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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Apokalypse Now? Bilder vom nahen Weltende

Holger Tegtmeier | | Artikel drucken
Lesedauer: 11 Minuten

I


„Im Jahre 1525 nach dem Pfingsttag in der Nacht zwischen dem Mittwoch und Donnerstag habe ich im Schlaf diese Erscheinung gesehen, wie viele große Wasser vom Himmel fielen; und das erste traf das Erdreich ungefähr vier Meilen von mir mit einer solchen Furchtbarkeit und einem übergroßen Geräusch und es zerspritzte und ertränkte das ganze Land. Dabei erschrak ich so gar schwer, daß ich davon erwachte.

Dann fielen die anderen Wasser, und die da fielen, die waren sehr mächtig und es waren deren viele, einige weiter, einige näher, und sie kamen hoch herab, daß sie scheinbar gleichmäßig langsam fielen. Aber als das erste Wasser, welches das Erdreich traf, nahezu herabgekommen war, da fiel es mit einer solchen Geschwindigkeit, mit Wind und Brausen, und ich erschrak so sehr, daß mir, als ich erwachte, mein ganzer Körper zitterte und ich lange nicht recht zu mir selbst kommen konnte. Als ich aber am Morgen aufstand, malte ich es hier oben, wie ich es gesehen hatte. Gott wende alle Dinge zum Besten!“
Albrecht Dürer, 1525

Der Maler hat schlecht geträumt. Die Traumsequenzen sind nicht die Bilder gewöhnlicher Überschwemmungskatastrophen, wie sie sich zur Zeit der Schneeschmelze oder im Gefolge tagelanger sommerlicher Wolkenbrüche oder bei orkanartigem Sturm ereignen; sie sind Schreckensvisionen vom Weltende, der finale Überschwemmungskatastrophe, die sintflutartig das Leben auf dieser Erde fortspült und einen verwüsteten Planeten hinterläßt. Jene unheilvolle Nacht von Mittwoch auf Donnerstag war nicht die erste, in der Dürer das Ende der Menschheit sah. Bereits 1498 hatte er den Versuch unternommen, in einer Holzschnittfolge die biblischen Vorstellungen vom nahen Weltende, wie sie in der Geheimen Offenbarung des Johannes überliefert sind, darzustellen. Es ist die Glaubensgewißheit des Mittelalters, die Dürer in seinem religiös motivierten Schaffen bestimmt und deren fester Bestandteil jenes unweigerlich nahende Jüngste Gericht ist.

Apokalypse, das ist die Erscheinung vom Weltende und dem Beginn des Gottesreiches, also Untergangsszenario und Verheißung in einem, finsterer Fluch den Sündern und den Gläubigen helles Versprechen der Herrlichkeit in Ewigkeit. Was die Gläubigen zu aller Zeit in ängstlicher Spannung hielt, war die merkwürdige Ambiguität dieser Prophezeiung. Die zahllosen Schrecken des endzeitlichen Tribunals überwogen in der Vorstellungswelt der Menschen wohl stets gegenüber der allzu Ungewissen Verheißung des Himmelreichs.

Der Verheißungscharakter der Apokalypse ist uns heute gründlich und endgültig abhanden gekommen. Wenn wir versuchen, uns ein allgemeines Ende vorzustellen – und wir tun dies seit geraumer Zeit -, dann sehen wir am Ende des Tunnels kein Licht mehr. Eher träumen wir von einem schwarzen, gähnende Schlund, in den es uns hinabreißt, oder wir bauen uns aus Bildern, die das Fernsehen gebracht hat, eine Weltuntergangsphantasie zusammen. Mir fallen Szenen aus „The Day After“ ein, jenem amerikanischen Spielfilm, der Anfang der achtziger Jahre rechtzeitig zur Debatte über die atomare Nachrüstung des Westen in die Kinos kam, in dem wir endlich sehen durften, wie es aussieht, wenn Interkontinentalraketen amerikanische Städte erreichen. Vielleicht sehen wir aber auch Bilder des Hungers und Elends, Kinder, abgemagert zu Skeletten, mit aufgeblähtem Bauch, dazwischen mitunter ein Hollywood-Star, der das Mitgefühl der Industrienationen verkörpert. Oder ein Tankerunglück, Ölschlamm an irgendeiner Küste, Meeresvögel, deren verklebtes Gefieder sie qualvoll verenden läßt. Brennende Ölquellen sehen wir zur Zeit des Golfkriegs. Ein sowjetischer Atomreaktor demonstriert der staunenden Menschheit 1986, was ein „größter anzunehmender Unfall“ ist, von dem ich im Erdkundeunterricht gelernt hatte, daß er statistisch alle 10.000 Jahre einmal vorkommen könne. Andere mögen Aufnahmen einer Krebsstation vor Augen haben, vielleicht liegen dort Hautkrebspatienten. Die Ozonschicht über Neuseeland und Australien ist leider löchrig geworden.

II

An Bildern herrscht also kein Mangel. Wir bedürfen nicht mehr der Seher und Propheten. Ihre Visionen scheinen hinter der apokalyptischen Wirklichkeit unserer Tage hinterherzuhinken:

Als ich in meiner Jugend in der Schweiz zur Schule ging, so um die Zeit des Burenkrieges, Da nahmen wir als unumstößlich an, daß die Menschheit So lange wie die Erde währen werde und erst mü dem Planeten untergehen wird. Ich weiß noch, wie ich ein Pennäler-Poem schrieb. Über den letzten Menschen, der in stoischer Würde die tote Küste Des letzten Meeres entlang wandelt, allein, allein, allein, und wie die vergangene Zeit der Gattung Vor seinem inneren Auge aufrollt. Heut denk ich anders. Sie werden geschlossen in unkenntlichen Herden sterben, Und die Erde wird lange prangen, nachdem die Menschheit abgetreten ist.

Als Robinson Jeffers diese böse Prophezeiung schrieb, ließen Weltuntergangsszenarien noch nicht die Kinokassen klingeln; das Ende beschäftigte noch nicht die Phantasie der Massen. Die träumte ihren süßen, realitätsvergessenen Traum vom Fortschritt. Jeffers konnte von der Menschheit mit Recht in der dritten Person sprechen. Er zählte sich bereits nicht mehr ihr zugehörig. Bereits 1919 hatte er der Zivilisation demonstrativ den Rücken gekehrt, als er sich an der Küste von Monterey in Kalifornien sein „Tor House“ errichtete, um seinem Ideal einer Existenz als Dichter und Philosoph gerecht zu werden und Abschied zu nehmen von all den falschen Bedürfnissen, die eine Zivilisation nach amerikanischen Muster überhaupt erst konstituieren. Jeffers starb 1962 als literarischer Außenseiter. Mit solchen Versen konnte man im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nicht reüssieren.

Das Arsenal der Horrorbrüder ist seitdem beträchtlich gewachsen. Aber noch ist nicht aller Tage Abend: Zu Begriffen wie „Klimakatastrophe“ fehlen uns noch die Vorstellungen. Gläubige mögen freilich weiterhin die vier apokalyptischen Reiter vor Augen haben, die Tod, Pest, Hunger und Krieg über die Erde bringen. Ob ihr Glauben noch reicht, auf eine Verheißung zu hoffen? Die neuzeitliche Apokalypse ist nur eine halbe: Sie bringt allein das Verderben. Sie muß nicht mehr geglaubt werden, sie ist denkbar und herstellbar geworden. Nicht als Mythos, sondern als errechenbares Schicksal erwarten wir schlechtere Zeiten.

Dabei hatte die fortschrittsversessene Neuzeit ein mögliches Ende gar nicht eingeplant. Fortschritt, und das war primär immer technischer Fortschritt, versprach die Einrichtung idealer Verhältnisse bereits im Diesseits. Das Heil wurde als irdisches Lebensglück in Aussicht gestellt. Der Fortschrittsglaube wurde zur Religion unserer Tage.

III

Der Fortschritt geriet nicht über Nacht in Verruf. Kriege wurden zu allen Zeiten geführt; Naturkatastrophen sind so alt wie die Erde; Krankheiten und Seuchen hielten ein strenges Regiment, so weit unser Blick zurückgeht in die Geschichte und Frühgeschichte unserer Art. – Was also mußte und muß geschehen, um Katastrophen als Zeichen zur Umkehrung zu deuten, die eine Bedrohung signalisieren, die sich von jenen alten und unabänderlichen prinzipiell unterschiedet?

Unser kollektives Überleben, die nackte Tatsache unserer biologischen Existenz ist stets der Natur und ihren vielfältigen Bedrohungen abgetrotzt worden. Dabei war der Mensch von vornherein auf die Perfektionierung seiner Überlebenstechniken angewiesen. Technik in diesem einfachen und elementaren Verständnis sicherte unserer Spezies den Fortbestand: sie ist die conditio humana, die Vorbereitung unserer Existenz. – Wo also ist historisch jener Punkt markiert, an dem unserer Gebrauch von Technik sich von einer Überlebensgarantie in ihr Gegenteil verkehrte?

Die Suche nach Antworten auf Fragen dieser Art beschäftigt uns seit etwa zwanzig Jahren. Sie beschränkt sich keineswegs auf die Naturwissenschaften oder auf den Diskurs der Techniker. Sie findet vor allem auch in den Geisteswissenschaften statt: als Suche nach einem „falschen Denken“, nach einer verhängnisvollen Tradition menschlicher Naturbeherrschung. Der Fortschrittsglaube scheint das erste Opfer dieser intensiven Suche geworden zu sein.

Fortschritt, markiert durch Prozesse der Modernisierung, der Technisierung, der Rationalisierung und der Zivilisierung, ist im Verständnis weiter Kreise zu einer Untergangsmetapher geworden. Diese Erkenntnisse zum Allgemeingut zu erklären, ist allerdings gefährlich und nährt Hoffnungen, die sich als trügerisch erweisen könnten.

„1992 findet in Rio de Janeiro die große Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen statt. Dieser „Erdgipfel“ wird mitbestimmend sein, ob es den Vertretern dieser Welt gelingt, den entscheidenden Schritt zur „ökologischen Revolution“ (Lester R. Brown) auf planerischer Ebene zu tun.“

So lesen wir im Bericht „Zur Lage der Welt – 1992“ des Worldwatch Institute. Der Umweltgipfel in Rio hat die „ökologische Revolution“, die der Institutsleiter fordert, nicht eingeleitet. Die Botschaft aus der südamerikanischen Metropole war eindeutig: business as usual. Keine Experimente in Zeiten einer andauernden Weltwirtschaftskrise! Ist der Fortschrittsglaube wirklich überwunden? Wissen die Verantwortlichen, daß permanentes Wirtschaftswachstum nur zum Kollaps der natürlichen Systeme führen kann? Die Ressourcen sind endlich. Die Erde erträgt keinen weltweiten Wohlstand nach westlichem Muster; sie erträgt nicht einmal die Belastungen, die der europäische und nordamerikanische Lebensstandard schaffen. Werden die sogenannten Entwicklungsländer bereit sein, das westliche Entwicklungsmodell aufzugeben und statt dessen eigene, ökologisch vertretbarere Wege zu beschreiben? Mit Sicherheit doch nur dann, wenn auch die führenden Industrienationen ihre ökologischen Verbrechen eingestehen und eine Kurskorrektur vornehmen. Davon sind wir weit entfernt.

IV

Die Zeit läuft. Wir wissen nicht, ob wir überleben können. Wir kennen nicht das Datum unseres Untergangs. „Bevor es zu spät ist“ steht unter den Aufrufen der Ökologen, der Bürgerinitiativen, von Organisationen wie „Greenpeace“ oder „Robin Wood“. Wann aber ist es zu spät? Und in welcher Form werden wir spüren, daß sich unser Ableben vollzieht? Wieviele Generationen werden zu leiden haben? Wo läßt sich in Zukunft noch leben?

Auf diese Fragen gibt es kerne seriösen Antworten. Spekulieren kann ein jeder, so viel er möchte. Ins Spekulieren geraten leider nun auch die Ökologen der ersten Stunde.

Erstes Beispiel: Hoimar von Ditfurth. 1985 veröffentlichte er seine Bilanz menschlicher Entwicklungsgeschichte: „Es ist soweit“, heißt es bei ihm lakonisch. Das Ende sei da, bereiten wir uns darauf vor.‘ „So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen“ nannte er sein Buch. Das Luther zugeschriebene Zitat steht für eine Haltung, die nicht mehr das Ende abzuwehren sucht, sondern im Ende ein Zeichen setzt: ein letztes Bekenntnis zum Leben – ein Zeichen, daß die Menschen, auch wenn es für sie zu spät geworden ist, lernfähig waren. Ditfurths Stimme ist eine von jenseits der Schwelle, die tröstend wirken möchte.

Zweites Beispiel: Herbert Gruhl. Mit seinem Buch „Ein Planet wird geplündert. Die Schreckensbilanz unserer Politik“ warnte er als einer der ersten vor den Folgen unseres Raubbaus an der Erde. Der CDU kehrte er den Rücken und gehörte zu den Gründern der später sich „Die Grünen“ nennenden Partei, die in der Phase ihrer größten Wirksamkeit eine Massenbewegung war. „Himmelfahrt ins Nichts“ heißt Gruhls neuestes Werk mit überwiegend resignativem Unterton. Drittes Beispiel: Horst Stern. Seine Fernsehdokumentationen, echte „Sternstunden“ ökologischer Aufklärung, gehören zum besten, was dieses Medium zu leisten vermochte. Später leitete er die Redaktion der Zeitschrift „natur“. Seit Mitte der achtziger Jahre schreibt Stern erzählerische Texte: eine historischen Roman, eine Novelle, zuletzt „Klint“, das Psychogramm eines Apokalyptikers. Noch einmal würde er diesen Weg in den Journalismus nicht gehen, gab er kürzlich in einem Interview zu verstehen. Man reibe sich auf, ohne etwas zu erreichen. In „Klint“ erzählt Stern die Geschichte eines Journalisten, der am Fehlverhalten seiner Zeitgenossen gegenüber der Pflanzen – und Tierwelt zerbricht. „Klint“ ist ein durch und durch apokalyptischer Roman.

Warum gerade die Zunahme von Endzeitgedanken bei den engagierten Kämpfern für eine bessere Zukunft? Weil sie Bescheid wissen? Ich wage die These, daß in Fragen unseres kollektiven Ablebens niemand letztgültig auskunftfähig ist. Wir können lediglich bisherige Entwicklungslinien in die Zukunft hinein verlängern: Wenn alles weiterläuft wie bisher, sieht es in wenigen Jahren wie folgt aus. Dies war die Botschaft von „Global 2000“, des Berichtes an den amerikanischen Präsidenten, unter der Carter-Administration in Auftrag gegeben und 1980 veröffentlicht. Im Jahr 2000 kein Weltuntergang, aber deutlich gesunkene Lebensqualität überall auf dem Planeten. Eine harmlose Umschreibung; der Schrecken steckt in den Details, in den endlosen Zahlenkolonnen und eindruckvollen Graphiken.

Derweil Daten verglichen und interpretiert werden – dies geschieht seit Jahren -, schreitet die Menschheit ihrem Ende entgegen. Oder nicht? Jedenfalls ertragen bereits jetzt viele nicht mehr die Spannung, die auf uns zukommt, eine Spannung, die auch das Denken zu zerreißen droht. Noch leben wir, aber bald schon könnte es soweit sein. Die Panik beginnt in den Köpfen. Insbesondere die Informierten, denen Wissen und harte Fakten zur Verfügung stehen, während andere ganz allgemein und „irgendwie“ Angst verspüren, ertragen die Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln nicht mehr. Sie fliehen: in die Resignation, in die Kunst, in den Zynismus, wohin auch immer.

Dabei käme es jetzt darauf an. Wir wissen genug – unser Problem ist die Anwendung, jener Umbau der Industriegesellschaften in ökologisch vertretbare Systeme. Einige Experten werden nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Apokalypse hat sie gefressen. Wir werden fortan an zwei Fronten kämpfen müssen: gegen die, die die Bedrohung noch immer leugnen, und gegen jene, die ihr Denken gegen den neuen Glauben vom Weltuntergang eingetauscht haben. Bleiben wir also kühl, wenn in Zukunft vom nahen Weltende die Rede ist. Tun wir also, als sei noch manches zu retten!

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