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Raasch, Rolf: B. Traven und Mexiko

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten
Rolf Raasch - B. Traven und Mexiko (156 Downloads )

Große Männer haben immer etwas Geheimnisvolles, was ihre Person angeht, haben immer etwas zu verbergen, was ihre Vergangenheit betrifft. Das Geheimnis braucht nicht unbedingt ein Mord oder ein Raubüberfall zu sein. Trotzdem ist es gerade dieses Geheimnis, das einem großen Manne eine Nuance des Rätselhaften verleiht, grundlegend für seine Macht über das Mittelmaß. [B. Traven (zit. nach Rolf Recknagel: B. Traven. Beiträge zu einer Biographie. Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1982, S. 334)]

Rolf_Raasch_Traven_Mexiko.jpgB. Traven, Ret Marut, B.T. Torsvan, Hal Croves, Albert Otto Max Feige… Ist einer dieser Namen der richtige? Der Schriftsteller, der sich B. Traven nannte, das so genannte größte literarische Geheimnis im deutschen Sprachraum, lieferte auch mit seinem eigenen Leben das Zeug für einen Roman. Seit 1925, als das erste seiner zahlreichen Bücher in der Büchergilde Gutenberg erschien, rätseln seine Leser und in deren Gefolge Journalisten und Literaturwissenschaftler, wer sich hinter diesem Namen verbergen könnte. Und obwohl bereits in den60er Jahren des letzten Jahrhunderts von dem Leipziger Rolf Recknagel schlüssig aufgedeckt wurde, dass sich hinter B. Traven der Anarchist Ret Marut verbirgt, Journalist und Revolutionär während der Bayrischen Räterepublik, reißen die Versuche zur Enttarnung des Menschen Traven bis heute nicht ab. Es gibt die abenteuerlichsten Theorien, aber bis heute ist die Identität dieses Mannes nicht geklärt: Auch Ret Marut war nur ein nome de guerre.

Seine Bücher hätten eine solche Geheimniskrämerei wahrlich nicht nötig: Traven war ein regelrechter Produzent von Bestsellern. Seine sozialkritischen und dabei höchst spannenden Schilderungen des Mexikos der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts erweisen sich bis heute als höchst aktuell.

Im deutschen (oder sollte man sagen im deutschsprachigen) Buchhandel scheinen zur Zeit allerdings nur zwei Bücher von B. Traven lieferbar zu sein – Das Totenschiff und Der Schatz der Sierra Madre. Das lässt nun nicht gerade darauf schließen, dass Traven nach wie vor zu den meistgelesenen Schriftstellern gehört, wie es immer wieder heißt. Im englischen Sprachraum sieht das übrigens anders aus; aber das nur am Rande. Nun gut, sozialkritische, gar kapitalismuskritische Bücher sind heutzutage nicht eben modern. Und in einer Welt, die immer weiter zusammenwächst, ist das ferne Mexiko auch nicht mehr so fern und exotisch…

Umso verdienstvoller ist es, dass in einem neuen Buch versucht wird, sich Traven von einer anderen Seite zu nähern: nicht detektivisch dem Geheimnis der Person Travens auf die Spur zu kommen, sondern „durch den Blick auf das Leben und Werk des faszinierenden Schriftstellers B. Traven die politischen und sozialen Probleme Mexikos näher zu bringen.“ Rolf Raasch will mit seinem Buch „den Zusammenhang von Leben und Arbeit des Autors parallel zur politischen und sozialen Entwicklung des Landes bis in die jüngste Zeit sichtbar“ machen. Ein Anspruch, mit dem er sein Buch thematisch sehr breit anlegt. Nach einem kurzen Abriss zum Mythos Traven widmet sich der Autor recht ausführlich der mexikanischen Revolution von 1910 bis1920, um danach Travens Mexiko-Bücher inhaltlich und in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang darzustellen. Abschließend wird ein Bild des nachrevolutionären Mexikos bis zur aktuellen zapatistischen Bewegung gezeichnet. Ein umfangreicher Anhang mit biographischen Angaben zu B. Traven und einer Übersicht seiner (lieferbaren) Werke schließt das Buch ab.

Das ist viel Stoff für 161 Seiten. Nach deren Lektüre fällt es mir schwer zu ergründen, für wen dieses Buch geschrieben wurde. Rolf Raasch selbst gibt an, dass er Neulingen Lust auf die Lektüre von Travens Büchern machen und dem Eingeweihten über die Bücher hinaus einen Blick auf die Verbindung des Autors zu Mexiko eröffnen will. Da ich sowohl Traven als auch Rolf Recknagels „Beiträge zu einer Biographie“ (spannend wie ein Krimi) gelesen habe, sollte ich mich wohl zu den Eingeweihten zählen. Vielleicht macht mich das Buch deshalb so ratlos. Ich erfahre nichts Neues, die Verbindung von Werk und Gesellschaft erschließt sich bei Recknagel besser. Die Darstellung der mexikanischen Revolution 1910/20 erscheint mir aufgesetzt. Einerseits ist sie nicht umfassend und tiefgründig genug, was nur verständlich ist, schließlich ist sie nicht das eigentliche Thema des Buches. Als Beitrag zur Einbettung von Travens Werk ist sie andererseits zu ausufernd; dafür muss ich nicht jedes neue Dekret der Revolutionäre kennen. Eine kompakte Darstellung zu Ursachen, Entwicklung, Ergebnissen und Hauptakteuren der Revolution wäre hier wahrlich besser gewesen.

Die postulierte Absicht, neue Leser zu gewinnen, dürfte eher Chancen haben, eingelöst zu werden. Die Ausführungen zu den einzelnen Romanen und Erzählungen sind mit Originalzitaten gespickt, das könnte Lust auf mehr machen.

Apropos Zitate, die sind hier das Hauptproblem. Ich habe – ohne danach zu suchen – zwei fast wortwörtliche Zitate gefunden, die nicht als solche gekennzeichnet sind. Die Ausführungen zu Neokolonialismus in der Fußnote auf Seite 8 finden sich im Original bei wikipedia. Auf Seite 85 steht im letzten Absatz „Entweder bildet er Anagramme …“ usw., das entsprechende Original findet sich bei Recknagel, Seite 219. Wenn man einmal davon absieht, dass wikipedia nicht eben die geeignetste Instanz zur Klärung eines Fachbegriffs sein dürfte, sehr seriös erscheint diese Praxis der Verwendung fremden Gedankenguts nicht. Ich vermute einmal, dass ich nicht die beiden Ausnahmen gefunden habe. Die Übernahme von anderen Autoren würde jedenfalls den etwas unausgeglichenen Stil des Buches erklären. Vieles klingt einfach nach zweiter Hand.

Das wird auch an der häufigen Praxis deutlich, Zitate zu zitieren, Es wird selbst bei der Darstellung grundlegender Thesen auf die Prüfung der Originale verzichtet. Nicht selten wird nur behauptet, die Darstellung wirkt wie aus dem Zusammenhang gerissen. So zitiert Raasch in seinem Exkurs zur „Kolonialisierung der Psyche“ auch die Soziologin Cornelia Giebeler mit ihrer Auffassung, die Indios (hier die Zapoteken in Mexiko) könnten ihre eigene Tradition gegenüber den weißen bzw. mestizischen Einflüssen bewahren (S. 83). Raaschs Vermutung, diese Bewahrung der Tradition könnte vielleicht nur ein frommer Wunsch der Autorin sein, ist in diesem Zusammenhang nicht schlüssig, aus Giebelers Text ergibt sich eine solche Annahme nicht. Möglicherweise stammt ja nicht nur das Zitat, sondern auch die Schlussfolgerung aus dem zitierten Buch von Christoph Ludszuweit; bei Raasch fehlt der Zusammenhang.

Belassen wir es dabei. Rolf Raasch ist ohne Zweifel ein Traven-Liebhaber, einer, der alle Bücher des Wahlmexikaners gelesen hat und sich bei diesem auskennt. Und Traven-Begeisterte sind wohl eine besondere Spezies, was sonst hält den Mythos am Leben. Aber ob Begeisterung allein für ein Buch ausreicht, scheint mir fraglich. Vielleicht hätte Rolf Raasch einfach noch ein wenig warten sollen, um das Buch ohne „Gedankenklau“zu schreiben. Genügend Stoff hat er zweifellos.

Rolf Raasch
B. Traven und Mexiko

Ein Anarchist im Land desFrühlings
Oppo-Verlag, Berlin 2006
ISBN: 978-3-926880-14-7

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