Quetzal Vogel
News Icon
Quetzal

Politik und Kultur in Lateinamerika

Template: single_normal
Printausgaben

„Hoffnung Nikaragua“ in Leipzig – ein Beispiel entwicklungspolitischer Basisarbeit in der DDR

Wilhelm Volks | | Artikel drucken
Lesedauer: 9 Minuten

Große Dinge erwachsen oft aus geringen und zufälligen Anlässen. Wenn man denn die Entstehung der Initiativgruppe „Hoffnung Nikaragua“ (IHN) als ein solches „großes Ding“ bezeichnen möchte, so wird diese These bestätigt.

1981, die sandinistische Revolution hatte gerade zwei Jahre zuvor gesiegt, kommt es zwischen drei jungen „DDR-lern“ und einer US-amerikanischen Touristin in einer Ostberliner Gaststätte zu einem Streitgespräch über Nikaragua. Dieses Gespräch, in dem die DDR-Leute die Revolution verteidigen und in der Entwicklung Nikaraguas ein Zeichen der Hoffnung sehen, wird die Geburtsstunde der „Initiativgruppe Hoffnung Nikaragua“ Leipzig. Nicht nur mit Worten die Sandinisten verteidigen, sondern „man müßte auch konkret etwas für Nikaragua tun“ – so lautete die Quintessenz dieser Auseinandersetzung.

Der Anlaß mag zufällig sein, die Motivation für unabhängige Gerechtigkeit war es nicht, meist hatte sie zwei Aspekte:

Das Wissen vom Elend in unserer Welt läßt Untätigsein (eigentlich) nicht zu. Und: Nur wer „etwas Sinnvolles tut“, konnte der Apathie und den vorgefertigen „Strickmustern“ der gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR entgehen.

Wie andere Basisinitiativen auch, standen die Mitglieder der IHN in einem generellen Spannungsfeld, denn „charakteristisch und tragisch war wie in fast allen Bereichen der ehemaligen DDR die Trennung von staatlichem bzw. gesellschaftlich kontrolliertem Vorgehen und dem innovativen, unabhängigen Engagement nicht weniger Bürgerinnen und Bürger. Nichts fürchtete das alte System mehr als klarblickende, nicht erpreßbare Menschen, die nicht aufgaben.“ [1]

In dieses gesellschaftliche, besser noch Partei- und Staatsumfeld, pflanzte sich die Arbeit der IHN, deren Mitglieder mit durch das unabhängige Engagement für Nikaragua geschärftem Blick auch die gesellschaftliche Realität in der ehemaligen DDR kritisch reflektierten. Kunst und Kultur des Volkes, Befreiungstheologie und Dialog zwischen Sandinisten und Christen blieben somit nicht nur Begriffe aus einer fernen Welt, sondern wurden zu Instrumentarien für unser eigenes Handeln. Karim Saab, einer der Mitbegrüder der IHN, brachte dies in einigen Thesen wie folgt zum Ausdruck:

  • „Die Theologie der Befreiung verweist uns auf die Armen im eigenen Lebensbereich. … Christen in der DDR, die sich von der Theologie der Befreiung inspirieren lassen, müssen sich daher in ihrem eigenen Lebensbereich den Armen (Deformierten, Benachteiligten, Leidtragenden) zuwenden.
  • Die Auseinandersetzung mit dem Elend in der Zweidrittelwelt provoziert Rückfragen an uns und unsere Gewohnheiten. … Hören wir von der Verhaftung chilenischer Gewerkschafter, kann das Anlaß sein, über unsere Gewerkschaft nachzudenken. … Hören wir von der Beteiligung salvadorianischer Christen am bewaffneten Befreiungskampf, sollten wir es nicht versäumen, unsere Haltung zur Gewaltfrage zu differenzieren…
  • Wenn uns ein Mosambiquaner von der Hoffnung erzählt, daß die neuen Verhältnisse in seinem Land einen ‚Neuen Menschen‘ prägen werden, sollte uns das anregen, über die Verwirklichung dieses sozialistischen Ideals in der DDR nachzudenken …“ [2]

Diese Ausführungen spiegeln etwas von dem Selbstverständnis der IHN-Arbeit wider. Man muß allerdings dazu sagen, daß innerhalb der quantitativ recht kleinen Gruppe der „unabhängigen“ Zweidrittelwelt-Engagierten Selbstverständnis-Diskussionen eher die Ausnahme statt die Regel waren. Der Grund dafür war recht simpel: Man war froh, sich überhaupt gefunden zu haben, kommunizieren und arbeiten zu können; möglicherweise „trennende“ Diskussionen vermied man deswegen. Klar aber war: Gruppen wie die IHN verstanden sich auch als entwicklungspolitisch Wirkende, die bewußt und gezielt das gesellschaftliche Konzept in der DDR, Normen und Wertvorstellungen mit Hilfe von Systemdiskussionen in den Zweidrittelweltländern in Frage stellten. Auch waren diese Gruppen Praxis- und Erprobungsfelder für Demokratieverhalten und alternative Ansätze für kommunikative und partizipatorische Strukturen. Neben der ganz konkreten Zweidrittelwelt-Arbeit stellten sie ganz bewußt ein Stück Gegen-Öffentlichkeit in der ehemaligen DDR dar.

Eine solche Arbeit war ohne die Unterstützung der Kirche nicht möglich, da sich der real-sozialistische Staatsapparat bekanntermaßen und paradoxerweise dem Bedürfnis nach echter Basisinitiative verschloß (was zweifelsohne auch zu seinem beschleunigten Verfall beitrug) und den bestehenden Gruppen in differenzierter und abgestufter Weise das Leben schwermachte. Der Staat überließ sowohl die Legitimation der Gruppen als auch ihre Reglementierung in den meisten Fällen der Kirche, deren hierarchische Organisation er als Pendant zu sich (Staat im Staate) ansah und geradezu herausforderte. So war die IHN ihrerseits der Superintendentur Leipzig an der Nikolaikirche angegliedert. Dies bildete zum einen den Rahmen und die Voraussetzungen ihrer Arbeit, auf der anderen Seite aber befand sie sich damit auch in dem komplexen Spannungs-, Abhängigkeits- und Entsprechungsgefüge zwischen Kirche und Staat. So bekam z. B. die Gruppe kirchliche Räume für ihre wöchentlichen Treffen, als diese aber zu öffentlichen Veranstaltungen zusammen mit dem Arbeitskreis Ökologie beim Stadtjugendpfarramt genutzt werden sollten, wurde dies seitens der Kirchenleitung untersagt. Auch stand die Gruppe mitten in der Auseinandersetzung zwischen der Kirchenleitung und den Organisatorinnen und Durchführenden der montäglichen Friedensgebete um deren politische Inhalte. Letztlich wurden viele Initiativen der Gruppen durch den Synodalausschuß bei der Superintendentur Leipzig mehr behindert denn gefördert; wie man heute aufgrund von Stasimit- und Zuarbeit einzelner Mitglieder weiß.

Unabhängig aber von diesem ambivalenten Verhältnis zwischen Basisgruppen und Kirchenleitung ermöglichte dieser Bezug der IHN eine Arbeit, die tatsächlich in die Öffentlichkeit getragen werden konnte und den staatlicherseits zuerkannten Rahmen sprengte. Es konnte wirklich eine neue Öffentlichkeit geschaffen werden. Ich denke dabei beispielsweise an eine dreitägige Veranstaltung zugunsten des Projekts der Gruppe, dem Landschulzentrum Monte Fresco in Nikaragua, an der sich eine ganze Reihe bekannter Künstlerinnen beteiligte, einschließlich derer, die mit einem Auftrittsverbot belegt waren oder auch an die Veranstaltungsreihe „Hoffnung und Politik“, die zu einem Podium des Austauschs über Innenansichten zur DDR wurde. Aber auch nach außen hin, über die Ländergrenzen hinweg, wurde die staatliche Abschottung durchbrochen. So konnte jahrelang das Landschulzentrum in Monte Fresco unterstützt werden, auch mittels des Erlöses aus einer mail-art-Ausstellung „Hoffnung Nikaragua“, an der sich Künstlerinnen aus etwa 20 Ländern mit ihren Arbeiten beteiligten und die in zahlreichen Kirchen zu sehen waren.

Diese und andere Initiativen der Gruppe wurden natürlich staatlicherseits nicht einfach hingenommen, sondern beständig behindert. Eine starke Behinderung der IHN-Arbeit war, daß eine Lichterkette vor dem Leipziger Capitol bei der Internationalen Dokumentär- und Kurzfilmwoche zum Anlaß genommen wurde, über die Botschaft den nikaraguanischen Studentinnen den Kontakt zur Gruppe zu untersagen, da diese vom CIA (!) unterwandert sei. An dieser Legende hatte die Gruppe jahrelang zu tragen, bis sie mit Hilfe eines neuen nikaraguanischen Botschaftsrates ausgeräumt werden konnte. Gegen diese Behinderungen setzte sich die IHN zur Wehr, auch indem sie sich Verbündete suchte und sich als Teil von größeren Zusammenhängen verstand. So nahmen Mitglieder der Gruppe aktiv an „Konkret für den Frieden“, dem jährlichen Treff Delegierter aus Friedens-, Ökologie- und Gerechtigkeitsgruppen teil und waren engagierte Mitglieder des ökumenischen Arbeitskreises INKOTA (Information, Koordination und Tagungen zur Problemen der Zweidrittelwelt, heute INKOTA-netzwerk e.V.). INKOTA hatte sich in der ehemaligen DDR zur Aufgabe gemacht, die Kluft zwischen Basisinitiativen und Administration zu überbrücken – und das mit einigem Erfolg. So wurde beispielsweise, ausgehend von einer Großspende der IHN, die im Beisein des nikaraguanischen Botschaftsrates an das Solidaritätskommitee übergeben wurde, erreicht, daß im Rahmen staatlicher Solidaritätsleistungen einmal jährlich unentgeltlich ein Sammelcontainer unabhängiger Nikaragua-Gruppen zu ihren Partnern transportiert wurde. Zweifellos zählen auch eine Studiendelegation der Evangelischen Studentengemeinde und INKOTA 1986 nach Nikaragua sowie ein halbjähriger Aufenthalt eines IHN-Mitgliedes in Nikaragua im Jahr 1989 zu diesen Erfolgen, selbst eingedenk dessen, daß ein geplanter Brigadeeinsatz unabhängiger Gruppen bei der Kaffeernte in Nikaragua am Veto des FDJ-Zentralrates scheiterte.

Die mehr als zehnjährigen Erfahrungen unabhängiger Solidaritätsarbeit bilden auch heute in einer veränderten politischen Landschaft die Grundlage und den Fundus der Fortsetzung dieser Arbeit.

In der Arbeit unabhängiger entwicklungspolitischer Gruppen nach 1989 sind eine ganze Reihe von Veränderungen zu beachten:

  • Ende 1989/Anfang 1990: Gründungs welle von entwicklungspolitischen und der weltweiten Solidarität verpflichteten Vereinen sowohl aus dem staatlichen als auch aus dem kirchlichen Bereich heraus; Entstehung entwicklungspolitischer Runder Tische.
  • 1991 -1993: Aufbau- und Erprobungsphase in vielen entwicklungspolitischen Vereinen mit Hilfe von ABM-Förderung. Unterstützung bei der Grundausstattung der Büros, der Förderung von Studienreisen/Workcamps sowie der Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit bekamen die Gruppen vornehmlich durch den ABP (Ausschuß für entwicklungsbezogene Bildung und Publizistik bei der Evangelischen Kirche in Deutschland).
  • Förderung der Projekt- und Bildungsarbeit durch das Entstehen neuer Einrichtungen aus dem ehemaligen DDR-Umfeld heraus. Genannt seien in erster Linie der Verteilerrat Nord-Süd (als Vorläufer der gerade gegründeten Nord-Süd-Stiftung), der im Sommer 1992 aus dem nicht unerheblichen Vermögen des ehemaligen Solidaritätskomites der DDR, das sich in den privatrechtlichen „Solidaritätdienst-International“ gewandelt hatte, ein Budget von 1,8 Millionen zur Verfügung hatte, und der Verteilerrat der Nikaragua-Gruppen (500 000 DM aus vom FDGB veruntreuten Solidaritätsspendengeldern).
  • Zunahme von Auslandsprojekten, die den Vereinen nicht selten erhebliche Kräfte abfordern zuungunsten inländischer entwicklungspolitischer Bildungs- und Öffentlichkeit.
  • Starkes Anwachsen der Dritte-Welt-Läden-„Szene“ (ca. 100 Läden in den fünf Neuen Ländern), die zumindest quantitativ den entwicklungspolitischen Gruppen den Rang abliefen.

Mit dem Stop der ABM-Maßnahmen im Sommer 1993 ist die erfreuliche Entwicklung in Gefahr. Laut Erhebungen des Entwicklungspolitischen Runden Tisches gab es Anfang 1993 immerhin ca. 150 entwicklungspolitische Maßnahmen. Es ist zu befürchten, daß durch den Wegfall der Förderung die gerade erst entstände NRO-Landschaft auf den Gebiet der ehemalige DDR abrupt wegbricht und nur wenige Vereine überleben werden. Dies vor allem auch deshalb, weil das Spendenaufkommen im Osten wesentlich geringer ist als bei vergleichbaren Initiativen und Vereinen im Westen. Ansonsten ist die Situation prizipiell nicht anders als die der mittleren und kleinen Nichtregierungsorganisationen im Westen.

Wenn es stimmt, daß die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NRO) unverzichtbarer Bestandteil einer pluralistischen Gesellschaft ist -und staatliche Stellen versäumen nicht, dies immer wieder zu betonen – so ist auch deren Forderung nach finanzieller und ideeller Unterstützung durch staatliche und kommunale Einrichtungen vollauf berechtigt. Im Westen wie im Osten kommt es gleichermaßen darauf an, den bisher erreichten Stand der entwicklungspolitischen Arbeit zu sichern, was ohne den Erhalt der oft unter hohem persönlichen Einsatz und Opfern entstandenen Nichtregierungsorganisationen nicht zu realisieren ist. Besonders hier im Osten sind Phantasie, Energie und langer Atem heute ebenso vonnöten wie zu Zeiten der DDR.

—————————————–

Wilhelm Volks
geb. 1950; Diplomsportlehrer; Gründungsmitglied der Initiativgruppe „Hoffnung Nikaragua“ in Leipzig; seit 1990 Referent für Lateinamerika bei INKOTA-netzwerk e. V. Berlin

——————————————–
Anmerkungen:

[1] Hans Joachim Döring (Geschäftsführer der INKOTA-netzwerke e.V.). Aufsatz zur Entwicklungspolitik in der ehemaligen DDR (Arbeitstitel), Berlin, 1994.

[2] Karim Saab. Christen aus der Zweidrittelwelt fordern uns heraus. Thesen zur Theologie der Befreiung aus nördlicher DDR- Perspektive. Radebeul, 1983.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert