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Printausgaben

Belli, Gioconda: Tochter des Vulkans

Aníbal Ramírez | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Sofia de los presagios

Die Geschichte Sofias ist die Geschichte einer Geschichte, welche nicht jede Frau mit dem Namen Sofia in Nicaragua erlebt. Die Geschichte Sofias ist magisch und erotisch. Sie ist die Geschichte einer Frau, die halb Zigeunerin, halb Weiße ist. Die Geschichte Sofias beginnt, als sie ein kleines Mädchen von knapp 7 Jahren ist: sie läuft hinter ihrer Mutter her, die gerade ihren Mann, einen Zigeuner, verlassen hat, und sie kann die Mutter nicht mehr einholen. Sie verläuft sich oder sie verläuft sich nicht, sondern sie taucht in einem Dorf mit dem Namen Diriá auf, Diriá ist keine Phantasie. Diriá ist ein nicaraguanisches Dorf im Südosten des Landes. Diriá ist ein Dorf von Zauberern und Hexen, aber es ist gleichzeitig ein sehr katholisches Dorf. In Diriá gehen Geisterbeschwörung und Religion Hand in Hand. Sofias Diriá ist ein Dorf wie alle Dörfer in Nicaragua; ein Dorf, wo der Klatsch und die Geschichten und das Geschwätz tägliche Nahrung sind. Diriá ist ein phantastisches Dorf.

Gioconda Belli: Tochter des VulkansSofia hat ein Schicksal: ein Schicksal, das einen Kreis beschreibt. Das Schicksal gibt sie in die Hände Eulalias, die ihre Söhne im letzten Krieg verlor, und Don Ramóns, dem reichsten Landbesitzer der Gegend und kinderlosem Witwer. Nach dem Erscheinen Sofias bilden sich im Dorf drei Gruppen: eine akzeptiert Sofia und ihr unglückliches Schicksal, eine prophezeit unablässig Unheil für die Zeit, wenn Sofia erwachsen ist, und die dritte Gruppe nimmt Sofia in ihren Schutz. Sofia wächst heran. Als sie 17 ist, heiratet sie Rene, einen Mann mit einem überdimensionalen Penis, der sich unübersehbar unter seiner Hose abzeichnet, weswegen er in der Schule den Spitznamen „der Großschwanz“ bekam. Rene ist ein Macho und erwartet von Sofia, daß sie ihre Rolle als Frau in einer machistischen Gesellschaft übernimmt. Rene ist extrem eifersüchtig. Er möchte unbedingt, daß Sofia ihm einen Sohn gebiert, und er erlegt sich die Pflicht auf, jede Nacht mit ihr zu schlafen, obwohl er schrecklich müde ist. Sofia möchte kein Kind von Rene und nimmt die Pille, ohne daß er es weiß Rene bringt sie zu einem Arzt, der ihm versichert, daß Sofia völlig gesund ist. Rene quälen die Zweifel, er fürchtet, daß er unfruchtbar und sein riesiger Penis ihm zu nichts nütze ist. Sofia lebt wie eine Gefangene an der Seite Renés. Sie will fliehen, aber sie kann nicht, denn das wäre Verrat an ihren Zieheltern. Sie wartet auf deren Tod. Als Eulalia und Don Ramón gestorben sind, flieht sie vor ihrem Peiniger. Sofia beginnt einen neuen Lebensabschnitt. Sie lernt das Feuer in ihrem Innern kennen. Ihre Vergangenheit verfolgt sie: Sie weiß nicht, wer ihre Mutter war und warum sie sie verlassen hat. Sie ist voller Zorn auf die Mutter. Sofia ist frei und genießt ihre Freiheit. Die Leidenschaft der Liebe ist eine unerschöpfliche Quelle, die sie mit ihrer Phantasie belebt. Sie erlebt ein Abenteuer und erfährt die Gleichgültigkeit des Geliebten mitten in ihrer Schwangerschaft. Der Zauberer und die Hexen, die sie beschützen, rufen die „Alte Mutter“ an, eine Göttin, die ermöglicht, daß die Hexen Carmen und Xintal Sofia noch einmal zur Welt bringen. Sofia „wird nochmals geboren mit einem neuen Herzen, in dem Schlange, Jaguar und Vogel vereinigt sind“. Sofia wird wiedergeboren und findet Zuflucht in Flavia, ihrer Tochter, aber das Schicksal verfolgt sie und spielt ihr einen üblen Streich. Sofia verliert Flavia, genauso wie ihre Mutter sie verloren hat. Doch sie bricht aus dem vorgeschriebenen Kreis ihres Schicksals mit Hilfe der Hexerei und der Zaubermittel ihrer Beschützer aus. Ihr Schicksal verläuft nicht wie vorbestimmt; der Zufall, Herr der Improvisation, wird wie ein wildes Fohlen gebändigt. Sofia wird frei vom Zorn auf die Mutter und findet ihre Tochter wieder.

„Sofia de los presagios“ ist der zweite Roman von Gioconda Belli. Das Buch erschien 1990 beim Verlag Vanguardia in Nicaragua und wurde 1993 im Deutschen Taschenbuch-Verlag unter dem Titel „Tochter des Vulkans“ herausgegeben. In „Sofia de los presagios“ ist die poetische Kraft der Dichterin Belli zu spüren. Belli, die 1948 geboren wurde, ist seit 1970 in literarischen Kreisen in Nicaragua durch ihre Gedichtbände bekannt. „Sofia de los presagios“ ist Prosa und Poesie zugleich. Es ist eine Prosa voller Überraschungen. Die Magie und die Erotik verführen den Leser und nehmen ihn gefangen. Der Roman revolutioniert nicht die traditionelle Erzählkunst Nikaraguas, wie der Verlag Vanguardia in seinem Begleittext behauptet, aber „Sofia de los presagios“ ist eine literarische Entdeckung und bestätigt erneut die außerordentliche erzählerische Kraft der Autorin.

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