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Kolumbiens Unabhängigkeit am 20. Juli 1810 – Teil 1

Marcos Gonzalez Perez | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Warum wird am 20. Juli gefeiert?

Kolumbien hat im Verlauf eines Jahrzehnts mehrere Unabhängigkeitserklärungen erlebt. Heute wird jedoch nur noch die von 1810 als Nationalfeiertag begangen.

Bicentenario (Foto: Centro de Medios Independientes de Colombia)Am 8. Mai 1873 erklärte der Kongress der Vereinigten Staaten von Kolumbien – wie die Republik Kolumbien zu jener Zeit noch hieß – den 20. Juli zum offiziellen Jahrestag der nationalen Unabhängigkeitserklärung und schrieb dies auch per Gesetz so fest. Es ist bemerkenswert, dass zu diesem Zeitpunkt bereits 63 Jahre seit jenem 20. Juli 1810, der Unterzeichnung der Revolutionsurkunde Acta de la Revolución, vergangen waren und dass es bis dahin lediglich ein offizielles nationales Emblem gab: die dreifarbige Flagge – eingeführt am 26. November 1861 –, wohingegen die Nationalhymne erst 1920 und das Wappen erst am 6. August 1955 amtlich bestätigt wurden.

Im Laufe der Zeit hat es jedoch immer wieder Entwürfe für Wappen, Flaggen und Hymnen gegeben. So wurden zum Beispiel 1834 ein Wappen und die Nationalfarben eingeführt – und unter anderem 1854 und 1861 wieder durch andere ersetzt – sowie 1836 ein „nationales Lied“ vorgeschlagen. Noch ehe sich Symbole der nationalen Einheit durchgesetzt hatten, feierten die „Kolumbianer“ unzählige Feste zu Ehren des Vaterlandes, der Nation, der Republik und der Bürger.

Behält man all dies im Blick, so ist es verwunderlich, dass ausgerechnet dieses Datum und dieses Ereignis in Santa Fe (wie Bogotá damals hieß) als Gedenktag der Unabhängigkeitserklärung festgelegt wurden und nicht etwa die Aufstände der Stadträte von Cartagena, Cali, Pamplona oder Socorro, die von entscheidender Bedeutung für die Unabhängigkeit waren. Oder aber der 11. November 1811, als patriotische Kräfte den ersten freien, souveränen und unabhängigen Staat des Vizekönigreichs Neugranada (Virreinato de Nueva Granada, so der damalige Name Kolumbiens) ausriefen. Oder der 7. August 1819, an dem die Schlacht von Boyacá stattfand, in der die Patrioten die Royalisten endgültig besiegten. Das ermöglichte 1821 die Gründung der Republik Kolumbien als „Nation, deren Freiheit und Unabhängigkeit vom Königreich Spanien unwiderruflich sind“, wie es in der Verfassung lautet.

Worauf lässt sich diese weit reichende Entscheidung zurückführen? Beschränken wir uns auf die historischen Fakten, so spielten wohl zahlreiche Gründe eine Rolle:

1. Die Gründung des Obersten Regierungsausschusses (Junta Suprema de Gobierno): Während der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts lag das Verwaltungszentrum des Vizekönigreichs Neugranada in Santa Fe. Dieser Ort stand für die politische Macht der spanischen Monarchie, auch wenn es in einigen anderen Provinzen, beispielsweise in Cartagena, ebenfalls einflussreiche Eliten gab, die dem politischen Einfluss von Santa Fe entgegenwirkten. 1808 marschierten die Truppen Napoleons auf der Iberischen Halbinsel ein und nahmen den König gefangen, was in Spanien zur Gründung einer Junta Suprema – einer Institution, die die absolute Staatsgewalt im Namen Königs Ferdinand VII. ausübte – führte, um die Legitimität Ferdinands VII. zu gewährleisten. Folge davon war eine Reihe von Meinungsverschiedenheiten zwischen denen, die eine absolute Unabhängigkeit für möglich hielten und jenen, die lediglich Autonomie innerhalb der Spanischen Nation anstrebten, dabei aber Bestandteil dieser Nation bleiben wollten.

Die Führungseliten des Landes, die sich in Santa Fe zusammengefunden hatten und die als in Amerika Geborene einen größeren politischen Einfluss anstrebten, machten sich diese Umstände zunutzte, um den Aufstand vom 20. Juli 1810 zu organisieren. Auch riefen sie eine eigene Junta Suprema de Gobierno ins Leben. So begann eine Ära der öffentlichen Konfrontation angesichts der Bestrebungen, Neugranada zu einem von Spanien unabhängigen Gebiet zu erklären. Es wurde hiermit der Grundstein für ein neues Zeitalter gelegt. Es folgte die Absetzung des Vizekönigs, wonach die Aufständischen die Macht übernahmen. Genauso sahen es auch die Mitglieder des Kongresses im Jahre 1873. Deswegen wurde nach einigen Debatten das Gesetz verabschiedet, das diesen Tag als Feiertag und Jahrestag der nationalen Unabhängigkeitserklärung festlegte. Diese Entscheidung gründete laut Präsident Manuel Murillo Toro auf der Annahme, dass mit dem Aufstand an jenem Tag im Jahr 1810 der Feldzug „unserer Väter“ gegen die spanische Besatzung begann, der mit den militärischen Siegen der Patrioten bei den Schlachten von Boyacá, Carabobo, Pichincha und Ayacucho endete. Es kamen also zwei Ereignisse – der Aufstand vom 20. Juli und die darauf folgenden Schlachten – zusammen, die dann später als eine Einheit betrachtet wurden. Bei der Wahl des Gedenktages stand somit der „Beginn der Aktionen“ im Vordergrund.

Kolumbien Flagge2. Der begriffliche Bezug: 1811 erscheint der 20. Juli im Kalender als der „Tag der Revolution und der Gründung der Junta Suprema de Gobierno“, 1812 als der „Dritte Jahrestag unserer Freiheit“ zusammen mit dem Namenstag der Heiligen Santa Librada, Märtyrerin und Landespatronin. 1813 wird er als „Tag der Unabhängigkeit“, 1814 als „denkwürdiger Tag unserer politischen Transformation“, 1815 als „Tag der Freiheit“ und in den darauf folgenden Jahren als Bürgerfest zu Ehren der Helden, als „Gedenktag an den 20. Juli“ oder als „Tag der nationalen Unabhängigkeit“ bezeichnet. Auf diese Weise kristallisierte sich dieses Datum als das große Fest der Nation oder als der Jahrestag der Unabhängigkeit heraus. Die Übereinstimmung dieser begrifflichen Bezüge mit der eigenen Auffassung, bewog die Kongressabgeordneten 1873 dazu, diesen Tag als Jahrestag festzulegen.

Es kommt nicht von ungefähr, dass in den Festreden auf den Gedenkfeiern der heutigen Zeit Begriffe aus der damaligen Zeit wie „Freiheit“, „herausragende Persönlichkeiten“, „Patrioten“, „glanzvoller Tag“, heilige Märtyrer“ vorkommen. Sie verweisen auf die Vergangenheit und ehren somit diejenigen, die „unsere politische Transformation“ begonnen und für die Schaffung „unserer Freiheit“ gekämpft haben.

3. Das politische Moment: 1873 war die politische Gruppierung der Radikalen an der Macht, die nach Symbolen suchte, um den gerade entstehenden Nationalstaat zu versinnbildlichen. Aus diesem Grund hatten sie eine Kampagne gestartet, um in verschiedenen Bereichen, die noch unter dem Einfluss religiöser Symbolik standen, den Laizismus durchzusetzen. Dafür wurden den militärischen Führern des Unabhängigkeitskampfes Denkmäler errichtet sowie Straßen und Plätze umbenannt – sie erhielten die Namen der Schlachten, die von den Freiheitskämpfern erfolgreich geschlagen worden waren. Auf dem Platz der Märtyrer legte man den Grundstein für ein Denkmal zu Ehren der Märtyrer von damals, und der Park des Heiligen Franziskus bekam zu Ehren des Freiheitskämpfers Francisco de Paula Santander den Namen Parque Santander.

Ausschlaggebend ist jedoch die Darstellung des Einheitsgedankens der neun Bundesstaaten auf den Festumzügen des 20. Juli. Hierbei werden die typischen Eigenschaften eines jeden Einzelstaates dargestellt, die dann jedoch zu einer Einheit verschmelzen. Das soll zeigen, dass die unterschiedlichen Staaten in ihrer Vielfalt sich auch immer als eine Nation verstanden. Und dies sollte nun mit einem gemeinsamen Nationalfeiertag am 20. Juli besiegelt werden, der Geburtsstunde eines „freien, souveränen Volkes, das auf der internationalen Bühne eine würdevolle Rolle einnimmt“, wie man es damals treffend formulierte.

Auf dieser Grundlage, die sich eher auf politische als auf soziale Ereignisse stützt, begehen wir dieses Jahr am 20. Juli das zweihundertjährige Jubiläum unserer Unabhängigkeit.

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Original-Beitrag aus La Semana vom 18.07.2009, (Ausgabe 1420). Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.

Übersetzung aus dem Spanischen: Natascha Geistmann

Bildquelle: Centro de Medios Independientes de Colombia.

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