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Deutsche Pressestimmen zur Andenkrise

Kristin Seffer | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten
Deutsche Pressestimmen zur Andenkrise (117 Downloads )

Die „taz“ (01.03.2008) bezeichnete es als paradox, dass der venezolanische Präsident Hugo Chávez Ende Februar die Freilassung von vier entführten Politikern aus den Händen der kolumbianschen Guerrilla FARC erreichte, ohne Gegenleistungen dafür zu erbringen. Sein Amtskollege in Kolumbien, Álvaro Uribe, hatte ihm bereits vor Monaten das Verhandlungsmandat in der kolumbianischen Geiselaffäre entzogen. Zwar gebe es keine Beweise dafür, dass Chavez die FARC unterstütze, doch sei nicht zu übersehen, dass die Regierung in Caracas der Guerilla inhaltlich näher stehe als dem US-freundlichen Uribe. Auf der anderen Seite seien kolumbianische Paramilitärs bewaffnet in Venezuela aktiv. Seit 2000 sollen etwa 200 venezolanische Kleinbauern im Auftrag einheimischer Großgrundbesitzer durch – häufig kolumbianische – Todesschwadronen getötet worden sein. Auch der kolumbianische Präsident ist in Skandale um Paramilitärs verwickelt. So sitzen einige Abgeordnete der Regierungskoalition wegen Verbindungen zu den AUC (Autodefensas Unidas de Colonmbia – Vereinigte Bürgerwehren Kolumbiens) im Gefängnis. Es werde zudem erneut über Uribes Kontakte zum Medellín-Kartell gesprochen. Er soll als Chef der Luftfahrtbehörde für die Legalisierung von Drogenflugzeugen und Flugpisten gesorgt haben. Dadurch sei der außenpolitische Konflikt ein willkommenes Mittel, um den Druck auf die eigene Person zu verringern.

Für die „Junge Welt“ (05.03.2008) ging es bei der Intervention Kolumbiens nicht nur um eine Sabotage der Politik des Dialogs mit kolumbianischen Rebellen. Der Angriff sei vor allem ein Testlauf für künftige Aggressionen des US-verbündeten Landes gegen die linksregierenden Staaten Südamerikas gewesen. Weiter befürchtet das Blatt, dass, wenn diesem Vorgehen nicht umgehend Einhalt geboten werde, die Frage nicht mehr sei, ob Kolumbien einen Krieg gegen seine Nachbarn eröffne, sonder wann.

Die „Zeit“ (07.03.2008) macht innenpolitische Ablenkungsmanöver für das Vorgehen Kolumbiens, Ecuadors und Venezuela verantworlich. So versuche Uribe eine Verfassungsänderung durchsetzen, die ihm eine dritte Amtszeit erlaubt. Da ihm bereits hoch angerechnet werde, die Straßen von Guerrillaübergriffen weitestgehend befreit zuhaben, dürfte er derzeit Wahlen spielend gewinnen. Auch dem ecuadorianischen Präsidenten Correa könnte der Konflikt hilfreich sein, da auch er erneut sein Amt bestätigen lassen will und dafür die Verfassung ändern muss. Hugo Chávez leidet seit der Niederlage in einem Referendum im Dezember an schlechten Umfragewerten. Es sähe also eher so aus, als ob die Mobilisierung von hausgemachten Problemen ablenken solle. In Venezuela gebe es Milch und Eier oft monatelang nicht. Produzenten wehren sich dagegen ihre Produkte zu staatlich festgesetzten Preisen zu verkaufen. Damit bringe auch die Drohung Chávez, den Handel mit Kolumbien einzustellen und die Grenzen zum Nachbarland zu schließen, nur Nachteile. Die Versorgungsengpässe könnten sich dadurch noch verschärfen. Den Meinungswerten Chávez’s wäre das weniger zuträglich.

Weiter merkt die „Zeit“ zu den gleichzeigen Freilassungen von vier Touristen durch die FARC an, dass dies niemanden mehr in Kolumbien beeindrucke. Nach dem erfolgreichen Millitärschlag gegen ein Camp der FARC werde Uribe künftig verstärkt auf diese Vorgehensweise setzen und kaum noch Verhandlungen führen. Verlierer bei diesem Konflikt seien vor allem die Geiseln.

Bezüglich des Treffens der Rio-Gruppe am 08. März 2008 schreibt die „taz“ (09.03.08), dass in Lateinamerika die Bush-Doktrin der Präventivkriege gegen denTerrorismus noch nie überzeugt habe. Stattdessen setze die Region verstärkt auf Multilateralismus. Außerdem habe für die Staaten die Unverletztlichkeit der Grenzen oberste Priorität. Lateinamerika müsse vor allem den Frieden regionalisieren und diplomatische Beziehungen vertiefen. Brasilien sollte dabei eine Art Führungsrolle übernehmen. Der venezolanische Präsident könnte in der Vermittlung mit der FARC um die Freilassung von Geiseln eine Schlüsselrolle spielen. Würde ihm darüber die Aufnahme von Friedensgesprächen gelingen, könnte sich auch sein kolumbianischer Amtskollege einer Verhandlunslösung nicht verschließen.

Die „Junge Welt“ (11.03.2008) schreibt zum Treffen der Rio –Gruppe, dass der diplomatische Erfolg von Ecuador und Venezuela darin bestehe, die diplomatische Autorität Lateinamerikas gegen die „neokoloniale Dominanz“ Washingtons gestärkt zu haben. Hugo Chávez hätte damit seine Strategie verfolgt, der neuen Linken mehr Handlungsfreiheiten zu verschaffen. Nun werde nach der erweiterten finanziellen Autonomie auch die politische Autonomie gefördert.

Das Problem des kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe sei es, in erster Linie ein Vertreter der kolumbianischen Oligarchie zu sein. Aus den über mehrere Jahrzehnte andauernden Bemühungen dieser Oligarchie, einen sozialen Wandel zu unterdrücken, war die FARC-Guerilla hervorgegangen. Auch wenn der letzte Angriff den FARC galt, müsse jeder Akteur, der sich für eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse einsetze, Aggressionen befürchten.

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