfahrens ohne den aufwändigen „Umweg“ über die Extraktion von Lithiumcarbonat direkt Lithium-Kathoden herstellen zu können. Das Resultat des Pilotprojektes, das die Batterieherstellung revolutionieren könnte, soll Anfang nächsten Jahres vorliegen. Vorläufig bedeutet es nur ein Fragezeichen mehr im Hinblick auf mögliche ökologische Auswirkungen und die völkerrechtlich obligatorische Konsultation und politisch gebotene Partizipation der indigenen Bevölkerung am Salar de Uyuní.

„Der weiße Schatz und die Salzarbeiter von Caquena“. Regie: Katharina Bühler (Deutschland 2011, 52 Min.)

Bildquelle: [1], [2], [3] Katharina Bühler

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