Boliviens Regierung reserviert 7 Sitze im Parlament für Vertreter der 34 indigenen Völker und erkennt die Statuten der departamentos Santa Cruz, Tarija, Beni und Pando teilweise an. Maximal 240.000 Bolivianer aus dem Ausland werden an den Wahlen teilnehmen können.
Nach sechs Tagen beschämender Diskussionen, während denen zwar viele Worte, jedoch kaum Ideen zu hören waren, hat der Kongress um 4 Uhr nachts das vorübergehende Wahlgesetz verabschiedet. Am folgenden Tag erließ Präsident Evo Morales die neue Rechtsnorm. Die rechte Opposition ermöglichte letztendlich die allgemeinen Wahlen vom 6. Dezember und war mit den wesentlichen Zugeständnissen der Regierung zufrieden.
Die „neoliberale putschistische und gonistische Rechte“ wollte die Wahlen vom 6. Dezember verhindern und ging mit Manipulation und Sabotage im Kongress vor, so der Präsident des Kongresses Alvaro García Linera. „Das war eine der beschämendsten Sitzungen eines Kongresses, der jetzt kaum noch funktioniert und glücklicherweise bald durch eine plurinationale Versammlung ersetzt werden wird,“ beklagte sich Linera.
Die regierungsnahen sozialen Bewegungen drohten damit, das Parlament zu umstellen, und die Mitglieder der Regierungspartei MAS warnten, sie würden ihre Ämter niederlegen, wenn sich die Opposition gegen das Gesetz und die Wahlen vom 6. Dezember stellen würde. Dann schlug man vor, diejenigen vor Gericht zu stellen, die die Wahlnorm sabotierten. Morales trat in den Hungerstreik. Binnen weniger als fünf Tagen schlossen sich ihm fast 3000 Menschen in Bolivien, Spanien und Argentinien an.
Das bolivianische Volk feiert diesen „unvergesslichen und geschichtsträchtigen Tag“ dank seines politischen Bewusstseins und der Beteiligung von Werktätigen, Arbeitern, Akademikern und Fachleuten aus unterschiedlichen Branchen, erklärte Morales in seiner Rede, nachdem er das vorübergehende Wahlgesetz mit insgesamt 76 Paragraphen am 14. April 2009 verabschiedete.
In seiner Siegesrede sprach Morales allerdings nicht von den wichtigen Zugeständnissen, die die Regierung gemacht hatte, damit die Opposition den Kongress nicht länger blockiert.
Die MAS akzeptierte die Forderungen der Opposition nach einem biometrischen Neuregistrierungssystems, welches das Land mehr als 35 Millionen Dollar kosten wird, die Wahlbeteiligung von maximal 240.000 bolivianischen Emigranten in 13 verschiedenen Ländern, die Reduzierung der Sitze für die indigenen Völker von 14 auf 7, die Abschaffung der körperschaftlichen Vorteile für die sozialen Bewegungen CIDOB, CONAMAQ und CSTUB bei der Nominierung von Kandidaten in einigen Wahlkreisen und die Einführung von Regelungen aus den Autonomiestatuten von Santa Cruz, Tarija, Beni und Pando, die bei der Wahl von Gouverneuren und Bezirksräten gelten sollen.
Biometrische Wählerliste
Paragraph 19 des Wahlgesetzes sieht die Erstellung einer neuen biometrischen Wählerliste (Fingerabdrücke, Digitalfoto, Unterschrift und weitere Erkennungsdaten) für die Wahlen vom 6. Dezember 2009 und vom 4. April 2010 vor.
Paragraph 24 des Gesetzes legt fest, dass das „einzig gültige Dokument für die Einschreibung in die Wählerliste“ der Personalausweis des Wählers ist. Dieser Ausweis dient auch am Wahltag als Ausweisdokument, bis die amtliche Wahlbehörde (Corte Nacional Electoral) den Wahlausweis bei der nächsten Verwaltungsstelle eingereicht hat.
Die amtliche Wahlbehörde gleicht dann die Informationen der Wahlliste mit dem Personenstandsregister (Registro Civil), dem Personenidentifizierungsdienst (Servicio de Identificación Personal), dem Amt für kostenlose Registrierung (Programa de cedulación gratuita) und mit der nationalen Migrationsbehörde (Servicio Nacional de Migración) ab. Um diesen Auftrag ausfüllen zu können, ermöglichen das Generalkommando der nationalen Polizei, die Leitung des Personenidentifizierungsdienstes, die Leitung des Amtes für kostenlose Registrierung und die Leitung der nationalen Migrationsbehörde den Zugang zu den jeweiligen elektronischen und nicht elektronischen Datenbanken.
Besondere Wahlbedingungen
Ein Parlament, das sich „plurinational“ nennen darf, müsste eigentlich aus je einem Vertreter der 34 indigenen Minderheiten bestehen. Das Wahlgesetz erkennt allerdings nur sieben indigene Wahlkreise an – einen aus jedem departamento – wobei die departamentos Potosí und Chuquisaca auf ihre indigenen Repräsentanten verzichten und diese Plätze nutzen, um ihre Chancen über die Mehrheitswahl zu erhöhen.
Laut Paragraph 32 des vorübergehenden Wahlgesetzes werden die 130 Sitze wie folgt unter den neun departamentos aufgeteilt: 29 Sitze für La Paz (15 Sitze über Mehrheitswahl, 13 über Verhältniswahl, 1 Sitz für indigene Vertreter), 25 Sitze für Santa Cruz (13 über Mehrheitswahl, 11 über Verhältniswahl und 1 für indigene Vertreter), 19 Sitze für Cochabamba (10 über Mehrheitswahl, 8 über Verhältniswahl und 1 für indigene Vertreter), 14 Sitze für Potosí (8 über Mehrheitswahl und 6 über Verhältniswahl), 11 Sitze für Chuquisaca (5 über Mehrheitswahl und 8 über Verhältniswahl), 9 Sitze für Oruro (5 über Mehrheitswahl, 3 über Verhältniswahl und 1 für indigene Vertreter), 9 Sitze für Tarija (5 über Mehrheitswahl, 3 über Verhältniswahl und 1 für indigene Vertreter), 9 Sitze für Beni (5 über Mehrheitswahl, 3 über Verhältniswahl und 1 für indigene Vertreter) und 5 Sitze für Pando (3 über Mehrheitswahl, 1 über Verhältniswahl und 1 für indigene Vertreter).
Laut Paragraph 35 des Gesetzes können politische Parteien und Vereinigungen von Bürgern und indigenen Völkern unter denselben Umständen Kandidaten für einen Spezialwahlkreis der indigenen und ursprünglichen Völker und Campesinos (Circunscripción Especial Indígena Originario Campesina) vorschlagen.
Wählen aus dem Ausland
Nach Schätzungen leben mehr als 2,5 Millionen bolivianische Staatsbürger im Ausland, von denen allerdings nur 240.000 an den allgemeinen Wahlen teilnehmen können. Das Gesetz sieht vor, dass die CNE bei dem ersten Wahlversuch aus dem Ausland maximal sechs Prozent im Verhältnis zur entsprechenden Wählerzahl im Land registriert. Auf keinen Fall dürfen mehr als 50 Prozent der Wähler aus einem einzigen Land registriert werden.
Paragraph 44 legt fest, dass weder das bolivianische Außen- und Kultusministerium noch die diplomatischen Vertretungen oder Konsulate das Recht haben, sich Funktionen anzueignen oder Aufgaben auszuführen, die der Wahlbehörde zustehen. Diese ist als einzige berechtigt, die Wahl im Ausland zu organisieren und durchzuführen.
Autonomierechte bei den Wahlen
Paragraph 66 erkennt einige Regelungen zur Bildung von regionalen Versammlungen in den autonomen Statuten der departamentos Pando, Beni, Santa Cruz und Tarija an.
Die gesetzgebende Versammlung des departamentos Beni setzt sich folgendermaßen zusammen: drei Repräsentanten aus jeder Provinz, die in allgemeiner, freier, direkter und geheimer Wahl in den Wahlbezirken der Provinz gewählt werden – zwei davon mit Mehrheit und einer mit der Minderheit, außerdem zwei indigene Repräsentanten und zwei Bauern, die aufgrund ihrer Sitten und Bräuche gewählt werden.
Das Parlament des departamentos Tarija setzt sich nach dieser Wahl aus 30 Abgeordneten des departamentos zusammen, deren Wahl auf allgemeinem und direktem Wege stattfindet. 12 der Repräsentanten werden auf Grundlage der territorialen Gleichheit der Provinzen gewählt, 15 vom Volk und 3 Abgeordnete als Repräsentanten der indigenen Völker Guaraní, Weenhayek und Tapiete.
Die Versammlung des departamentos Pando setzt sich aus je einem Repräsentanten der Gemeinden der Provinzen zusammen, welche als Parlamentarier der departamentos bezeichnet werden, die durch Direktmandat in allgemeiner, freier, direkter und geheimer Wahl in den Gemeinden gewählt werden. Außerdem wird ein Repräsentant der indigenen und ursprünglichen Völker und Campesinos und gewählt.
Die gesetzgebende Versammlung des departamentos Santa Cruz setzt sich aus achtundzwanzig (28) Mitgliedern oder Parlamentariern zusammen: Ein Abgeordneter aus jeder der fünfzehn (15) Provinzen, ein Abgeordneter aus jedem der fünf (5) indigenen Völker aus dem departamento Santa Cruz (Chiquitano, Guaraní, Guarayo, Ayoreo und Mojeño) und acht (8) Abgeordnete nach Bevölkerungszahl entsprechend der letzten Volkszählung. Die Wahlen der Abgeordneten nach Bevölkerungszahl und den jeweiligen Gebieten finden in allgemeiner und direkter Wahl entsprechend den Regelungen, die das Wahlgesetz des autonomen departamento Santa Cruz vorschreibt, statt.
Paragraph 64 des Wahlgesetzes legt fest, dass Gouverneure und Präfekten in einem einzigen Wahlkreis der departamentos mit einfacher Mehrheit (in Santa Cruz mit absoluter Mehrheit) gewählt werden.
Wenn im departamento Santa Cruz keiner der Bewerber um das Gouverneursamt die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten hat, wird ein zweiter Wahlgang zwischen den beiden Bewerbern mit den meisten Stimmen durchgeführt. Wer im zweiten Wahlgang die einfache Mehrheit erhält, wird zum Gouverneur ernannt.
Im departamento Tarija wählt das Volk direkt und geheim mit einfacher Mehrheit in einem Wahlgang die Leiter für Entwicklung für jeden Bezirk des departamentos, die Gouverneure und die Abgeordneten des departamentos.
Im departamento Beni wird in jeder Provinz ein Vizegouverneur und in jedem Bezirk der Provinzen ein Bürgermeister in allgemeiner, freier, direkter und geheimer Wahl mit einfacher Mehrheit gewählt.
Weitere Zugeständnisse der Regierung
Die zweite, endgültige Bestimmung des Wahlgesetzes legt fest, dass „es nicht verpflichtend ist, zwei Sprachen zu sprechen, wie im Paragraph 234 der bolivianischen Verfassung im Sinne des vorliegenden Gesetzes, in Übereinstimmung mit der zehnten Übergangsvorschrift der bolivianischen Verfassung, festgelegt ist.“
Außerdem schreibt die vierte Bestimmung vor, dass kein Beamter, unabhängig seines verfassungsmäßigen oder rechtlichen Dienstgrades, öffentliche Veranstaltungen der Übergabe von Bauten, Gütern, Diensten, Programmen oder Projekten in den 30 Tagen vor den Wahlen über Kommunikationsmedien bekannt geben darf. Die achte Bestimmung verbietet Regierungswerbung auf allen Ebenen der Regierung in den 30 Tagen vor der Wahl.
Staatsbeamten ist es verboten, sich während der Arbeitszeit Tätigkeiten zu widmen, die im Verhältnis zur Wahlkampagne stehen. Bei Missbrauch droht ihnen die Amtsenthebung. Die Nutzung von öffentlichen Gütern für Partei-, Wahl-, oder Werbeprojekte ist ausdrücklich verboten. Außerdem sind Gehaltssenkungen für Staatsbeamte zur Finanzierung von Wahlkampagnen untersagt.
Das Wahlgesetz sieht vor, dass sich Staatsbeamte, die gegen diese Regeln verstoßen, wegen Machtmissbrauch im Wahlprozess und der Veruntreuung von Staatsgeldern strafbar machen. Wird dieser Vorwurf bestätigt, beantragt die amtliche Wahlbehörde die sofortige Amtsenthebung des beschuldigten Staatsbeamten und leitet die Informationen über die Vorfälle an die Staatsanwaltschaft weiter, damit die entsprechende Strafklage eingereicht werden kann.
Übersetzung aus dem Spanischen: Charlotte Navitzkas
Mit freundlicher Genehmigung von Bolpress. Der Artikel erschien am 14.04.2009.