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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Durstige Millionenmetropole

Klaus Ehringfeld | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Wie sich Mexiko-Stadt selbst das Wasser abgräbt / Experten: Moloch ist in zehn Jahren nicht mehr zu versorgen

MEXIKO-STADT. Wenn Reyna Diaz den Hahn in ihrer kleinen Küche aufdreht, hört sie oft nur ein leises Zischen. Mehr als warme Luft kommt über viele Wochen im Jahr nicht aus den Wasserhähnen in ihrer Wohnung. „Manchmal fließt zwar ein bisschen Wasser“, sagt die 54-Jährige. „Aber dann ist es meistens rot wie Rost.“

Reyna Diaz lebt mit Mann, zwei Kindern und zwei Hunden in einem schuhkartongroßen Häuschen in Iztapalapa. Der Stadtteil im Südosten von Mexiko-Stadt hat knapp 1,8 Millionen Einwohner – und damit so viele wie Hamburg. Nur wohnen in Iztapalapa die Menschen dicht gedrängt in engen Gassen und schmalen, geduckten Häusern.

Rasantes Wachstum

Das Viertel, in dem vor allem Menschen ohne Arbeit oder mit Gelegenheitsjobs leben, wächst rasend schnell. Schneller, als die Infrastruktur mithalten kann. Das sieht man nicht nur an ungeteerten Straßen und halbfertigen Häusern. Vor allem bündeln sich in Iztapalapa wie unter einem Brennglas die Wasserprobleme der Megalopolis Mexiko: zu viele Menschen, lecke Leitungen, kaputte Pumpen, schlechte Qualität der knappen Ressource – wenn sie dann mal fließt.

Viele Haushalte in Iztapalapa sind oft einen ganzen Monat ohne Wasser. Vor allem in den trockenen und heißen Sommermonaten zwischen Februar und Mai liefert die Stadtregierung täglich bis zu 3,5 Millionen Liter Wasser in Tankwagen. Kinder dominieren das Straßenbild, die randvolle Eimer schwankend nach Hause schleppen, in die Schule tragen oder der Verwandtschaft bringen. Auch Familienvater Fermín Botello hat in der Trockenzeit bestenfalls jeden dritten oder vierten Tag fließend Wasser. Dann wird rationalisiert und mehrfach verwendet. „Erst duschen wir uns, und dann nehmen wir das gleiche Wasser zum Saubermachen, für die Toilettenspülung oder teilen es mit Verwandten“, sagt der Nachbar von Reyna Diaz.

Iztapalapa ist in den vergangenen Jahren zum Synonym für die Wasserprobleme der Megalopolis geworden. Im Großraum Mexiko-Stadt leben knapp 22 Millionen Menschen, was die Stadt zur größten Lateinamerikas und zu den Top Drei weltweit macht. Bei so vielen Menschen stößt vermutlich jede Stadtverwaltung an ihre Grenzen.

Das gilt besonders für einen Moloch in einem Schwellenland, wo die Infrastruktur defizitär und die Kommunalverwaltung ineffizient ist. Bei Mexiko-Stadt kommen geografische Nachteile erschwerend hinzu. Die Metropole liegt fernab jeden Gewässers und zudem auf einer Hochebene über 2200 Meter. Es sei schlicht unmöglich, eine derart gigantische Stadt dauerhaft und umweltverträglich mit Wasser zu versorgen, warnen Experten bereits seit Jahren.

Mexiko-Stadt ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Wasserkopf. Jeder fünfte Mexikaner lebt im Großraum Hauptstadt. 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas werden hier erwirtschaftet. Und der Moloch wächst weiter, vor allem in den ärmeren Randbezirken. Pro Jahr steigt die Bevölkerung in Groß-Mexiko-Stadt um 1,8 Prozent. Doch schon jetzt sprengt der Durst der Metropole den Rahmen. 280 Liter verbraucht jeder der 22 Millionen Bewohner durchschnittlich pro Tag an Wasser. Das sind 6,1 Milliarden Liter täglich, die bereitgestellt werden müssen.

Fast zwei Drittel (65 Prozent) des Wassers, das im Großraum Mexiko verbraucht wird, kommt
aus Tiefbrunnen. Mehr als 2000 Pumpen verteilt über das ganze Stadtgebiet saugen jeden Tag Hunderte Millionen Liter Wasser immer tiefer unter der Betonwüste hervor. Manche schürfen bis zu 250 Meter tief nach dem blauen Gold. Ein weiteres gutes Drittel (35 Prozent) des in der Megalopolis verbrauchten Wassers wird über das Stausystem Cutzamala im Bundesstaat Mexiko kompliziert über mehrere Bergketten aus mehr als 150 Kilometern Entfernung in die Stadt geschafft. Lediglich zehn Prozentwerden aus Oberflächenwasser wie Flüssen, Regenwasser und Ähnlichem gedeckt. Eine Verteilung, die schon auf mittlere Sicht nicht mehr tragbar ist.

Versorgung wird knapp werden

„In zehn Jahren spätestens werden wir die Stadt nicht mehr so versorgen können, wie wir es jetzt tun“, warnt Efrén Villalón von der Nationalen Wasserkommission Conagua. Vielleicht dauere es aber auch nur noch fünf Jahre, orakelt der Conagua-Direktor im geräumigen klimatisierten Büro an einem großen Mahagoni-Tisch. Er lässt Wasser aus Karaffen reichen und warnt mit sanfter Stimme vor dem Untergang. „Wenn wir so weitermachen, wird die Stadt eines Tages nicht mehr bewohnbar sein. Irgendwann sind die Quellen versiegt, oder die Stadt fällt in sich zusammen.“

Hauptproblem ist der Entzug des Grundwassers. Mit jedem Liter, der aus dem Boden geholt wird, gräbt sich die Stadt buchstäblich selbst das Wasser ab, sagt auch Adolfo Tolson, Geologe an der Nationalen Universität UNAM. „Jeder Liter, der dem Grundboden entzogen wird, tut der Stadt weh.“ Um durchschnittlich neun Meter ist die Megalopolis im vergangenen Jahrhundert abgesackt. Tendenz steigend.

Vor allem das alte Stadtzentrum, wo die Azteken um 1370 auf dem flachen sumpfigen Texcoco-See die Siedlung Tenochtitlán, den Vorläufer Mexiko-Stadts, gründeten, ist besonders betroffen. Hier ist der Grundboden nicht mehr lehmig-feucht, sondern durch die Jahrzehnte des Wasserraubbaus trocken und porös.

Bröckelnde Altstadt

So muss man gar nicht lange suchen, um in der historischen Altstadt Risse im Gemäuer, schiefe Kirchtürme, schräge und versinkende Häuser zu entdecken. Jeder Tourist steht verwundert vor der großen Kathedrale am Hauptplatz Zócalo, einem der Wahrzeichen der Stadt, und bestaunt, wie sehr der rechte Teil der riesigen Kirche im Boden zu versinken scheint. Kaum jemand weiß: Bereits seit vielen Jahren kann die Kathedrale nur noch mit einer Art unterirdischem Stützkorsett vor dem völligen Zusammenbruch bewahrt werden.

Mexiko-Stadt hat nur knapp 500 Jahre gebraucht, um das Wasser zu schlucken, das es einmal im Tal von Mexiko gab. Als die spanischen Eroberer 1519 nach Tenochtitlán kamen, trauten sie ihren Augen nicht. Vor ihnen lag eine Art vormodernes Venedig. Damals gab es im Tal von Mexiko neben dem Texcoco-See noch vier weitere Seen, die zusammen eine Fläche von 100 Quadratkilometern bildeten, gespeist aus 48 Flüssen. In Regenzeiten wuchsen die fünf Seen zu einem einzigen gigantischen Riesengewässer zusammen.

Spanier legten Seen trocken

Doch binnen weniger Jahrzehnte legten die Spanier den Texcoco-See trocken, und je mehr sich über die Jahrhunderte die Betonwüste Mexiko-Stadt ausbreitete, desto schneller trockneten die Seen aus, bis sie schließlich so gut wie völlig verschwanden.

Trotz der weitgehend bekannten Probleme macht die Stadt so weiter wie bisher. Dabei sind die Herausforderungen so groß, dass man gar nicht weiß, wo man zuerst beginnen soll. Zum Beispiel die Erneuerung der Leitungen. 12000 Kilometer Rohre liegen unter den Pflastersteinen begraben. Diese sind noch immer vor allem aus Blei und bis zu einem halben Jahrhundert alt und an vielen Stellen leck.

Eine Frage des Geldes

Schon länger ersetzt die Stadtregierung zwar mit Hilfe spanischer, französischer und britischer Firmen nach und nach die Metallrohre durch solche aus Polyethylen. Doch gerade mal 2000 Kilometer sind bisher erneuert. Und da die Kosten bei 100000 Dollar pro Kilometer liegen, ist es auch eine Finanzfrage.

Daher fordert nicht nur der Vertreter der Wasserbehörde Villalón realistischere Tarife, denn Wasser ist in Mexiko so preiswert, dass nicht mal die Kosten für deren Bereitstellung gedeckt werden: Allein der Transport aus dem Stausystem Cutzamala nach Mexiko-Stadt kostet pro Kubikmeter umgerechnet 0,40 Eurocent. Die Stadt Mexiko kauft der Wasserbehörde die Ressource dann für 0,30 Eurocent ab, und die Verbraucher kostet der Kubikmeter in der Hauptstadt dann nur noch 0,16 Eurocent – wenn sie denn bezahlen.

Denn den Mexikanern fehlt das Bewusstsein, dass Wasser etwas Kostbares ist. Das Recht auf Wasser ist als eine Art Grundrecht in der Verfassung verankert. Dies führt dazu, dass es anders als Strom und Telefon bei Nichtbezahlung der Rechnung nicht abgedreht werden darf. Also zahlt auch kaum jemand.

Verschärft wird das Problem dadurch, dass es in Mexiko kein Bewusstsein für die Knappheit der Ressource gibt. In der Trockenzeit, wenn es über Monate so gut wie gar nicht regnet, werden in den wohlhabenden Vierteln die Rasenflächen mit Trinkwasser gesprengt. Dann werden selbst die begrünten Mittelstreifen der großen Ausfallstraßen bewässert. Oder die Lecks in den Leitungen: „Statistisch geht all das Wasser, das wir aufwendig aus Cutzamala nach Mexiko pumpen, irgendwo verloren, bevor es in die Wasserkräne kommen kann“, empört sich Efrén Villalón. Jeder dritte Liter Trinkwasser versickert also.

Bewusstsein muss her

Was ist also zu tun? Der Experte Villalón fordert höhere Wasserpreise, mehr Aufbereitung des Brauchwassers sowie den Bau neuer Stausysteme. Vor allem aber muss der Entzug des Grundwassers schnell und massiv reduziert werden, wenn die größte Stadt Lateinamerikas nicht eines gar nicht mehr so fernen Tages einfach in sich zusammenfallen soll wie ein Kartenhaus. „Es ist bittere Ironie, dass die Stadt, die auf dem Wasser erbautwurde, am Wassermangel zugrunde gehen wird“, sagt der Schriftsteller und Umweltaktivist Homero Aridjis verbittert.

aus: Weser-Kurier Nr. 25, 22. Juni 2008, S.3.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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