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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Cortázar, Julio: Der Verfolger

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 3 Minuten

Die Süddeutsche Zeitung hat vor fast einem Jahr ihre Bibliothek kreiert, gute Bücher für 4,90 €. Die Idee dazu stammt aus Italien. „50 große Romane des 20. Jahrhunderts, ausgewählt von der Feuilletonredaktion der Süddeutschen Zeitung“, so steht es auf jedem Band. Die Auswahl sagt uns nicht unbedingt etwas über die Weltliteratur im vergangenen Jahrhundert (das wäre auch ein sehr gewagtes Unterverfangen), aber doch allerhand über die Feuilletonredaktion der SZ. Damit meine ich jetzt nicht, dass es von Cortázar „nur“ eine Erzählung gibt und Oscar Wildes „Dorian Gray“ in den 90ern des 19. Jahrhunderts erschien. Unter den 50 Titeln fi nden sich zwei Osteuropäer (wenn man großzügig Kafka und Jurek Becker mitzählt, vier), zwei Lateinamerikaner, kein Asiat, kein Afrikaner, gerade einmal vier Frauen … Die absolute Mehrzahl der Autoren kommt aus Westeuropa (vor allem aus dem deutschsprachigen Raum) und aus Nordamerika (sprich den USA). Die Welt ist halt klein …

julio_cortazar_der_verfolger.jpgDer Argentinier Julio Cortázar (1914-1984) ist alles andere als weitgehend unbekannt; aber ich bin mal böse – auch bei ihm jähren sich die Lebensdaten. Die Erzählung „Der Verfolger“ schrieb er 1958, erschienen ist sie ein Jahr später in dem Band „Las armas secretas“. Ohne allzu große Verfremdung der Person schildert er das Leben des Jazz-Saxophonisten Charlie Parker, der 1955, erst vierunddreißigjährig, starb. Bruno, der Erzähler, ist ein französischer Jazzkritiker, der an einer Biographie des Saxophonisten Johnny Carter schreibt. Carter ist ein Ausnahmemusiker, ein Genie, das den Jazz revolutioniert hat. Aber Carter lebt exzessiv: Alkohol, Drogen, ein Suizidversuch – er droht sich zugrunde zu richten. Er wird immer unzuverlässiger, letztlich leidet seine Arbeit unter diesen Exzessen. Bruno beobachtet Carters Entwicklung mit Schrecken, ist sich nicht sicher, wie er reagieren soll. Einerseits sieht er den Abstieg des Freundes, begreift aber andererseits auch, dass sich bei Carter Genie und Exzess irgendwie gegenseitig bedingen. Er erkennt, dass Johnny auf der Suche ist, ohne zu wissen wonach. Aber das ist für Johnny wohl oft ebenso wenig klar …

Bruno hat eine Biographie über seinen Freund geschrieben und damit eine schlüssige Theorie über das Phänomen Johnny Carter geliefert. Das Buch wird ein Erfolg, in mehrere Sprachen übersetzt, doch Johnny ist nicht bereit, seine Meinung über das Buch, über die Beschreibung seiner Musik zu sagen. So vermischt sich Brunos Faszination für das Genie des Saxophonisten auch mit der Angst, „dass er sich von dieser Lebensweise (…) fortreißen lässt und die Schlussfolgerungen meines Buches am Ende widerlegt, dass er schlicht sagt, meine Behauptungen seien falsch, seine Musik sei etwas anderes.“ Brunos Verhältnis zu Johnny ist letztlich das eines Beobachters, der das Genie verstehen möchte, aber auch schwankt zwischen Faszination und Angst um sein eigenes Lebenswerk. So gesehen ist Johnnys Tod für Bruno Verlust und Erfolg zugleich. Für die Lektüre dieser Erzählung empfehle ich, einfach eine Scheibe von Charlie Parker aufzulegen. Die Musik und diese Erzählung vertragen sich sehr gut.

Julio Cortázar
Der Verfolger

Süddeutsche Zeitung Bibliothek
München 2004
ISBN 3-937793-20-8

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