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Politik und Kultur in Lateinamerika

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El Primer Hospital Garifuna
Das erste Krankenhaus der Garifuna

Alexander Brajer | | Artikel drucken
Lesedauer: 12 Minuten

Honduras: Das erste Krankenhaus der Garifuna - Foto: Quetzal-Redaktion, Axel AnlaufZu Beginn diesen Jahres befand ich mich für drei Monate in Zentralamerika. Meine Reise diente vor allem der Kontaktpflege mit Projekten, die sich im solidarischen Austausch mit dem Transgalaxia e.V. befinden. Ein Krankenhaus in Honduras war eines dieser Reiseziele.

Das erste Krankenhaus der Garifuna in Honduras ging aus einer kommunalen Initiative hervor, die dem Schutz der Gesundheit der indigenen Völker dienen soll. Es entstand in der Gemeinde von Ciriboya, im schwer zugänglichen Nordosten des Landes. Eine Region in der nie eine adäquate medizinische Grundversorgung existierte. Seit 2007 gab es hier mehr als eine halbe Million kostenlose Konsultationen. Alle Beteiligten kämpfen für die Realisierung einer Vision, die Gesundheit als fundamentales menschliches Grundrecht betrachtet.

Entlang der östlichen Atlantikküste von Honduras, zwischen Sambo Creek und Sangrelaya, sind in den letzten 200 Jahren viele Dörfer der Garifuna entstanden. An der Erforschung der Ethnogenese haben sich schon Legionen von WissenschaftlerInnen versucht, und es gibt immer noch viele ungeklärte Fragen und Ungereimtheiten über Sprache und Kultur der Garifuna. Ihre Geschichte ist durch den ewigen Kampf gegen Unterwerfung und Versklavung beschrieben, und die eigenen Mythen und Sagen werden zwischen den Generationen durch Erzählungen weitergegeben. Heutzutage hat diese Volksgruppe etwa 400.000 Angehörige im karibischen Raum von Zentralamerika und in den USA.

Die Belange dieser ethnischen Minderheit werden von der durch ladinos[1] geprägten Gesellschaft in Honduras kaum wahrgenommen. Infrastrukturmaßnahmen gelangen fast nie in die abgelegenen Dörfer, es gibt zu wenig öffentliche Schulen, und eine medizinische Grundversorgung wird von staatlicher Seite schon gar nicht gewährleistet. Die Angehörigen dieser Ethnie sprechen selbst davon, ein vergessenes Volk in einer abgeschiedenen Gegend zu sein.

Auf dem Weg an die Miskitoküste von Honduras verlässt man kurz nach der Stadt Tocoa das letzte Stück asphaltierter Straße und wechselt auf eine mit Schlaglöchern übersäte und aus  Regenfurchen bestehende Piste. Von hier aus sind es nur noch 80 Kilometer bis nach Ciriboya. Für diese Strecke werden Dr. Melvin und ich wahrscheinlich vier bis fünf Stunden benötigen. Nach dem Dörfchen Vallecito haben die Überlandstromleitungen ihr Ende gefunden, und die Landschaft wird zunehmend durch riesige Palmenplantagen verschandelt. Die Zeiten der United Fruit Company sind hier schon längst Vergangenheit, und die Palmölindustrie formt dieses Stückchen Erde nach ihrem eigenem Ermessen. Während der Busfahrt kommen wir an ausgedehnten karibischen Stränden vorbei, und erste Eindrücke von Garifuna-Gemeinden wirken auf mich ein. In Punta Piedra verspricht mir Dr. Melvin, dass wir in einer Stunde in Ciriboya ankommen werden. Ciriboya ist ein kleines Dorf mit ungefähr 700 Garifuna, welches im Gemeindebezirk von Iriona gelegen ist. Laut offiziellen Statistiken leben hier 32.000 Menschen. Bei der Bevölkerung handelt es sich zum größten Teil um Angehörige der Garifuna und der ladino. Nur ein kleiner Teil gehört zu den Ethnien der Miskito und der Pech.

Dr. Melvin hat mit einem Stipendium an der ELAM (Escuela Latinoamericana de Medicina) in Havanna studiert. Er ist selbst in Ciriboya aufgewachsen und kennt die Geschichte des ersten „Garifuna – Krankenhauses“ seit der Entstehung der Brigadas Estudantiles por la Salud (dt.: Studentische Brigaden für die Gesundheit). Bei einem ersten Gespräch im Krankenhaus erinnert er sich an die Anfänge dieser Initiative:

„Die studentischen Brigaden entstanden aus einer Initiative der ersten compañeros, welche Medizin in Kuba studierten. Dr. Luther Castillo initiierte dieses Projekt im Jahr 2001 in Havanna. Zu dieser Zeit begannen die compas in ihrer Ferienzeit mit einer Art Freiwilligenarbeit in Honduras. Diese Arbeit sollte den hier lebenden Menschen eine medizinische Grundversorgung geben. Damals gab es in dieser Gegend weder ein Krankenhaus noch einen einfachen Gesundheitsposten, und die Menschen waren mindestens fünf Stunden unterwegs, um sich von einem Arzt behandeln zu lassen. In den letzten Jahren gingen regelmäßig Studierende nach Kuba, und diese gaben den studentischen Brigaden eine Kontinuität. Bis heute fühlen sich die Garifuna an der ELAM verantwortlich für diese Freiwilligenarbeit. Graduierte StudentInnen geben diese Verantwortung an die neuen weiter, und die Brigaden wurden zu einem Selbstläufer.“

Während dieser Zeit erkannte Dr. Luther Castillo, dass es auch in Zukunft keine staatliche Unterstützung für ein Gesundheitssystem in dieser Region geben wird und suchte internationale Unterstützung. Bei einem Aufenthalt auf Kuba stellte er Kontakt zu einer kalifornischen Organisation her. In den folgenden Jahren intensivierten sich die Kontakte, und CHIMES (California Honduras Institute for Medical and Education Support) wurde zum wichtigsten Projektpartner. Die KalifornierInnen sammelten Geld über einen Spendenaufruf und stifteten 50.000 US-Dollar, um Material für den Bau eines Krankenhauses in Ciriboya zu beschaffen. Mit dieser Spende war es möglich, den Traum eines eigenen Krankenhauses in die Realität umzusetzen.

Mirna Ruiz ist ebenfalls in Ciriboya geboren. Die 45-jährige Frau mit kräftigen Oberarmen und rauen Händen erwirtschaftet ein kleines Einkommen mit der harten Arbeit des Anbaus von Yucca. Sie ist außerdem stellvertretende Vorsitzende des Komitees des Krankenhauses und berichtet über die ersten Tage des Projektes:

„Die Anfänge des Krankenhauses starteten mit  gemeinsamen Treffen der comunidad. In einem dieser Treffen reichte Dr. Luther Castillo einen Vorschlag in die Versammlung ein, ein Vorschlag und ein Konzept zum Bau eines Krankenhauses. Die Versammlung war sich einig und akzeptierte den Vorschlag. Wir trafen eine gemeinsame Vereinbarung, und die Gemeinden Cusuna und Ciriboya übernahmen nun die Verantwortung für den Bau des Krankenhauses. Seitdem arbeiteten wir, Kinder und Erwachsene, vereint an unserem Krankenhaus. Wir bildeten sieben Gruppen und arbeiteten von nun an in Schichten. Es war wirklich eine sehr harte Arbeit…!“

Neben dem Bau des Krankenhauses durch die Gemeinschaft gründeten die ÄrztInnen und StudentInnen eine Stiftung mit dem Namen Luagu Hatuadi Wadunu. In der Sprache der Garifuna bedeutet das: „Stiftung für die Gesundheit unserer Gemeinden“. Dr. Baison, welcher seit einem Jahr hier arbeitet, erläutert die Absichten und Ziele dieser Stiftung:

„Die Stiftung war ebenfalls eine Initiative derselben compañeros, die zugleich mit der Arbeit der studentischen Brigaden anfingen. Die Brigaden waren für die Gründung der Stiftung eine Art Meilenstein, und die Arbeit der Stiftung sollte nun über das Schaffen der Brigaden hinausgehen. Zu Beginn der studentischen Freiwilligenarbeit entwickelten wir die Vorstellung, mehrere Gesundheitszentren in Honduras zu schaffen, welche für die Bevölkerung gratis sein sollten. Die Aufgabe der Stiftung bestand darin, die administrativen Aufgaben und die Spendenabwicklung zu übernehmen. Mit anderen Worten ist die Stiftung das koordinierende Zentrum der studentischen Brigaden und des Krankenhauses. Darüber hinaus verfolgen wir mit der Stiftung den Aufbau von zehn weiteren Modellkrankenhäusern im ganzen Land. Das Krankenhaus in Ciriboya ist nun das erste unabhängige Krankenhaus in ganz Honduras, welches mit Hilfe der gemeinschaftlichen Arbeit der Dörfer und der Unterstützung von einigen internationalen Organisationen gebaut wurde. Dieses Modellprojekt soll auf andere Gemeinden in Honduras übertragen werden. Das ist unser Traum und unsere Vision!“

Honduras: Das erste Krankenhaus der Garifuna - Foto: Quetzal-Redaktion, Axel AnlaufDie Krankenschwestern, ÄrztInnen und die Gemeinschaft von Ciriboya sind sehr stolz auf ihr unabhängiges Krankenhaus. Sie wissen aber auch, dass es an vielen grundlegenden Dingen mangelt und dass die Unterhaltung eines Krankenhauses zu den strukturellen Aufgaben des Staates gehört. Bis heute gibt es in Ciriboya keine Elektrifizierung, und die aktuelle Regierung wendet sich im Gegensatz zum gestürzten Ex-Präsidenten Manuel Zelaya erneut von dieser vergessenen Region ab. Aus diesem Grund beschreibt Dr. Melvin die weiteren Pläne des Krankenhauses:

„Ein Ziel des Krankenhauses ist es, dass der honduranische Staat sich unseres Projektes annimmt und dieses unterstützt. Bis jetzt ist dies leider nicht geschehen. Ein Krankenhaus muss unterhalten und gewartet werden, es benötigt regelmäßige Lieferungen an Medikamenten, es braucht viele verschiedene Hilfen. Krankenschwestern, Ärzte und das restliche Personal benötigen natürlich auch ein regelmäßiges Einkommen. Das Krankenhaus befindet sich nicht innerhalb der staatlichen Verwaltung, und deswegen sind wir auf internationale Hilfe angewiesen. Leider kommt diese Unterstützung nicht regelmäßig und es gibt Phasen, in denen wir keine Medikamente haben. Deswegen hoffen wir, dass der Staat Honduras unser Krankenhaus irgendwann als Teil seines Gesundheitssystems wahrnimmt!“

Einen Großteil der Unterstützung bezieht das Krankenhaus von Nichtregierungsorganisationen aus den USA und aus Spanien. Diese spenden unregelmäßig Medikamente und versuchen Patenschaften für Ärzte und Krankenschwestern zu übernehmen. Dies gelingt nur ansatzweise, und das Hospital sieht sich permanent mit einer prekären Finanzsituation konfrontiert. Auf der einen Seite betonen die ÄrztInnen stolz ihre Unabhängigkeit, andererseits wissen sie aber genau, dass sie auf staatliche und internationale Kontakte angewiesen sind. Dr. Baison versucht das entwicklungspolitische Dilemma des Krankenhauses zu erörtern:

„Derzeit arbeiten wir autonom, und wir sind abhängig von niemanden. Seit einiger Zeit haben wir eine Homepage, und diese soll dazu dienen, internationale Hilfe zu suchen. Wir streben es nicht an, dass der Staat der ausschließliche Unterstützer unseres Projektes ist. Damit würden wir das Hauptziel unseres Projektes verfehlen, welches die kostenlose medizinische Betreuung für alle fordert. Mit dem Staat möchten wir lediglich eine Allianz eingehen, eine Allianz, von der wir in einigen Bereichen, vor allem im Bereich der Medikamente und der Personalkosten, regelmäßige Unterstützung bekommen. Natürlich lehnen wir eine internationale Hilfe nicht ab. Im Gegenteil, wir wollen unsere internationalen Allianzen ausbauen. Weil wir an diese Projekt glauben! So ist es also eine Notwendigkeit, internationale Verbindungen zu haben, denn der Bau des Krankenhauses ist noch lange nicht beendet. Der weitere Ausbau und die Aufstockung mit notwendigem Equipment ist ein großer Traum von uns: Dieser ist noch weit entfernt, aber wir glauben daran, wir glauben an eine bessere medizinische Betreuung in dieser Region!“

An dieser Stelle ergänzt Dr. Melvin und spricht über eine ganz wesentliche Unterstützung: „Eine sehr wichtige Hilfe für unsere Arbeit ist die Unterstützung aus Kuba. Kuba entsendet weltweit Ärztebrigaden, um die Gesundheitssysteme vieler verschiedener Länder zu verbessern. Diese Ärzte und SpezialistenInnen kommen auch nach Ciriboya. Sie bleiben hier für zwei Jahre und kehren dann zurück zu ihren Familien in Kuba. Während dieser Zeit unterstützen uns die kubanischen compañeros bei unserer Arbeit hier in Ciriboya.“

Die ÄrztInnen in Ciriboya arbeiten interdisziplinär, denn die PatientInnen gehen nicht nur mit Krankheiten oder Schmerzen zur Sprechstunde. BewohnerInnen von dort und aus den umliegenden Gemeinden kommen mit ihren sozialen und familiären Problemen. Hier gibt es keine PsychologInnen oder SozialarbeiterInnen, und die ÄrztInnen sehen sich mit einem weitaus komplexeren Aufgabenfeld konfrontiert.

Als Arzt weiß Dr. Melvin genau, dass „… der Mensch ein `Bio-Psycho-Sozial-Spiritual-Wesen` ist. Diese Merkmale eines Menschen sollten sich miteinander im Gleichgewicht befinden. All diese Komponenten befinden sich in einem Zusammenspiel, und der Mensch muss als hochkomplexes System gesehen werden. Der soziale und auch psychologische Zustand eines Menschen bedingt auch ganz klar sein gesundheitliches Befinden. Stress wirkt sich z.B. immer sehr negativ auf die Psyche und den Zustand des Menschen aus, und das Leben in unserer Gesellschaft hat viele Wirkungen auf die Gesundheit. Familiäre Probleme, Alkoholismus, all dies sind Probleme, die am Ende das menschliche Gleichgewicht ins Wanken bringen.“

Trotz der komplexen Herausforderung, der infrastrukturellen Situation und den Problemen, die die Betreibung eines Krankenhauses in dieser Region mitbringen, geht Dr. Baison jeden Tag aufs Neue mit einer speziellen Motivation zu seiner Sprechstunde. Da er selbst nur fünf Minuten vom Krankenhaus entfernt lebt, steht er wie auch all die anderen ÄrztInnen,  den hier lebenden Menschen jeden Tag 24 Stunden zur Verfügung:

„Für mich ist es sehr motivierend, meine Sprechstunde in meiner eigenen Sprache Garifuna zu geben. Ich kann meine Großeltern, meine Onkels, meine eigene Familie behandeln. Teilweise reden die Menschen hier kein Spanisch. Ich kann mit diesen Menschen arbeiten, kann sie weiterbilden und kann ihnen bezüglich ihrer Gesundheit Dinge bewusst machen. Natürlich weiß ich, dass ich den Lebensstil eines Menschen, vor allem unter den hiesigen Bedingungen, nicht so einfach ändern kann. Aber ich kann ihm wenigstens Möglichkeiten und Alternativen näher bringen. Wir erleben hier viele schöne Momente und bekommen viel Liebe von unseren PatientInnen. Eine weitere wichtige Sache ist die Befriedigung, die man bekommt, wenn man einem Patienten helfen konnte. In unserem Krankenhaus sind schon viele schlimme Fälle behandelt worden. Wir konnten Menschen das Leben retten. Dies ist ein gutes Gefühl, vor allem in einer Region, in der es vorher keine medizinische Versorgung gab.“

Das Krankenhaus und die Arbeit der studentischen Brigaden hat in dieser Region zu vielen Verbesserungen im Gesundheitsbereich geführt. Die Kinder- und Müttersterblichkeitsrate wurde entscheidend gesenkt, und die ÄrztInnen beraten präventiv die Bevölkerung zu Themen der Hygiene, des Sexualverhaltens und der Ernährung. Damit diese Arbeit auch in Zukunft fortgesetzt werden kann, benötigt das Hospital Garifuna auch weiterhin Unterstützung. Wegen des fehlenden Bewusstseins und der schwierigen politischen Situation in Honduras kann das Projekt der Garifuna-ÄrztInnen wahrscheinlich auch in der Zukunft nicht viel Hilfe vom Staat erwarten. Damit bleibt das Krankenhaus von der internationalen Entwicklungszusammenarbeit abhängig. Während meines Aufenthaltes in Ciriboya lernte ich schnell einen sehr selbstbewussten Umgang mit dieser Abhängigkeit kennen, der auch in den Worten von Dr. Baison seinen Ausdruck findet: „Das Krankenhaus wurde von der Gemeinde gebaut, es gehört der Gemeinde, und die Leute, die drin arbeiten, arbeiten für die Gemeinde. Die Leute können fühlen, dass es ihr Krankenhaus ist und es sich ausschließlich der Bevölkerung widmet.“

[1] Mit diesem Begriff werden in Zentralamerika die Angehörigen der nicht-indigenen Bevölkerung bezeichnet.
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„El Primer Hospital Garifuna“ hat eine eigene Homepage in englisch und spanisch. Auf dieser Seite kann sehr einfach Geld für die Vision der Garifuna gespendet werden!: http://primerhospitalgarifuna.blogspot.de

Momo, eine Filmemacherin vom Transgalaxia e.V. veröffentlichte einen Dokumentarfilm über verschiedene selbstbestimmte Projekte und soziale Bewegungen in Zentralamerika. „El Primer Hospital Garifuna“ ist Teil dieser Doku. Sie ist unter dem Namen „Die Kraft der Schmetterlinge“ bei: http://www.cinerebelde.org erhältlich und kann online bei alegre-rebeldia.de geschaut werden.

CIMES ist unter www.chimesproject.org einsehbar.

Bildquelle: [1] und [2] Quetzal-Redaktion, aa

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