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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Kämpfen, kämpfen ohne Pause. Kämpfen bis zum Sturz der Regierung

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Rede des Subcommandante Marcos auf der Demokratischen Nationalen Konvention in Aguascaliente, Chiapas

Ehrenwerte Demokratische Konvention.

Vorsitzende der Demokratischen Konvention, Delegierte, verehrte Gäste, Beobachter, Brüder. Durch mich spricht die Stimme des EZLN, Aguascalientes, Chiapas, ein Quartier, ein Bunker, eine Waffenfabrik.

Ein Zentrum der militärischen Schulung, ein Sprengstofflager. Aguascalientes, Chiapas, die Arche Noah, der Turm von Babel, das wilde Schiff Fizgeraldos, das Delirium des Neozapatismus, das Piratenschiff.

Das anachronistische Paradoxon, die zärtliche Verrücktheit der Namenlosen, die Ungereimtheit einer zivilen Bewegung im Dialog mit einer bewaffneten Bewegung. Aguascalientes, Chiapas, die gestaffelte Hoffnung, die Hoffnung in kleinen Händen, die die Treppe vorangeht, um den Himmel besser zu erreichen, die Hoffnung der Meeresmuschel, die seit dem Urwald durch die Luft ruft, die Hoffnung derjenigen, die nicht kamen, aber hier sind, die Hoffnung, dass die Blumen, die in anderer Erde starben, in dieser leben.

(…)

Aguascalientes, Chiapas, die gemeinsame zivile und militärische Anstrengung, eine gemeinsame Anstrengung für einen Wandel, pazifistische Bemühung der Bewaffneten, und vor Aguascalientes sagten SIE , dass es eine verrückte Idee sei, dass niemand der mit Gewehren und Sturmhauben (gemeint sind die regional typischen gestrickten Sehschlitzmasken der Zapatistas) eine Grenze setzt, Erfolg haben könnte, am Vorabend der Wahl eine Wahlversammlung einzuberufen. Und vor Aguascalientes sagten SIE, dass kein vernünftiger Mensch einem Ruf von Aufständischen folgen wird. Vom Gesetz Geächteten, von denen man wenig weiß; das Licht das den Januar erhellte, die obsessive Sprache, die versucht, alte und abgenutzte Worte wiederzuerlangen: Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit.

Darauf setzten SIE, deshalb ließen sie die Vorbereitungen ungestört, deshalb verhinderten sie nicht, dass Sie hierher kommen konnten. Das vorhersehbare Scheitern der CND sollte nicht den Mächtigen zugeschrieben werden. Es sei zu offensichtlich, wie schwach es ist. Es ist schwach, weil SIE es wünschten. Und vor Aguascalientes sagten WIR – ja, es war eine Verrücktheit, vor dem Horizont, den Gewehre und Sturmhauben abgaben. Ja, man könne eine nationale Versammlung am Vorabend der Wahl einberufen und Erfolg haben. Wollen sie einen Spiegel?

Das Problem beim Turmbaus zu Babel war nicht der Plan, sondern das Fehlen eines guten Systems der Verständigung und die Unfähigkeit zu guten Übersetzungen. Das Scheitern lag im nicht gemachten Versuch, dem Sichhinsetzen und Zusehen, wie sich der Turm erhob, der Bau zum Stillstand kam und der Turm zusammenstürzte. Dieses Sichhinsetzen und Zusehen, wie die Geschichte Zeugnis ablegt, nicht von dem Turm, sondern von denen, die sich hinsetzten, um ihr Scheitern zu erwarten.

Und vor Aguascalientes sagten WIR, dass die Angst, der verführerische Schrecken, den die Kloaken der Macht ausströmen, die uns seit unserer Geburt ernähren, zur Seite gelegt werden können und müssen. Nein, nicht vergessen, nicht übergangen, nur zur Seite gelegt.

Dass die Angst, Zuschauer zu bleiben, größer sei als die Angst davor, einen Konsens zu finden, etwas das eint, etwas das diese Komödie in Geschichte umwandeln kann. Und vor Aguascalientes haben wir gesagt, dass die Unterschiede, die uns trennen und uns einander zu Feinden machen, uns nicht hindern werden, uns auf einen gemeinsamen Punkt hinzubewegen.

(…)

Der EZLN nimmt an der CND mit 20 Delegierten teil, von denen jeder eine Stimme hat. Wir möchten zwei Sachen klarstellen: das eine ist unser Kompromiss mit der CND, das andere ist unsere Entscheidung, niemandem unseren Standpunkt aufzudrängen. Wir haben jede Möglichkeit abgelehnt, im Präsidium der CND mitzuarbeiten. Diese Konvention die friedfertige Suche nach einem Wandel, er darf auf keinen Fall von bewaffneten Leuten geleitet werden. Wir danken Ihnen dafür, dass Sie uns einen Platz geben, […] um das Unsere zu sagen.

(…)

Heute, gegenüber dieser CND, antwortet der EZLN auf die Frage, was die Zapatistas von der CND erwarten. Sie erwarten keinen zivilen Arm, der den linken Arm des Krieges bis in alle Winkel des Vaterlandes verlängert, nicht die Werbung der Journalisten, die den Kampf um die Würde auf eine sporadische Notiz auf der ersten Seite reduzieren. Keine weiteren Argumente, die unsere Kleidung des Feuers und des Todes verzieren. Keinen Schritt aus politischer Berechnung, von Gruppen und Untergruppen der Macht, nicht die zweifelhafte Ehre, geschichtliche Avantgarde zu sein, von vielen Avantgarden, die wir erdulden. Keine Ausreden, um Ideale und die Toten zu verraten, deren Erbe wir stolz tragen. Kein Sprungbrett, um einen Schreibtisch zu ergattern, sei es in einem Büro, in einem Amtszimmer, in einer Regierung, in einem unwahrscheinlichen Land. Nicht die selbstzuerkannte Repräsentation der Nation, nicht die Ernennung einer Interimsregierung, nicht die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Nein zu einer Bildung einer neuen Verfassungsgebenden Versammlung, keine Bürgschaft für einen Präsidentschaftskandidaten einer Republik des Schmerzes und des Konformismus. Nein zum Krieg.

Ja zu einem besseren Entwurf, wie dem Entwurf von Aguascalientes: Schaffung eines Friedens mit Gerechtigkeit und Würde. Ja zu größeren Anstrengungen als bisher, Anstrengungen für einen demokratischen Wandel, der die Freiheit und Gerechtigkeit für die Mehrheit der in Vergessenheit Geratenen mit einschließt.

Ja, beenden wir einen langen Alptraum, der sich groteskerweise Geschichte Mexikos nennt. Es ist Zeit, allen zu sagen, dass wir nicht den Platz einnehmen wollen und können, den uns einige zuweisen wollen – den Platz, von dem alle Meinungen abstammen, alle Wege abgehen, alle Antworten kommen, der alle Wahrheit besitzt. Das werden wir nicht machen.

Wir erwarten von der CND, jemanden zu suchen und zu finden, dem wir die Flagge übergeben können, die wir allein und vergessen in den Palästen der Macht fanden, die Flagge die wir mit vergossenem Blut an uns brachten, aus dem schmerzenden Gefängnis des Museums befreiten. Die Flagge, die wir bei Tag und bei Nacht bewachten, die Flagge, die uns im Krieg begleitete und die wir im Frieden haben wollen, die Flagge, die wir heute der CND übergeben, nicht damit sie zurückgehalten und dem Rest der Nation vorenthalten werde. Nicht, um bewaffnetes Heldentum zu ersetzen, um zivilen Heldenmut zu beweisen. Nicht, um die Repräsentativität und den Messianismus außer Kraft zu setzen, aber um zu kämpfen, weil alle Mexikaner sie zurückhaben möchten, damit sie wieder die nationale Flagge werde, ihre Flagge.

Wir erwarten von dieser CND, die friedliche und legale Organisation eines Kampfes, des Kampfes für die Demokratie, die Freiheit und die Gerechtigkeit, des Kampfes, in dem wir uns gezwungen sahen, bewaffnet und mit verborgenem Gesicht zu kämpfen.

Wir erwarten von dieser CND wahre Worte, die Rede vom Frieden, aber nicht die Rede vom Nachgeben im Kampf um Demokratie. Die Rede vom Frieden, aber nicht die Rede vom Verzicht auf den Kampf um Freiheit. Die Worte des Friedens, aber nicht die Worte der friedlichen Beihilfe zur Ungerechtigkeit.

Wir erwarten von dieser CND die Fähigkeit zu verstehen, dass das Recht, sich als repräsentatives Organ der Gefühle der Nation zu benennen, nicht eingelöst wird durch eine Wahl oder Stimmabgabe, sondern etwas ist, das man sich auch immer in den Vierteln, in den Siedlungen, den indigenen Gemeinden, in den Schulen, den Universitäten, in den Fabriken, in den Unternehmen, in den wissenschaftlichen Forschungszentren, in den kulturellen und künstlerischen Zentren, in allen Ecken und Enden dieses Landes verdienen muss.

Wir erwarten von dieser CND Klarheit des Bewusstseins darüber, dass es sich hierbei um einen Schritt von vielen handelt, die in bessere Verhältnisse als die gegenwärtigen münden.

Wir erwarten von dieser CND den Mut, die Farbe der Hoffnung, die viele Mexikaner, wir eingeschlossen, teilen, zu übernehmen und zu zeigen, dass die besten Männer und Frauen dieses Landes ihre Mittel und Kräfte für die Umwandlung einsetzen, der einzigen Möglichkeit, um das Überleben dieses Volkes zu sichern; der Umwandlung zur Demokratie, zur Freiheit und zur Gerechtigkeit.

Wir erwarten von dieser CND die Reife, diesen Spielraum nicht in eine interne, sterile und verstümmelte Abrechnung umzuwandeln.

Wir erwarten von dieser CND letztlich einen kollektiven Aufruf, für das, was uns gehört, zu kämpfen, für das, was Vernunft und Recht der einfachen Menschen ist, einzig und allein um unseren Platz in der Geschichte.

Es ist nicht unsere Zeit, es ist nicht die Stunde der Waffen, wir treten zur Seite, aber wir gehen nicht. Wir werden warten, bis sich ein neuer Horizont eröffnet oder aber bis wir nicht mehr notwendig sind, bis wir nicht mehr möglich sind. Wir, die Toten auf Abruf, wir, die wir aufs Neue sterben müssen, um zu leben. Wir erwarten von dieser CND die Gelegenheit, in Würde zurückzukehren, nachdem wir die Pflicht an unserer Erde erfüllt haben. Eine Gelegenheit, die uns diejenigen, die dieses Land regieren, verweigern

(…)

Man hat fälschlich gesagt, dass die Zapatisten eine Frist gesetzt haben, um den Krieg wieder zu beginnen, dass, wenn am 21. August die Sachen sich nicht so entwickeln, wie es die Zapatisten wollen, der Krieg erneut begonnen werden wird. Sie lügen, belügen das mexikanische Volk. Niemand, nicht einmal der EZLN, kann ihnen Fristen aufzwängen und Ultimaten stellen.

Für den EZLN gibt es keine Frist, außer derjenigen, die durch die zivilen und pazifistischen Bewegungen festgelegt werd. Dieser ordnen wir uns unter, selbst dann, wenn wir als Alternative verschwinden müssen.

Von uns wird der Wiederbeginn des Krieges nicht kommen, es gibt keine zapatistischen Ultimaten für die zivile Gesellschaft. Wir werden warten, wir werden widerstehen. Darin sind wir Experten.

Kämpfen, kämpfen ohne Pause, kämpfen bis zum Sturz der Regierung, kämpfen und den Krieg zerstören. Kämpfen und uns selbst beseitigen. Niemals würde die Zerstörung so angenehm sein, wie wenn der friedliche Übergang zur Demokratie, die Würde und die Gerechtigkeit sich als siegreich erweisen.

Vielen Dank.

Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit. Aus den Bergen in Mexikos Südosten Geheimes Revolutionäres Indigenes Komitee Generalkommandantur des EZLN Mexiko, August 1994

*Übersetzung aus dem Spanischen: Patrice Castillo/Gabi Töpferwein

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