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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Spanien auf der Suche nach einem neuem Potosí

Sven Schaller | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Bolivien: Der Cerro Rico in Potosi - Foto: Quetzal-Redaktion_sscVon den Medien fast unbemerkt, ging am 18.11.2012 der Iberoamerika-Gipfel im spanischen Cádiz zu Ende. Das mag daran gelegen haben, dass die Bedeutung des Treffens immer weiter sinkt und die Präsidenten von Argentinien, Uruguay, Paraguay, Venezuela, Kuba und Guatemala gar nicht erst angereist waren. Möglicherweise spielten auch die mageren Ergebnisse eine Rolle. Die europäischen Länder Spanien, Portugal und Andorra beschworen wieder einmal die Wichtigkeit der gegenseitigen wirtschaftlichen Beziehungen und die Förderung der Investitionen von kleinen und mittelständischen Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks. Nichts Neues, gerade eine Randnotiz wert.

Und trotzdem: Der Gipfel und der Kontext der Verhandlungen markieren eine Zäsur. Denn noch vor Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass sich der spanische König fast flehend an die ehemaligen Kolonien wendet: „Unsere Blicke richten sich auf euch.“ Die ökonomische Situation auf der Iberischen Halbinsel ist offensichtlich so desolat, dass die krisengeschüttelten Volkswirtschaften Portugals und Spaniens in den amerikanischen Ländern einen Hoffnungsschimmer und Rettungsanker sehen. Welche Ironie der Geschichte! Plötzlich würde sich das Kräfteverhältnis seit der Konquista umkehren. Nach dem Raubbau an Gold und Silber, nach der goldenen Zeit der dominanten Handelsposition wenden sich die früheren Kolonialmächte nun hilfesuchend an die wirtschaftlich expandierenden Staaten Mittel- und Südamerikas. Wie im 16. Jahrhundert sind sie erneut auf einen nicht versiegenden Strom an Kapital angewiesen, um zu überleben. Nur die Form hat sich geändert. Heute sind es vor allem die Auslandsdirektinvestitionen (FDI), auf denen große Erwartungen liegen, da durch diese Arbeitsplätze geschaffen und der soziale (sowie wirtschaftliche) Druck gemildert werden könnten.

Doch neben dem historisch-moralischen Problem, warum Lateinamerika seinen ehemaligen Ausbeutern helfen sollte, stellt vor allem die derzeitige Entwicklung dieses Szenario grundsätzlich in Frage. Kapital fließt mehr denn je nach Lateinamerika – und nicht ins krisengeschüttelte Spanien.

Lateinamerika: Auslandsdirektinvestitionen (FDI) von 1990 bis 2011 - Grafik: Quetzal-Redaktion, sscDie Grafik zu den FDI in Lateinamerika illustriert den generell starken Aufwärtstrend, unterbrochen nur von den Krisen der globalen Konjunktur. Entsprechend verzeichnete Lateinamerika im Jahr 2011 mit 153,45 Milliarden US-Dollar ausländischer Direktinvestitionen einen enormen Anstieg und neuen Höchstwert. Zugleich fällt auf, dass vor allem Südamerika profitiert. Brasilien allein vereint mit 66,66 Milliarden US-Dollar ungefähr die Hälfte der FDI auf sich.

Die Entwicklung der FDI auf beiden Seiten des Atlantiks ist dennoch ambivalent. Einerseits bildet Europa noch immer die Hauptursprungsquelle für Direktinvestitionen in Lateinamerika, und die Vermögenswerte in Lateinamerika steigen in ihrer strategischen Bedeutung stark an. Andererseits lässt sich beobachten, dass bedingt durch das ökonomische Klima weltweit Akquisitionen und strategische Allianzen zunehmend in beide Richtungen erfolgen.

Oft verbergen sich jedoch hinter den scheinbar eindeutigen Zahlen gänzlich verschiedene Intentionen. Zwar finden sich immer häufiger lateinamerikanische Firmen, die in Spanien oder Portugal investieren. Doch haben sie weniger die Rettung der iberischen Krisenökonomien im Sinn, als vielmehr die Stärkung ihrer Position auf den eigenen wachsenden Märkten. Ein anschauliches Beispiel liefert im Energiesektor die Companhia Paulista de Força e Luz (CPFL). Sie übernahm 2011 für 987 Millionen US-Dollar die spanische Firma Jantus, ein Unternehmen, das ausschließlich im brasilianischen Windenergiesektor tätig war. Ein anderes Beispiel betrifft die brasilianische TLNP, die für 961 Millionen US-Dollar einen Zehnprozentanteil an der portugiesischen Telekom erwarb, einem Hauptakteur auf dem Telefonmarkt Brasiliens.

Dieser allgemeine Rahmen zeigt schon, dass der Hilferuf von Spaniens König wohl kaum Widerhall finden wird. Allerdings ist es interessant, sich vor diesem Hintergrund die Statistiken zu den spanischen Auslandsdirektinvestitionen anzuschauen.

Lateinamerika: Auslandsdirektinvestitionen (FDI) aus Spanien (2010) - Grafik: Quetzal-Redaktion, sscDie spanischen FDI in Lateinamerika sind nach wie vor immens. So weist Spanien gegenüber Mexiko 2,91 Milliarden US-Dollar (2011) und gegenüber Brasilien sogar 9,78 Milliarden US-Dollar (2011) aus. Vor allem im brasilianischen Fall zeigt sich ein exorbitanter Anstieg im Vergleich zu 2010, als lediglich 313 Millionen US-Dollar über den Atlantik flossen. Für eine Interpretation dieser Entwicklung ist es zu früh. Aber es deutet einiges darauf hin, dass spanische Firmen zunehmend den einheimischen Markt meiden. In dieses Bild würde auch passen, dass insgesamt inzwischen 46 Prozent aller der durch FDI erwirtschafteten Gewinne in der Region reinvestiert werden und nicht zurück an die Muttergesellschaft, ergo das Heimatland der Unternehmung, fließen. Allerdings gibt es keine disaggregierten Daten, wie sich einzelne Firmen verhalten. Deshalb müsste diese Entwicklung für die spanischen Unternehmen geprüft werden.

Lateinamerika: Auslandsdirektinvestitionen (FDI) in Spanien (2010) - Grafik: Quetzal-Redaktion, sscDass das Hilfeersuchen des spanischen Königs an Lateinamerika in der Weite des Kontinents verhallen wird, liegt nicht zuletzt auch an der Struktur der spanischen Wirtschaft selbst. Denn zum einen spielen bei den FDI nach Spanien – erwartungsgemäß – lateinamerikanische Firmen bisher eine marginale Rolle. Die meisten Auslandsdirektinvestitionen kommen nach wie vor aus der Europäischen Union, vor allem den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien. Mexiko steuert gerade einmal 42,7 Millionen zu den 11,637 Milliarden Euro der FDI in Spanien bei. Das sind 0,0037 Prozent. Brasiliens FDI in Spanien liegen bei 0,0026 Prozent. Zum anderen, und dies ist der gravierendere Aspekt, wurden sämtliche spanischen Auslandsinvestitionen zwischen 1997 und 2008 durch eine steigende Verschuldungen auf den internationalen Märkten finanziert.

Entsprechend liegt die Antwort für Spaniens Probleme zunächst im eigenen Land und nicht in Lateinamerika; der Hilferuf des Königs richtet sich an die Falschen. Spanien muss also weiter nach neuen Quellen suchen, um seine fiskalischen Probleme zu lösen. Lateinamerika ist sicherlich in der Lage, einen Beitrag zu leisten. Doch der wird in der Gesamtschau eher gering bleiben, daran ändern auch die Statements auf den Iberoamerika-Gipfeln nichts.

Inwiefern das Presseecho beim nächsten Treffen im Jahr 2013 in Panama umfangreicher ausfällt, hängt zum einen von der Teilnahme aller lateinamerikanischen Präsidenten ab, zum anderen von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung beiderseits des Atlantiks.

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Bildquelle: Quetzal-Redaktion, ssc

Grafiken:
Quetzal-Redaktion, ssc

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