Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag fällte am 27. Januar 2014 ein lang erwartetes folgenreiches Urteil: Die Seegrenze zwischen Peru und Chile wird neu geregelt. Der Streit über den genauen Grenzverlauf auf dem Meer schwelt seit Jahren und wird seit sechs Jahren vor dem IGH ausgetragen. Das umstrittene Gebiet ist nicht unbedeutend. Es geht um circa 38.000 km2 im Pazifischen Ozean. Die juristische Auseinandersetzung hat auch viel mit Mathematik zu tun. Denn bei dem Seegebiet handelt es sich um die Fläche, die zwischen der Parallelen der Grenze zu Land liegt und der Winkelhalbierenden zur Senkrechten der peruanischen und chilenischen Küste (siehe dazu Karte 1: die Fläche zwischen der roten, blauen und blau-gestrichelten Linie). Außerdem geht es, der peruanischen Anklage folgend, um eine weitere Fläche von 28.000 km², die „äußeres Dreieck“ genannt wird und von Chile bisher als internationales Gewässer betrachtet wurde (siehe Karte 1: blau gefärbtes Dreieck). Peru forderte vor dem IGH, dass ihm dieses Gebiet als exklusive Wirtschaftszone zugestanden wird. Die Crux bei dem Sachverhalt liegt also darin, dass beide Länder unterschiedliche Positionen in Bezug auf die (Interpretation der) Seegrenze haben. Auch die terrestrische Grenze bildet in diesem Zusammenhang ein Streitthema, da Peru („Punkt Concordia“, Punto Concordia) und Chile („Markstein N° 1“, Hito N° 1) unterschiedliche Referenzpunkte annehmen.
Hintergrund des langwährenden Streits
Der Konflikt über die Seegrenze schwelt seit dem Ende des Salpeterkrieges (1879-1884). Erst in den 1980ern begannen Verhandlungen darüber. Im Jahr 1985 verhandelte erstmals offiziell der peruanische Außenminister Allen Wagner das Thema der Seegrenze mit dem damaligen chilenischen Außenminister, Jaime del Valle. Ein Jahr später gab es weitere Verhandlungen zwischen dem neuen peruanischen Außenminister Juan Miguel Bákula Patiño und dem Minister Juan del Valle. Aus diesen Gesprächen ergab sich eine diplomatische Note, in der die peruanische Botschaft den Bedarf bekundete, ein Abkommen über die Seegrenze zu schließen. Am 13. Juni 1986 erkannte Juan del Valle in einem Communiqué an, dass die Seegrenze mit Peru ein Problem darstellt, das untersucht werden solle.
Dann ruhte der Prozess. Als jedoch Chile im Zuge der Ratifizierung des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ) vom Jahr 1997 drei Jahre später die notwendigen Seekarten hinterlegte, war darin als maritime Grenze der Breitengrad 18°S 21’00“ zwischen beiden Ländern ausgewiesen. Daraufhin sandte Peru am 7. Januar 2001 eine Note an die Vereinten Nationen, in welcher der erwähnte Breitengrad als maritime Grenze nicht anerkennt wird.
Ein weiteres Ereignis folgte im Jahr 2005. Im Oktober jenes Jahres legte der peruanische Kongress einen Gesetzesentwurf über die Festsetzung der Basislinie und entsprechend über die Statuierung der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ, auch 200-Meilen-Zone genannt) an der Grenze zu Chile vor. Die Basislinie entsprach der Niedrigwasserlinie entlang der Küste, wie sie in Seekarten eingetragen werden würde. Davon ausgehend bestimmten sich dann die weiteren im Seevölkerrecht festgelegten Meereszonen.
Dieses Gesetz wurde am 3. November 2005 verabschiedet. Peru legte damit seine Seegrenzen – auch die zu Chile – fest. Daraufhin kam es zu Spannungen in den bilateralen Beziehungen zwischen den beiden südamerikanischen Staaten. Nach mehreren gescheiterten Verhandlungsversuchen, um dieses Thema zu lösen, gab der peruanische Präsident Alan García im Juni 2007 bekannt, dass sich Peru an den IGH wenden würde. Peru erhob schließlich am 16. Januar 2008 wegen der ungeklärten Seegrenze Klage vor dem IGH gegen Chile.
Das IGH-Urteil: Peru erhält mehr Meeresgebiet
Während des Verfahrens vor dem IGH argumentierte Peru, dass es keine Vereinbarung über eine Seegrenze mit Chile gäbe und ersuchte den IGH, eine Grenzlinie mit der Äquidistanzmethode zu plotten, um ein faires Ergebnis zu erzielen, wie es das Völkerrecht etabliert. Die Äquidistanzmethode gilt als die allgemeine Regel, nach der Seezonen zwischen zwei Staaten abgegrenzt werden. Sie ist in der Genfer Konvention und im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) erwähnt. Bei dieser Methode wird eine Äquidistanzlinie (äqui = gleich) aus Punkten ermittelt, wobei jeder Punkt gleich weit von zwei Punkten der Basislinien beider Staaten entfernt ist.
Chile dagegen wollte sich nicht auf die Äquidistanzmethode berufen. Vielmehr behauptete Chile, dass die Seegrenze mit Peru bereits durch das Abkommen von 1952 (Declaración de Santiago) und durch das Abkommen von 1954 festgelegt wurde.
Angesichts der widersprüchlichen Aussagen über die Existenz und den Verlauf der Seegrenze zwischen beiden Staaten analysierte der IGH verschiedene Abkommen: a) die Proklamation von Chile und Peru von 1947, wobei jedes Land die Ausweitung seiner Seerechte bis 200-Meilen erklärte, b) die Erklärung von Santiago von 1952, c) das Abkommen von 1954 und d) die Leuchtturm-Vereinbarungen von 1968-1969. Der IGH kommt bei seiner Analyse zu dem Schluss, dass diese Abkommen keine (fest etablierten) Seegrenzen zwischen beiden Ländern festlegten.
Allerdings beinhaltet die Untersuchung des IGH eine kontroverse Auslegung der bisherigen Abkommen. Das bezieht sich vor allem auf das von Chile proklamierte Abkommen von 1954. Denn obwohl dieses Abkommen im Paragraf 1 die Existenz einer Seegrenze zwischen beiden Länder anerkannt, wird diese nicht genau definiert (Paragraf 71-95 des IGH-Urteils). Gemäß der chilenischen Position, reicht die alleinige Erwähnung der Seegrenze jedoch als Beweis dafür, dass beide Länder dieser zuvor stillschweigend zugestimmt hätten. Dementsprechend entschied der IGH, dass eben diese stillschweigende Anerkennung der Existenz einer Seegrenze das Urteil weitreichend beeinflussen müsse.
Um den Verlauf der Seegrenze zwischen beiden Ländern festzulegen, überprüfte der IGH Dokumente über die Fischerei-Aktivitäten, die es in diesem Zeitraum gab. Das Gericht gelangte zu dem Ergebnis, dass die Seegrenze zwischen Peru und Chile zunächst parallel zum Schnittpunkt des Breitengrads mit dem Markstein 1 (Hito N° 1) verläuft. Damit folgte das Gericht der chilenischen Auslegung, dass die Landgrenze der Markstein 1 bildet.
Die daran anschließende Teilgrenze auf See erstreckt sich für 80-Meilen entlang des Breitengrads bis zu Punkt A. Von diesem Punkt ausgehend verläuft die Seegrenze entlang der Äquidistanzlinie bis zu Punkt B und dann entlang der 200-Seemeilen-Grenze der chilenischen Basislinie bis zu Punkt C. Damit ist durch dieses IGH-Urteil endgültig die Seegrenze zwischen beiden Andenstaaten festgelegt, mag diese auch einen ungewöhnlichen Verlauf haben.
Quellen:
http://www.caretas.com.pe/2004/1809/articulos/chile.html
http://www.icj-cij.org/docket/files/137/17930.pdf (vollständige Urteil)
http://www.icj-cij.org/docket/index.php?p1=3&p2=3&k=88&case=137&code=pch&p3=5 (Kurzfassung)
http://gestion.pe/movil/noticia/2087551
http://diario16.pe/noticia/43914-lea-sin-motivos-para-celebrar-columna-juan-sheput
http://www.laprimeraperu.pe/online/columnistas-y-colaboradores/un-fallo-debajo-de-lo-esperado_161042.html
Karten:
[1] und [3] International Court of Justice, United Nation_
[2] CHUCAO_ (Übersetzung der Beschreibung: Quetzal-Redaktion, lux)