In Mexiko boomt der Wohnungsbau. Im Südwesten des Bundesstaates Morelos sollen insgesamt 50.000 Wohnungen entstehen. Und das ist nur ein Beispiel, nicht nur für Morelos – in vielen Regionen des Landes gibt es Pläne, um die alten Städte herum neue Städte zu bauen. Dabei handelt es sich zumeist um Wohnungen mit einer Größe zwischen 16 und 32 Quadratmetern, schlecht geplant, häufig mangelhaft gebaut, inmitten unzureichender Infrastruktur. Probleme infolge der geradezu fieberhaften Bautätigkeit sind vorprogrammiert. Und so regt sich Widerstand gegen die Trabantenstädte, und das nicht nur, weil selbige regelrecht in die Landschaft geklotzt werden.
Um beim Beispiel Morelos zu bleiben: Den dort lebenden Bauern wird – im Namen des Fortschritts – ihr Land genommen, statt Obst und Gemüse wachsen dort inzwischen Häuser. Für besagte Region stehen drei Grundwasserspeicher zur Verfügung, denen inzwischen unkontrolliert in großen Mengen Wasser entnommen wird. Die Bautätigkeit, die neu errichteten Zementfabriken, die neuen Bewohner in den neuen Häusern brauchen Wasser. Für die Bewohner der alten Dörfer, die die Region bis dato prägten, bleibt nicht viel übrig, Landwirtschaft zu betreiben wird immer schwieriger. Hinzu kommt eine beispiellose Umweltzerstörung, bedingt durch diese planlose Entwicklung. Die Landarbeiter haben Angst um ihre Zukunft, ohne eine intakte Umwelt können auch die Menschen nicht leben. Um sich Gehör zu verschaffen, haben sich zahlreiche Dörfer zusammengeschlossen.
In Mexiko gibt es heute eine ganze Reihe solcher Vereinigungen, u.a. die Asamblea Nacional de Afectados Ambientales (Nationale Versammlung der von Umweltschäden Betroffenen/ANAA), im Land formiert sich seit Jahren eine Umweltbewegung von unten. Häufig sind es Bauern, nicht selten indigene Gemeinschaften, die sich gegen die Umweltzerstörung wehren. Sie folgen keiner Ideologie und keiner politischen Agenda. Sie verfolgen auch nicht das Ziel, die Natur um ihrer selbst willen zu erhalten, wie man das in der westlichen Umweltbewegung immer noch findet, was ja mitunter dazu führt, Menschen aus ihrem traditionellen Lebensraum zu verdrängen, um die Umwelt und die Tierwelt zu schützen. Die Protagonisten der neuen Umweltbewegung in Mexiko kämpfen um ihre Lebensgrundlage, die man ihnen zu zerstören droht. Ihnen ist klar, dass sie ohne eine intakte Natur selbst nicht überleben können.
Der Einsatz für ein nachhaltiges, umweltgerechtes Wirtschaften kollidiert mit dem Profitstreben der ungehemmt agierenden Unternehmen und der Korruption von Politikern und Beamten, die diese, unter Missachtung von Gesetzen, gewähren lassen. Die Umweltbewegung stellt sich somit immer wieder gegen das System, meist wohl eher ungewollt. Ihr Kampf nimmt notgedrungen politischen Charakter an. Zudem werden die Aktivisten permanent kriminalisiert, verfolgt, unter Druck gesetzt und mit dem Tode bedroht. Willkürliche – und genau genommen ungesetzliche – Verhaftungen durch Polizei und Militär sind in Mexiko an der Tagesordnung, ebenso Folter und politische Morde. Gegen die offizielle Politik zu protestieren, braucht also sehr viel Mut, was nicht zuletzt auf den Leidensdruck der Protestierenden verweist – sie kämpfen um ihr Überleben, im wahrsten Sinne des Wortes.
Der mexikanische Publizist Luis Hernández Navarro gibt in seinem Buch „Wer Beton sät, wird Zorn ernten“ einen Überblick über diese neue ‚Umweltbewegung von unten‘ in seinem Land. Hernández schreibt in der Regel für Zeitungen und Zeitschriften (z.B. für La Jornada), was man auch den Texten in diesem Band anmerkt. Sie sind faktenreich, eindringlich, polemisch. Und sie sind schockierend: Ob es nun um die geschilderten neuen Städte in Morelos geht, die Zerstörung der Wälder in Michoacán oder in Guerrero, die zunehmende Privatisierung des Wassers oder die Verteidigung des mexikanischen Naturguts Mais gegen den Anbau von Genmais – das Ausmaß von Willkür und Umweltzerstörung ist erschreckend.
Dieser Band ist meines Erachtens mehr als nur eine Information über die neue mexikanische Umweltbewegung. Auch hierzulande ist das Engagement gegen Umweltschäden kein erledigtes Kapitel, zumal sich offizielle Forderungen mehren, die ‚den Fortschritt behindernden‘ Umweltauflagen zu lockern. Der Blick über den eigenen Tellerrand sowie das Studium neuer Organisationsformen können da nur von Nutzen sein.
Der deutschen Ausgabe des Buches von Hernandez Navarro ist ein Glossar beigefügt, das den Überblick über die zahlreichen Behörden, Organisationen und Bewegungen erleichtert. Die eine oder andere Karte wäre allerdings gut gewesen, um dem deutschen Leser zu ermöglichen, den Ausführungen des Autors auch örtlich zu folgen. Der deutschen Leserin natürlich auch.
Nebenbei bemerkt: Die politisch korrekte Form hätte im Buch übrigens Leser_in gelautet. Mir hat diese Schreibweise das Lesen allerdings (nicht nur ein wenig) verleidet.
Luis Fernández Navarro
Wer Beton sät, wird Zorn ernten.
Mexikos Umweltbewegung von unten.
Unrast Verlag, Münster 2012
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Am Sonnabend, den 20. Oktober 2012, findet um 19 Uhr bei Arbeit und Leben, Löhrstr. 17, Leipzig eine Lesung und Diskussion mit Luis Hernández Navarro statt. (Eintritt frei)
Bildquelle: [1] Buch-Cover
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