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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Neues Theater

Nora Pester | | Artikel drucken
Lesedauer: 14 Minuten

Frida – Eine Musical-Oper

Man hält mich für eine Surrealistin, das ist nicht richtig. Was ich darstelle ist meine Wirklichkeit.” Die mexikanische Malerin Frida Kahlo (1907-1954), eine der außergewöhnlichsten Frauen des vergangenen Jahrhunderts, die mit ihren bizarren Affären, ihrem politischen Engagement, ihrem Kampf um Emanzipation und ihrer faszinierenden Malerei Geschichte machte, steht im Mittelpunkt eines preisgekrönten Erfolgsstückes von Robert Xavier Rodríguez, das 1991 in New York uraufgeführt wurde. Nach einer Überarbeitung des Stückes im Jahre 1993 hatte es im März 2001 Europa-Premiere am Schauspielhaus Wien. Die deutsche und zugleich deutschsprachige Erstaufführung fand am 12. April 2002 am Theater Nordhausen statt. Frida erzählt in kurzen Bildern vom bewegenden Leben der Frida Kahlo – von ihrer Kindheit während der mexikanischen Revolution, von ihrem tragischen Unfall, der sie zum Krüppel machte, von ihrer Leidenschaft, ihren Schmerzen und von ihrer Liebe zu Diego Rivera, bis hin zu ihrem erlösenden Tod. Die Musical-Oper basiert auf den Briefen der Künstlerin, die in der Produktion zitiert werden. Die Presse schreibt: „Sensationell gute Musik: Geige, Kontrabaß, Gitarre, Klarinette und Saxophon, Trompete, Akkordeon, Klavier und Schlagwerk – viel mehr braucht dieser Mann nicht, um außerordentlich stimmungsvolle und wandelbare Musikwelten zu erschaffen. Ausgelassenes Fiesta-Mexicana-Geklampfe wechselt mit brandyschwangerer Ballroom-Atmosphäre, Dramatik wechselt mit Intimität, Poesie mit Klamauk: alles da, alles wunderbar, eingängig – aber mit Anspruch!”

Im Rahmen der Ruhrfestspiele gastierte Frida in der Inszenierung des Schauspielhauses Wien, mit Helen Schneider in der Titelrolle, im Juni 2002 in Recklinghausen.

Teatro del Silencio: Alice Underground

Zirkus? Theater? Schrilles Politspektakel? Alice Underground ist eine Attacke auf die Sinnesorgane, inspiriert von den Werken Lewis Carrolls („Alice im Wunderland”). Der Name des chilenisch-französischen Teatro del Silencio (Theater der Stille) täuscht: Mit greller Musik, leidenschaftlichen Emotionen, tobenden kollektiven Ritualen, stürmischen physischen Aktionen und wilden Zirkusnummern vermittelt sich eine faszinierende Revue des 20. Jahrhunderts: „Ein Spektakel voller vibrierender Energie; das Publikum applaudierte wie verrückt; wunderbar energiegeladen und großartig”, schreibt Le Figaro. 1989 wurde die heute in Frankreich ansässige Gruppe von dem Regisseur Mauricio Celedón in Chile gegründet. Celedón war bis in die 80er Jahre in Ariane Mnouchkines Théâtre du Soleil engagiert, was sich in der unglaublichen Präzision seiner Darsteller und ihren suggestiven Masken widerspiegelt. Die Sprache tritt hinter die körperliche Dimension der Darstellung zurück, deren bildliche Intensität an Eisenstein erinnert und die Handlung immer wieder auf spannungsgeladene Spitzen treibt. In seiner Heimat Chile erlebte Celedón die Greuel der Diktatur. In seiner spektakulären Show vermischen sich die Abenteuer von Alice mit den politischen Ereignissen unserer Zeit. Der Zirkus der Geschichte als Alptraum. Mitten im Zirkuszelt, in dem die Gruppe spielt, klafft dort, wo die Manege wäre, ein tiefes Erdloch. Aus ihm steigen verdrängte Bilder und Figuren, aber auch Schrecknisse auf, zu denen viele politische Utopien wurden, sobald man sie in die Praxis umsetzte. Lenin, Che Guevara, Marx und Salvador Allende erscheinen aus den Abgründen der Erinnerung. Alice, kleines Kind und Revolutionärin zugleich, gerät in die Mühlen der Politik, wird zur Gefangenen, dann wieder zum Mädchen Alice, das sich fragt: „Bin ich dieselbe, die heute morgen aufgewacht ist?” Celedóns Alice Underground zeigt den Kampf mit seiner Sehnsucht nach einer gerechten Welt, die Hybris der Generäle und auch die der Revolutionäre nach dem Sieg. Die Band spielt immer wieder die „Internationale”, mal schräg ironisiert, mal als Gute-Nacht-Melodie aus der Spieluhr, dann wieder als Kampfschrei gegen die Unterdrückung, schließlich als Triumphmarsch auf dem Weg in die nächste Katastrophe. Alice Underground ist jedoch kein gedankenschweres Problemstück, sondern eine Art Varieté eines Jahrhunderts der Grausamkeit und des schwierigen Weges in die Freiheit. Musik, Theater, Zirkus und Bewegung erlauben ein Überschreiten der Grenzen zwischen Kulturen und Sprachen. Alice Underground betört und verstört durch Poesie und grellbunte Anarchie. Ein Erdbeben für die Sinne.

Im Mai 2002 gastierte das Teatro del Silencio in Koproduktion mit Ville de Saint-Geniez-d‘Olt und Ville d‘Aurillac und in Zusammenarbeit mit Art Bureau München bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen.

Teatro El Periférico de Objetos

El Periférico de Objetos, eine der wichtigsten und zugleich radikalsten Theatergruppen Argentiniens, wurde 1989 in Buenos Aires gegründet und setzt sich aus fünf Puppenspielern zusammen, die zugleich schreiben, inszenieren und spielen: Daniel Veronese, Alejandro Tantanian, Ana Alvarado, Emilio García Wehbi und Román Lamas. Veronese, ursprünglich Schauspieler, ist zudem einer der wichtigsten Dramatiker Argentiniens und inszeniert seine Texte gelegentlich auch selbst. Das Spiel mit Objekten, mit Puppen in allen Größen und Variationen im Wechsel mit schauspielerischen Elementen ist das Markenzeichen von El Periférico de Objetos.

Die Puppenspieler, die auch immer sichtbar auf der Bühne sind, spielen mit der Mehrdeutigkeit des Lebendigen und des Leblosen, mit der fremden Realität und dem Übernatürlichen. Alte Babypuppen, Barbies, Holzmarionetten, Schaufensterpuppen oder Skelette werden durch ihre Spieler zum Leben erweckt und erzählen, was der Körper des Schauspielers nicht auszudrücken vermag. Sie konfrontieren die argentinische Gesellschaft mit ihrer jüngsten, geschichtlichen Vergangenheit. Gewalt, Tod und Mangel sind die Themen fast all ihrer Stücke. Das Repertoire von El Periférico de Objetos umfasst eigene und klassische Stücke wie Alfred Jarrys Ubu Rey (1989). Mit der Produktion Machina Hamlet von Heiner Müller (1995) war die Gruppe auf vielen internationalen Festivals zu Gast.

In einer Koproduktion mit den Wiener Festwochen war das Teatro El Periférico de Objetos im Mai 2002 mit einer Neuinszenierung von La Última Noche de la Humanidad – Apokalyptische Operette nach Motiven von Karl Kraus in der Textfassung von Dieter Welke am Schauspielhaus Wien zu sehen. Über ihre eigenwillige Annäherung an Karl Kraus sagt die argentinische Figurentheatergruppe: „Wir werden versuchen, eine inhaltliche und ästhetische Brücke zu schlagen, zwischen den europäischen Höllen der Vergangenheit und den eigenen Höllen in der argentinischen und lateinamerikanischen Gegenwart. Wir tun dies auf unsere Weise, mit einem spezifischen Blick, der die Dinge schräg und grausam ins Licht setzt. Nicht mit Satire, wie Karl Kraus, aber mit schwarzem Humor, einer Waffe, der wir uns besonders gern bedienen. Wir sind weder besonders traurige noch besonders zynische Menschen; deshalb soll diese Produktion auch nicht zur Trauerveranstaltung werden, oder zum zynischen Abgesang auf die Geschichte verkommen. Diese Attitüde halten wir für die intellektuelle Sonderform der Verblödung. Und auch dem schlechten Gewissen, dem Ruhekissen der Bessergestellten, werden wir keine Chance geben. Das ist zumindest unsere erklärte Absicht; ob es uns gelingt, wird sich erweisen.”

Selbstmord unter verschiedenen Blickwinkeln ist das Thema des neuen Stücks Apócrifo 1: El suicidio von El Periférico de Objetos. In einem ästhetisierenden und einem dokumentarischen Teil spielt das Stück mit der Schwere, die gesellschaftlich auf dem Thema Selbstmord lastet. Der Grundton ist melancholisch und optimistisch zugleich. Puppen testen als eine Art ,Selbstmörder-Dummies’ das körperliche Verhalten bei verschiedenen Todesarten. Auf einer philosophischen Ebene geht es um die Verteidigung des Selbstmords, um die intellektuelle Erlaubnis, die Angst vor dem Leben und die Sehnsucht nach dem Tod.

El Periférico de Objetos greift ein Thema auf, das in der argentinischen Gesellschaft allgegenwärtig ist: Argentinien gehört zu den Ländern mit der höchsten Selbstmordrate. „Dieses große BETÄUBTE OBJEKT nagt an uns und täuscht uns mit melancholischer Schönheit”, schreibt Veronese. Das Spiel mit den Puppen und Objekten soll eine Distanz schaffen, die es ermöglicht, sich politisch und gesellschaftlich brisanten Themen jenseits von einem realistischen Diskurs zu nähern – ein „Theater der Manipulation”.

Apócrifo 1: El Suicidio, eine Koproduktion von Theater der Welt, Hebbel-Theater und dem Festival d‘Avignon, hatte im Rahmen von Theater der Welt im Juni 2002 in Köln Premiere und war ebenfalls im Juni im Hebbel-Theater Berlin zu sehen.

Beatriz Catani: Cuerpos (a)banderados

Cuerpos (a)banderados – (Un)beflaggte Körper erzählt von zwei Schwestern und einer Leiche, von Kunst, Politik und argentinischer Geschichte. Angeles, die ältere Schwester, kehrt nach jahrelanger Abwesenheit in ihr Heimatdorf zurück. Aus der Großstadt bringt sie die Leiche ihres Freundes mit, der an seltsamen Bisswunden gestorben ist. Diese Leiche soll zum Beweis für schreckliche Vorgänge im Land werden. Daher braucht Angeles die Hilfe ihrer Schwester Aurora, einer Kunstfotografin, die die Bisswunden dokumentieren soll. Zugleich muß die Leiche verschwinden, weil sie Angeles kompromittiert. Doch die Schwester ist voller Vorwürfe und zögert, ihr zu helfen. Die Auseinandersetzung der Schwestern wird von Amina, einer unnachgiebigen Bürokratin, kommentiert.

Cuerpos (a)banderados setzt sich mit der jüngsten Vergangenheit Argentiniens auseinander. So steht die Leiche für die Verschwundenen, die Opfer der Militärdiktatur. Andere Aspekte wiederum entziehen sich einer linearen Deutung. Besonders die Bürokratin schafft Verwirrung. Als Inbegriff der Willkür des Staatsterrors zerstört sie durch ihre ständigen Wortspiele mit dem verneinenden Präfix ,a’ jeden Ansatz der Verständigung – als würde der Staatsterror zugleich die Sprache ihrer Funktion als Mittel der Verständigung berauben.

Beatriz Catani liegt jedoch nichts ferner als sozialkritischer Realismus ohne Hinterfragung der Formen der Repräsentation. Politisches Potential auf der Bühne wiederzuentdecken heißt bei der argentinischen Theatermacherin, Inhalte so zu verschlüsseln, dass die Zuschauer gefordert werden. Sie sollen sich im Entsetzen über das Nichtverstehen üben, über die Grausamkeit, über die bestehenden Zustände: die Bühne als Schulung der politischen Wahrnehmung.

Beatriz Catani, geboren 1955 in La Plata, gehört zu der neuen Generation argentinischer Regisseure. Sie studierte Geschichte und Dramaturgie. Seit 1998 führt sie selbst Regie und ist in ihren Stücken immer wieder auch als Schauspielerin auf der Bühne zu sehen. Als Regisseurin hat sie sich in den letzten Jahren durch innovative und experimentelle Projekte ausgezeichnet, denen sowohl ein besonderer künstlerischer als auch politischer Ansatz eigen ist. Neben ihrer Arbeit als Dramaturgin und Regisseurin ist Beatriz Catani außerdem als Theaterdozentin tätig, sie gibt Theaterworkshops, u.a. an der nationalen Universität von La Plata. Zu ihren Stücken zählen unter anderem Todo Crinado, Perspectiva Siberi und Ojos de Ciervo Rumanos.

Cuerpos (a)banderados erlebte im Rahmen von Theater der Welt im Juni 2002 in Bonn seine deutsche Erstaufführung.

Rubén Szuchmacher: La biblioteca de Babel

Der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges war Angestellter einer öffentlichen Bibliothek in Boedo, ein in seinen Augen tristes und monotones Viertel in Buenos Aires. Diese Tatsache wird leicht vergessen, wenn man sich in der Unendlichkeit seiner literarischen Labyrinthe verirrt. In eben jener Bibliothek führt eine kleine Theatertruppe fast ein halbes Jahrhundert später ein Stück über die Erzählung Die Bibliothek von Babel auf, die Borges genau an diesem Ort geschrieben hat. Als Gipfel dieses Spiels der chinesischen Schachteln legt Regisseur Rubén Szuchmacher den Text zwei grauen Bibliothekaren in den Mund. In strenge Kittel gekleidet, das Mategefäß in der Hand, eignen sie sich diese Worte an, die eine der abstraktesten Fiktionen bilden, die je in der Welt der Bücher erdacht worden ist. Durch diese Bibliothekare rekonstruiert sich in der Prosa eines Schriftstellers der subtile Übergang von der Realität zur Fiktion. Der anspruchsvolle Aufbau der Bibliothek von Babel entspringt der Realität von Fluren, Kellergeschossen, Treppen und Regalen, die bis heute unverändert ist. In der Träumerei eines Bürokraten verwandelt Borges die traurige Ansammlung von Büchern, Lexika und Kompendien in die sonderbare Glückseligkeit der universellen Bibliothek, die das gesamte Wissen der Menschheit enthält.

Rubén Szuchmacher wurde 1951 in Buenos Aires geboren. Er studierte an der Universität seiner Heimatstadt Musik, Tanz und Theater. Mittlerweile zählt der Schauspieler, Regisseur, Choreograph und Dozent für Dramaturgie zu den wichtigsten Persönlichkeiten in der zeitgenössischen argentinischen Theaterlandschaft. Zu Szuchmachers jüngeren Inszenierungen zählen Brechts Galileo Galilei, Euripides’ Ifigenia en Aulide, Brittens Otra Vuelta de Tuerca, Liederkreis von G. Gandini/A. Tantanian, Calígula von Camus, Ein Sommernachtstraum von Shakespeare und Decandencia von Berkoff. Mit Amor de Don Perlimplín con Belisa en su jardín war Rubén Szuchmacher bei Theater der Welt 1999 in Berlin zu Gast.

La biblioteca de Babel hatte seine europäische Erstaufführung im Rahmen von Theater der Welt im Juni 2002 in der Kölner Stadtbibliothek und war anschließend in der Haus Amerika Gedenkbibliothek Berlin zu sehen.

Teatro da Vertigem: Apocalipse 1,11

Mit starken Bildern beschreibt das Teatro da Vertigem in Analogie zu den apokalyptischen Visionen des Heiligen Johannes die von Armut, Gewalt und Korruption geprägte Realität São Paulos. Angeregt von Berichten über die Verbrennung eines brasilianischen Indianers durch mittelständische Teenager auf offener Straße und das Massaker an 111 Gefangenen bei einem Aufstand im Gefängnis von Carandiru untersucht die Gruppe in Apocalipse 1,11 (Text von Fernando Bonassi) den gegenwärtigen Zustand der brasilianischen Gesellschaft, in der Glaube und Religion eine enorm wichtige Rolle spielen, aber die Bereitschaft zur Gewalt immer größere Ausmaße annimmt.

Antônio Araújo studierte Regie an der Universität São Paulo (Brasilien). 1992 gründete er die Gruppe Teatro da Vertigem und ist seither deren Künstlerischer Leiter. Teatro da Vertigem bedeutet „Theater des Schwindels”, im Sinne von Gleichgewichtsverlust, und so prägt eine fallende Figur das Logo der Gruppe. Schauspieler, Autor, Regisseur und Bühnenbildner hinterfragen die aktuelle Situation der Gesellschaft und erarbeiten gemeinsam in „kollaborativen Prozessen” Text und Inszenierung. Ihre erste Produktion, Paradise Lost von John Milton, wurde in einer Kirche aufgeführt und noch im selben Jahr mit dem Special Prize der Gesellschaft für Art Critics in São Paulo ausgezeichnet. Ihre zweite große Produktion Das Buch Hiob basiert auf dem gleichnamigen alttestamentarischen Text und hatte 1995 in einem Krankenhaus Premiere. Mit diesem Stück gewann die Gruppe gleich mehrere wichtige Theaterpreise in Brasilien. Auch Antônio Araújo selbst erhielt anläßlich dieses Stückes vier nationale Preise für die beste Regie. Apocalipse 1,11 ist das dritte Stück auf der Grundlage biblischer Texte an besonderen Orten. Im Januar 2000 wurde es erstmals dem Publikum, das nach Art eines Stationendramas den Schauspielern von Spielort zu Spielort folgte, im Gefängnis von Hipódromo in São Paulo gezeigt. Apocalipse 1,11 bekam 2001 neben anderen Auszeichnungen auch den begehrten Shell Special Prize. Weitere Inszenierungen von Antônio Araújo sind Clytemnestra von M. Yourcenar, Oberösterreich von F. X. Kroetz und Aoi von Y. Mishima. Die deutsche Erstaufführung von Apocalipse 1,11 fand wie in Brasilien auch hier in einem Gefängnis im Rahmen von Theater der Welt im Juni 2002 statt. Es war jedoch das erste Mal, daß die Produktion in einer belegten Vollzugsanstalt, der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf, zu sehen war.

Mapa Teatro: Ricardo III

In der finalen Schlachtszene der Tragödie ist Richard III bereit, seine über fünf Akte tapfer verteidigte Macht aufzugeben, um seine Haut zu retten. „Mein Königreich für ein Pferd.”

Mapa Teatro vervielfacht die Titelfigur und inszeniert mit drei Richards die Exzessivität dieses grausamen, heimtückischen Mannes, ein blutrünstiges Tier, eine gemeine Seele in einem abstoßenden Körper. Er kann mit cleveren Reden betören und Freundschaft ebenso wie Liebe vortäuschen. Er offenbart einen komplexen menschlichen Mechanismus: das große Böse. Shakespeare läßt uns verstehen, was diesen Mann motiviert hat. Die Tragödie bezieht sich einerseits auf die blutigen Verfolgungen und den Verlust von Werten im alten Europa und verweist andererseits auf aktuelle Probleme und Konflikte. „Als Kolumbianer müssen wir tagtäglich mit den Folgen extremer Situationen wie Krieg, Terror, Rache und Tod leben.” Der kolumbianische Richard III wirft die Frage auf, wie wir mit dem Bösen in uns leben können.

Shakespeare beschreibt in seinem 1592 verfaßten Stück den Aufstieg, die Krönung und den Fall von Richard III (dem früheren Duke von Gloucester) und weicht kaum von den historischen Tatsachen seiner Regentschaft ab. Die Brüder und zwei Schwestern, aus denen sich Mapa Teatro zusammensetzt, präsentieren eine neue Version dieser Tragödie, voller Referenzen zu ihrem eigenen Land. Wenn Richard of Gloucester beispielsweise entscheidet, seine Frau, Lady Anne, zu ermorden, tötet er sie auf eine Weise, wie man es aus den kolumbianischen Nachrichten kennt. Vor wenigen Jahren nahmen in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá einige Kriminelle eine Frau als Geisel und legten ihr eine Sprengstoffmanschette um den Hals, die erst entfernt werden sollte, wenn das Lösegeld bezahlt worden war.

Der Philosoph und Schriftsteller Georges Steiner sagte: „Du tötest mit offenen Augen und machst weiter, weil das Böse anwesend ist und du in ihm aufgehst.” Das Böse Kolumbiens ist Gewalt, Korruption, Drogen, Machtmißbrauch, Prostitution und Mord. „Das bedeutet, daß unsere Arbeit nicht in eine Illustration der Gegenwart über Analogien verwandelt werden muß. Vielmehr wollen wir Spannung mit den von uns benutzten Referenzen erzeugen, um das Publikum weder zeitlich zu weit zurückzuversetzen, noch zu nah an die Gegenwart heranzulassen.”

Im Rahmen des kunstenfestival des arts war die kolumbianische Gruppe Mapa Teatro mit Ricardo III im Mai 2002 in Brüssel (Belgien) zu Gast.

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