Strategien der Contras und ihre Anschläge
Venezuela steht wegen seiner großen Rohstoffreichtümer im Blickpunkt der Vereinigten Staaten. Aber das besondere Augenmerk der Hegemonialmacht gilt dem bolivarischen Prozeß in Venezuela, denn das Land spielt eine wichtige Rolle bei der Integration des Kontinents und der damit verbundenen Möglichkeiten für fundamentale Veränderungen, die Venezuelas internationale Politik anderen Ländern eröffnet.
Zweifellos sind die Vereinigten Staaten bereit, diesen Prozeß mit allen Mitteln aufzuhalten, wobei auch militärische Optionen in Betracht gezogen werden. Obwohl man davon ausgehen kann, daß einerseits der Krieg gegen Irak und Afghanistan sowie die wirtschaftliche Krise und andererseits die Unterstützung des bolivarischen Prozesses durch die venezolanische Bevölkerung mittelfristig eine direkte militärische Intervention unwahrscheinlich machen, ist ein solcher Eingriff aufgrund anderer Strategien auch kaum notwendig. Eine von ihnen ist der Versuch, eine Reaktion Caracas’ auf das ständige Einfallen kolumbianischer Truppen in venezolanisches Gebiet zu provozieren – als Rechtfertigung für die Unterstützung eines Krieges des aggressiven Nachbarn gegen Venezuela. Eine vielversprechende Option ist der Aufbau einer vom Paramilitarismus ausgehenden konterrevolutionären Kraft im Land selbst, die den Contras in Nicaragua der 80er Jahre ähnelt. Dieses Manöver findet unter der Komplizenschaft und mit Unterstützung kolumbianischer Regierungsinstitutionen statt.
Durchdringung aller Lebensräume
Das heißt nicht, daß in Venezuela nicht auch alle anderen möglichen Strategien der Destabilisierung des bolivarischen Prozesses – von der Schaffung von Versorgungslücken über den Kauf von Funktionären bis hin zur Unterstützung der Opposition – zur Anwendung kommen. Wir konzentrieren uns hier auf die Privatisierung des Krieges mit Hilfe von Paramilitärs und privaten Militär- und Sicherheitsunternehmen.
In Venezuela operieren mehrere Militär- und Sicherheitsunternehmen. Letztere wurden in den vergangenen Jahren auch für Sabotageakte gegen die venezolanische Erdölgesellschaft Petróleos de Venezuela S. A. (PDVSA) und in anderen Destabilisierungszusammenhängen eingesetzt. Die Aktivitäten der Militärunternehmen könnte man dagegen als technologischen Krieg bezeichnen, wie der Fall der INTESA (Informática, Negocios y Tecnología S.A.) während des »Ölputsches« von 2002/2003 zeigt.
Kolumbianische Paramilitärs sind in Venezuela sehr präsent, besonders im Grenzgebiet. In den Bundesstaaten Táchira, Apure, Barinas und Zulia haben der kolumbianische Paramilitarismus und der Drogenhandel, die oftmals identisch sind, große wirtschaftliche Interessen und können auf die Zusammenarbeit sowohl oppositioneller als auch »bolivarischer« Bürgermeister zählen. Paramilitärs beherrschen den Drogenhandel, kassieren Schutzgelder von Geschäftsleuten, kontrollieren den Schmuggel von Benzin und Nahrungsmitteln nach Kolumbien und kollaborieren in einigen Fällen mit Soldaten der Streitkräfte der venezolanischen Armee und der Guardia Nacional. Sie sind fast im gesamten Land anwesend, mit steigender Tendenz in Territorien wie Sucre, dem Amacuro- Delta, Amazonas und Caracas.
Weitere Aktionsfelder sind Erpressung, Entführungen und Geldwäsche. Paramilitärs werden von venezolanischen Viehzüchtern unterstützt und arbeiten mit Einschüchterungs und Abschreckungsmaßnahmen sowie selektiven Morden an Bauern und revolutionären Kadern. In Caracas haben sie damit begonnen, in die Barrios einzudringen und Kokain zu verschenken oder zu sehr niedrigen Preisen an Gruppen von Kleinkriminellen zu verkaufen, um so Kontakte zu knüpfen. Gruppen von Kolumbianern, die Schutz und Finanzierung anbieten, versuchen, Einfluß auf sensible Bereiche der venezolanischen Bevölkerung zu nehmen, vor allem auf Straßenhändler, Taxifahrer und Transportunternehmer (inklusive Personennah- und fernverkehr). Paramilitärs tun dies, um ein Spionagenetzwerk im Inneren der venezolanischen Gesellschaft aufzubauen. Zugleich verdrängen sie die einheimische Kriminalität aus Aktivitäten wie Wucher, Drogen- und Menschenhandel sowie Glücksspiel. (…) Der Paramilitarismus ist nicht nur ein militärisches oder kriminelles Phänomen, das man ausschließlich mit Armee und Polizei bekämpfen kann, auch wenn die bewaffneten Auseinandersetzungen ein notwendiger Bestandteil im Kampf gegen die Eindringlinge sind. Er ist auch ein wirtschaftliches, soziales und kulturelles Phänomen, das Werte transportiert und etabliert, soziale Räume besetzt, Arbeit schafft und sich in allen gesellschaftlichen Zusammenhängen manifestiert.
Da es sich beim Paramilitarismus um ein für Venezuela recht junges und wenig bekanntes Problem handelt, scheint es wichtig, einige Hypothesen zu seinen Strategien und seiner Entwicklung in Venezuela aufzustellen.
Aufbau zweier Fronten
Die Strategie der Contras zielt nicht auf einen militärischen Sieg ab, sondern auf einen Zermürbungskrieg durch Angriffe auf Infrastruktur, Produktion und auf alles, was mit der Vorstellung eines Lebens jenseits der kapitalistischen Logik verbunden sein könnte. Ebenso wie in dem Krieg der Contras gegen die sandinistische Regierung in Nicaragua vermeiden sie eine direkte Konfrontation mit regulären Streitkräften und greifen statt dessen in Transformationsprozesse ein, um Veränderungen zu behindern. In Nicaragua war diese Strategie erfolgreich: Das Land wurde durch das Herausziehen von Arbeitskraft und Kapital aus der Wirtschaft, was für das Abwehren konterrevolutionärer Angriffe notwendig war, in den Bankrott getrieben. Und während die Ressourcen verbraucht wurden, um die sozialen Leistungen aufrechtzuerhalten und den Transformationsprozeß des Landes voranzutreiben, stellten die USA die nicaraguanische Bevölkerung vor die Wahl: sandinistisches bzw. sozialistisches Projekt und Krieg oder Kapitalismus und Frieden.
Venezuela ist aber nicht Nicaragua und verfügt über weitaus größere Ressourcen. Zudem ist es den Paramilitärs in Venezuela noch nicht gelungen, Arme gegen Arme aufzubringen, was Bedingung für einen Bürgerkrieg ist. Historisch betrachtet, war die Mittel- und Oberschicht, auch wenn sie gegen ein Projekt der sozialen Veränderung war und sämtliche finanziellen Mittel zu seiner Beseitung zur Verfügung stellte, nie bereit, ihr Leben zu riskieren und selbst zu kämpfen. Diese Rolle haben immer die Armen übernehmen müssen.
Der kolumbianische Senator Gustavo Petro erklärte im Februar 2003: »Die Morde und der Terror in Venezuela gehen von den Paramilitärs aus, die die kolumbianisch-venezolanische Grenze kontrollieren und immer tiefer in dieses Land eindringen. (…). Die paramilitärische Strategie besteht darin, Männer und Ressourcen zu konzentrieren, um dann einen Terrorkrieg zu beginnen, wenn eine extrem mächtige Opposition und die venezolanischen Unternehmer sie anweisen, einen Krieg im Stile der nicaraguanischen Contras zu führen.«
Was wären also vom strategischen Standpunkt aus betrachtet die wichtigsten Gebiete für einen Contra-Krieg in Venezuela? Auf der einen Seite die Andenkordilleren, die einen Korridor bilden, in dem Waffen und Kämpfer (und Drogen) von Kolumbien aus bis zu den dicht besiedelten Gebieten Venezuelas bewegt werden können, in denen sich auch große Teile der industriellen Warenproduktion befinden. Geographisch betrachtet, wird so auch das Erdölgebiet im Bundesstaat Zulia abgespalten, und es besteht ein breiter Zugang zum Tiefland. Von dort aus könnten mit kolumbianischen Söldnern und Demobilisierten der Autodefensas Unidas de Colombia (AUC, Vereinte Selbstverteidigungseinheiten Kolumbiens) permanente Sabotageakte gegen strategische Einrichtungen wie Erdölfelder und -raffinerien, Pipelines, Stauseen und Brücken durchgeführt werden. Dazu kommen Morde an Führungsfiguren von Basisbewegungen, um dem venezolanischen Ausland ein Bild der Instabilität und Unregierbarkeit des Landes zu suggerieren und eine vermeintlich bewaffnete Widerstandsbewegung gegen das Regime zu präsentieren, was eine Intervention im Namen der Befriedung und der regionalen Sicherheit legitimieren könnte.
Das andere strategisch wichtige Gebiet ist das Amacuro-Delta am Atlantischen Ozean, das Mündungsgebiet des Orinoco. Aufgrund seiner geographischen Eigenschaften ist es ideal für eine Contra-Bewegung – ähnlich der Atlantikküste in Nicaragua. Es ist für eine konventionelle Armee nicht leicht, in das Delta einzudringen. Man hat für Versorgungszwecke eine schnelle Verbindung zum Inselstaat Trinidad und Tobago, und über die Flusswege gibt es einen Zugang zur zweiten wichtigen Schwerindustrieregion Venezuelas im Bundesstaat Bolívar. Im Fall eines Krieges wäre die venezolanische Armee also zu einem territorialen Aufmarsch in zwei sehr entlegenen Gebieten gezwungen, während sie gleichzeitig die Grenze zu Kolumbien im Auge behalten müßte.
Transportwesen unterwandert
Eine andere konterrevolutionäre Strategie ist die Kontrolle der Transport- und Taxiunternehmen, wie dies in einigen Landesteilen der Fall ist. Taxifahrer und Transportunternehmer sind aus zwei Gründen von strategischer Bedeutung: Erstens: Sie sind in der Lage, ein Land zu paralysieren und können somit als zentrales konterrevolutionäres Element fungieren. Der Putsch in Chile 1973 hatte die Transportarbeitergewerkschaften mit einbezogen. Wenn der Ölputsch 2002/2003 in Venezuela nicht erfolgreich war, dann lag einer der Gründe für dessen Scheitern darin, daß der Transportsektor nicht auf der Seite der Putschisten stand. Zweitens: Die Taxifahrer und Transportunternehmer stellen ein wichtiges Informationsnetz da. Sie sind den ganzen Tag unterwegs, sehen und hören alles, keiner kümmert sich um sie, und sie verfügen über Funkgeräte. In den letzten Jahren stieg die Zahl der Morde und Angriffe auf Bus- und Taxifahrer im ganzen Land an, wodurch beide Berufsgruppen »wegen der prekären Sicherheitssituation« gegen die Regierung aufgebracht wurden. Die Rechte, die aus dieser Tendenz politischen Nutzen zieht, hatte in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 ihr Ziel teilweise erreicht, als die Proteste im Transportwesen von der Andenstadt Merida bis Caracas zunahmen.
Es ist sicher kein Zufall, daß nach der sandinistischen Revolution 1979 sofort sandinistische Taxifahrerkooperativen gegründet wurden. Und die erste Kooperative der Zapatisten im mexikanischen Bundesstaat Chiapas außerhalb der zapatistischen Gemeinden war eine Transportkooperative. Auch der Plan »Colombia« begann damit, daß die kolumbianische Regierung Hunderte Taxiunternehmen und –kooperativen im Süden des Landes und in den Städten finanzierte. In Venezuela war es vormals üblich, dass pensionierte Angehörige der Nationalgarde ein Taxi bekamen und Teil des Informationsnetzes der Geheimdienste wurden.
Sprecher von kommunalen Räten berichteten im Mai 2008 von Treffen zwischen der »Kleinbusmafia« und Führungspersonen der oppositionellen »Acción Democrática« und »Un Nuevo Tiempo« in Maracaibo und Barquisimeto. Transportarbeiter meldeten, daß diverse Speditionsunternehmen in Koordination mit der Opposition in die Vorbereitung eines landesweiten Streiks im Rahmen von Destabilisierungsversuchen verwickelt seien. Sogar Präsident Chávez wies Ende Mai 2008 darauf hin, daß viele »Transportmafias« enge Verbindungen zu Unternehmenssektoren pflegten, die 2002 in den Putsch verwickelt waren oder sogar unter deren Kontrolle stünden. Die Transportunternehmer seien in die Vorbereitung eines Destabilisierungsplans verwickelt, der Versorgungsengpässe, Aktionen auf der Straße und eine eventuelle Beteiligung militärischer Kreise kombiniere, um die Regierung zu stürzen.
Kultur der Gewalt
Die kulturelle Durchdringung darf nicht unterschätzt werden, denn sie bereitet den Boden für die paramilitärische Infiltration. So kann beobachtet werden, daß in den Grenzgebieten Straßenhändler massiv CDs mit Paramilitär- Musik verkaufen, die »verbotenen Corridos«: Lieder, deren Texte sich positiv auf den Paramilitarismus beziehen. Einige der Händler bilden zusammen ein Spionagenetzwerk. Ähnliches passiert auch mit den überall verkauften Raubkopien von Filmen; ein Geschäft, das die Paramilitärs anderen Kolumbianern entrissen haben und nun zum guten Teil kontrollieren. Diverse der illegalen Geschäfte, die im Zentrum von Caracas Raubkopien von CDs und DVDs im Großhandel verkaufen, gehören vermeintlichen Kollaborateuren, die wiederum enge Beziehungen zu Gleichgesinnten unterhalten, die in einem anderen Innenstadtgebiet Gold aufkaufen und Wucherkredite vergeben.
Was könnte der Grund dafür sein, daß die Paramilitärs diesen Geschäftszweig bedienen, der ja eine sehr geringe Gewinnmarge bietet? Auf der einen Seite die Schaffung eines geheimen Spionagenetzes, auf der anderen Seite die Möglichkeit der kulturellen Einflußnahme. In der zweiten Jahreshälfte 2005 fand sich auf vielen Verkaufstischen ein Film, der aus der Perspektive der Paramilitärs zeigt, wie diese die kolumbianische Stadt Medellin übernommen haben. 2007/2008, während der Krise mit Kolumbien und Chávez’ Aktivitäten zur Freilassung der von der FARC Entführten, war die einzige DVD zu Kolumbien, die auf den Tischen der Straßenhändler zu finden war, ein Dokumentarfilm des rechtsradikalen kolumbianischen TV-Kanals Radio Caracol Noticias, obwohl Dutzende von Dokumentarfilmen über das Nachbarland aus linker oder humanistischer Sicht existieren.
Brutale Morde in Gefängnissen werden mit Handys aufgenommen und zirkulieren unter Jugendlichen in den Schulen und Armenvierteln. Zusammen mit einer großen Menge DVDs äußerst gewalttätigen Inhalts, die auf der Straße verkauft werden und häufig sogar nur eine Anreihung von Morden, Zerstückelungen etc. zeigen, ist dies eine Möglichkeit, die Bevölkerung an ein bestimmtes Gewaltniveau zu gewöhnen. An vielen Verkaufsständen, vor allem in Armenvierteln, laufen solche Videos fast den ganzen Tag über. Unter den Jugendlichen wird eine extreme Konsumkultur gefördert, indem die Überzeugung gestärkt wird, Luxusartikel, Motorräder, Handys, Autos, Markenkleidung seien sehr wichtig. Der Paramilitarismus wird dabei als eine Form des effektiven Zugangs zu den notwendigen Finanzen präsentiert. Der venezolanische Bauernführer Braulio Álvarez warnt: »Der Auftragsmord ist unter den Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren durchaus verbreitet. Das bedeutet, daß man diesen jungen Leuten nicht nur beibringt, zu töten, sondern lebende Menschen zu zerstückeln. Das ist wirklich grausam.«
Kämpfe in Venezuela
Im Dezember 1997 wurde erstmals die Präsenz kolumbianischer Paramilitärs in Venezuela offiziell bestätigt. Sieben Paramilitärs waren in Apure unter dem Verdacht einer Entführung festgenommen worden. Man fand Waffen, eine detaillierte Karte der Region sowie eine Liste von Kollaborateuren unter den Viehzüchtern und Großgrundbesitzern. Die Gefangenen erklärten, von Enrique Medina Gómez, einem General der venezolanischen Guardia Nacional, angeheuert worden zu sein und 75 Millionen Pesos für die Durchführung diverser Aktionen in Venezuela erhalten zu haben. Eine Woche später wurden die Paramilitärs auf Befehl des Generals freigelassen und erhielten für die weitere Flucht von ihm einen Passierschein. Derselbe General nahm 2002 am Putsch gegen Chávez teil und an den rechtsextremen Aktionen auf der Plaza Altamira, bei denen auf Demonstranten geschossen wurde: drei von ihnen starben, 29 wurden verletzt.
Der oberste kolumbianische Paramilitär Carlos Castaño, Gründer der AUC, erklärte 1997, sich mit 140 Unternehmern, Viehzüchtern und Großgrundbesitzern in Barinas, Táchira und Zulia getroffen zu haben, um paramilitärische Strukturen in diesen Bundesstaaten aufzubauen.
Am 15. Juli 2000 entführte eine zwölfköpfige, bis an die Zähne bewaffnete Gruppe den Unternehmer Richard Boulton. Untersuchungen führten zu mehreren Hausdurchsuchungen und Verhaftungen kolumbianischer Paramilitärs in San Cristóbal, Maracay und Valencia. Doch Bulton wurde erst am 15. Juli 2002 auf Vermittlung Castaños freigelassen. Dieser erklärte, die Entführer gehörten zu einer Abspaltung der AUC. Das konnte selbstverständlich nicht bestätigt werden, so daß es sich auch um einen Versuch der AUC gehandelt haben könnte, nicht mit dem Fall in Verbindung gebracht zu werden, der international Aufsehen erregt hatte.
Am 26. Juni 2002 verbreiteten die Medien ein Video, in dem einige sogenannte Vereinte Selbstverteidigungseinheiten Venezuelas (AUV, in Anlehnung an die kolumbianische AUC) erklärten, in Táchira, Apure und Zulia zu operieren. Ein »Kommandant Antonio« sagte, es handele sich um 2 200 bewaffnete Männer. Er erklärte Präsident Chávez zum militärischen Ziel und kündigte an, das politische Panorama in Venezuela zu verändern. Einige Tage später bestätigte Castaño: »Wir haben Leute, die auf venezolanischem Territorium ausbilden. Das ist ein laufender Prozeß.«
Im Laufe des Jahres 2003 führte die AUC verschiedene militärische Aktionen und Angriffe von Kolumbien aus gegen venezolanisches Territorium durch. Am 19. März überquerten 500 Paramilitärs mit neuen Uniformen, Waffen und modernen Kommunikationsmitteln ausgestattet die natürliche Grenze des Río de Oro im Bundesstaat Zulia und griffen das venezolanische Dorf La Escuelita an und plünderten es. Dabei trugen sie Insignien kolumbianischer Armeespezialeinheiten, der kolumbianischen Nationalen Befreiungsarmee ELN (Ejército de Liberación Nacional) und der venezolanischen Guardia Nacional. Sie eröffneten das Feuer gegen Militärhubschrauber, um die Landung venezolanischer Truppen zu verhindern. Bei einem Angriff der Luftwaffe kamen etwa 40 Paramilitärs ums Leben, der Rest floh wieder nach Kolumbien. Am 28. und 30. des gleichen Monats griffen sie erneut in der Region an. Anschließend zogen sie sich wegen venezolanischer Bombardements und Patrouillen wieder nach Kolumbien zurück. Es gibt Indizien für eine Unterstützung der Angriffe seitens der kolumbianischen Armee.
Am 4. September 2003 wurde die venezolanische Armee im Bezirk Ayacucho (Táchira), sechs Kilometer von der Grenze entfernt, von kolumbianischen Paramilitärs angegriffen. Am 5. September starben drei kolumbianische Paramilitärs bei einem Gefecht im Grenzgebiet des Bundesstaates Táchira, und ein venezolanischer Soldat wurde schwer verletzt. (…)
Kontakt mit Exilkubanern
Die venezolanischen Konterrevolutionäre haben enge Verbindungen zum terroristischen Sektor der in Miami lebenden Kubaner, wo sie sogar in aller Ruhe ihren Terrorkampf trainieren können. Das Wall Street Journal spricht in seiner Ausgabe vom 29. Januar 2003 über terroristische Trainingscamps in Florida. Der Zeitung zufolge trainierte dort eine paramilitärische Allianz, bestehend aus der »Patriotischen Junta Venezuelas «, angeführt vom ehemaligen Hauptmann der venezolanischen Nationalgarde Luis Eduardo García, und den »F-4-Kommandos« des Kubaners Rodolfo Frómeta. Der Name entstand in Anlehnung an die »Patriotische Junta Kubas «, eine Gruppe rechtsextremer Exilkubaner mit Sitz in Caracas, die während des Putsches 2002 an den Angriffen auf die kubanische Botschaft beteiligt war. García, der auch an diesem Putsch teilnahm, gab zu, 50 Angehörige der F-4-Komandos ausgebildet zu haben. Laut seinen Angaben kombinieren die beiden Gruppen ihre militärischen Erfahrungen und tauschen geheimdienstliche Informationen aus. »Wir bereiten uns auf einen Krieg vor«, sagte García, und ließ keinen Zweifel daran, gegen wen sich dieser Krieg richten soll. In einer Vereinbarung von 2002 zur Bildung einer »Zivil-Militärischen Allianz für Lateinamerika« zwischen der JPV und den F-4 wurde der Widerstand gegen die »neuen kommunistischen Regime« in Lateinamerika angekündigt und auf Brasilien, Kuba und Venezuela hingewiesen. Alle Nachfragen der venezolanischen Regierung an die Administration in Washington blieben unbeantwortet. Lediglich der damalige Botschafter der USA in Venezuela, Charles S. Shapiro, erklärte am 30. September desselben Jahres, daß man die Angelegenheit untersuche, und wenn es gelte, jemanden anzuklagen, dann wüßten die USA schon, was zu tun sei. Und er fügte, ohne dem große Bedeutung beizumessen, hinzu: »Einige Venezolaner sind in den Vereinigten Staaten militärisch ausgebildet worden.«
Der spektakulärste Beweis paramilitärischer Infiltration war die Verhaftung von fast 130 kolumbianischen Paramilitärs auf der Daktari-Finca in Baruta, nahe Caracas, im Mai 2004. Die Untersuchungen der Disip (Staatssicherheit) belegten die Beteiligung zahlreicher Militärs. Laut einem Agenten der Disip, der am 23. April 2004 ein Treffen im Country-Club von Caracas infiltriert hatte, an dem etwa zehn Militärs teilnahmen, hieß es dort, daß jede Aktion im Regierungspalast Miraflores, die nicht mit Chávez’ Tod ende, als Schlappe gewertet werden müsse. Während dieses Treffens wurde über Attentate gegen zwei chavistische Oberste der Nationalgarde gesprochen, gegen Ziele der Regierung und gegen die revolutionäre Gruppe des Stadtteils 23 de Enero in Caracas. Sie sprachen auch über einen Putsch mit Unterstützung der Policia Metropolitana und Teilen der Armee. Ein Oberst der Luftwaffe schlug die Bombardierung der Sendung »Aló Presidente « mit einem F-16-Kampfflugzeug vor und bezeichnete – nach dem Widerspruch einiger Anwesender – mögliche zivile Opfer dieser Bombardierung als »notwendiges Opfer für die Entmachtung von Chávez«. Der Einsatz einer F-16 sollte ohnehin als Startsignal für die Umsetzung der Pläne dienen. Die Paramilitärs sollten mit Uniformen der venezolanischen Streitkräfte ausgestattet sein, das mobile Kommando der Guardia Nacional blockieren und den Präsidentenpalast angreifen. Die kolumbianischen Paramilitärs erhielten zwei Millionen Dollar für die Vorbereitung dieser Operation.
———————————————————-
Übersetzung aus dem Spanischen: Barbara Köhler
Bildquellen:
01. Landkarte Venezuelas. University of Texas at Austin.
02. Taxis. Sprain.
Dieser Artikel erschien bereits am 22. November 2008 in der Tageszeitung Junge Welt. Es handelt sich um eine Passage aus dem Buch »El negocio de la guerra« von Dario Azzellini (www.azzellini.net), das Ende 2008 in Caracas erschien. Die venezolanische Erstausgabe ist die erweiterte und aktualisierte Neuauflage von »Das Unternehmen Krieg« (hrsg. von D. Azzellini u. a., Berlin 2003). Die Tageszeitung Junge Welt hat eine längere Passage daraus übersetzen lassen und mit dem Autor eine für das deutsche Lesepublikum überarbeitete Fassung erstellt. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors.