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Im Feuer bestanden – Die Chile-Filme der DDR-Dokumentarfilmer Heynowski und Scheumann

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 11 Minuten

Gesehen: Chile, Salvador Allende - Quelle: SnapshotWalter Heynowski und Gerhard Scheumann machten seit 1965 zusammen Dokumentarfilme, zeitweise als Studio H & S. International bekannt wurden sie mit dem Film „Der lachende Mann – Bekenntnisse eines Mörders“ über den deutschen Söldner Siegfried Müller, genannt Kongo-Müller. So vielfältig die Themenpalette der Filmleute auch war, so lassen sich doch zwei Hauptthemen feststellen, zu denen sie quasi immer wieder zurückkehrten: Vietnam und Chile. Der Chile-Zyklus begann 1974 und umfasst insgesamt 12 Filme:

  • Mitbürger! (1974)
  • Der Krieg der Mumien (1974)
  • Psalm 18 (1974)
  • Ich war, ich bin, ich werde sein (1974)
  • El golpe blanco – Der weiße Putsch (1975)
  • Geldsorgen (1975)
  • Eine Minute Dunkel macht uns nicht blind (1976)
  • Die Toten schweigen nicht (1978)
  • Im Feuer bestanden (1978)
  • Im Zeichen der Spinne (1983)
  • Schnappschüsse aus Chile (1985)
  • Hector Cuevas (1985)

Die Filme waren zwischen vier und 100 Minuten lang. Fünf der Filme sind auf zwei DVDs dem Band 29 der Bibliothek des Widerstands (Laika Verlag Hamburg) unter dem Titel „Diktatur und Widerstand in Chile“ beigefügt und sind somit wieder einem breiten Publikum zugänglich.

Das internationale Filmteam um Heynowski und Scheumann war Anfang 1973 aus Anlass der Parlamentswahlen zum ersten Mal in Chile, sie wollten einen Film über die Unidad Popular drehen. Der faschistische Putsch im September machte dieses Vorhaben zunichte; dafür entstand der Chile-Zyklus über den Sturz der Allende-Regierung, dessen Vorgeschichte und Folgen. Die berühmten Aufnahmen vom Bombardement der Moneda am 11. September kennen wir aus Filmen von H & S. Peter Hellmich, der westdeutsche Kameramann des Teams, befand sich während des Putsches in einem Hotel direkt gegenüber dem Regierungspalast.[1]

Gesehen: Chile, Augusto Pinochet - Quelle: SnapshotWenn ich mich recht erinnere, dann habe ich wohl alle Filme aus dem Zyklus gesehen, auf jeden Fall die fünf aus dieser Sammlung. Und ich weiß, dass mich diese Filme damals beeindruckten. Das Wiedersehen nach fast 40 Jahren weckt zwiespältige Gefühle, die Filme haben sich irgendwie verändert – zumindest in meiner Rezeption. Man wirft den Filmen von Heynowski und Scheumann heute „grobe Polemik“ und „ideologische Propaganda“[2] vor. Der Filmhistoriker Hans-Joachim Schlegel benannte bereits 1979 eine “offensive, fast aggressive aufklärerische Deutlichkeit, mit der ein Problem und ein Partner, der oft ein Gegner ist, angegangen wird“.[3]

Mein erster Eindruck beim Wiederanschauen: Die stellenweise gepflegte pathetische revolutionäre Rhetorik ist kaum zu ertragen. Die Kommentare wirken irgendwie betont dramatisierend – das fällt mir in vielen älteren Dokumentationen auf, auch westdeutschen. Zudem sind sie suggestiv, mitunter auch plakativ. Heutzutage ungewohnt und höchst gewöhnungsbedürftig ist auch der Kunstgriff, Interviewpartner von Schauspielern synchronisieren zu lassen. Das nimmt m.E. den Interviews die Authentizität, zumal man nicht nachvollziehen kann, was die Betreffenden wirklich sagen. Ganz davon abgesehen, dass die betreffenden Schauspieler sich offensichtlich nicht immer über die Ausspracheregeln des Spanischen informiert hatten. Darüber hinaus wirken bestimmte Passagen des Films aus diesem Grund so, als wären nicht spontane Äußerungen aufgezeichnet worden, sondern vorbereitete Statements.

Irgendwo habe ich den Vorwurf gelesen, die Filmemacher hätte gegen viele Regeln für Dokumentarfilmer verstoßen, z.B. dagegen, dass sie sich ihren Gesprächspartnern nicht zu erkennen gegeben hätten. Also, ich weiß nicht, wo diese Regel herkommen soll, es scheint mir aber eher, als seien hier jemandem keine Argumente mehr eingefallen. Welche Bilder und Aussagen hätte man eigentlich bekommen mit der Information, dass jetzt ein Film für‘s DDR-Fernsehen gedreht wird?

Gesehen: Chile, Wer nicht hüpft, ist eine Mumie - Quelle: SnapshotGrundsätzlich sollte man nicht so tun, als wären nicht auch Dokumentarfilme ihrer Zeit verhaftet. Natürlich ist das revolutionäre Pathos auch der Entstehungszeit der Filme geschuldet, und das nicht einfach deshalb, weil in der DDR sowieso alles Agitation und Propaganda gewesen wäre. Nicht zuletzt der Putsch in Chile hat deutlich gemacht, wir unwichtig die Demokratie für bürgerliche Demokraten werden kann, wenn Wirtschaftsinteressen gefährdet sind. Heynowski und Scheumann wollten nach eigener Aussage durchaus “propagieren im Sinne von Überzeugungen und des Verbreitens einer Meinung über die Entwicklung der Welt“.[4] Und da durften seinerzeit die entsprechenden Schlagworte nicht fehlen. Aus heutiger Sicht möchte man meinen, H & S hätten mehr ihren Bildern und Gesprächspartnern trauen und sich manchen Kommentars enthalten sollen. Die Aussagen der Protagonisten ihrer Filme, seien es nun Vertreter der chilenischen Rechten, Militärs, CIA-Leute oder auch bundesdeutsche Politiker, sind entlarvend genug. Aber die Zeiten waren nicht so.

Andererseits sind die Filme bis heute sehr informativ und wohl jedem zu empfehlen, der sich über den Putsch und seine Vorgeschichte informieren will. Das ist m.E. Aufklärung im besten Sinne, mitunter die Ereignisse regelrecht sezierend. Die Aussagen zur Weltrevolution und die m.E. stellenweise sehr aufgesetzt wirkenden Rückblicke auf die Ursprünge der chilenischen Arbeiterbewegung muss man dafür aber in Kauf nehmen. Walter Heynowski meint zurückblickend, dass der Putsch ihn nicht überrascht hätte. „Trotz der ganzen Euphorie haben wir von Anfang an gespürt: Wir – nicht wir als Filmemacher, sondern wir in der Weltbewegung – jagen einer Illusion nach. Von vornherein war die Situation doch so angelegt, dass der halbe Liter Milch, den jedes Kind in Chile täglich kostenlos erhielt, den Kindern wieder weggenommen wird.“[5]

Gesehen: Chile, Schlägertrupp der Nationalen Jugend - Quelle: SnapshotHeynowski und Scheumann liefern in diesen Filmen nicht nur einzigartige Bilder, sondern auch außergewöhnliche Aussagen ihrer Gesprächspartner. Da z.B. rechte Politiker und Putschisten glaubten, es mit ihresgleichen zu tun zu haben, sprachen sie frei von der Leber weg und ließen bereits vor dem Putsch keinen Zweifel daran, was ihre Absichten waren und auf welche Weise sie diese notfalls durchzusetzen gedachten. Und die dargestellten wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge sind eben zumeist keine sozialistische/ kommunistische Propaganda, wie manche Kritiker glauben machen möchten. Hier bringen es H & S auch fertig, einfach Aussagen von US-Medien zu illustrieren, die die Unterstützung von CIA und US-Regierung für den Militärputsch in Chile aufdeckten.

Es ist eine unbestreitbare Stärke dieser Filme, dass sie bestrebt sind, Zusammenhänge herzustellen, auch wenn sich die eine oder andere Schlussfolgerung im Nachhinein als nicht zutreffend erweisen mag. Wohl vor allem der Absicht, aufzuklären und, ja!, das wahre Gesicht des Imperialismus zu zeigen, sind die einzigartigen Bilder und Interviews zu verdanken. Das Filmteam wollte eben nicht nur Allende und die Unidad Popular zeigen und suchte deshalb schon während der Parlamentswahlen auch das Gespräch mit der bürgerlichen Opposition in Chile, die zu diesem Zeitpunkt bereits eifrig dabei war, das demokratische Mäntelchen abzulegen. Diese Politiker (u.a. Sergio Onofre Jarpa von der Nationalen Aktion) und Unternehmer (z.B. der Chef des Verbands der Transportunternehmer) waren wohl glücklich darüber, auch einmal die Aufmerksamkeit ausländischer Medien zu bekommen und plauderten offenherzig von ihren wenig demokratischen Zielen.

Diese Interviews bildeten eine wesentliche Basis für einige der Filme des Chile-Zyklus. Der Krieg der Mumien“ spannt einen großen Bogen und versucht gewissermaßen eine Gesamterzählung über den „Krieg der Konzerne gegen Chile“. Der Film stellt die Bemühungen um soziale Reformen und die demokratischen Basisbewegungen im Land ebenso dar wie die Aktionen von Rechten und Unternehmerverbänden gegen den „gewählten Sozialismus“, maßgeblich unterstützt von CIA und US-Regierung. Die Aktivitäten von Kissinger & Co. gegen die Allende-Regierung sind aktenkundig, ebenso wie die Zusammenarbeit, die deutsche Konservative (Beispiel: der CDU-Bundestagsabgeordnete Heinrich Gewandt) mit Allendegegnern und schließlich mit der Militärjunta verband. „Mumie“ war im Chile der Unidad Popular übrigens eine Bezeichnung für die politische Rechte. Der Film lässt sie ausführlich zu Wort kommen, ob nun Orlando Sáenz von der „Gesellschaft für industrielle Entwicklung“ oder Julio Bazán, Chef der „Nationalen Vereinigung der Fachleute“, der als einer der Anführer des Streiks in der Kupfermine „El Teniente“ fungierte. Und es ist wirklich sehr aufschlussreich, sie vor und nach dem Putsch im Interview zu erleben.

Gesehen: Chile, Anflug auf Chacabuco - Quelle: SnapshotIch war, ich bin, ich werde sein ist eine Aussage von Rosa Luxemburg über die Zukunft der Revolution. Der gleichnamige Film von Heynowski und Scheumann entstand nach dem Putsch, die Aufnahmen in Chile wurden vor allem vom Kameramann Peter Hellmich realisiert, der noch nach Chile reisen konnte. Mit einem Trick, gewissermaßen auf den Untertanengeist der Militärangehörigen bauend, gelingt es den Filmleuten, in den Konzentrationslagern Chacabuco und Pisagua zu drehen, obwohl ihre Drehgenehmigung in Chile genau das verbot. Hellmich erfüllt seinen Auftrag gewissenhaft, so viele Gefangene wie möglich vor die Kamera zu bekommen und sie aussagen zu lassen, wer sie sind und warum sie gefangen gehalten werden. Diese Aufnahmen machen den Film einzigartig, auch wenn der Rekurs auf die Anfänge der chilenischen Arbeiterbewegung arg aufgesetzt wirkt und das damit transportierte Pathos nur nervt. Die Aufnahmen in den Konzentrationslagern von Chacabuco und Pisagua hatten übrigens zur Folge, dass neue Vorschriften für ausländische Filmteams erlassen und diese strenger kontrolliert wurden.

Schon vor der Wahl Allendes waren einflussreiche Kreise in den USA entschlossen, die „Verantwortungslosigkeit“ der Chilenen nicht hinzunehmen, und in der Folge wurden Unsummen von Geld ausgegeben, um das Land zu destabilisieren. Bis zu den Parlamentswahlen versuchte man, diese Strategie legal umzusetzen und arbeitete auf eine Amtsenthebung Allendes hin. Die rechte Opposition in Chile war fest davon überzeugt, bei diesen Wahlen eine Zweidrittelmehrheit im Kongress zu erreichen. Als dieses Vorhaben grandios scheiterte und El golpe blanco – Der weiße Putsch unmöglich wurde, fielen die Masken, und das Ziel war nunmehr der Sturz Allendes mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Bei ihrer Darstellung der Aktionen gegen Allendes Regierung stützen sich die Filmemacher auf Enthüllungen von „International Herald Tribune“ und „Time“.

Eine Minute Dunkel macht uns nicht blind, mit Aufnahmen, die von Mai bis November 1975 in Chile entstanden, versucht, den erwachenden Widerstand im Land zu zeigen. Der Film fängt spontane Meinungsäußerungen ein, interviewt Angehörige von Inhaftierten und zeigt auch eine von den Militärs organisierte Veranstaltung mit Bauarbeitern in Santiago, mit der die Umwandlung der Gewerkschaft in eine Art „Arbeitsfront“ demonstriert werden sollte. Dieses Vorhaben scheiterte. Einer der mutigen Gewerkschaftsführer, die trotz schwierigster Bedingungen die Interessen der Arbeiter vertraten, war Héctor Cuevas. Ihm werden die Filmemacher ein Jahrzent später einen eigenen Film widmen.

Gesehen: Chile, Familie eines Inhaftierten - Quelle: SnapshotDie Interviews mit Isabel Morel de Letelier und Moy Morales de Tohá sind die tragenden Elemente des Films Die Toten schweigen nicht. Die beiden Frauen sind die Witwen zweier Verteidigungsminister in der Regierung Allende und belegen stellvertretend den Mut der „Frauen, deren Männer in der Moneda verschwunden waren“. José Tohá gehörte seit 1970 zu Allendes Kabinett und war von März bis Juli 1973 Verteidigungsminister. Unmittelbar nach dem Putsch verhaftet, wurde er in verschiedene Lager verschleppt (u.a. auf die Insel Dawson, die der Verteidigungsminister Tohá einst den Militärs zur Nutzung übergeben hatte). Er starb im März 1974 an den Folgen der Folterungen. Orlando Letelier, ehemals Botschafter Chiles in den USA, übernahm das Verteidigungsressort im August 1973. Er wurde ebenfalls am Tag des Putsches verhaftet, konnte nach seiner Freilassung im September 1974 aber Chile verlassen. Letelier starb im September 1976 in Washington bei der Explosion einer Autobombe. Die Toten schweigen nicht ist auch ein Film über die Heuchelei und den feigen Verrat der Putschisten, die sich letztendlich als gewöhnliche Kriminelle entpuppten. Letelier beschrieb Pinochet als den Mann mit der Bürste, der im Friseursalon servil und kriecherisch immer darauf bedacht ist, jedem zu Diensten zu sein.

Quellen:

1 vgl.: Aufnahmen, die um die Welt gingen. Chile ist zu einem Lebensthema des Dokumentarfilmregisseurs Walter Heynowski geworden. In: Neues Deutschland. 11. September 2013, S.3.

2  rororo-Filmlexikon. zit. nach: Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Heynowski

3  Aufnahmen, die um die Welt gingen. a.a.O.

4  Weiße Taube auf dunklem Grund. 40 Jahre Internationales Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilme. Berlin 1997. S. 97.

5  Aufnahmen, die um die Welt gingen. a.a.O.

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 Bildquellen: Snapshots

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