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Sozial-ökologische Transformation für einen nachhaltigen Frieden in Kolumbien

Stefan Peters | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Kolumbien befindet sich in einem vielbeachteten Transformationsprozess: Der Friedensprozess hat erste Ergebnisse hervorgebracht (Abschlussbericht der Wahrheitskommission, Arbeit der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP), Reintegration ehemaliger Guerrilla-Kämpfer/-innen), erhält unter der neuen Regierung von Präsident Gustavo Petro neue Impulse und soll unter dem Stichwort „Paz Total“ die Befriedung auch und gerade der abgelegenen und historisch marginalisierten Gebiete des Landes sowie die Demobilisierung der weiterhin aktiven illegalen Gewaltakteure (Guerrillagruppen, (neo-)paramilitärische Gruppen, kriminelle Banden) ermöglichen und damit eine zentrale Grundlage für eine dringend benötigte Reform des Sicherheitssektors legen. Die neue Regierung von Präsident Petro hat sich zudem dem Kampf gegen den Klimawandel und für den Schutz des Amazonas – der „grünen Lunge“ der Welt – verschrieben und übernimmt damit eine regionale und internationale Vorreiterrolle. Zudem zielt die neue Regierung auf den sukzessiven Ausstieg aus fossilen Energiequellen und einer Transition zu erneuerbarer Energie (insb. Wind und Solar) als klimapolitische Maßnahmen zur Förderung lokaler Entwicklungsprozesse und als Möglichkeit der Diversifizierung der Exportstruktur (grüner Wasserstoff).

Dieser Transformationsprozess möchte zudem die extremen und historisch persistenten sozialen Ungleichheiten in dem Land reduzieren. Gleichzeitig sollen die Rechte sozial benachteiligter und besonders vom internen bewaffneten Konflikt betroffenen Bevölkerungsgruppen (Frauen, indigene und afrokolumbianische Gruppen, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern) gestärkt werden. Kurz: Kolumbien adressiert aktuell wie kaum ein anderes Land der Welt die zentralen Zukunftsthemen des 21. Jahrhunderts: Frieden, Klima und soziale Gerechtigkeit. Diese sozial-ökologische Transformationsagenda für einen nachhaltigen Frieden in Kolumbien bietet breite Anknüpfungspunkte für die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik mit ihren Schwerpunkten auf feministische Ansätze, Klimaschutz sowie der Förderung einer nachhaltigen Friedensordnung auf der Basis des Völkerrechts. Lateinamerika und insbesondere Kolumbien sind hier auch mit Blick auf die zunehmenden geopolitischen Spannungen zentrale Partner, nicht zuletzt ob der großen Schnittmengen bezüglich gemeinsamer Werte (Demokratie, Menschenrechte, Umweltschutz). Auf dieser Grundlage bieten sich vielfache Möglichkeiten für eine Kooperation auf Augenhöhe zwischen Deutschland und Kolumbien, die mit einer Fokussierung auf die Förderung von Frieden, Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit auf die Region Lateinamerika und darüber hinaus Ausstrahlungskraft entfalten kann. Hierfür gilt es folgende fünf Punkte zu beachten:

• Frieden, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit können nicht isoliert betrachtet, sondern müssen in ihren wechselseitigen Bezügen thematisiert und bearbeitet werden. Der Friedensprozess bietet die Möglichkeit, den Klimaschutz zu stärken und soziale Gerechtigkeit einschl. der WSK-Rechte zu fördern. Gleichzeitig werden weder Klimaschutz noch Friedenskonsolidierung ohne die Reduzierung der extremen sozialen Ungleichheiten und der Förderung sozialer Kohäsion erfolgreich umgesetzt werden können. Schließlich laufen Initiativen zur Förderung des Klimaschutzes Gefahr durch mangelnde Erfolge bei der Umsetzung des Friedensprozesses und/oder der Förderung sozialer Gerechtigkeit unterminiert zu werden.

• Die Agenda der aktuellen Regierung beinhaltet auch eine Agrarreform und bietet damit exzellente Anknüpfungspunkte zur Förderung der drei zentralen Herausforderungen Frieden, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit. Die extreme Ungleichverteilung des Landbesitzes ist eine zentrale Ursache des bewaffneten Konfliktes und Hindernis für eine stabile Friedensordnung. Eine Agrarreform mit Fokus auf die Förderung sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit bietet Anknüpfungspunkte für Frieden, Nahrungssouveränität und kann auch dem Raubbau an der Natur einschließlich der Entwaldung und des Verlusts an Biodiversität vorbeugen sowie Alternativen zum Anbau illegaler Drogen stärken. Hierfür braucht es politischen Reformwillen und die Förderung agrar-, wirtschafts-, rechts- und sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse als Grundlage für das Design einer wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltigen Agrarreform.

• Mit der Ankündigung zum Ausstieg auf fossilen Energiequellen hat die kolumbianische Regierung zuletzt auf der COP27 breites internationales Echo hervorgerufen und kann auf globaler Ebene als Vorreiter unter den vom Export fossiler Rohstoffe abhängigen Staaten gelten. Gerade angesichts der durchwachsenen Ergebnisse der Klimakonferenz kommt es nun darauf an, die Mittel aus dem Fonds für Klimaschäden sinnvoll anzulegen. Kolumbien bietet vielfältige Potenziale für den Klimaschutz mit Blick auf die Konservierung des Amazonas (siehe nächster Punkt) und die Förderung erneuerbarer Energien und kann zu einem regionalen Hub der grünen Wasserstoffwirtschaft werden. Letzteres erfordert Investitionen in Zukunftstechnologien, die auch angesichts wachsender geopolitischer Spannungen und mit Blick auf die Energiesicherheit von wachsendem Interesse sind. Allerdings gilt es bei der Förderung grüner Energie die Wiederholung von Fehlern der Vergangenheit bei der Ausbeutung fossiler Energien zu vermeiden. Kurz: Die klimafreundliche grüne Energie muss in Kolumbien die soziale Kohäsion fördern, Ungleichheiten bezüglich des Einkommens und der Energieversorgung abbauen und eine Stärkung illegaler Gewaltakteure etwa an der Karibikküste unbedingt vermeiden. Dies erfordert die Stärkung lokaler Partizipation mit Fokus auf die Förderung historisch marginalisierter Bevölkerungsgruppen bei der Entscheidungsfindung und der Aneignung der wirtschaftlichen Erträge aus den erneuerbaren Energien. Zudem muss die Skepsis gegenüber einer ambitionierten Agenda der Energietransition von wissenschaftlicher Expertise zu den langfristigen Potentialen der Energietransition begleitet und breit in die Gesellschaft hineingetragen werden. Nur so kann die grüne Wasserstoffproduktion ihre Potenziale für eine nachhaltige Entwicklung einschließlich der Diversifizierung der Wirtschaft und die Stabilisierung bzw. Förderung des Friedensprozesses entfalten.

• Der Amazonas nähert sich dem Kipppunkt und damit unumkehrbaren Schäden, mit fatalen Folgen für das Weltklima. Kolumbien möchte mit ehrgeizigen Zielen eine Vorreiterrolle beim Schutz des Regenwaldes einzunehmen und damit auch anderen Amazonasanrainerstaaten als Vorbild dienen. Hierfür braucht es – auch im Eigeninteresse des Globalen Nordens – engagierte Unterstützung. Dies sollte eine faire und nachhaltige Nutzung der Bioressourcen beinhalten, die den lokalen Gemeinschaften ein würdiges Leben ermöglicht und damit gleichzeitig als Schutz gegen den Raubbau an der Natur dient. Entsprechende Politiken können nur über Kooperation auf Augenhöhe mit kleinbäuerlichen, indigene und der afrokolumbianischen Bevölkerung gelingen und bieten gleichzeitig Anknüpfungspunkte für innovative Ansätze des Environmental Peace Building. Die Ergebnisse der ambitionierten kolumbianischen Agenda werden auch von der neuen brasilianischen Regierung aufmerksam verfolgt. Ein Erfolg der kolumbianischen Strategie kann entsprechend Nachahmungseffekte auch und gerade in Brasilien anstoßen und damit Ausgangspunkt für eine für den Klimaschutz dringend benötigte Kehrtwende in der Amazonaspolitik sein.

• Im Zuge einer weltweiten Zunahme des politischen Autoritarismus bietet sich Lateinamerika als zentraler Allianzpartner für die Förderung und Stärkung demokratischer Praktiken und Werte an. Diese stehen in der Region jedoch selbst unter Druck. Hierfür ist insbesondere das regionale Strukturmerkmal extremer sozialer Ungleichheiten verantwortlich. Kolumbien zielt auf eine demokratische Bearbeitung der sozialen Frage und hat hierfür langjährige Forderungen der Wissenschaft bezüglich einer progressiven Steuerreform aufgenommen und umgesetzt. Darüber hinaus gilt es nun weitere Ansätze (Geschlechtergerechtigkeit, Bildung, Gesundheit, Altersvorsorge)

zu unterstützen und insbesondere die Förderung historisch marginalisierter Bevölkerungsgruppen zu intensivieren. Entsprechende Ansatzpunkte passen hervorragend zu den Zielen einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik, sollten hier noch stärker intersektionale Perspektiven in den Vordergrund stellen und im Sinne integraler Ansätze die Bedeutung der Stärkung sozialer Gerechtigkeit für die Förderung eines nachhaltigen Friedens sowie den Kampf gegen den Klimawandel herausstellen. Gleichzeitig kann der Friedensprozess über die konsequente Einnahme intersektionaler und sozial-ökologischer Perspektiven bei der Bearbeitung der Vergangenheit im Rahmen der Transitional Justice, der Förderung der Opferpartizipation und transformativer Reparationen mit Fokus auf die Verbesserung der Lebensbedingungen marginalisierter Bevölkerungsgruppen zur Förderung sozialer Gerechtigkeit und des Umwelt- und Klimaschutzes beitragen.

In der aktuellen Konjunktur bietet sich Kolumbien eine vielleicht einmalige Möglichkeit mit einer ehrgeizigen Reformagenda die globalen Zukunftsthemen Frieden, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit im Rahmen eines politischen Reformprozesses zu bearbeiten, entsprechend auf die Region und darüber hinaus Ausstrahlungskraft zu entwickeln und gleichzeitig die Demokratie im Inneren zu stärken. Angesichts vorhersehbarer politischer, gesellschaftlicher und finanzieller Schwierigkeiten und Hindernisse bei der Umsetzung der Reformen braucht es hierfür engagierte Unterstützung und Austausch auf Augenhöhe mit internationalen Partnern aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft.

 


Der Autor ist Professor für Friedensforschung JLU Gießen und Direktor des Deutsch-Kolumbianischen Friedensinstituts – Instituto CAPAZ

Bildquelle: Quetzal-Redaktion, teje

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