Chile ist ein Land mit großem Potential für nicht-konventionelle erneuerbare Energien (ERNC). Diese stellen jedoch gerade einmal drei Prozent seines Energiemixes dar.
An der Spitze stehen große Unternehmen mit Wasserkraftwerken, die große Teile der Flüsse und Täler im Süden von Chile für ihre Zwecke beanspruchen.
„Chile verfügt im Süden des Landes nicht nur über sehr wenig Erdöl und kaum Erdgas, hinzu kommt, dass die vorhandene Kohle sehr schlecht ist. So dachte man in den Jahren von 1930 bis 1940, dass die Flüsse die einzig realisierbare Möglichkeit der Energiegewinnung seien”, berichtet Juan Pablo Orrego, Umweltwissenschaftler und Leiter der Nichtregierungsorganisation Ecosistemas, gegenüber der Nachrichtenagentur IPS. Das Problem sieht Orrego, Gewinner des Right Livelihood Award (Alternativer Nobelpreis) im Jahr 1998, darin, „dass wir in diesem Paradigma stecken geblieben sind”.
Während der Militärdiktatur von Augusto Pinochet (1973-1990) erließ man 1980 die Verfassung, 1981 das Wassergesetz sowie im Jahr 1982 das Gesetz über die allgemeine Energieversorgung. „Dieser heimtückische rechtliche Dreiklang macht die Garantie der Legislative aus, die dafür sorgt, dass transnationale Firmen die absolute Kontrolle über das Wasser in unserem Land besitzen”, sagt Orrego.
Chile hat eine installierte Kapazität von 17.000 Megawatt: 74 Prozent macht davon das Zentrale Verbundnetz (Sistema Interconectado Central, SIC) aus, 25 Prozent kommen aus dem Nördlichen Verbundnetz (Sistema Interconectado Norte Grande, SING) und weniger als ein Prozent aus mittelgroßen Netzen der südlichen Regionen Aysén und Magallanes.
Es gibt fast 40 Wasserkraftwerke im ganzen Land, und zehn Projekte befinden sich in der Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Wasserkraft bringt 34 Prozent der Energie ein, während die Wärmekrafterzeugung 63 Prozent ausmacht. Die restlichen drei Prozent stammen aus nicht-konventionellen erneuerbaren Energien (ERNC).
Im Jahr 2008 erließ die Regierung der Sozialistin Michelle Bachelet (2006-2010) ein Gesetz zur Förderung der nicht-konventionellen erneuerbaren Energien, wie Biomasse aus landwirtschaftlichen Abfällen, kleine Kraftwerke für Wasser, Wind, Sonne und Geothermik. Demnach mussten ab dem Jahr 2010 fünf Prozent der in Elektrokraftwerken mit einer installierten Mindestkapazität von 200 Megawatt erzeugten Energie aus erneuerbaren Quellen oder Wasserkraftwerken mit einer Höchstleistung von 40.000 Kilowatt stammen. Dieser Anteil sollte jährlich um 0,5 Prozent steigen, um im Jahr 2024 bei zehn Prozent der gesamten Stromerzeugung anzulangen.
Anfang dieses Jahres kündigte die aktuelle Regierung des rechtsgerichteten Sebastián Piñera die Nationale Energiestrategie (Estrategia Nacional de Energía) 2012-2030 an. Diese soll, neben anderen Punkten, im nächsten Jahrzehnt den im Gesetz von 2008 festgelegten Anteil der nicht-konventionellen erneuerbaren Energien mehr als verdoppeln. Ebenso wird eine Zunahme der Wasserkraft auf 45 bis 58 Prozent angestrebt, wobei die Differenz mit Wärmekrafterzeugung aufgefüllt werden soll.
Der Plan, die Entwicklung der Wasserwerke auszuweiten, fokussiert sich auf die umfangreiche Ressource Wasser im südchilenischen Patagonien, vor allem aber in Aysén, 1.670 Kilometer südlich von Santiago. Diese Region besitzt laut Studien von Naturschützern eine der größten Süßwasserreserven der Welt sowie eine der größten Landschafts- und Artenvielfalten.
Für Orrego, ebenfalls internationaler Koordinator von Patagonia Sin Represas (Patagonien ohne Staudämme), ist die Vorgehensweise der Regierung ein Ritterschlag für das Riesengeschäft mit der Energie, das eng verbunden und rückgekoppelt ist mit dem Riesengeschäft des Bergbaus. Chile ist weltweit der größte Kupferproduzent.
Nach Angaben des staatlichen Kupferunternehmens werden in den nächsten sieben Jahren 97.000 Millionen US-Dollar in Bergbauprojekte gesteckt. Zahlen, die alles übertreffen, was Chile in den letzten 25 Jahren in Projekte dieser Art investiert hat.
„Hier zentriert sich das Energieproblem Chiles”, warnt Orrego, mit Anspielung auf den Strombedarf des im Norden des Landes konzentrierten Bergbaus.
Große Energiekonzerne, die in diese Projekte involviert sind, „zahlen weder für die Nutzung des Wassers noch für die entstehenden Umweltschäden durch die Zerstörung der Täler und der Natur.
Zum Beispiel ist der italienische Konzern Enel, der Endesa Chile kontrolliert, zusammen mit der chilenischen Colbún verantwortlich für den Bau des HidroAysén Komplexes. Und Energía Austral, Eigentum der transnationalen Origin Energy und des Bergbauunternehmens Xstrata, plant den Bau des Kraftwerks Río Cuervo, ebenfalls in der Region Aysén.
Für den Wirtschaftler Jorge Rodríguez Grossi, der Energieminister in der Regierung von Ricardo Lagos (2000-2006) war, ist der Widerstand der Umweltschützer nicht verständlich. „Die Wasserkraft war eine fundamentale Basis des SIC. Unter ökologischem Gesichtspunkt ist die Stromerzeugung mit Wasserkraft eine der saubersten, die es gibt”, sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur IPS. Wenn man berücksichtige, dass die Ressource Wasser in Chile im Überfluss vorhanden ist, sei es völlig irrational, der Nutzung Steine in den Weg zu legen, fügte er noch hinzu.
Rodríguez Grossi, der ebenfalls Dekan der Wirtschaftsfakultät der Universität Alberto Hurtado ist, präzisierte, dass die nicht-konventionellen erneuerbaren Energien „im Moment technologisch noch nicht weit entwickelt, teuer und kaum effizient sind. Verständlicherweise sucht das Land Chile nach Energiequellen, die ökonomischer und effizienter sind.“
Im Hinblick auf Vorschläge, dass der Norden Chiles nicht-konventionelle Energiequellen entwickeln solle, wodurch auf die langen Stromleitungen aus dem Süden verzichtet werden könne, hielt der Wirtschaftler fest, dass das Land die Atacama-Wüste mit einer der besten Sonneneinstrahlung der Welt besitze und es reichlich Erdwärme gäbe. Jedoch sei zu beachten, dass es nicht billig sei, in diese wenig effizienten Technologien zu investieren.
Der Kampf gegen die großen Staudämme schaffte es bis vor Gericht, wo sich am 11. Mai 2012 ein Triumpf abzeichnete. Das oberste Gericht ordnete den Stopp des Projektes Río Cuervo an.
Das Urteil basierte auf einem Bericht des Staatlichen Geologie- und Bergbaudienstes (Servivios Nacional de Geología y Minería), der die Gefahr offenlegt, die das Projekt durch seinen Standort auf einer geologischen Verwerfung für die lokale Bevölkerung verursache.
„Río Cuervo ist einer der ersten Fälle, in dem die Bürgerproteste vor Gericht auf Gehör stoßen”, berichtet der Koordinator der Rechtsabteilung von Observatorio Ciudadano, Hernando Silver.
„Diese Entscheidung schafft einen Präzedenzfall, da es dem Gericht gelungen ist, die Argumentationen der Bürgerproteste mit einzubeziehen und die Art der Akzeptanz der Wasserkraftwerke offenzulegen“, fügt er noch hinzu.
Rodriguez Grossi hingegen merkt an, dass die Gerichtsentscheidungen, die Wasserkraftwerke zu stoppen, nicht ökologisch fundiert sind”, und dass im Allgemeinen alle Projekte, die genehmigt wurden, diesbezüglich nicht in Frage gestellt worden seien. Chile solle die Energieproduktion mit allen Ressourcen, über die es verfügt, vorantreiben – auch mit solchen, die von außerhalb kommen.
Orrego ist der Meinung, dass das Bestehen auf Energie durch Wasserkraftwerke „das Schlimmste sei, was Chile in Bezug auf die Energieentwicklung machen könne. Wir müssen ein Muster der verteilten Energieerzeugung anstreben: viel kleinere Projekte über das ganze Land verteilt”, sagte er abschließend.
Original-Beitrag aus IPS Noticias vom Mai 2012. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Nachrichtenagentur.
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Übersetzung aus dem Spanischen: Jannika Hoppe, Monika Grabow
Bildquelle: [1] Public Domain, Jorge Morales F., [2] Maximiliano Martin_