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Von der kubanischen Küche und Bevölkerung

Anja Raschke | | Artikel drucken
Lesedauer: 12 Minuten

Kuba_vinales hütten_Foto Quetzal-Redaktion_pg

 

Die kubanische Gesellschaft, wie wir sie heute kennen, resultiert aus einer Mischung unterschiedlicher ethnischer und kultureller Einflüsse. Oberflächlich ist diese Mischung wohl am einfachsten anhand der unterschiedlichen Hautfarben der kubanischen Bevölkerung zu erkennen, aber auch viel tiefer, nämlich in vielen kulturellen Praktiken, hat die Vermischung ihre Spuren hinterlassen. So zum Beispiel in der kubanischen Küche. Sie ist, genau wie die kubanische Bevölkerung, eine Melange verschiedener Kulturen, und ihre Wurzeln reichen Jahrhunderte zurück. Neben der Frage, welche Kulturen an ihr Anteil genommen haben, ist es interessant zu erfahren, wieso es überhaupt zu dieser Vermischung kam. Denn dies hat teilweise auch etwas mit den Essgewohnheiten der Menschen zu tun.

Von Taíno und Spaniern

Bevor die ersten Europäer auf ihrer Reise gen Westen auf Kuba stießen, lebten hier bereits seit geraumer Zeit verschiedene Gruppen indigener Völker. Eines von ihnen waren die Taíno. Sie ernährten sich von dem, womit die Natur ihre Heimat ausgestattet hatte, wozu z.B. Maniok (auch Yuca oder Cassava genannt), Jutía (eine Art Baumratte), viel Fisch und teilweise auch Seekühe gehörten. Auch die einheimischen Früchte standen auf ihrem Speiseplan. Die Viehzucht übten die Taíno zwar nicht aus, wohl aber den Ackerbau, um aus den Maniokpflanzen ihr Hauptnahrungsmittel zuzubereiten: tortas de casabe (kleine flache Teigfladen) [14]. Während die Taíno Kuba bereits seit Jahrhunderten bevölkerten und sein natürliches Nahrungsangebot nutzten, konnten die Spanier bei ihrer Ankunft auf der Karibikinsel nicht viel mit den Essgewohnheiten der einheimischen Bevölkerung anfangen. Was für die Taíno der Maniok, war für die Spanier der Weizen, und anstelle von Jutía verspeiste man in Spanien Schweinefleisch [9]. Die Ursachen für die unterschiedlichen Ernährungsweisen liegen auf der Hand, und die Folgen, die diese Unterschiede für die heutige kubanische Küche haben sollten, sind enorm. Während wir heutzutage oftmals gern neues und exotisches Essen probieren, sahen die Spanier ein echtes Problem mit dem Nahrungsangebot, das sich ihnen in der Karibik und auf Kuba bot. Und dieses Problem galt es zu lösen. So brachten die Spanier bald nicht nur tödliche Krankheiten mit sich in die Neue Welt, sondern auch ihre gewohnten und geschätzten Nahrungsmittel. Bei dem Vorhaben, die spanische Küche (und damit ein Stück spanischer Kultur) in die Neue Welt zu verpflanzen, war auf Kuba die Schweinehaltung besonders erfolgreich [1]. Doch auch Rinder, Schafe, Ziegen und Hühner gelangten mit den Spaniern auf die Insel [13] und gehören auch heute noch zur kubanischen Ernährung.

Aber wieso überhaupt wurden spanische Lebensmittel nach Kuba gebracht, wenn das dortige Nahrungsangebot doch augenscheinlich zum Überleben ausreichte? Die indigene Bevölkerung lebte bereits Jahrhunderte vor der Ankunft der Spanier auf dieser Insel [14] und ernährte sich somit seit jeher von den naturgegebenen Nahrungsmitteln. Zur Erklärung dieses Unterfangens kann ein Vorfall zurate gezogen werden, der Kolumbus auf einer seiner späteren Reisen in die Antillen widerfuhr: Bei seiner Rückkehr nach Hispaniola im Jahr 1493 erwartete Kolumbus, seine dort zuvor gegründete Siedlung in voller Blüte wiederzufinden [3]. Der Anblick, der sich ihm jedoch bot, zeugte vom genauen Gegenteil. Alle Männer, die er zurückgelassen hatte, haben den Tod gefunden, und auch die 1.500 zusätzlichen Siedler, die er mit sich brachte, begannen schnell zu erkranken [3]. Die Ursache dieses fatalen Zustandes sah Kolumbus in der fremden Luft und dem ungewohnten Wasser der Karibik [3] und schlug als Lösung das gewohnte Essen, das sie in Spanien verzehrten [3], vor. Der Gedanke, dass die spanische Ernährung für eine verbesserte Gesundheit in der Kolonie sorgen würde, basiert auf der sogenannten Humoralpathologie [3]. Dieser Lehre zufolge befindet sich die Gesundheit des menschlichen Körpers stets in einer unbeständigen Balance, welche durch die Ernährung, den Lebensstil oder die Umwelt beeinflusst wird [11], und somit spielte für die spanischen Siedler die Ernährung einKuba_Ochsenkarren_Foto Quetzal-Redaktion_pge wichtige Rolle für das körperliche Wohlbefinden und konnte aktiv dazu beitragen, dieses zu verbessern. Die logische Konsequenz, die sie aus diesen Erkenntnissen schlossen, war das Importieren eben dieser spanischen Lebensmittel in die Karibik und auch nach Kuba. Die Spanier glaubten daran, dass sie nicht unter den fremden Bedingungen der Karibik leiden würden, wenn sie weiterhin europäische Nahrung zu sich nähmen [3]. So war der Glaube an die Humoralpathologie ein wesentlicher Grund dafür, dass Lebensmittel wie z.B. Weizenmehl, Hafer oder Reis [15] nach Kuba gelangten. Die Einführung neuer Lebensmittel und landwirtschaftlicher Praktiken stellt einen der ersten Schritte zur Entstehung der heutigen kubanischen Küche dar, ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite steht die Frage, was von der indigenen Bevölkerung erhalten blieb.

Die indigene Bevölkerung, welche vor der Ankunft der Spanier auf Kuba lebte, ist zum heutigen Zeitpunkt vollständig mit anderen Bevölkerungsgruppen verschmolzen [10]. Das bedeutet, dass – anders als z.B. in Mexiko oder Peru – keine eigenständige indigene Kultur und Bevölkerung mehr auf Kuba existiert. Darüber hinaus stieg ihre Sterberate nach der Ankunft der Spanier stark an [5], was dazu führte, dass sie von vornherein keine große Chancen hatte, sich in die Vermischung der Kulturen einzubringen. Diese großen Verluste gehen auf verschiedene Ursachen zurück. Neben offener Gewalteinwirkung durch die Spanier oder durch Krankheiten starb ein Teil der kubanischen indígenas an Hunger, welcher durch die Zerstörung ihrer Felder durch die Spanier entstand [5]. Darüber hinaus war neben der Frage, was die jeweiligen Völker essen, nach der Ankunft der Spanier auf Kuba auch von Bedeutung, wie viel gegessen wird. Zum Hunger der indigenen Bevölkerung könnte durchaus beigetragen haben, dass ein Spanier pro Tag deutlich mehr verspeiste als ein Taíno [9].

Und was bleibt nun von der Ernährungsweise der indigenen Bevölkerung? Die Spanier waren nicht nur darauf bedacht, sich selbst mit den ihrigen Nahrungsmitteln zu versorgen, sondern sie versuchten darüber hinaus, die indigene Bevölkerung dazu zu bringen, sich an die spanischen Essgewohnheiten anzupassen [3]. Ihr Ziel war es also, ihre (Ess)Kultur vollständig auf Kuba zu übertragen und keinerlei neue Einflüsse aufzunehmen. Ein Faktor, der bei der Durchführung dieses Bestrebens für die Spanier sprach, ist ihre Rolle als dominierende Kraft, wodurch die indigene Bevölkerung in ihrer Position also nur wenig zur Vermischung der Kulturen beitragen konnte.  Dennoch haben sich einige ihrer Praktiken bis heute erhalten. Die Verwendung einheimischer Früchte in der heutigen kubanischen Küche (z.B. Guayaba [13]) kann z.B. darauf zurückgeführt werden, dass den Spaniern eben diese Früchte von der indigenen Bevölkerung nähergebracht wurden [15]. Auch die Nutzung von Maismehl [6] liegt wohl in indigenen Einflüssen begründet, da Mais bereits von den Taíno angebaut wurde [13]. Darüber hinaus hatte der von den Spaniern angestrebte Weizenanbau auf Kuba kaum Erfolg, da die Pflanze im feuchten Klima der Karibik nicht gedieh [9]. Die spanischen Ernährungsgewohnheiten konnten also nicht eins zu eins auf Kuba übertragen werden und mussten teils zwangläufig neue Einflüsse in sich aufnehmen. Zwar waren die Spanier aufgrund ihrer Position als Eroberer dazu in der Lage, selbst zu entscheiden, was sie annehmen und was nicht. Andererseits beweist die Unmöglichkeit des Weizenanbaus, dass sich auch eine militärisch dominante Kultur nicht über die Natur hinwegsetzen kann. So sind also auch Teile der präkolumbischen Esskultur auf Kuba erhalten geblieben.

Von der Sklaverei und der Liebe zum Zucker

Der Anteil der Schwarzen sowie Mestizen und Mulatten an der kubanischen Bevölkerung lag im Jahr 2002 bei 10,1% beziehungsweise 24,9% [17], d.h. ungefähr ein Drittel besteht aus Nachfahren der nach Kuba verschleppten afrikanischen Sklaven. Wann genau die ersten Sklaven von Afrika nach Kuba gelangten, ist nicht genau festzumachen [10], die Gründe sind allerdings bekannt. Der Handel mit afrikanischen Sklaven geschah zunächst aufgrund des zunehmenden Mangels an Arbeitskräften, denn im Jahr 1529 erlagen tausende indígenas einer Pockenepidemie [10]. Darüber hinaus vertraten die Spanier die Auffassung, dass Afrikaner körperlich sehr viel stärker und widerstandsfähiger wären als die einheimische Bevölkerung [10], und so wurden afrikanische Sklaven zur fundamentalen Arbeitskraft der Insel [10]. Während die Anzahl der verschleppten Sklaven bis zum Jahr 1800 ungleichmäßig stieg und auch wieder  sank [16], nahm sie im 19. Jahrhundert enorme Ausmaße an. In nur 66 Jahren (1801-1866) wurden beinahe 800.000 Sklaven nach Kuba gebracht [16]. Die Folgen, die sich hieraus für die heutige kubanische Gesellschaft ergeben, sind offensichtlich. Ein wichtiger Grund dafür, dass überhaupt so viele Arbeitskräfte auf Kuba benötigt werden, liegt jedoch etwas tiefer verborgen. Zu tun hat er mit einem ganz bestimmten Nahrungsmittel, das sich seit jeher wachsender Beliebtheit erfreut: dem Zucker. Das Zuckerrohr wurde im Jahr 1493 von Kolumbus in die Karibik gebracht [2]. Auf Kuba wurde es seit dem 16. Jahrhundert im kleineren Stil und für die Eigenversorgung der Insel angebaut [8], bevor es Ende des 18. Jahrhunderts auch für den internationalen Markt produziert wurde [8] und somit eine enorme Wichtigkeit für die kubanische Wirtschaft erhielt. Damit begann der großflächige Anbau des Zuckerrohrs, für den nun zunehmend Sklaven nach Kuba gebracht wurden [10], und mit dem Beginn der Plantagenwirtschaft gegen Ende des 18. Jahrhunderts [10] korrespondieren auch die enorm steigenden Zahlen der verschleppten Sklaven. Kuba profitierte vom Wegfall Haitis als größter Zuckerproduzent und erhoffte sich durcKuba_ Zuckerrohr_Foto Quetzal-Redaktion_pgh die Erfüllung der bestehenden Nachfrage an Zucker eine neue Ära des Wohlstandes [10]. Bereits im 15. Jahrhundert wuchs in Europa die Nachfrage nach Zucker, woraufhin begonnen wurde, auf der iberischen Halbinsel und auf den kanarischen Inseln Zuckerrohr anzubauen [7]. Dass der europäische Gaumen immer mehr Gefallen am süßen Geschmack des Zuckers fand, ist zum Teil auch mit der Einführung von drei neuen Getränken verbunden, von denen ersteres im Zuge der Kolonisierung Amerikas nach Europa gelangte: Schokolade, Tee und Kaffee [7]. Den Spaniern war das aztekische Getränk Schokolade zunächst zu bitter [7], und erst nachdem es durch das Hinzufügen von Zucker seinen süßen Geschmack erhielt, änderte sich ihre Meinung, und die Schokolade begann in dieser modifizierten Form ihren Siegeszug in Europa [7]. Um die steigende Nachfrage des beliebten Süßungsmittels zu decken, wurde eine hohe Zahl an Arbeitskräften benötigt, die wiederum durch afrikanische Sklaven gedeckt wurde. Ein nicht unerheblicher Teil der heutigen kubanischen Bevölkerung geht also aus der Liebe, die die Spanier und andere Europäer dem Zucker entgegenbrachten, hervor.

Doch welchen Einfluss nahmen die damaligen Sklaven auf die heutige kubanische Küche und Ernährungsweise? Aufgrund des Verhältnisses zwischen Eroberern (Spanier) und Eroberten (Sklaven) war es den Sklaven nicht oder nur kaum möglich, materielle Güter mit sich nach Kuba zu bringen [2]. Somit wurden auch Lebensmittel, die ihren Ursprung in Afrika haben, höchstens durch die Spanier eingeführt, beispielsweise als Mittel der Heilung für kranke Sklaven [3]. So wie sich Kolonisatoren und Sklaven im kolonialen Kuba in unterschiedlichen Positionen des Machtgefüges befanden, so befanden sich auch ihre Kulturen in unterschiedlichen Situationen [2]. Wie bereits bei den Taíno so konnten auch lediglich die Spanier als die dominierende Partei nützliche Elemente der afrikanischen Kulturen freiwillig übernehmen, wohingegen es für die Sklaven überlebenswichtig war, sich in einem fremden Umfeld an eine fremde Kultur anzupassen [2]. Bezogen auf die Ernährung bedeutete dies, dass die Kolonisatoren ihnen angenehme Lebensmittel, Rezepte, Praktiken o.ä. adaptierten, wohingegen die Sklaven auf die für sie neuen Lebensmittel angewiesen waren. Umso wichtiger war es für sie, ihre ideellen Güter beizubehalten und weiterzugeben, und so brachten sie beispielsweise ihren ganz eigenen Geschmack mit sich [4]. Jeder Koch hat seine eigene Küche, seinen eigenen Gaumen und instinktive Bedürfnisse [9]. Die Sklaven vereinten also ihre eigenen Traditionen [13] mit den Lebensmitteln, die sie auf Kuba vorfanden, vermischten somit Ideelles mit Materiellem und formten eine neue Kultur, die keiner der beiden Ausgangskulturen gleicht.

Genau das macht sowohl die kubanische Küche als auch seine Bevölkerung aus. Beide sind das Ergebnis vielseitiger Migrationsbewegungen und interkultureller Kontakte; sie entstammen verschiedenen Kulturen und bilden doch wieder etwas komplett Neues.

 

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Literatur:

 

[1] Crosby Jr., Alfred W. (2003): The Columbian exchange. Biological and Cultural Consequences of 1492. Westport/ Connecticut/ London: Praeger.

[2] Dornbach, Mária (1993): Orishas en soperas. Los cultos de origen yoruba en Cuba. Szeged: Universität „Attila József”.

[3] Earle, Rebecca (2012): The Body of the Conquistador. Food, Race and the Colonial Experience in Spanish America, 1492-1700. Cambridge u.a.: Cambridge University Press.

[4] Garth, Hanna (2013): „Cooking Cubanidad: Food Importation and Cuban Identity”, in: Garth, Hanne (Hg.): Food and Identity in the Caribbean. London/ New York: Bloomsbury, S. 95-106.

[5] Henken, Ted A. (2008): Cuba: a global studies handbook. Santa Barbara: ABC-CLIO.

[6] Henken, Ted A./ Celaya, Miriam/ Castellanos, Dimas (2013): Cuba. Santa Barbara/ Denver/ Oxford: ABC-CLIO.

[7] Huetz de Lemps, Alain (2013): „Colonial beverages and the consumption of sugar“, in: Flandrin, Jean-Louis/ Montanari, Massimo (Hg.): Food: A Culinary History. New York/ Chichester, West Sussex: Columbia University Press, S. 382-393.

[8] Knight, Franklin W. (1970): Slave Society in Cuba during the nineteenth century.       Madison: University of Wisconsin Press.

[9] Long, Janet (2003): Conquista y comida. Consecuencias del encuentro de dos mundos, 3. Auflage. Mexiko-Stadt: Universidad Nacional Autónoma de México.

[10] Naranjo Orovio, Consuelo (2009): Historia de Cuba. Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas/ Doce Calles.

[11] Nutton, Vivian (1993): „Humoralism”, in: Bynum, W. F./ Porter, Roy (Hg.): Companion Encyclopedia of the History of Medicine. Abingdon/ New York: Routledge, S. 281-291.

[12] Ortiz, Fernando (2002 [1940]): Contrapunteo cubano del tabaco y el azúcar, herausgegeben von Enrico Mario Santí. Madrid: Cátedra.

[13] Peláez, Ana Sofía/ Silverman, Ellen (2014): The Cuban table. A celebration of food, flavors and history. New York: St. Martin’s Press.

[14] Tabío, Ernesto E./ Rey, Estrella (1979): Prehistoria de Cuba. Havanna: Editorial de Ciencias Sociales.

[15] Vázquez Gálvez, Madelaine (o. J.): Apuntes sobre la historia de la cocina cubana. Abrufbar auf: http://www.cubasolar.cu/Biblioteca/Energia/Energia44/HTML/Articulo10.htm.

[16] Zeuske, Michael (2013): Handbuch Geschichte der Sklaverei: Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin/ Boston: Walter de Gruyter.

[17] http://www.one.cu/publicaciones/cepde/cuaderno2/pob_cua_13.pdf

 

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Bildquellen: [1],[2],[3] Quetzal-Redaktion, pg.

 

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