Interessante Bilanz und fehlende Fragen
Laura Castellanos erliegt ihrer eigenen Vorstellung von Subcomandante Marcos
Es ist gewissermaßen logisch, dass die Linke zu ihren Idolen, ihren Vordenkern und Vorbildern ein eher zwiespältiges Verhältnis hat. Wer für die Befreiung des Menschen aus den Zwängen der Fremdbestimmung durch das Kapital kämpft, der will nicht blind einer – wenn auch linken – Führerfigur folgen. Dennoch sind Vorbilder wichtig, wie nicht nur das scheinbar zeitlose Bild Che Guevaras zeigt, das Generationen von Linken auf Demonstrationen begleitet. Einer, um den es derzeit stiller geworden ist, eignet sich heute aber wie kaum ein anderer als Vorbild und Leitfigur: Subcomandante Insurgente Marcos.
Seit 15 Jahren ist der „Sub“ Sprecher der Zapatisten in Chiapas. Ihm nimmt man ab, dass er der Maxime seiner Bewegung folgt, ein Anführer müsse gehorchend befehlen. Dies wird auch im gerade erschienen neuen Buch „Kassensturz“ deutlich, einer Zusammenstellung zweier Interviews, die die mexikanische Journalistin Laura Castellanos vor gut einem Jahr mit Marcos in Mexiko-Stadt und Chiapas geführt hat. Wobei man in diesem Fall mit der Bezeichnung Interview ein wenig vorsichtig sein sollte. Schließlich wirkt die Fragestellerin im Gespräch, das sie mit allen Kassettenwechseln und sonstigen nebensächlichen Begebenheiten schildert, oft nur als Stichwortgeberin. Castellanos ist Fan. Fan von Marcos, seinen Ideen und zeigt dies oft überdeutlich. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn sie dabei nicht das hintergründige und zuweilen kritische Nachfragen vergessen würde. Das ist ärgerlich, bot sich ihr bei der reichhaltigen Interviewzeit, die zur Verfügung stand, doch eine gute Möglichkeit, tiefer in die Materie einzudringen. Stattdessen kümmert sie sich lieber um die Frage, wie man sich als Revolutionär unter der Skimütze fühlt („ich werde nie mehr einen Aufstand mit einer Sturmmütze machen“), ob Marcos liiert ist (offenbar nicht) oder fragt ihn nach seiner Meinung zu Angelina Jolie. Solche Fragen sind nebensächlich. Vor allem dann, wenn es um eines der interessantesten Projekte des Widerstands gegen den Neoliberalismus geht. Glücklicherweise findet Marcos immer noch genügend Zeit, sich dazu zu äußern.
Die Bilanz, die er nach mehr als einem Jahrzehnt Kampf zieht ist zwiespältig. Denn während auf der einen Seite weiter der Staat eine ständige Bedrohung darstellt, haben die autonomen indigenen Gemeinschaften viele Fortschritte zu verzeichnen und einen neuen Menschenschlag hervorgebracht – vielleicht ist das ihr größter Verdienst. „Zu sagen ,Wir nehmen es in die eigenen Hände‘ ist ein ganz wesentlicher Fortschritt“, sagt Marcos. Die Menschen warten nicht mehr auf den Staat, von dem sowieso nichts zu erwarten sei. So habe sich in den vergangenen Jahren viel getan. „Wenn wir die Entwicklung der letzten vier Jahre zusammen fassen wollen, können wir sagen, dass sie sich durch die reale Ausübung der Autonomie ausgezeichnet haben, ohne jeglichen Paternalismus, nicht einmal des EZLN. Es ist ein vollständig interner und ureigenster Prozess gewesen. Wir haben uns da nicht eingemischt, höchstens, um daraus zu lernen.“
Während die Gemeinschaften in den autonomen Gemeinden die fünf „Räte der guten Regierung“ aufbauten, die im ständigen personellen Wechsel die Arbeit der Basis koordinieren und leiten, suchten Marcos und der EZLN nach neuen Bündnispartnern. Natürlich nicht bei Andrés Manuel López Obrador, dem unterlegenen Präsidentschaftskandidaten des Jahres 2006 und auch nicht bei seiner Partei PRD. Sondern an der Basis. Mit der „Anderen Kampagne“ bereisten die Zapatisten ganz Mexiko, trafen sich mit den Protagonisten der sozialen Bewegungen und können nun konstatieren: „Wir stehen nicht mehr allein mit unseren Bemühungen, eine andere Politik zu machen. Zum ersten Mal kann sich der EZLN ernsthaft die Frage des nationalen Kampfes stellen, ohne dass dies eine reine Absichtserklärung wäre. Es ist das erste Mal seit unserer Entstehung vor 24 Jahren. Heute ist der nationale Kampf eine reale Möglichkeit.“
Wie aber sieht denn genau der Schritt von der Vernetzung hin zu einer wirklich neuen Politik für Mexiko aus? Welche Gestalt hat dann die „antikapitalistische-linke nationale Bewegung“, die gegebenenfalls, so Marcos, die „Möglichkeit zu einem Ausstand eröffnet“? Marcos sagt nur, sie solle keine politische Bewegung mit der EZLN an der Spitze sein. Wäre es nicht vielleicht doch sinnvoll, mit Regierungen wie der von Hugo Chávez oder der von Evo Morales zusammenzuarbeiten, zu denen Marcos sich hier erstmals – wenn auch sehr vorsichtig – positiv äußert? Dies sind nur drei von einigen Fragen, die offen bleiben. Das ist schade und es wäre sicher vermeidbar gewesen, wäre nicht Laura Castellanos in Gegenwart des „Sub“ in Ehrfurcht erstarrt.
Gut ist, dass der deutschen Ausgabe noch die sechste Erklärung aus dem lakandonischen Urwald beigegeben ist. Die vielen Fotos, in denen im Übrigen die Ambivalenz des Guerilla-Führers Marcos, der eigentlich keiner sein will, gut dokumentiert wird, runden das Buch ab. Sie zeugen davon, dass das ganze Projekt ursprünglich für die kolumbianische Zeitschrift „Gatopardo“ unternommen wurde. Ein Umstand, der auch nicht davon ablenken sollte, dass die verantwortliche Journalistin ihre Arbeit besser hätte machen können – trotz der guten Verkaufszahlen des Blattes mit Marcos auf dem Titel.
Subcomandante Marcos (Interviews mit Laura Castellanos): Kassensturz, aus dem Spanischen von Horst Rosenberger, Edition Nautilus, Hamburg 2009, ISBN 978-3-89401-590-9, 13,90 Euro.