Fußballweltmeisterschaft: Die Nationalmannschaft spielt sich von Sieg zu Sieg und das Land versinkt zunehmend in Euphorie. Vom Sieg der eigenen Kicker ist inzwischen jeder überzeugt. Auch die Frauen, die sich überraschend begeistert zeigen und sogar als Fußballexperten entpuppen. Zur Überraschung der Händler findet selbst die Landesflagge reißenden Absatz, plötzlich wollen sich alle damit schmücken. Die Medien konstatieren ein neues Nationalgefühl unter der Bevölkerung.
Nein, nein, nicht was Sie jetzt denken. Die Rede ist von Argentinien und der Weltmeisterschaft des Jahres 1978. Die argentinische Mannschaft um Kempes und Co. wird von einer Woge der Begeisterung getragen, die so niemand erwartet hat. Pablo, der Protagonist dieses Romans von Antonio Dal Massetto, registriert die Stimmung im Lande eher als dass er sie mitträgt. Er verfolgt die Spiele, aber er scheint etwas unbeteiligt zu sein, wenig euphorisch. Pablo ist Journalist mit schriftstellerischen Ambitionen. Die Widrigkeiten des Alltags sind ihm offenbar wichtiger als die Weltmeisterschaft: die Probleme beim Schreiben, die Störungen seines Telefonanschlusses, die ständigen Stromausfälle.
Beim Besuch seiner Freundin Ana fällt dann der verhängnisvolle Satz, der sein Leben verändern wird: Unten sind ein paar Typen. Das heißt, an der Ecke vor seinem Haus steht ein Auto, und darin sitzen zwei Männer – schon längere Zeit. Ana sind diese Männer nicht zum ersten Mal aufgefallen. Mit Anas Satz bricht der Alltag Argentiniens in Pablos Leben ein. Zur Erinnerung: Wir schreiben das Jahr 1978, in Argentinien herrscht seit zwei Jahren eine brutale Militärdiktatur. Es gibt Gerüchte über Leichen, die an die Strände gespült werden, fast jeder kennt jemanden, der verhaftet wurde oder einfach verschwunden ist. Auch Pablo kennt diese „Geschichten“. Er ist sich aber sicher, dass diese Typen nicht wegen ihm dort unten stehen. Mit Politik hat er sich nie befasst, auch nicht als Journalist. Er hat definitiv nichts getan.
Doch diese Versuche der Selbstbeschwichtigung helfen ihm nicht wirklich, der Virus der Angst hat ihn bereits infiziert und ergreift immer mehr von ihm Besitz. Am Anfang nimmt Pablo das Ganze noch sportlich, testet aus, ob die es wirklich auf ihn abgesehen haben. Da er von ihnen nicht verfolgt wird, kann es also nicht um ihn gehen. Trotzdem befolgt er Anas Rat und verlässt erst einmal seine Wohnung. Er streift durch die Stadt, die in Hochstimmung das Endspiel verfolgt und nach dem Sieg des argentinischen Teams vor Begeisterung förmlich explodiert. Die Argentinier feiern sich als Weltmeister, doch Pablo beobachtet seine Umgebung zunehmend mit Misstrauen. Denn auch wenn das Militär alles tut, um das Bild eines glücklichen Argentinien zu vermitteln – der Alltag im Lande geht weiter. Pablo gerät bei seinen Streifzügen in eine Razzia, beobachtet Verhaftungen. Vermutlich hat er Ähnliches vorher erlebt, aber jetzt bekommt alles für ihn eine andere Bedeutung. Er muss erkennen, dass Freunde sich von ihm abwenden, nachdem er ihnen von diesen Typen erzählt hat. Auch Ana zieht sich zurück. Er übernachtet im Hotel, nach Hause zurückgekehrt hält er es dort nicht lange aus. Sein einziger Ausweg scheint die Flucht zu sein. Letztendlich verlässt er Buenos Aires, ohne Ziel, von Angst getrieben, in jedem Unbekannten einen Verfolger vermutend…
Dal Masettos Roman „Unten sind ein paar Typen“ hat nicht einmal 150 Seiten, seine Handlung beschränkt sich auf zwei, drei Tage um den 25. Juni 1978 herum, den Tag des Endspiels der Weltmeisterschaft. Der Leser erhält ebenso wie der Protagonist niemals Gewissheit darüber, wegen wem diese Typen vor dem Haus stehen. Genaugenommen ist das völlig unerheblich, ihre bloße Anwesenheit verbreitet Angst. Und der Leser kann miterleben, wie sich diese Angst in Pablos Bewusstsein (und dem seiner Freunde) einnistet, langsam von ihm Besitz ergreift und ihn schließlich völlig beherrscht. Dieser Prozess ist unspektakulär und erschreckend zugleich. Pablos Angst konterkariert die Berichte von der tollen Stimmung der Argentinier während der WM, zeigt wie dünn die Tünche ist, die gute Laune widerspiegeln soll. Sie macht aber ebenso die „Effizienz“ der Militärdiktatur deutlich, ihre Fähigkeit, Menschen auch mittelbar zu zerstören.
Antonio Dal Masetto
Unten sind ein paar Typen
Rotpunktverlag, Zürich 2007
ISBN: 978-3-85869-352-5