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Grenzen und Möglichkeiten von Demokratie in Peru

César Landa Arroyo | | Artikel drucken
Lesedauer: 10 Minuten

Vor einigen Wochen verhaftete die Polizei in Peru den auf der Flucht befindlichen „camarada Cumpa“, den letzten bedeutenden Führer der Revolutionären Bewegung Tupac Amaru (MRTA-Movimiento Revolucionario Tupac Amaru), so wie schon im vergangenen Jahr Abimael Guzmán und weitere nationale Führer des „Leuchtenden Pfades“ (Sendero Luminoso). Bis heute sind jedoch kaum Anzeichen auszumachen, die darauf hindeuten, daß der Terrorismus nachgelassen hat. So nahm Peru 1992 den ersten Platz in der Liste der Länder mit den meisten verschwundenen Personen ein. Alles in allem gibt es nach zwölf Jahren bewaffneten Kampfes ungefähr 24000 Tote und zerstörte Güter im Wert von 25 Milliarden $.

Präsident Fujimori inszenierte am 5. April 1992 einen Selbst-Staatsstreich, in dessen Folge er die Verfassung von 1979 außer Kraft setzte. Er löste den Kongreß auf, enthob Richter und Staatsanwälte ihrer Funktion und beendete den kurzen Versuch der Regionalregierungen. Im November des gleichen Jahres kam es zu einer Verschwörung von verfassungstreuen Militärs gegen ihn, die jedoch scheiterte.

Im April dieses Jahres gab es eine Kundgebung des Militärs gegen die Untersuchungen der parlamentarischen Opposition über Menschenrechtsverletzungen, z.B. das Verschwinden eines Universitätsprofessors und einer Gruppe von Schülern. Während der ersten Maiwoche bat ein Armeegeneral im Ausland um Asyl und machte weitreichende Angaben über die Existenz einer paramilitärischen Organisation, die den engsten Beraterkreis des Präsidenten kompromittierten.

Der nach dem Staatsstreich ausgeübte Druck durch die Vereinigten Staaten, die Organisation Amerikanischer Staaten und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft führte dazu, daß die Regierung de facto eine Wahl für eine Verfassunggebende Versammlung durchführte, um die Demokratie in Peru wiederherzustellen. An dieser Wahl nahmen die wichtigsten aus dem Kongreß ausgeschlossenen Parteien wie die APRA und die ACCIÓN POPULAR, sowie kleinere politische Organisationen – Movimiento Libertad (geführt durch Vargas Llosa) und die Parteien der marxistischen radikalen Linken – nicht teil. Gründe dafür waren die versuchte Verhaftung von Alán Garcia und die Einleitung eines Gerichtsverfahrens gegen den Ex-Präsidenten der Republik und Vorsitzenden der APRA und von anderen politischen Führern sowie das Fehlen von politischen Garantien für die Teilnahme an einem transparenten Wahlverfahren. Gegenwärtig arbeitet der Kongreß die Verfassung von 1979 um, damit er ein neoliberales Wirtschaftsmodell absegnen und Institutionen der direkten Demokratie in das politische System eingliedern kann. Ebenso werden Anstrengungen unternommen, um die verfassungsrechtlichen Hindernisse einer Wiederwahl des Präsidenten zu eliminieren, damit Fujimori auch nach 1995 an der Macht bleiben kann. Die Regierung hat vorgesehen, die Verfassung im Juli 1993 durch ein Plebiszit des Volkes billigen zu lassen.

Wegen der äußerst schlechten Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre fehlen in Peru Kapitalinvestitionen sowie Kapitalrücklagen. Hohe Auslandsschulden, niedrige öffentliche Ausgaben, ein niedriger Steuerdruck, hoher Zinssatz, künstliche Kursparität, hohe Zollgebühren, und der große Umfang öffentlicher und privater Kredite haben zu einem negativen Bruttoinlandsprodukt geführt und das Niveau der extremen Armut anwachsen lassen. Heute leben 12 der 22 Millionen Peruaner unter ärmlichsten Verhältnissen. Die Arbeitslosigkeit ist wegen des Konjunkturrückgangs gestiegen…
Während die Löhne auf dem Niveau von 1960 eingefroren wurden, steigen die Lebenshaltungskosten stetig an.

Die Regierung versucht, mit der Kontrolle der Inflation, die mehr als 40% pro Jahr beträgt, der kritischen Situation beizukommen. Grundlage dafür ist ein Programm der Wiedereingliederung in die internationalen Finanzorganisationen, wie unter anderem in den Internationalen Währungsfond, die Weltbank und die Interamerikanische Entwicklungsbank, um endlich Kredite zu bekommen, und die Zinsen und Teile des Kapitals aus dem einseitigen Moratorium, das Peru 1985 erklärte, zu bezahlen.

Trotz dieser wenig vielversprechenden Aussichten brachte die peruanische Bevölkerung bei Meinungsumfragen ihre Unterstützung für Fujimori zum Ausdruck. 75% der Peruaner unterstützten den Staatsstreich von Fujimori mit allen dazugehörenden Konsequenzen. Bei der Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung im November 1992 erhielt Fujimori zwar weniger als 50% der Wahlstimmen, aber durch das Mehrheitswahlsystem mehr als die Hälfte der Parlamentssitze. Bei den Gemeindewahlen des vergangenen Jahres zeigte sich diese Zustimmung jedoch nicht in derselben Größenordnung, … was Fujimori aber nicht davon abhält, von einer Unterstützung von durchschnittlich 60% der Bevölkerung zu reden, um auf dieser Grundlage seine Wiederwahl zu fordern.

Worauf ist diese Unterstützung für Fujimori zurückzuführen, obwohl nach fast drei Jahren seiner Amtszeit die verfassungsmäßige Demokratie und die politischen Parteien behindert werden und die Wirtschaftspolitik die Unternehmer der Nation begünstigt, während sie die Bevölkerung immer ärmer macht? Zudem ist ein Ende des Terrorismus nicht abzusehen.

Um eine Antwort auf diese offene Frage zu skizzieren, muß das Stadium der Krise, in der sich Peru befindet, benannt werden, um dann zu entscheiden, welche die Herausforderungen der Demokratisierung sein werden. …

Fujimori ist ein politischer Neuling, der seit seinem Machtantritt als eine Persönlichkeit auftritt, die das System der „Parteikratie“ als den Eliten unterworfen denunziert. Er bezichtigt die parlamentarische Politik der Inproduktivität und die Rechtsprechung der Korruption. Zugleich bringt er in gewisser Weise einen japanischen Rassismus zum Ausdruck, verbunden mit der Aufwertung der Mestizen. Aber mit seinem groben autoritären Führungsstil betreibt Fujimori auch die Auflösung der Gesellschaft und die Krise in der Politik. Dies belegen die Entlassungen von Staatsanwälten, Richtern, Militärs, Diplomaten und anderen Staatsbeamten. …

Der gesamte Handlungsstil des Präsidenten reproduziert ein Niveau der Politik des Verlustes der sozialen Werte und manifestiert den Prestigeverlust der Spielregeln des Rechtsstaates.

Der Staat … ist augenblicklich unfähig, durch Durchschnittspolitiker wie ihn für die Gesellschaft, für die Wirtschaft, die Politik und die Kultur tätig zu werden. Der schwankende Rechtsstaat kann keine beständige politische Ordnung für das gesamte Land garantieren. Gegenwärtig herrscht in über 40% des Nationalterritoriums (dem entsprechen 50% der peruanischen Bevölkerung) der Ausnahmezustand. Zudem ist dort die gewählte Zivilbehörde zugunsten des politisch-militärischen Kommandos der Streitkräfte zurückgetreten oder hat sich dem Terror des Leuchtenden Pfades bzw. der MRTA untergeordnet. … Hinzu kommt die Korruption der Verantwortlichen des öffentlichen Lebens und des Militärs….

Andererseits kann der Staat auch nicht die auf den Status quo gegründete soziale und wirtschaftliche Ordnung wiederherstellen. Infolge der Krise durch die Anpassungspolitik ist es zu Reduzierungen der öffentlichen Ausgaben und zur Unterstützung des Unternehmersektors gekommen, was eine hohe Arbeitslosigkeit verursacht hat. In dieser Ordnung verarmt die kleine Mittelschicht infolge der neoliberalen Politik schnell.

Mehr noch, es existiert innerhalb der peruanischen Gesellschaft eine durch die autoritären Sektoren verbreitete Auffassung, daß die politische Demokratie seit den 80er Jahren zwei Spannungsfelder geschaffen hat: einerseits identifizieren einige die Demokratie mit Reichtum und einige mit Elend, um andererseits zu glauben, daß die politischen Regeln der Demokratie – Toleranz, Dialog, Konsens, Opposition – keine Instrumente für eine schnelle und effiziente Lösung der höchst kritischen Probleme des Landes sind. Zudem sind die Militärs überzeugt, daß die parlamentarische Demokratie zu schwach ist, um die terroristische Gewalt zu brechen, und daß die parlamentarische Demokratie des Parteiensystems absolut unabhängig von Staat und Gesellschaft existiert. Die beiden letzten Gründe veranlaßten Fujimori zu seinem Selbst-Staatsstreich vom 5. April 1992, wobei er mit der vollen Unterstützung der Streitkräfte und der Gruppe der Unternehmer rechnete. Er hoffte, anders als Alán Garcia, wenigstens im Innern ökonomische Vorteile zu erzielen. Dies erreichten die Unternehmer durch die Beseitigung der grundlegendsten Sozialgesetze, die zum Schutz der Arbeiter bestanden hatte.

Die Regierung erhält auch die Unterstützung durch die Massenmedien und die der Bevölkerung, obwohl an den ersten Tagen nach dem Putsch die Stationen und Einrichtungen der Zeitungen, Zeitschriften, Radios und Fernsehens durch die Streitkräfte besetzt wurden. Die Kommunikationsmedien sind sehr in das private und soziale Leben der Stadt und teilweise auch auf dem Lande integriert. Auf dieser Grundlage spielt das Fernsehen bei der Bewußtseinsbildung der Massen dahingehend eine politische Rolle, daß es zu Gehorsam gegenüber jeglicher Autorität erzieht und mittels Selbstzensur zur Bildung einer öffentlichen städtischen Meinung beiträgt, die durch das Fehlen von Motivation für die öffentlichen Belange gekennzeichnet ist und jedwede Verantwortung zur Reflexion und sozialen Kritik ausschließt.

Fujimori kritisiert die Demokratie des Parteienstaates und seine Wirtschaft als die Verantwortlichen der aktuellen Krise, um dann im vollen Umfang sein neoliberales Wirtschaftsprogramm in die Tat umzusetzen. Im Gegensatz dazu muß sich die Demokratie zur Lösung der konkreten und fundamentalen Probleme des Landes als fähig erweisen, wie z.B. die Versorgung mit Trinkwasser, die Ausdehnung des Energienetzes, den Bau von Straßen, für die Grundprobleme von Gesundheitsversorgung und Bildung. Diese sozialen Aufgaben und die Probleme der Infrastruktur müssen Anlaß dazu geben, die Kompetenzen für die besagten Bereiche, die die regionalen und lokalen Verwaltungen besitzen, neu zu bestimmen, und die Zentralregierung muß auch notwendige Kompetenzen zuweisen, um Quellen der Steuerfinanzierung zu erschließen, um öffentliche Investitionen zu realisieren, mit der direkten Beteiligung des Volkes an Entscheidungen, die es betreffen. Diese Art der demokratischen Beteiligung der Staatsbürger würde es erlauben, die Krise und die politische Gewalt langfristig zu überwinden. Die Stärkung der Demokratie und des konstitutionellen Lebens erfordern, daß das politische System auf politischen und sozialen Institutionen beruht und nicht von zivilen oder militärischen Führern abhängt.

Das politisch-parlamentarische System muß sich ebenso der neuen politischen Teilnahme der Staatsbürger durch Institutionen – wie unter anderem dem Referendum, dem Plebiszit, der Aufhebung von Mandaten – öffnen. Dies darf aber nicht durch autoritäre Regierungen instrumentalisiert werden, deren Ziel es ist, ihre diktatorischen Entscheidungen durch Massenpsychologie bestätigen zu lassen, wofür es in Perus Geschichte Beispiele gibt. …

Das wirtschaftliche Marktsystem muß sozial und partizipativ sein, d.h. es muß von der Notwendigkeit ausgehen, Kapital zu erwirtschaften und den Reichtum neu zu verteilen. …Das geregelte Wirtschaftssystem erfordert gleichzeitig die Existenz eines sozialpolitischen Paktes, der, mit der Verfassung beginnend, die Stabilität des Staates und der Rechtsprechung sichert, um schließlich einen stabilen Kurs des inneren Niveaus der Wirtschaftspolitik zu garantieren.

Der Entwurf des Fundamentes der konstitutionellen Demokratie in Peru weist aber tiefe Schwierigkeiten auf. So ist das peruanische Volk aus Völkern zusammengesetzt, die es stets vorgezogen haben, Führern oder autoritären Gesetzen, zu vertrauen, bevor sie Gebrauch von ihren eigenen Kräften machen, um die Realität zu verändern und ihre Bedürfnisse zu befriedigen. … Das peruanische Volk muß sich auf sich selbst besinnen, es muß aufhören, immer den pompösen Versprechungen zu glauben, weil es am Ende doch immer wieder durch seine Regierungen getäuscht worden ist.

Die gegenwärtige Unterstützung des peruanischen Volkes für Fujimori kann genau genommen als diese leichte Hoffnung des Volkes verstanden werden, daß mit autoritären Mitteln Lösungen für ihre Probleme gefunden werden könnten. Aber wenn die Bevölkerung im Bewußtsein ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten beginnt, den Weg der sozialen, regionalen und gewerkschaftlichen Organisierung und Mobilisierung zu beschreiten, befindet sie sich im Gegensatz zur typisch repressiven Funktion der Ordnungskräfte, die jede soziale Demonstration oder Äußerungen der politischen Opposition mit terroristischer Gewalt zunichte machen. Die Konsequenzen auf dem Gebiet der Menschenrechte sind bekannt.

Die Armut auf dem Land und vor allem in der Stadt hat Solidaritätsformen entstehen lassen, die helfen, das Überleben zu sichern und die großen gesellschaftlichen Widerhall gefunden haben. Das betrifft z.B. die, größtenteils von Frauen organisierte, Versorgung mit Lebensmitteln und die kleinen Arbeitskommunen, mit Unterstüzung von Jugendlichen, den Straßenhändlern, d.h. den Bewohnern der „pueblos jóvenes“. In den ländlichen und vorstädtischen, mit sehr viel politischer Gewalt belasteten Zonen hat die Bevölkerung in einigen Fällen uralte kommunale Organisationsformen der Selbstverteidigung neubelebt. Mit Hilfe der „Bauernstreifen“ und, in anderen Fällen, durch die von den Streitkräften in kooperativer Art und Weise geleitete Organisation der Zivilkomitees der Verteidigung konnten in einigen Regionen politisch-militärische Erfolge gegenüber dem Leuchtenden Pfad erzielt werden. Diesem gelang es nicht, in Gebirgszonen wie Cajamarca oder Puno, in denen die Aymará in extremer Armut leben, einzudringen.

Die Entwicklung von demokratischen solidarischen Formen der Teilnahme der Bevölkerung im Hinblick auf die politische und ökonomische Krise ist wichtig, aber nicht ausreichend. Es fehlt eine demokratische Vision der Lösung der nationalen Probleme. …

Die Bevölkerung Perus ist sich bewußt, daß es zwei gleichzeitige Forderungen gibt: erstens die Transformation der politischen, sozialen und ökonomischen Strukturen des Landes. So gesehen ist die Beseitigung einer Regierung die stille und manchmal verspätete Antwort des Volkes hinsichtlich der Erfahrung vom Scheitern von Regierungen. Aber bezüglich der zweiten Herausforderung, der Verwirklichung des sozialen Wandels innerhalb gewisser demokratischer und konstitutioneller Spielregeln, verfügt das Volk über keine ethischen Bindungen an die Normen des demokratischen Prozesses. Die Quelle des Rückhaltes von Fujimori in der Bevölkerung kann morgen die Ursache seines Sturzes sein. In diesem Sinne wandelt sich die verfassungsmäßige und demokratische Erziehung des Volkes in eine Möglichkeit und zugleich in eine Herausforderung für die demokratische Umwandlung Perus im Angesicht des XXI. Jahrhunderts.

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