Neunzig Tage lang hatten die Präsidentschaftskandidaten Zeit, sich der mexikanischen Bevölkerung mit politischen Kampagnen zu präsentieren. Ihre Programme zur Verbesserung des Landes sowie gegenseitige Diskreditierungen der Parteien wurden durch jegliche Art von Kommunikationsmedium übermittelt: Werbetafeln auf der Straße, Radio- und TV-Spots, Internet-Werbung in sozialen Medien, Konferenzen, Interviews, Umfragen, Wahl-Simulationen, Debatten. Infolge dieser – laut Volksmeinung – fragwürdigen, manipulierten Informationsüberflutung der Medien sowie aufgrund des Wahlbetrugs in Mexiko im Jahr 2006 entstand die soziale Bewegung YoSoy132, die eine Demokratisierung der Medien, transparente Informationen und eine faire und ehrliche Wahl fordert.
Nun läuft der Countdown, und am Sonntag, den 1. Juli 2012, ist es endlich soweit: Der neue mexikanische Präsident wird gewählt. Wer aber sind die Kandidaten? Was schlagen sie konkret vor?
Eine Betrachtung der vier zur Wahl stehenden Kandidaten führte zu folgender Zusammenfassung:
Andrés Manuel López Obrador (AMLO)
Tritt für die Partei der demokratischen Revolution (PRD) an. Ist Politik- und Verwaltungswissenschaftler. Verfügt über 35 Jahre politische und aktivistische Erfahrung und vertritt hauptsächlich eine linke Ideologie. Von 2000 bis 2005 war er Regierungschef (Jefe de Gobierno) des Bundesdistrikts Mexiko-Stadt. Als Regierungschef schaffte er ein Rentensystem für ältere Menschen und baute die 2. Etage der Stadtautobahn (Periférico Segundo Nivel), die den Verkehrsfluss verbessern sollte. 2006 kandidierte er bei den Präsidentschaftswahlen, in denen er gegen Felipe Calderón Hinojosa – aktueller Präsident Mexikos – verlor. AMLO erklärte, dass es eine Wahlmanipulation gegeben habe. Diese Tatsache wurde später vom Bundeswahlinstitut (Instituto Federal Electoral IFE) bestätigt.
Sein Programm
Bereich Bildung: Gewährleistung der kostenlosen Bildung für alle und speziell für die einkommensschwächste Bevölkerungsschicht. Verbesserung des Unterrichtswesens. Bekämpfung der vorhandenen Korruption in der Lehrergewerkschaft und Verringerung ihrer Macht. Kostenloser Internetzugang für alle Schüler an staatlichen Schulen. Schwerpunkt auf den Fächern Sport, Bürgerkunde, Kunst, Ethik, Philosophie, Geschichte und Literatur.
Bereich Arbeit: Förderung eines speziellen Programms für Jugendliche, damit die sieben Millionen Jugendliche, die weder arbeiten noch studieren, eine Chance haben, sich zu entwickeln. Gerechtigkeit für Bergleute, Elektriker und Tagelöhner. Subventionierung von Montagebetrieben, damit diese nicht ins Ausland abwandern.
Bereich Gesundheit: Eindeutige Definition der Beiträge von Arbeitnehmern, Unternehmern und dem Staat. Festlegung des Rentenalters. Bekämpfung der Korruption in Bezug auf Kauf und Verkauf von Medikamenten und Medizintechnik. Allgemeine Gesundheitsvorsorge für alle, inklusive allgemeine Pflege für ältere Generationen.
Bereich Wirtschaft: Nein zur Privatisierung von PEMEX (staatlicher Mineralölkonzern Mexikos) und der staatlichen Stromgesellschaft. Halbierung der Gehälter von Top-Beamten. Steuerreform, um jährlich 800 Milliarden Pesos für das Volk zu generieren. Wiedererlangung des Reichtums und öffentlicher Güter, die illegal abgegeben worden sind. Keine Einmischung von ausländischen Regierungen und internationalen Finanzorganisationen. Auflösung monopolistischer Unternehmen. Abschaffung der lebenslangen Rente für ehemalige Präsidenten und Senkung der Gehälter für hochrangige Regierungsbeamte und die herrschende politische Oberklasse, sodass der Staat mehr Mittel für Investitionen hat. Keine Privilegien für niemand. Anhebung des Mindestlohns über die Inflationsrate. Keine neuen Steuern, aber Steuererhebung für diejenigen, die noch keine Steuern zahlen.
Bereich Sicherheit und Gerechtigkeit: Durch Bildung und Arbeit die Armee in sechs Monaten aus den Straßen wegbringen. Spezielle Kommission gegen Korruption.
Bereich Medien: Schaffung von staatlichem Rundfunk und Fernsehen, um der Dominanz von Televisa und TV Azteca auf dem nationalen Markt zu begegnen.
Bereich Umwelt: Nein zu gentechnisch verändertem Mais.
Bereich Soziales: Ja zur Abtreibung und zur möglichen Legalisierung von Drogen, entsprechend dem Volkswillen. Nein zur Todesstrafe und sexuellen Vielfalt. Dennoch legalisierte seine Partei die Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen, ein Recht, das es vorher in Mexiko noch nicht gab.
Josefina Vazquez Mota (JVM)
Vertritt die Regierungspartei Partido Acción Nacional (PAN), eine Partei, die sich selbst als mitte links bezeichnet. Studierte Ökonomie an der Universidad Iberoamericana und arbeitete als Staatssekretärin für soziale Entwicklung beim Sozialstaatsministerium (Secretaría de Desarrollo Social – SEDESOL) und als Sekretärin im Kultusministerium (Secretaría de Educación Pública).
Ihr Programm
Bereich Bildung: Bildung ist allgemein ihr Schwerpunkt. Entpolitisierung der Bildung. Bündnis zwischen Lehrern und Eltern, um das Bildungswesen auszubauen. Universitärer Fond, in den Familien investieren können, um später ihren Kinder die Universität finanzieren zu können.
Bereich Arbeit: Schlägt eine Reform des Arbeitsmarktes vor, erklärt aber nicht, wie diese realisiert werden soll. Verwandlung des informellen illegalen Sektors in einen formellen Sektor. Bietet eine Arbeitslosenversicherung für begrenzte Zeiträume, die Möglichkeit, von zu Hause arbeiten zu können, Vaterschaftsurlaube und mehr Arbeitsplätze für Männer als Kinderbetreuer an.
Bereich Wirtschaft: Ja zur Privatisierung von PEMEX und dem Stromsektor. Eliminierung von Privilegien und Mono- und Oligopolen, um Konkurrenz zu fördern. Beibehaltung der Autonomie der mexikanischen Zentralbank und kein Austritt aus der G-20.
Bereich Sicherheit und Gerechtigkeit: Fortsetzung der Strategie gegen Drogenkartelle, die bis jetzt angewandt wurde. Härtere Strafen für Menschenhändler. Sonderstaatsanwaltschaft für Verbrechen gegen Migranten. Klare Trennung der polizeilichen Instanzen.
Bereich Gesellschaft und Soziales: Ist gegen die Abtreibung. Lehnt die Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen sowie deren Recht, Kinder zu adoptieren, ab. Ihre Partei betrachtet die Heirat zwischen Gleichgeschlechtlichen als unnatürlich. Ist gegen die Legalisierung von Drogen und gegen die Todesstrafe. Finanzierung von Wohnungsbau.
Enrique Peña Nieto (EPN)
Vertritt die Partei der Institutionellen Revolution PRI, die Partei, die Mexiko von 1929 bis 2000 regierte. Er studierte Jura an der Universidad Panamericana sowie am Instituto Tecnológico y de Estudios Superiores de Monterrey. Als Gouverneur des Bundesstaates Mexikos von 2005 bis 2011 finanzierte er den Tren Suburbano und den Mexibús (öffentliche Verkehrsmittel), die den Großraum des Bundesstaates Mexiko mit Mexiko-Stadt verbinden sollen. 2006 antwortete er mit Polizeigewalt auf die Proteste von Bauern in Atenco, die sich gegen den Bau eines Flughafens auf ihren Grundstücken wehrten. Diese exzessive Gewaltanwendung durch die Polizei führte, nach Angaben der Nationalen Kommission für Menschenrechte in Mexiko, zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen. 2012 veröffentlichte die britische Zeitung The Guardian einen Artikel, in dem berichtet wurde, dass EPN einen Vertrag mit dem größten spanischsprachigen Medienunternehmen Televisa abgeschlossen hat, um in den Nachrichten- und Unterhaltungsprogrammen besonders positiv beworben zu werden. EPN und Televisa bestreiten die Existenz dieses Vertrags.
Sein Programm
Bereich Bildung: Prämien für Lehrer und Professoren, die die besten Schüler bzw. Studenten ausbilden. Acht Stunden lange Schultage. Kostenlose Bildung für alle. Zugang zu Computern mit Bildungsanwendungen für alle Schüler und Studenten. Schwerpunkt auf den Fächern Englisch, Sport und Informatik.
Bereich Arbeit: Erörtert die Möglichkeit einer Arbeitslosenversicherung und auch eine Versicherung für Gefahren am Arbeitsplatz. Verringerung der informellen Märkte. Investitionen in technische Ausbildungen, in den Agrar- und den Tourismussektor. Spezielle Bildungsprogramme für Frauen und temporäre Beschäftigungsprogramme mit Kanada.
Bereich Gesundheit: Neues System für eine allgemeine Gesundheitsvorsorge für alle, die hauptsächlich durch allgemeine Steuern finanziert werden soll.
Bereich Wirtschaft: Ja zur Privatisierung von PEMEX und der staatlichen Stromgesellschaft. Ausbau von Unternehmenskrediten. Bekämpfung von Monopolen, um mit internationalen Standards vergleichbare Preise zu erzielen. Vermehrung des Humankapitals im Agrarsektor. Faire Erhöhung der Wasserkosten, um Verschwendung zu vermeiden.
Bereich Sicherheit und Gerechtigkeit: Schaffung einer Polizeiabteilung, die sich speziell mit dem Kampf gegen die organisierte Kriminalität beschäftigt. Politische Verpflichtungen sollen vor einem Notar unterzeichnet werden, damit diese auch eingehalten werden. Effektive Anwendung der bereits vorhandenen Sicherheitsgesetze, um die Gewalt zu verringern.
Bereich Soziales: Ist gegen die Abtreibung und äußerte bis jetzt keine klare Meinung über die Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen. Meint aber, dass jeder Bundesstaat diese Entscheidung selbst treffen soll. Ist gegen eine Legalisierung von Drogen und für die Todesstrafe.
Gabriel Quadri de la Torre (GQ)
GQ studierte Bauingenieurwesen an der Universidad Iberoamericana. Er absolvierte ein Masterstudium und promovierte im Bereich Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Texas in Austin. Er bezeichnet sich als liberaler Umweltschützer. Vertritt die relativ neu entstandene Partei Nueva Alianza (PANAL). Die Gründerin dieser Partei, Elba Esther Gordillo, war die ehemalige Präsidentin der Partei der Institutionellen Revolution PRI, ist seit 1989 Präsidentin der größten (Lehrer-)Gewerkschaft in Lateinamerika und wurde mehrmals wegen Korruption angeklagt.
Sein Programm
Bereich Bildung: Technologische Modernisierung und Englisch. Transparentes und faires System der Evaluation für Lehrer. Zuschüsse und Anreize für die besten Lehrer und Schüler.
Bereich Wirtschaft: Teilweise Privatisierung von PEMEX und Privatisierung der staatlichen Stromgesellschaft und des Gefängnissystems. Neues System der Subsidiarität für den Agrarsektor. Förderung des Tourismussektors in Richtung Ökologischer Tourismus.
Bereich Sicherheit und Gerechtigkeit: Erhöhung des Budgets für die soziale Sicherheit. Ernsthafte Analyse der regionalen Szenarien für die Legalisierung und eine strenge Regulierung von Produktion, Handel und Konsum von Drogen. Ausbau der Bundespolizei um das 10-fache, um einen Schnitt von einem ,,Elite-Polizisten“ auf 250 Einwohner zu erreichen.
Bereich Soziales: Ist für die Abtreibung und für die Freiheit sowie für die soziale und rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare.
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Bildquellen:
[1] Lopez Obrador – Foto: Presidencia de la República Mexico.
[2] Josefina Mota – Foto: Ads.gm, Sotocesaretti.
[3] Enrique Nieto – Foto: World Economic Forum_, Edgar Catano.