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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Die Qual der Wahl

Jochen Mattern | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

In Lateinamerikas ärmsten Land – nach UNDP 2000 auf Rang 116 – werden am 4. November 2001 ein neuer Präsident und ein neues Parlament gewählt.

Die größten Chancen werden den Liberalen (Partido Liberal Constitucionalista – PLC) und den Sandinisten (Frente Sandinista de la Liberacion Nacional – FSLN) eingeräumt. Für viele Bürger bietet aber keiner der beiden Kandidaten dieser Parteien eine wirklich Alternative: Für die Sandinisten wird ein weiteres Mal (nach 1990 und 1996) Daniel Ortega antreten. Der Revolutionsführer hat sich innerhalb eines sehr umstrittenen Referendum der Parteimitglieder gegen zwei weitere Kandidaten erneut durchgesetzt. Selbst die Medien sprachen offen Zweifel am korrekten Ablauf der Basisbefragung aus, denn die Umfragen im Vorfeld sahen den Herausforderer Hugo Tinoco vorn, der die neue Generation der Sandinisten verkörpert.

Selbst mit dem Christsozialen Augustin Jarquin als Vizepräsident, der in großen Teilen der Bevölkerung beliebt ist, rechnen die Wahlforscher lediglich mit rund 30% der Stimmen für Ortega. Dessen Sieg wird, nicht zuletzt auf Grund der bereits von den USA gemachten Aussage, eine sandinistische Regierung nicht zu unterstützen und Wirtschaftsund Entwicklungsgelder abzuziehen, von einem Großteil der Bevölkerung mit Befürchtung gesehen. Damit erweist sich die Gunstzuweisung des „Koloss im Norden“ wie schon 1990 als gewichtiger Faktor im polarisierten Wahlkampf. Gegenspieler Ortegas ist Enrique Boleanos, Unternehmer und Großgrundbesitzer, der mit seinem Alter von 83 Jahren und seiner politischen Biographie ebenfalls für die Vergangenheit und nicht die Zukunft steht. Bolanos versteht sich selbst als Antisandinist und wurde direkt vom jetzigen Präsidenten Aleman als Kandidat bestimmt. Auch bei den Liberalen hätte mit dem jetzigen Kanzler Eduardo Montealegre ein wesentlich jüngerer und weniger ideologisierter Kandidat zur Verfügung gestanden. Die PLC hat sich der Mühe einer demokratisch legitimierten Kandidatenauswahl aber gar nicht erst unterzogen. Darüber hinaus wird ein Großteil des Wahlkampfes der regierenden Liberalen mit Steuergeldern finanziert. Außerdem müssen alle Verwaltungsangestellten zwischen fünf und zehn Prozehnt ihres Gehalts an die Regierungspartei abführen, sonst droht ihnen die Entlassung. Hinzu kommt, dass die wichtigsten Institutionen, die ein demokratisches System garantieren, seit Mitte 1999 durch einen Pakt zwischen der FSLN und der PLC de facto außer Kraft gesetzt sind. Dies trifft sowohl auf den Obersten Gerichtshof als auch den Obersten Wahlausschuss zu. Selbst der Oberste Rechnungshof blieb von der parteipolitisch geregelten Ämterverteilung nicht verschont. Alle genannten staatlichen Institutionen sind seit einer Verfassungsänderung im letzten Jahr je zur Hälfte mit Liberalen und Sandinisten besetzt. Die Parteispitzen von FSLN und PLC wollten die Macht um jeden Preis und haben sie deshalb untereinander aufgeteilt.

Angesichts dessen nimmt es nicht Wunder, dass die Korruption blüht und das Land wirtschaftlich immer tiefer in die Krise stürzt. An der Basis verstärkt sich die politische Polarisierung, da der Pakt zusätzlich für Unmut sorgt.

Dass die Lage sehr angespannt ist, haben auch die Ereignisse der Gemeindewahlen am 5. November 2000 gezeigt: In insgesamt acht Gemeinden sollte der Wahlerfolg der FSLN durch Beschlüsse des Obersten Wahlausschusses wieder rückgängig gemacht werden. Daraufhin gab es wütende Proteste, Demonstrationen, Straßensperren und gewalttätigen Auseinandersetzungen. In der Gemeinde Jalapa wurde der Wahlkampfleiter der Liberalen Partei sogar als Geisel genommen. Die FSLN drohte offen mit der Besetzung des Präsidentenpalastes. Der oberste Wahlausschuss gab schließlich nach. Nur der Wahlkreis des Präsidenten Arnoldo Aleman, wo beide Parteien fast gleichauf lagen, wurde der PLC zugesprochen.

Insgesamt haben die Liberalen zwar mehr Municipios gewonnen, dafür konnten die Sandinisten v.a. in den größeren Städten, allen voran in Managua, die absoluter Mehrheit erringen und hatten damit in den Zentren des Landes die Nase vorn. Eine Wahlbeteiligung von über 70% zeigt, dass die Bevölkerung an Demokratie interessiert ist. Ob die Wahlbeteiligung bei den kommenden Wahlen auch so hoch sein wird, bleibt abzuwarten. Die Konservative Partei (Partido Conservador – PC), die drittstärkste Kraft, die zwar vom politischen Pakt profilieren konnte, jedoch die erforderliche Mehrheit kaum schaffen wird. Ein Wahlbündnis mit der PLC soll zumindest einen Erfolg der Sandnisten verhindern. Bisher konnte sich die PC aber noch nicht offiziell dazu durchringen und im Augenblick droht sich die Partei sogar zu spalten. Für viel Bürger stellt keine der parteipolitischen Optionen eine wirkliche Alternative dar: weder Pakt noch Kandidaten, die für die Vergangenheit und den Konflikt, nicht aber für Zukunft, Aussöhnung, Neuanfang und nachhaltige Entwicklung des Landes stehen.

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