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Auf den Wegen des Südens zum Norden von Mexiko – Eine persönliche Narrative der Migration

Gerardo Lerma Hernández | | Artikel drucken
Lesedauer: 20 Minuten

1981 sind noch die Züge auf den Schienen in den Süden an der Pazifikküste gefahren. Die Schienen liegen parallel zum Meer mit circa 5 Kilometer Abstand. In dieser Zeit haben die Züge das Leben stark geprägt oder anders gesagt, viele Menschen haben das Leben im Rhythmus der Züge geführt. Früh sollten sich die Bewohner der Region entweder fertig machen, ihre Koffer oder Tasche oder Morral oder einfach einen Beutel nehmen. Darin befanden sich ihre Kleidung und die wichtigsten persönlichen Gegenstände. Dazu sollen wir nicht vergessen, dass manche Leute gerne mit ihren Tieren zum Beispiel Hühnern, kleinen Ferkeln, Leguanen und anderen wunderbaren Lebewesen (außerhalb der normalen menschlichen Vorstellung) irgendwohin fuhren. Viele andere haben ihre geernteten Produkte oder ein paar Klamotten im Koffer, Taschen, Beutel, Eierkarton mitgebracht.

Wer in der Nähe des Bahnhofs wohnte, hatte es sehr leicht, ansonsten mussten die Menschen aus den kleinen Siedlungen einen Tag im Voraus in die Nähe des Bahnhofs laufen oder mit dem Pferd dahin reiten. Sie müssen für eine Nacht bei Verwandten oder Freunden unterkommen (mit ihren Tieren und dem Gepäck). Das Transportmittel war von den finanziellen Möglichkeiten abhängig. Viele lokale motorisierte Transportmittel gab es nicht. Zum Beispiel: Das Territorium einer Kommune ist circa 600 km² groß. Auf dieser Fläche befinden sich eine kleine Stadt und Siedlungen. Es ist Zufall, welche der verstreuten Siedlungen zur Stadt wurden. Laut der aktuellen Statistik lebt circa ein Drittel der Menschen in Armut. In den Jahren 1981 – 1985 gab es wenige Transportmittel zwischen der kleinen Stadt und den Siedlungen. Es gab zwei Linien. Der Bus ist einmal morgens von der Stadt in die Siedlungen gefahren und nachmittags in die Stadt zurückgekommen. Deswegen mussten viele Menschen zu Fuß, mit dem Pferd oder mit der Kutsche in die Stadt gehen oder fahren.

Die Kutsche entsprach nicht den romantischen Vorstellungen. Sie war für die Arbeit konzipiert. Die Kutsche hatte eine gute Ladefläche für den Transport der Ernte, Holz oder anderen Gegenständen. Zwei kräftige kastrierte Bullen waren mit einem Joch verbunden und haben die Kutsche gezogen. Eine Peitsche und ein Stichel (Pulla) waren immer im Einsatz. Diese Art des Lebens zwischen Härte und Paradies gibt den Menschen ein Gefühl der Liebe, befriedigt zu sein und der Verbundenheit miteinander und mit der Natur. Selbstverständlich gab es die Vorstellung, dass die Technologie die Qualität des Lebens wesentlich verbessern kann. Es war und bleibt aber nur eine Vorstellung.

Damals fuhr der Zug drei Mal. Früh zwischen 8 und 10 Uhr gab es den Passagierzug in den Süden. Das war für die Bauern das Signal zum Frühstücken. Irgendwann kam ein Güterzug und nachmittags ist auch ein Passagierzug ins Zentrum des Landes gefahren. Die Schienen waren für die kleinen mittleren Städte an der Strecke das, was die Aorta für die Menschen ist und die Züge waren das Blut. Mit dem Zug konnten die Menschen sehr billig fahren und sie durften alles Mögliche mitschleppen. Wer mit dem Bus fahren wollte, musste deutlich tiefer in die Tasche greifen, um vorher in der Nachbarstadt ein Ticket zu buchen und am Reisetag von dort aus zu fahren. Es war deutlich teurer und aufwendiger.

Diese südliche Region von Mexiko trägt der Name Soconusco. Das ist ein Streifen an der Pazifikküste. Die natürliche Reichhaltigkeit der Region wurde von den Völkern der Mames und Mexicas bereits vor 1521 erkannt, die die Region besiedelten. Danach stand sie unter der Hauptverwaltung Guatemalas. 1821 entschied sich diese Region, Teil Mexikos zu sein. Zu dieser Zeit haben sich unabhängige Länder gebildet. Die sichtbaren und unsichtbaren Grenzen wurden irgendwo festgelegt.

Als die Passagierzüge kamen, entwickelten sich die zehn Minuten Wartezeit des Zuges zu einem Fest. An dem Zug wurde manchmal etwas Kleines in Ordnung gebracht. Die Leute haben ihre Produkte verkauft. Das Angebot von selbstgemachtem Essen und Getränken war sehr reichlich. Die Freude und Traurigkeit der Verabschiedung gehörte zu den täglichen Erlebnissen der zehn Minuten Wartezeit. Eine Reise bis zur Hauptstadt des Landes dauerte über drei Tage. Es war eine Strecke voller Anstrengung und wunderschöner Erlebnisse.

Für die Menschen gab und gibt es keine Grenzen zwischen den heutigen Ländern. In Soconusco erlebte man eine intensive Migration aus der ganzen Welt. Die damalige Einwanderung aus China und Japan ist in den Städten deutlich zu spüren. Die Deutschen haben sich entschieden, in die Berge zu gehen, wo sie ab 1890 die Genehmigung für den Anbau von Kaffee bekommen hatten. In diesen bekannten Fincas gab bis 1995 noch Zwangsarbeit und Sklaverei. Zur gegenwärtigen Zeit ist die Rede von den Arbeitsverhältnissen, die als Ausbeutung der Menschen betrachtet werden. Um 1981 sind manche Menschen mit dem Güterzug gefahren. Die Leute haben einen relativ sicheren Platz in den verschiedenen Wagen des Zuges gefunden. Die besten und sichersten Plätze befanden sich in überdachten geschlossen Wagen. Wenn die Tür des Wagens offen war, sind manche in den Körben des Kesselwagens mitgefahren. Zu dieser Zeit konnten wir Einheimischen sehen, wie unsere Brüder des Südens ihr Leben riskierten, um ein besseres im Norden zu finden.

Der Mensch ist von Natur aus ein mobiles Wesen. Der Körper des Menschen ist für die Mobilität konzipiert und die Suche nach anderen Lebensbedingungen bringt die Menschen in Bewegung, zur Wanderung über die schwierigsten Wege. Die Gründe, den Ort zu verlassen, sind unterschiedlich, aber die Entscheidung ist meistens nicht freiwillig. Nur wenige Menschen verlassen ihre Heimat wegen ihrer angeborenen natürlichen Neugier, neue Lebensbedingungen zu entdecken. Die Mehrheit der Menschen verlässt ihre Heimat wegen Kriegen, Gewalt in allen Formen, Zerstörung der Umwelt aus natürlichen Gründen oder von den Menschen selbst verursacht. Die meisten Menschen verlassen ihre Heimat aus der Not heraus. Wenn sie unterwegs sind, werden sie als Migranten, Flüchtlinge, Hassfiguren, Quelle von Ausbeutung gesehen. Die Brüder und Schwestern sind ein Katalysator und für Zivilisationen der Menschheit eine große finanzielle Quelle geworden. Viele haben ihre eigenen Kinder bei Verwandten oder Bekannten zurückgelassen. Diese meine Brüder und Schwestern kommen zu der südlichen Stadt Tapachula, wo eine Zwischenstelle oder ein Trichter aller Wege der Migration aus der Welt Richtung Norden bestand. Sie haben auf dem Weg die Schmerzen der Familientrennung, Hungersnot, Freude, Liebe, Wärme von anderen Mitmenschen hinter sich gelassen.

Darien: Es ist eine der schwierigsten Strecken der Migration. Die Herausforderungen und Lebensbedingungen der Migranten liegen außerhalb der Vorstellungskraft anderer Menschen. Nur wer das selbst das erlebt hat, kann sich eine echte Vorstellung machen. Manche nehmen das in Kauf und manche werden das (innerlich) nie machen können und wollen. Die Anzahl der Menschen in Güterzügen hat sich in Laufe der letzten Jahre deutlich verändert. Die gesamten Lebensumstände haben sich radikal transformiert. Wo es Wälder gab, gibt es heute Monokultur. In der wunderschönen Natur der Vergangenheit liegen heute Ölpalmen, Felder, Mango, Kakao und Rinder.

Die Menschheit hat das gesamte Ackerland für ihre eigene Zwecke beansprucht. Wo es eine Vielfalt von Tieren und Pflanzen gab, gibt es heute eine monotone Landschaft. Die kleinen Städte und Gemeinden haben keine eigene Vielfalt in ihrer Selbstproduktion mehr, sondern sind jetzt vom Import der Produkte und dem Preis der eigenen beschränken Produktion abhängig. Wobei der Preis von den Großkonzerne festgelegt wird. Die Güterzüge haben wenige Personen sporadisch transportiert. Später ist diese Anzahl gestiegen. Der Zug hat den Namen „la Bestia“ bekommen, weil er viele Menschen in einer unwürdigen Art transportiert hat, wobei das System diese humanitäre Katastrophe verursacht hat. Die Prinzipien dieses Systems baut auf die Zerstörung der Umwelt inklusive der Menschen selbst. Die finanziellen Profite landen in der Tasche einer Minderheit. In diesem Zug sind einfach viele Menschen gefahren.

Viele Menschen haben ihr Leben verloren, weil sie auf der Fahr übermüdet waren und geschlafen haben. Als natürliche Konsequenz haben sie das Geländer losgelassen und sind runtergefallen. Manche haben sich nur verletzt und manche haben das Leben verloren. Viele andere wurden von den Mitgliedern einer kriminellen Gruppe in dem Tod gestoßen, weil die Leute keine Bestechung zahlen konnten. Die Migration ist nicht nur der Katalysator der Kulturen, sondern eine enorme wirtschaftliche Quelle. Wenn die Migranten auf dem Weg zu unbekannten oder festgelegten Zielen sind, lassen sie in bestimmten legalen und illegalen Strukturen sehr viel Geld. Sie zahlen für die verschiedenen bürokratischen Formalitäten, Essen, Unterkünfte, Transportmittel in den legalen Strukturen und sie werden in den illegalen Strukturen erpresst. Wer die Bestechung nicht zahlen kann, begibt sich in Gefahr.

Das Spektrum der möglichen Konsequenzen liegt zwischen Harmlosigkeit, Vergewaltigung, Folter und Mord. Dieses Risiko gibt es in den legalen Strukturen auch. Die Beschreibung der oben genannten Tatsachen ist in unserer gegenwärtigen Zeit sehr gut dokumentiert. Wer die Beweise für solche Aussagen benötigt, kann sie ohne größere Schwierigkeiten recherchieren und finden, zum Beispiel, dass circa 100 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Viele dieser Brüder und Schwestern leben seit Jahren in fest gebauten Unterkünften schon in der zweiten Generation. Tausende sind in Tapachula, wo sie ein Teil der lokalen Bevölkerungen mit Liebe, Solidarität seit mehreren Jahren empfängt. Manche haben einen Platz in den offiziellen Unterkünften gefunden. Ansonsten sind viele bei Tageslicht oder in der Nacht auf dem Marktplatz von Tapachula zu finden.

Vor ein paar Jahren haben sie sich an den Schienen gesammelt, aber die Züge fahren fast nicht mehr. Die Zuglinien wurden 1999 privatisiert und nach einen heftigen Hurrikan 2005 ist nichts mehr gefahren. Die gegenwärtige Route befindet sich an den Landstraßen, um zu Fuß oder durch Mitfahrgelegenheiten (LKW, Kontainer, Bus) weiterzukommen, entlang der Schienen (zu Fuß oder eventuell als blinder Passagier mit dem Zug), zu Fuß an der Küste entlang oder mit dem Boot. Die größte Gefahr ist der Erstickungstod in einem Container oder auf Grund der Willkür der Bootsbetreiber im Pazifik zu ertrinken, falls man eine Extrazahlung nicht leisten kann.

Es war immer eine große Frage, wie das Leben bei den Brüdern und Schwestern in Guatemala, El Salvador, Honduras ist. Die finanzielle Möglichkeit zum Reisen gab es nicht. Es kamen wenige Nachrichten, nur Gerüchte, zum Beispiel, dass die Menschen dort sehr schlechte Lebensbedingungen hatten, und dass die Armut sehr groß war bzw. ist. Wer eine Statistik der Armut in Mittelamerika sucht, kann sie leicht im Internet recherchieren. Es ist kein Geheimnis, dass die soziale Ungleichheit weltweit erkennbar ist und die soziale Ungleichheit in Mexiko, und ganz besonders im Süden, in Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua und Belize sehr extrem ist. Dass es Kriege gab, dass die Unterdrückung der Bevölkerung sehr hoch war. Haben Sie auch von den Caibiles gehört? Wenn Sie davon noch nicht gehört haben, können Sie tiefer recherchieren. Die Caibiles haben die schrecklichsten Sachen gemacht, zum Beispiel ganze Gemeinschaften ausgelöscht.

Anfang der neunziger Jahre haben sich zwei kriminellen Gruppen gebildet. Die Regierungen haben nichts für die Auflösung der Gruppen getan, sondern mit den Gruppen zusammengearbeitet. So ist das, wenn die Korruption einer Elite sehr stark ausgeprägt ist. Die Bevölkerung wird mit viel Gewalt kontrolliert. Von einem Rechtsstaat kann kaum eine Rede sein. Die kriminellen Organisationen hatten in Verschmelzung mit den offiziellen Sicherheitskräften alles bis in die kleinste Ecke unter Kontrolle. Die Mitgliederzahl der kriminellen Organisation lag bei 65000 in einer Population von fast vier Millionen Menschen. Wer Bestechungsgelder nicht zahlte, hat das mit seinem Leben bezahlt.

Was soll eine gesunde psychische Person machen, wenn sie keine Hoffnung in ihrer Heimat hat und die eigene Regierung die Wirtschaft so konzipiert, dass die Leute flüchten, außerhalb des Landes Geld verdienen und dass ganze Geld fleißig nach Hause schicken. Eine normale Person nimmt ein paar Sachen und flüchtet entsprechend der eigenen Möglichkeiten. Die Meisten machen das zu Fuß. Die Wege von Mittelamerika bis Mexiko sind von so vielen Geschichten geprägt, wie Menschen sie gegangen sind. Jeder Mensch ist ein Unikat. Das System des Lebensstils der Menschheit trennt die Menschen deutlich. Wer sich ein Stück vom wirtschaftlichen Kuchen abschneiden kann, darf mit einigen Privilegien flüchten. Er oder sie ist am Ende auch auf der Flucht, obwohl viele von denen sich selbst nicht als Flüchtende akzeptieren.

Alle anderen müssen zu Fuß flüchten und eine Mischung aus Liebe, Solidarität, Hilfe, Essen, Unterkunft, Verständnis, aber auch Rassismus, Diskriminierung und Aporophobie (Ablehnung von Armut) auf dem Weg nach Norden erleben.

Die Züge fahren nicht mehr. Deshalb bleiben die Menschen auf dem Marktplatz. Ja stimmt, es wurde oben schon gesagt, dass die Menschen auf dem Marktplatz bleiben. In dieser Form bilden sie den mobilen Teil der Bevölkerung von Tapachula. Ein Teil, der nicht mobile Teil der Bevölkerung, war früher mobil. Aber sie kamen irgendwann auf die Idee, dass das Leben in Tapachula auch schön ist. Deswegen sind sie jetzt ein Teil der nichtmobilen Bürgerinnen der Stadt. Sie arbeiten hart, genau wie alle anderen einheimischen Leute.

Wie lange soll eine Person in einem Ort bleiben, damit die Person als einheimische Figur betrachtet wird? Wer entscheidet das? Wer entscheidet, ob die Menschheit auf der Erde heimisch ist, und dass die Menschheit keine Eroberung oder Invasion dieses Planeten gemacht hat? Die Intelligenz des dominanten Teils der Menschheit bewegt sich mit schneller Geschwindigkeit auf die Selbstzerstörung zu. Die Erde bildet einen kleinen Punkt innerhalb des Universums. Die Probleme des dominanten Teils der Menschheit reflektiert nur dessen eigenen existenziellen Ängste. Die aktuellen schwerwiegenden Probleme des Phänomens der Migration entsprechen dem Abstand des dominanten Teils der Menschheit zu unseren Grundwerten „Liebe – Solidarität“ der Menschheit. Eine Gruppe auf dem Marktplatz von Tapachula verbringt die Zeit auf dem Platz. Ein paar Mitglieder versuchen, ein paar Münzen zu verdienen, in Nacht haben sie kein Dach über dem Kopf. Viele leben zusammengedrängt. Die Lebensbedingungen sind nach vernünftigen menschlichen Vorstellungen des Lebens längst nicht mehr würdig.

Trotz der Politik und der Haltung der aktuellen Regierung des Landes, die Ende 2018 in die Macht kam, sind die Bedingungen für diese meine Brüder und Schwestern noch nicht würdig. Das Problem ist für die Maßnahmen viel zu groß. Es ist nicht unbedingt nötig, dort hin zu fahren, um sich eine gewisse Vorstellung von der Lage machen zu können. Über die Medien gibt es genug Informationen zur Lage auf den verschiedenen Stationen und über die Wege der Migration. Aber wer dahin reisen kann, kann hautnah wahrnehmen, wie es ist, wenn man mit den eigenen emotionalen und materiellen Sachen plus Kindern auf der Landstraße bei 35 Grad läuft. Man kann mitempfinden, welche Gefühle man bekommt, wenn ein Busfahrer anhält und eine Tüte mit Essen abgibt, weil er selbst als Migrant im Norden unterwegs war. Dazu berichtet der Busfahrer, wo die Kontrollen der Polizei sind, ja Kontrollen. 1981 gab es zwei Kontrollstellen auf der Strecke. Aber diese Zahl hat sich in den letzten Jahren auf sieben Stellen erhöht.

Die Kontrollen sind sehr rassistisch konzipiert. Wenn ein Bus kommt, muss er an der Kontrollstelle anhalten und die Kontrolleure steigen in den Bus, laufen durch den engen Gang und schauen sich das Aussehen der Passagiere an. Nach bestimmten geheimen Kriterien werden die Leute ausgewählt, die dann aufgefordert werden, sich zu identifizieren. Wenn die Dokumente für die Identifikation der Person nach den Kriterien der Polizei nicht ausreichten, sollten die Leute die Nationalhymne singen. Wenn die Person lokale Ausdrücke oder Redewendungen als Zufall benutzten, war das der Polizei oft genug Beweis. Die Sprüche hatten mehr Gewicht als die Dokumente.

Die aktuellen Transportmittel der Migration sind Busse, Lkw, kleine Boote und die Füße. Ganz gezielt platzieren verschiedene Transportunternehmen ihre Werbung an bestimmten Mauern in den großen und mittleren Städten. So ein Banner könnte lauten: „Fahr von hier in verschiedene Städte an der Grenze zu den USA“ und manche „bis in die Städte der USA“. Es sind keine Buslinien, sondern „Pauschalreisen“. Die aktuelle Regierung hat seit 2018 eine neue Haltung gegenüber der Migration eingenommen. Diese neue Haltung ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit den USA. Sie basiert sich auf drei Bereichen.

Erstens: Die neue Militärpolizei soll die südliche Grenze Mexikos überwachen. Sie unterstützt die Sicherheitsinstitution „Institut der Migration“, welches unter anderem am Auswärtigen Amt angegliedert ist und zur Kontrolle der Menschenströme eingesetzt wird. Zum Beispiel: 2022 haben 2,5 Millionen Menschen die nördliche Grenze von Mexiko zu den USA erreicht. Das Land dürfen nur die Menschen durchqueren, die sich beim „Institut der Migration“ registrieren. Sie bekommen dafür ein „Humanitäres Visum“. Auf Grund der unsicheren Lage in der Region in und um Mexiko bilden sich jetzt bei der Ankunft und der Durchquerung Mexikos massive Gruppen. Die Menschen nutzen den Schutz der sogenannten „Caravanas“. Die Caravanas werden von der Militärpolizei zugespitzt, damit die Militärpolizei adäquate Maßnahmen unternehmen kann. Gleichzeitig entsteht der Verdacht, dass diese Gruppen aus der Ferne gesteuert werden, zum Beispiel durch politische Kräfte der USA in Zusammenarbeit mit der zivilen Organisation „Pueblos sin Fronteras“ aus Mexiko.

Zweitens: Ein anderes Ziel des dauerhaften Polizeieinsatzes besteht darin, die Menschen im Süden des Landes zu halten. Das ist eine Vereinbarung zwischen Mexiko und den USA.

Drittens: Die Menschen sollen würdiger behandelt werden. Auch dafür werden die humanitären Visa ausgegeben. Das konnte die gewaltigen Auseinandersetzungen mit der Polizei etwas dämpfen. Sie kommen nur noch sporadisch vor. Das Verhalten der Polizist:innen hat sich generell geändert. Sie machen zum Beispiel Routinekontrollen auf dem Marktplatz von Tapachula. Dabei kommen sie mit den Menschen ins Gespräch. Sie fragen, was sie brauchen und geben bei Bedarf Notfallrationen Essen aus.

Viertens: Die Regierung macht große Investitionen im Süden des Landes. Soziale mexikanische Projekte werden in Mexiko sowie Honduras, El Salvador und Guatemala durchgeführt, damit die Menschen aus diesen Regionen dort bleiben. Ein Beispiel ist das Baumpflanzprojekt „Sembrando Vidas“. Diese Aktion wurde grundsätzlich für Mexiko, Guatemala, El Salvador und Honduras konzipiert. Aber viele Menschen kommen aus anderen Regionen der Welt, wie Ecuador, Haiti, Japan, Kongo, Venezuela, Kuba. Trotz der neuen freundlichen Maßnahmen der mexikanischen Regierung haben circa tausend Menschen das Leben verloren, als sie durch Mexiko die nördlichen Länder erreichen wollten. Im Mittelmeer verlieren jährlich über 2500 Menschen ihr Leben, in der Wüste von Nordafrika ist die Summe unbekannt. Die Migrationswege haben viele besonders lebensgefährliche Abschnitte. Weltweit sind in etwa einhundert Millionen Menschen aus verschiedenen schwerwiegenden Gründen unterwegs.

Pedrito ist gerade vier Jahren alt und er wurde auf die andere Seite des Flusses geschickt. Er sollte an der schmalen Kante der Brücke laufen. Seine Eltern, Vater oder Mutter hatten die Hoffnung, dass er von der Grenzpolizei auf der anderen Seite von dem anderen Land gerettet wird. Es wird gesagt, dass die Kinder ein Recht auf Schutz haben, wenn sie ohne gültige Dokumente in einem Land ankommen. Das ist eine rechtlich bindende internationale Vereinbarung. Wenn die Kinder Schutz bekommen, dann haben die Eltern eventuell Anspruch auf Asyl. Aber diese Vereinbarung wird an dieser Grenze nicht oder nicht immer eingehalten. Zuerst sollen die Kinder die Brücke überqueren, manche fallen ins Wasser und verlieren das Leben. Manche schaffen das. Sie werden gerettet, in den Käfig gesteckt oder frei gelassen oder abgeschoben. Viele müssen in den Fabriken Kinderarbeit leisten. Aus der Ferne sind alle Kommentare möglich. Die Tatsache an sich ist ein Rohstoff für die Medienunternehmen, ein zu untersuchendes Phänomen für die Forschung, ein Instrument der Politik und eine Arbeitsquelle für viele Menschen. Viele profitieren von der Situation der Migrant:innen.

Die Migrationszahlen haben sich an der südlichen Grenze Mexikos seit 1985 bis jetzt exponentiell gesteigert. Die entsprechenden Maßnahmen für einen würdigen Aufenthalt in den verschiedenen Transit und Zielländern sind für die Mehrheit der mobilen Bevölkerung einfach nicht vorhanden.

Wenn ein Mensch seine Heimat verlässt und auf der Suche nach einem neuen Zuhause ist, befindet er sich in einer fragilen Lage, proportional zu seiner finanziellen Situation. Zum Beispiel: wer mehr als eine Million Dollar hat, kann fast überall ein neues Zuhause kaufen. Keine Regierung der Welt wird diese Person wie einen Kriminellen behandeln. Es ist sehr schwer zu unterscheiden, ob die Person oder das Geld willkommen ist. Tatsache ist, dass die Länder des selbsternannten Globalen Nordens die Menschen als Migranten oder Flüchtende aus dem globalen Süden nicht mögen. Tief im Inneren der Seele dieser Länder stecken Aporophobie, Rassismus, Diskriminierung und ein kleines bisschen Willkommenskultur (zum Teil wegen der Notwendigkeit neuer frischer Arbeitskräfte).

In der Unterkunft ist es plötzlich unruhig geworden. Die Menschen haben gerade erfahren, dass sie nach Hause abgeschoben werden. Die Enttäuschung und Frustration sind sehr groß. Sie haben die Liegematten an die Metallwand gestellt, damit die Sicherheitskräfte kein Blick in das Innere des Raums haben. Diese Menschen wurden in diese Räume gebracht, als wären sie gefährliche Kriminelle. Kein Mensch läuft eine Strecke mit den gefährlichsten Lebensrisiken, damit er am Ende keinen Schutz bekommt und in einem Flugzeug die gleiche Strecke zurückfliegen muss.

Es ist sehr schwer erklärbar, warum diese Menschen in geschlossenen Räumen waren. Es war am 27. März 2023 in Ciudad Juarez, als sie die Matratzen angezündet haben, das Feuer hat sich verbreitet und die Sicherheitskräfte und die für diese Unterkunft zuständigen Personen sind einfach gegangen. Die Tür der Räume wurde nicht geöffnet. „Nicht aufmachen, nicht aufmachen“ hat der Leiter der Unterkunft mehrmals gesagt. Der Leiter war ein Exmilitär und die Befehle aus dem militärischen Umfeld werden gehorsam befolgt. Das Feuer hat sich schnell verbreitet und die Menschen im geschlossenen Raum haben ihr Leben verloren. Das Geschrei hat sich mit dem Feuer verschmolzen. Der Tod hat die Wege der Migranten gefunden. Mindestens 39 Personen haben das Leben verloren und andere haben ihr Leben mit Verletzungen gerettet. Laut der mexikanischen Regierung war das nicht das erste Mal, aber dieses Mal wurde die Aufmerksamkeit der Presse erregt. Unabhängig von der Ausnutzung der Tragödie seitens der Presse und der Politik, ist es sehr bedauerlich, dass die Menschen auf diese Art behandelt werden.

Es ist eine riesige Schande, dass die Menschen in einer so fragilen Situation nicht einmal den geringsten Schutz bekommen. Die Bundesregierung Mexikos präsentiert sich humanistisch. Diese Regierung hat die Wahrung der Menschenrechte zur höchsten Priorität erklärt, obwohl die Realität hier das Gegenteil bedeutet. Das Rad hat sich gedreht und wer für den Fall der 39 Toten verantwortlich ist, muss vor Gericht gebracht werden. Die Maßnahmen für einen würdigen Aufenthalt aller Migranten müssen überprüft und geändert werden, damit die Menschen ihre Aufenthaltszeit in Mexiko unter besseren Bedingungen verbringen können. Die Mobilität der Menschen zwingt uns dazu, die Qualität unserer Menschlichkeit erneut zu prüfen. Die humanitäre Katastrophe ist aufgeteilt. Ein Teil liegt bei den Migranten. Was die mobile Menschheit und die Auswanderer erleben, ist für einen Teil der Bevölkerung oft unfassbar. Ein anderer Teil dieser humanitäre Katastrophe liegt in den Händen der regierenden Personen dieser Welt. Ein weiterer Teil ist bei den finanziell privilegierten Gesellschaftsklassen der Welt zu verorten. Wenn es keine bessere Verteilung des Reichtums und eine qualitative Bildung auf der Welt gibt, wird ein großer Teil der Menschheit seine Heimat verlassen müssen.

 


 

Danksagung: CB

Bildquelle: [1-5] Quetzal-Redaktion, gelher

 

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