Quetzal Vogel
News Icon
Quetzal

Politik und Kultur in Lateinamerika

Template: single_normal
Artikel

Jodos, Ernesto: Durmientes

Gonzalo Compañy | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Durmientes, das neue Album des argentinischen Pianisten Ernesto Jodos (1973*), ist das Ergebnis einer Live-Aufnahme im Centro Cultural Borges in Buenos Aires im vergangenen Jahr. Dabei handelt es sich um ein solo piano Album, ein Format, auf das Jodos, berücksichtigt man seine Diskografie, alle zehn Jahre zurückgreift (Solo, 2004 und Actividades constructivas, 2014). Dieses Album besteht aus sieben Titeln, von denen drei aus Jodos‘ Feder stammen. Sie wechseln sich mit Werken von anderen, vom Pianisten verehrten Komponisten wie Ornette Coleman, Charlie Haden, Thelonious Monk, Bud Powell und Enrique Norris ab. Die Möglichkeit, das Konzert aufzeichnen zu können, führte zur Erstellung des Repertoires im Hinblick auf die Veröffentlichung als Album. In diesem Zusammenhang beschloss der Autor hauptsächlich bisher nicht aufgenommene Stücke beziehungsweise Versionen in einer alternativen Besetzung in das Programm einzubeziehen.

Das Werk beginnt mit der Eigenkomposition „Li#2“, einem Stück, das dem Albumsauftakt eine gewisse Melancholie beziehungsweise einen Erinnerungseffekt verleiht. Es folgt „Round Trip“, eine unverzichtbare Version des Coleman-Klassikers, die eher selten am Soloklavier interpretiert wird. In „Mi diez“ (Jodos) führt eine harmonische Progression zu einem Ostinato in der linken Hand, über das eine Improvisation im Diskantbereich erzeugt wird. „For Monk and Powell“, der Titel der persönlichen Hommage an Thelonious Monk und Bud Powell, ist ein über 15-minütiges Medley, bestehend aus „Monk’s mood“ und „Off Minor“ (Monk) und „I’ll keep loving you“ und „Oblivion“ (Powell). Darauf folgt „For Turiya“, ein Stück vom Kontrabassisten Charlie Haden (1937–2014), welches der Pianistin und Harfenistin Alice Coltrane (1937–2007) gewidmet ist. Das wird besonders sinnvoll, wenn Jodos durch eine Abfolge von Arpeggios meisterhaft einen Klang erzeugt, der an das Seiteninstrument erinnert, mit welchem dieses Werk im Hadens Closeness (1976) uraufgeführt wurde – dem Album mit Duetten mit Coltrane an der Harfe (samt Keith Jarrett, Paul Motian und Ornette Coleman). Dieses Stück, das ein Novum im Jodos Repertoire darstellt, bietet eine durchaus gelungene Version für das Tasteninstrument. Der vorletzte Titel, „Perspectiva“, ist Jodos‘ dritte Komposition. Diese wurde, im Gegensatz zu den beiden anderen, bereits aufgenommen – und zwar auf der zuvor erwähnten Platte Actividades constructivas. Es sei darauf hingewiesen, dass sich die beiden Fassungen im Wesentlichen nicht unterscheiden. Das Stück beginnt mit einem etwas gefühlvollen Thema, das im Laufe der Takte an Intensität gewinnt – was an die kompositorische und interpretatorische Art eines anderen zeitgenössischen Pianisten, Brad Mehldaus (1970*), erinnert. Den Abschluss bildet „Gotas arrítmicas“, eine weitere Hommage des Klavierspielers, diesmal an Enrique Norris (1957–2022), den kurz vor dem Konzert verstorbenen Kornettisten, Pianisten, Improvisator, Komponisten und Dozent. Norris hatte Jodos‘ musikalische Ensembles gebildet, darunter dasjenige, welches das exquisite Album Sexteto (2000) aufnahm. Eine weitere Fassung vom Norris‘ Stück, wenn auch im Trio-Format, erschien 2020 im ersten Teil von Jodos‘ Earlier Trips, das frühere Aufnahmen des argentinischen Musikers in New York enthält. Wie der Name verrät – etwa „arrhythmische Tropfen“ –, setzt dieses Werk auf Dissonanzen, schnelle und abgehackte Akkorde, die den Raum für Improvisationen schaffen – eine Gelegenheit, die Jodos mit großem Geschick nutzt.

Jodos, der bei Meistern wie u. a. Gustavo Moretto, Edgardo Beilin und Claudio Espector lernte (zusätzlich zu seiner Studienzeit am Berklee College of Music in Boston), ist der Schöpfer von mehr als 20 Alben, die mit unterschiedlichen Besetzungen aufgenommen wurden. Dazu gehören neben Soloklavierwerken auch verschiedene Duos (mit Gitarre: Long ago, 2000; La Palabra, 2009; mit zwei Klavieren: De/Generaciones, 2006), Trios (A pesar del diablo, 1997; Apenas las doce, 2003), Quartette (La mirada detenida, 2019), Quintette (El jardín seco, 2008; Donde el mundo ocurre, 2022) und Sextette (Sexteto, 2000). Wie der Musiker erläuterte, sei dies auf seine Vorliebe zurückzuführen, sich in „unbequeme“ Situationen zu begeben. Dies bezieht sich nicht nur auf die Möglichkeit, unkonventionelle Besetzungen (u. a. in Bezug auf den Klang) zu schaffen, sondern auch auf die zusätzliche Motivation, die durch die „Verpflichtung“ entsteht, eher bekannte Stücke auf kreative Art und Weise interpretieren zu müssen – ohne dabei an Authentizität einzubüßen.

Von der argentinischen Fachpresse als „bestes Jazzalbum 2023“ ausgezeichnet, ist Durmientes, kurz gesagt, ein Album, auf dem Ernesto Jodos ohne Umschweife einmal mehr seine musikalische Sensibilität und Fusion mit dem Klavier, seine Originalität als Komponist und Interpret unter Beweis stellt – Dinge, die ihn zu einem der einflussreichsten und produktivsten Jazzpianisten der zeitgenössischen Musik machen.

 

Ernesto Jodos

Durmientes

BlueArt, 2023

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert