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PRI am Ende?

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Am 6. Juli 1997 wurde in Mexiko gewählt. Obwohl das Präsidentenamt erst im Jahr 2000 wieder zur Disposition steht, beeilten sich zahlreiche Kommentatoren, den diesjährigen Parlamentswahlen das Prädikat „historisch“ zu verleihen. Auch wenn in zehn von 31 Bundesstaaten gleichzeitig Gouverneurs-, Abgeordneten- und Kommunalwahlen stattfanden und erstmals der Bürgermeister von Mexiko-Stadt nicht mehr vom Präsidenten ernannt, sondern von den Einwohnern direkt gewählt wurde, stellt sich die Frage, was denn daran nun historisch war. Für eine solche Wertung sprechen tatsächlich eine Reihe von Ergebnissen und neuen Entwicklungen. Bereits im Vorfeld war in Umfragen deutlich geworden, daß die Regierungspartei PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) diesmal um ihre Parlamentsmehrheit fürchten mußte – wenn alles mit rechten Dingen zugehen würde.

Die Wahlresultate stellten die Erwartungen noch in den Schatten. Der PRI konnte nur 38% der Stimmen für sich verbuchen, während die Oppositionsparteien PAN (Partei der Nationalen Aktion)und PRD Partei der Demokratischen Revolution) 27 respektive 25,5% erhielten. Damit hatte die seit ihrer Gründung 1928 allein regierende PRI sogar noch die 42%-Marke unterschritten, die ihr die Mehrheit der Abgeordnetensitze gebracht hätte. Bemerkenswert war indes nicht nur die überraschend hohe Niederlage der Regierungspartei, sondern ebenso das gute Abschneiden der linken Oppositionspartei PRD, die damit erstmals in den 90er Jahren wieder an die rechte PAN anschließen konnte. Ihr Spitzenkandidat Cuauhtémoc Cardenas belegte bei den ersten Bürgermeisterwahlen in der Bundeshauptstadt sogar unangefochten den ersten Platz. In diesem Sinne markieren die Wahlergebnisse sicherlich den Beginn einer neuen Ära: die Alleinherrschaft des PRI ist beendet und die linke Opposition hat sich – seit 1988 erstmals wieder – als eine ernsthafte Alternative gezeigt. Auch die schnelle Anerkennung der Niederlage durch Präsident Ernesto Zedillo hat gezeigt, daß er es mit der Forderung nach transparenten und sauberen Wahlen Ernst meint. Es steht also außer Zweifel, daß die Wahlen von 1997 einen deutlichen Fortschritt im Demokratisierungsprozeß der „perfektesten Diktatur der Welt“ (Vargas Llosa) gebracht haben und ihnen damit Zäsurcharakter in der politischen Geschichte des Landes zukommt.

Umstritten ist hingegen die Bewertung der Reichweite dieser Zäsur. Ist sie wirklich schon der Anfang vom Ende des mexikanischen Sonderfalls von Autoritarismus oder bringt sie nur einen Formenwandel, bestenfalls eine Mischung aus altem und neuem Autoritarismus mit demokratischem Procedere? Bei der Suche nach einer Antwort sollte man sich folgender Sachverhalte bewußt sein. Erstens steht das PRI-Regime unter hohem Anpassungsdruck und seinen weitsichtigeren Exponenten, zu denen auch Zedillo zählt, sind sich dessen bewußt, daß Veränderungen nicht zu umgehen sind. Die Mitgliedschaft in der NAFTA (Nordamerikanische Freihandelszone) fordert ihren demokratischen Preis, was auch US-Präsident Clinton erst jüngst bei seinem Mexiko-Besuch Anfang Mai deutlich gemacht hatte, als er sich ostentativ mit Oppositionspolitikern getroffen hatte. Schon in den Jahren zuvor hatte die Regierung dem wachsenden Druck der Opposition entsprochen und in etlichen Bundesstaaten den Sieg des PAN anerkannt. Die Akzeptanz nach rechts ging jedoch mit einer Abschottung nach links, gegenüber dem sozialdemokratisch orientierten PRD einher. Um Linke von der Macht fernzuhalten, waren dem PRI auch Wahlfälschungen und Morde recht.

Grundlegender als die momentanen politischen Kräfteverhältnisse sind jedoch die strukturell bedingten Konflikte und Widersprüche. So sieht sich das Regime damit konfrontiert, daß die von ihm forciert betriebene Wirtschaftliberalisierung wichtige Fundamente der Herrschaft wie Korporativismus und Klientelismus untergräbt. Auch wenn keineswegs ein Automatismus von Marktöffnung und Demokratisierung zu konstatieren ist, so produziert die neoliberale Wirtschaftspolitik genügend sozialen Sprengstoff und Spannungen gegenüber den traditionellen politischen Institutionen und Praktiken, um Demokratisierungsdruck zu erzeugen. Ausgangspunkt für die Bewertung der Konsequenzen, die aus den jüngsten Wahlen erwachsen, ist die Stellung des PRI im politischen System Mexikos. Dabei sollte man im Blick behalten, daß nicht die Partei, sondern der Präsident die entscheidende Machtzentrale darstellt. Selbst wenn der PRI weiter an Bedeutung verlieren sollte, was keineswegs sicher ist, kann das Regime durch schrittweise Anpassung überleben. Das wurde in den vergangenen Jahren mit der engeren Einbeziehung des PAN auch schon erfolgreich geprobt. Es ist durchaus möglich, daß sich PRI und PAN perspektivisch auf eine politische Arbeitsteilung einigen, die das Machtzentrum des Präsidentialismus unangetastet läßt. Eine unbekannte Größe in dieser Rechnung ist die mexikanische Armee. Bisher unter der Kontrolle des Regimes, kann sie im Gefolge ihrer Aufwertung als politischer Machtfaktor im Kampf gegen die Guerilla eigene Ambitionen entfalten. Die entscheidende Nagelprobe der Demokratisierung steht noch aus: der Amtsantritt eines demokratisch gewählten Präsidenten, der nicht aus der traditionellen Elite stammt und – gestützt auf die benachteiligte Mehrheit der mexikanischen Bevölkerung – tatsächlich einen Regimewechsel in Gang setzen kann. Denkbar wäre aber auch das „worst case“-Szenarium einer in Chaos und Zerfall versinkenden Narkokratie. Bleibt zu hoffen, daß die Wahlen vom 6. Juli einen dauerhaften Demokratisierungsschub gebracht haben. Dann hätten sie das Prädikat historisch verdient.

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