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Der schlimmste Tag deines Lebens

Alfonso Jaramillo | | Artikel drucken
Lesedauer: 3 Minuten
Literatur - Der schlimmste Tag deines Lebens (133 Downloads )

Der schlimmste Tag deines Lebens, Bild: gtDas war der schlimmste Tag deines Lebens, jener Freitag, an dem die Zeit einen kataleptischen Anfall hatte – wie du am Samstag darauf in der Zeitung lesen konntest.
Du warst zum Aufbruch bereit, hattest – wie jeden Freitag – deinen Trainingsanzug an und warst gerade von deinem Stuhl aufgestanden, der gelangweilt war von deinem öden Hintern. Du warst eine Viertelstunde zu früh dran, hattest dich auf den Schreibtisch gestützt und konntest es kaum noch erwarten, mit deinen Kollegen Fußball spielen zu gehen.

Doch verdammt! – auf einmal bist du versteinert, in einer undefinierbaren Stellung, einem Zwischending von Sitzen und Stehen.

Alles erstarrte, alles außer deinen Gedanken, keine Ahnung, für wie lange (keiner kann das sagen oder wissen), weil ja die Zeit einen kataleptischen Anfall erlitten und sich tot gestellt hatte. Feststeht, dass es lange genug gedauert hat, um dich richtig schön leiden zu lassen, unter dem Gedanken, für immer an deinen Arbeitsplatz (?) gefesselt zu sein.

Es stimmt zwar, dass dir der Schreibtisch, über dem du gerade versteinert warst, Macht, ja muffige Bedeutung verschafft, jedes Mal wenn dir jemand einen Wisch vorlegt, damit du deinen grünlichen Stempel und deine krakelige Unterschrift darunter setzt. Das ist wohl wahr, du Herr aller Siegel, aber trotzdem wolltest du nicht in dieser bescheuerten, hybriden Position zwischen Sitzen und Stehen verharren, zumindest nicht allein. Hättest du doch nur die Frau reingelassen, der du gebieterisch die Tür vor der Nase zugeschlagen hattest, dann würdest du jetzt wenigstens arrogant zur Seite blicken und abwägen, ob die Frau den grünlichen Stempel verdient hat oder nicht. Ja, das wäre herrlich gewesen, mit dieser hochmütigen Geste zu erstarren: „Setze ich ihr den Stempel drunter oder nicht?“. Aber nein, jetzt würdest du auf den Schreibtisch gestützt verewigt werden, weder sitzend noch stehend, nichts Halbes und nichts Ganzes, wie immer, für immer.

Doch Gott sei Dank, wurde die Zeit wieder aus ihrer Starre befreit, du spürtest wieder Kraft in deinen Armen, aber statt aufzustehen, sankst du zurück in deinen Stuhl, überwältigt von der Ewigkeit, der du gerade ins Auge geblickt hattest.

Du verzogst den Mund, stecktest dir den kleinen Finger (nicht den Zeigefinger, da der voller grüner Tinte war) in die Nase und zaubertest ein Kügelchen hervor, das dann unter deinem Schreibtisch landete. Du stelltest dir vor, so verewigt zu werden – mit dreckigem kleinem Finger! – und du standest eilig auf, um mit deinen Kollegen über das soeben Geschehene zu sprechen.

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Übersetzung aus dem Spanischen: Natascha Geistmann

Bildquelle: Quetzal-Redaktion, gt

1 Kommentar

  1. Juan Miguel Reyes sagt:

    ¡Que buena Traducción!
    Abrazos, Natascha.

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