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Guerrero, Mexiko – der Fall der 43 verschwundenen Studenten aus Ayotzinapa

Gerado Lerma Hernández | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Die Wahrheitskommissioni der gegenwärtigen mexikanischen Regierung, die den Fall der 43 verschwundenen Studenten aus Ayotzinapa untersucht, hat am Donnerstag, den 18. August 2022, die aktuellen Zwischenergebnisse auf einer Pressekonferenz veröffentlicht, die von Alejandro Encinas Rodríguez, Beauftragter für Menschenrechte und zuständig für die oben genannten Wahrheitskommission, geleitet wurde. Bei der Berichterstattung wurde die aktive Beteiligung der damaligen mexikanischen Regierung und deren Zusammenarbeit mit den lokalen kriminellen Organisationen bei der Tat am 26. September 2014 bestätigt.

Die Analyse von mehr als siebzigtausend Akten, Datenbanken und Videos aus verschiedenen Institutionen Mexikos und der Vereinigten Staaten von Amerika konnte folgendes nachweisen: Die mexikanische Regierung hat die Hochschule für Lehrerii bis zum Zeitpunkt der Tat durch die Armee bespitzeln lassen. Ein Soldat war als Student eingeschrieben und gab seit 2012 alle Informationen der Aktionen permanent an die Armee weiter. Die kommunale, die Landes- und die Bundesregierung sowie die Armee wussten minutengenau über die Entscheidungen der Studentenbewegung Bescheid. Selbst am Tag des Vorfalls erfuhr die Armee alle genauen Details. Die letzte Meldung kam, als die Studenten und der Soldat in einem Bus entführt wurden.

Verschwundene-Ayotzinapa_Bild_openclipart.org_Obwohl die Armee von der Entführung des Soldaten, inklusive dessen Ortung, minutengenau Kenntnis hatte, wurde das festgelegte Sicherheitsprotokoll für solche Fälle nicht aktiviert. Damit wurden alle entführten Personen absichtlich den Händen der organisierten Kriminalität überlassen. Zu diesem Punkt wurde auch festgestellt, dass die Entscheidung der Entführung und des Verschwindens der Studenten von einem bestimmten, bis jetzt unbekannten Teil der Regierung getroffen wurde. Wie die Untersuchungen zeigen, sind der damalige Bürgermeister der Stadt Iguala, die lokale kriminelle Organisation und Regierungsmitglieder gemeinsam für die Entscheidung verantwortlich. Relativ sicher ist, dass ein Oberst der Armee die Ermordung von sechs Studenten befohlen hat. Bei einer anderen Meldung dieser Berichterstattung wurde auch darüber informiert, dass sich bis jetzt nur der Mord von drei Studenten beweisen lässt. Es gibt keinen Hinweis über den Verbleib der anderen Studenten inklusive des Soldaten.

Nach den Untersuchungen scheint es relativ sicher, dass sie nicht mehr leben. Ein Tag nach der Veröffentlichung des Berichts hat die mexikanische Staatsanwaltschaft 83 Haftbefehle ausgestellt, die 20 Mitglieder der Armee, 16  Personen der Verwaltung und Polizei des Bundesstaats Guerrero, 33 Lokalpolizisten der Region Huitzuco, Iguala und Cocula, sowie 14  Mitglieder der kriminellen Gruppe Guerrero Unidos betreffen. Auf Bundesebene wurde am 19. August José Murillo Karan, der damalige mexikanische Staatsanwalt, wegen Verschwindenlassens (als Form der staatlichen Willkür), Folter von mehr als 70 Personen und Rechtsbeugung festgenommen.

Die Untersuchung des Falles dauert noch an. Nach dieser Berichterstattung bleiben noch einige Fragen offen, zum Beispiel, ob sich die verantwortlichen Personen der drei Regierungsebenen von 2014 vor Gericht für die Taten verantworten müssen und bestraft werden.  Wird das verantwortliche Personal der Arme auch vor einem zivilen Gericht zur Verantwortung gezogen und bestraft? Wird die Armee ihre hoch geheimen Akten zum Fall für die Untersuchung zu Verfügung stellen? Wie war die Zusammenarbeit zwischen den drei Regierungsebenen und den kriminellen Organisationen?

Bei der Tat von Ayotzinapa waren auch deutsche Waffen aus einer illegalen Lieferung im Einsatz. Zwei Spitzenmitarbeiter einer deutschen Firma wurden im Februar 2019 zu Bewährungsstrafen verurteilt. Die Firma sollte 3,7 Millionen Euro Strafe zahlen. Diese Entscheidung wurde in März 2021 in Karlsruhe bestätigt. In Mexiko wurden 26 wichtige Zeugen, die zu diesem Fall aussagen wollten, bis zur Veröffentlichung des Berichts ermordet.

Außerdem lässt die Berichterstattung Raum für die Spekulation, dass der Bus entweder mit verstecktem Geld oder Drogen unterwegs war, als die Studenten entführt wurden. Die Eltern und Verwandten der Studenten wollen sich nach einer präzisen Analyse des Berichts neu positionieren. Fest steht, dass die aktuelle Regierung akzeptiert, dass die Untersuchungen sehr langsam und schwierig sind und dass der Staat verantwortlich ist. 

 

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i Die Wahrheitskommission wurde von der aktuellen mexikanischen Bundesregierung von Andres Manuel López Obrador per Dekret gegründet. Die Funktion der Kommission ist die Klärung des Falles nach anderen Richtlinien als die fragwürdige Untersuchung der vorangegangenen Regierung. Die Ergebnisse der Kommission werden bei der Staatanwaltschaft eingereicht und für die juristischen Aufarbeitung des Falls genutzt. Der aktuelle Bericht wurde nicht von der Exekutive Mexikos (Polizei) erstellt. Nachdem die Judikative (Staatsanwaltschaft) die Richtigkeit der Ergebnisse des Berichts geprüft hat, wird die Exekutive zur offiziellen Ermittlung eingeschaltet. Erst dann kann es zur juristischen Aufarbeitung und ggf. Bestrafung von Schuldigen kommen.

ii Die Hochschule für Lehreramt Ayotzinapa befindet sich im Bundesland Guerrero, die Hochschule ist ein Internat und ein Studienort für Kinder aus Familien mit niedrigem finanziellen Einkommen. Die Hochschule ist wegen ihres politischen Widerstands bekannt. Besonders wichtig ist in diesem Kontext, dass der Bundesstaat Guerrero eine besondere Rolle in der Geschichte Mexikos auf Grund ihrer progressiven politischen Strömungen spielt. Guerrero gilt auch als Spitzenproduzent und Exporteur für Drogen, Silber und Gold. Dort liegen auch die verlockende touristische Route „Dreieck der Sonne Taxco – Acapulco – Zihuatanejo“ sowie die ärmsten Kommunen der Welt.

Bildquelle: [1] openclipart.org

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