WAHLEN: Die Geldmassen, die im Wahlkampf für die Kongresswahlen bewegt werden, könnten Kolumbien zu einer Plutokratie werden lassen, in der die Kandidaten mit dem meisten Geld gewählt werden. Woher kommt eigentlich das ganze Geld?
Nie wurde in der politischen Geschichte Kolumbiens so viel Geld in die Wahlen gesteckt wie im derzeitigen Wahlkampf. Klagen und Aussagen aus dem gesamten Land zeigen deutlich, dass Zäune, Werbebanner über den Straßen, Schirmmützen, Spanferkel und T-Shirts nur den geringsten Anteil der Ausgaben darstellen, die aus dem Millionenbudget für den Kampf um die Stimmen stammen.
„Der politische Klientelismus hat sich verändert“, so der Historiker und Senatskandidat Juan Carlos Flórez. Damit bezieht er sich darauf, dass es im traditionellen Tausch mit den Wählern für Wahlstimmen keine Dachziegel oder Ziegelsteine mehr gibt, sondern Geldbündel. Der Preis für eine Stimme hängt von der Region ab. Im Departement Bolívar können das bis zu 50.000 Pesos (etwa 20 Euro) sein, in den Departements Bogotá und Cali schwankt der Betrag für eine Stimme zwischen 20.000 und 30.000 Pesos (acht bis zwölf Euro), und in den mittelgroßen Städten liegt er bei etwa 15.000 Pesos (etwa sechs Euro). Das Geld wird in zwei Raten gezahlt – die erste bei Abschluss des Geschäfts mit dem Wähler (etwa 30 Prozent des Gesamtbetrags), die zweite nach der Stimmenauszählung.
In den meisten Fällen kümmert sich der Kandidat nicht persönlich um diese Geschäfte. Dafür werden sogenannte capitanes eingesetzt, die Wähler suchen und Listen mit deren Daten, wie Personalien, Wohnort und Wahlkreis erstellen. Wenn nach der Wahl die Zahl der vorher registrierten Wähler mit den Stimmen im jeweiligen Wahlkreis übereinstimmt, zahlt der capitán den Restbetrag aus und behält selbst einen Teil, der im Verhältnis zu den erlangten Stimmen steht. Senatskandidaten, die 30.000 „organisierte“ Stimmen bekommen wollen, investieren dafür schon einmal bis zu 1,5 Milliarden Pesos (etwa 610.000 Euro).
„Als capitán muss man handeln“, berichtete ein Stadtrat, der im Dezember den Wahlkampf für einen konservativen Kandidaten für die Abgeordnetenkammer machte und jetzt für einen Kandidaten der Partei La U in Bogotá arbeitet, der Zeitung SEMANA. „Wir geben denen von der Abgeordnetenkammer Stimmen, und sie geben den Leuten vom Senat Stimmen. Das einzig Neue daran ist das Geld“, erklärte er.
In Bogotá kann ein capitán, der es schafft, 1.000 Stimmen zu sammeln, bis zu 70 Millionen Pesos (knapp 30.000 Euro) kosten. Die capitanes kämpfen um die Kandidaten, die am besten zahlen, und die Kandidaten um die capitanes, die die meisten Stimmen einbringen. „Es gibt Stadträte, die sagen: ‚Herr Doktor, ich sammle so und so viele Stimmen für Sie, aber Sie müssen mir dafür einen Vorschuss geben’… Sie fordern das, weil es Politiker gibt, von denen sie es gewohnt sind, große Summen zu bekommen“, sagt der Kandidat der Abgeordnetenkammer Alfonso Prada und erinnert sich, dass sich diese Gewohnheit in der Hauptstadt seit den Wahlen zum Stadtrat 2007 etabliert hat. Laut verschiedenen Kongressmitgliedern wurde, seit die Parteien ADN (Acción Democrática Nacionalista) – heute ohne Rechtspersönlichkeit – und PIN (Partido de Integración Nacional) auf der politischen Bühne erschienen, der Verkauf von Stimmen durch hohe Gebote in die Höhe getrieben. Der Senator Juan Manuel Galán verurteilte, dass Kandidaten der PIN Kandidaten in Bolívar und in Santander kaufen. „In Cartagena, zum Beispiel, verteilt Enilse López, auch „La gata„, die Katze, genannt, Bargeld an Politiker und natürliche Personen, damit sie für ihren Sohn Héctor Alfonso López stimmen, der für die PIN kandidiert“, sagte er.
Wie bei den meisten der Transaktionen, die in Kolumbien stattfinden, regiert auch beim Klientelismus das Misstrauen. Daher ist es üblich, dass die capitanes den Personalausweis der Wähler bis zur Wahl behalten, damit diese ihre Stimme nicht auch noch an andere Kandidaten verkaufen. Der Nationale Wahlrat Consejo Nacional Electoral (CNE) überprüfte diese Regelung und erklärte Anfang Februar die Registrierung von Personen, die 2009 in Barranquilla stattgefunden hatte, für ungültig. Der Rat hatte herausgefunden, dass über die Hälfte der 200.000 Bürger, die sich im Oktober registriert hatten, nicht an den Orten ihrer Registratur lebten. Aus diesem Grund können in der Stadt nur diejenigen an der Wahl teilnehmen, die seit 2006 registriert sind.
Dass die jetzigen Wahlen einem Markt ähneln, zeigt das im Wahlkampf geprägte Vokabular. So wird in Antioquia und in Valle del Cauca der Ausdruck voto prepago benutzt, was bedeutet, dass der Wähler im Vorfeld für die Stimme kassiert. Dann gibt es noch den voto combo, bei dem dem Wähler eine größere Summe geboten wird, wenn er/sie sowohl bei den Senats- als auch bei den Abgeordnetenkammerwahlen für einen Kandidaten stimmt.
Zu den Summen, die traditionelle Politiker und neue Kandidaten für den Stimmenkauf ausgeben, kommen die Kosten für Wahlwerbung, unter anderem für Werbeplakate. Kürzlich gab die CNE bekannt, dass in Bogota fünf Parteien die Zahl der erlaubten Werbeplakate überschritten hatten.
Wenn man die sogenannten candidatos de opinión (die Kandidaten, die nicht am Stimmenkauf teilnehmen) nicht miteinbezieht, wird im Kongress davon ausgegangen, dass die Kosten für den Wahlkampf bis zu dem Punkt in die Höhe schossen, dass ein Kandidat, neben Ausgaben für Werbung und Anführer, auch für sich selbst bis zu 2.000 Millionen und ein Senatskandidat bis zu 5.000 Millionen [US-Dollar, Anmerk. der Übers.] ausgeben kann. Diese Summen liegen weit über der Obergrenze, welche für die Abgeordnetenkammer je nach Departement zwischen 264 und 531 Millionen und für den Senat bei 675 Millionen [Pesos, Anmerk. der Übers.] liegt.
Woher kommt das Geld, mit dem die Kandidaten, die eine neue Form des Klientelismus anwenden, Stimmen kaufen und so ihren völlig exorbitanten Wahlkampf finanzieren? Es gibt verschiedene Quellen. Eine sind die Unternehmer, die möchten, dass die Politiker ihnen „helfen“, Verträge auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene abzuschließen. Dafür bieten sie den Kandidaten im Voraus einen Prozentsatz des voraussichtlichen Wertes des Vertrags. „Es sind nicht nur Menschen aus den unteren Schichten, die Stimmen kaufen“, erklärt der Senator Jorge Enrique Robledo.
Aus dem gleichen Grund bat die Senatskandidatin Mapi Velasco einen Bevollmächtigten, eine Kommission zur Feststellung von Unregelmäßigkeiten, wie der vermeintlichen Verwendung von Geldern der Gemeinde Calí für die Finanzierung der Kandidatur von Mauricio Ospina, dem Bruder des Mandatträgers, zu bilden.
Eine weitere Geldquelle sind sicherlich illegale Transaktionen wie der Drogenhandel. „Im Norden des Valle de la Plata ist dieser stark verbreitet“, so Velasco. In diesem Departement sind Kontrollorganisationen bereits sehr wachsam. Buenaventura, El Dovio, Yotoco, Guacarí und Argelia sind Gemeinden, in denen das Registeramt, die CNE und die Wahlaufsichtsbehörde (MOE) Intransparenzen im Wahlkampf erkannt haben. Dazu gehört die übermäßige Werbung, der Stimmenkauf und das Durcheinander bei der Registrierung.
Das Schlimmste an dieser weitverbreiteten Art, Politik zu machen, ist der Einfluss, den sie auf die Demokratie hat. Denn Kandidaten, die auf eine Neuerung setzen und die sich an die Regeln halten, haben kaum Chancen, in den Senat oder in die Abgeordnetenkammer zu kommen. Egal wie groß ihr Ansehen ist; sie können es nicht schaffen, mit denjenigen mitzuhalten, die sich Kandidaten kaufen oder die Stimmen finanzieren lassen – zwei Bedingungen, die man erfüllen muss, um in Kolumbien gewählt zu werden. Eine bedauerliche Situation, wenn man bedenkt, dass der jetzige Kongress einer der am wenigsten legitim gewählten Kongresse der Geschichte ist.
Die CNE bat das Finanzministerium um Mittel, um die geplanten 21 Aufsichtseinheiten noch zusätzlich zu unterstützen – für den Fall, dass Wahldelikte während der Wahl auftreten und sie mit diesen nicht fertig werden. Es ist grundlegend, alle Kräfte zu vereinen und die Kandidaten in angemessener Weise zu bestrafen; damit das, was derzeit durch die übermäßige Finanzierung der Wahlkampagnen passiert, nicht im Bereich der Skandalgeschichten bleibt. Jedoch besteht drei Wochen vor den Wahlen und angesichts der Lage kaum Grund zum Optimismus. In diesem Wahlkampf scheint es, als hätte sich in Kolumbien eine Art Plutokratie eingerichtet, in der die mit dem meisten Geld auch die sind, die gewählt werden.
Originalbeitrag aus La Semana vom 20.02.2010, (Ausgabe Nr. 1451). Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.
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Übersetzung aus dem Spanischen: Charlotte Navitzkas
Bildquellen: [1] Quetzal-Redaktion, ssc; [2] Quetzal-Redaktion, ecm