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1898 – Katastrophe für wen?
Eine Replik

Daniela Vogl | | Artikel drucken
Lesedauer: 3 Minuten

98 ist in erster Linie als militärische Niederlage zu betrachten, nämlich als Niederlage des alten spanischen Kolonialismus, der sich auf Monarchie, Oligarchie und Katholizismus stützte, und als Sieg des neuen kapitalistischen Imperialismus. Eine Katastrophe allerdings war jenes Jahr nur für die Kräfte innerhalb Spaniens, die durch den Erhalt des kolonialen Status Quo auch die in Spanien herrschenden Verhältnisse in ein neues Jahrhundert hinüberretten wollten. Der Verlust der letzten Kolonien zeigte denn auch zwangsläufig die Missstände im Mutterland selbst auf: eine unglaublich rückständige Wirtschaft, die nur auf unbedeutende industrielle Enklaven in Barcelona und im Baskenland verweisen konnte und in der selbst die Landwirtschaft international nicht konkurrenzfähig war, und eine großteils analphabetische Bevölkerung, die unter überkommenen kazikisehen Machtstrukturen in ländlichen Gebieten lebte. Indem diese Situation sichtbar und von den Intellektuellen der „Generation von 98“ auch thematisiert wurde, eröffnete die angebliche Katastrophe für die Mehrheit der spanischen Bevölkerung große Chancen. Ein Spanien, dass sich nicht mehr Träumen vom Weltreich, in dem die Sonne niemals unterging, hingab, konnte endlich nach innen blicken, sich auf Modernisierung der eigenen politischen wie Wirtschaftlichen Situation konzentrieren. Mit dem Ende des Kolonialreichs eröffnete das Jahr 98 auch einen langsamen (heute noch andauernden) Prozess, in dem Spanien jenen Teil seines kulturellen Erbes wiederentdeckt, der 1492 zeitgleich mit dem Beginn der kolonialen Expansion von den katholischen Königen zerstört wurde, jene Epoche, in der Spanien auch Sefarad und Al-Andalus war und die drei monotheistischen Weltreligionen einmal friedlich zusammenlebten.

Die Chancen von 98, die von Intellektuellen so richtig erkannt wurden, sollten allerdings bis zum Beginn der kurzlebigen II. Spanischen Republik kaum genutzt werden. Zwischen Franco, dem Ende der II. Republik und 98 besteht tatsächlich eine Verbindung. Sie besteht aber eben nicht darin, dass Franco die angebliche Schuld korrupter Politiker für Spaniens „schmachvolle“ Niederlage erkannte, sondern dass er in gewisser Weise die Schmach von 98 erst kreierte, dafür sorgte dass das vermeintliche Trauma der Bevölkerung stets präsent blieb und je weiter es historisch zurücklag um so belastender empfunden wurde, um seine eigene Diktatur mit ihren lächerlichen Großmachtansprüchen (una España grande y libre) und ihrem Isolationismus zu rechtfertigen.

Die immer noch junge, aber stabile spanische Demokratie beschäftigt sich wieder mit den Ereignissen von 98. Und die Gefahr ist groß, angesichts der von vielen als unbefriedigend empfundenen Rolle Spaniens in Europa sowie unter den spanischsprachigen Ländern und den wirtschaftlichen Problemen des Landes wieder auf einfache, alte Interpretationsmuster zurückzufallen. Das widerspricht nicht nur den historischen Fakten, es würde 98 nun endgültig zur Katastrophe machen, nicht wegen den damaligen Ereignissen, sondern wegen der Chancen die ungenutzt blieben.

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