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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Interview mit Abadio Green Die offenen Forderungen der lateinamerikanischen Indígenas

Sergio Ferrari | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Wenn die Umwelt und die Ressourcen des Planeten fortschreitend und unvernünftig zerstört werden, kommt dem Norden genau soviel Verantwortung an diesem Genozid der Natur zu wie dem Süden. Von dort festigt sich die Bedeutung jeder Form des Gesprächs, um gemeinschaftlich und schrittweise ein allgemeines Bewußtsein zu formen und eine gangbare Lösung zu finden.

Das Konzept, das der Reise nach Europa in den ersten Maiwochen (1994 – B.B.) von Abadio Green – Präsident der Nationalen Indigenistischen Organisation Kolumbiens (ONIC) [1] – zugrunde liegt, dient zur Stärkung der Kontakte zwischen den vertretenen ethnischen Minderheiten in ihrem Verband und einer Reihe Nichtregierungsorganisationen (NGO) und europäischen Instanzen, die empfänglich für diese grundlegenden Probleme sind.

Welches sind heute die Prioritäten der indigenen Arbeit in Lateinamerika überhaupt und in Kolumbien im besonderen?

Wir haben die Koordination der indigenen Organisationen des Amazonas-Flußgebietes (COI-CA) integriert, weil wir verstehen und darin übereinstimmen, daß die Problematik des Amazonas-Flußgebietes ähnlich ist. Das Hauptgewicht liegt in der Verteidigung der Territorien der Indigenas. Oft gibt es nicht genügend Land im indigenen Terrain. Andere Male übergeben die Regierungen Gebiete ohne die entsprechende Unterstützung zum Schutz und zur Nutzung. Die „Mutter Erde“ ist der Norden. Wir haben das Beispiel von einem Territorium von sechs Millionen Hektar im Amazonas-Gebiet, das die Regierung zur Verwahrung übergab. Man muß dort die wirtschaftliche Kolonisierung (transnationale Firmen), die Ideologie (Sekten, linguistische Institute) usw. in Betracht ziehen. Und wir können es nicht alleine schaffen, weil wir nicht genügend in der Wirtschaft, in der Justiz, in der Produktivität und in der Kommerzialisierung bewandert sind. Wir bedauern, daß in Europa dieses Problem oftmals idealisiert und mythifiziert wird. Man sagt, daß der Amazonas die „Lunge des Planeten“ ist und es werden damit die Bäume , Flüsse und Hölzer gemeint. Aber häufig wird nicht an den Menschen gedacht. Und es sind eben die Menschen, die ständig Probleme mit den Touristen aus aller Welt haben, die kommen, um Gold zu suchen, Öl, Uran, Holz …

Es hat trotz allem grundlegende Fortschritte gegeben. Ich habe gerade an einem Treffen in Loccum, Deutschland, teilgenommen und die Vorstellungen dort waren um vieles genauer. Wir sind zu dem Entschluß gekommen, daß, wenn man z.B. vom Amazonas spricht, man auch von den Menschen sprechen muß. Und dies schließt notwendig auch ein, an den Schutz des Territoriums zu denken, als grundlegenden Ausgangspunkt. Das, was unsere Arbeit besonders in Kolumbien ausmacht, ist, wie wir am Stand unserer Organisation spüren, die Sicherung unserer Einheit. Uns vereint zu behaupten, trotz der enormen Vielfalt der Sprachen und Völker, ist ohne Zweifel ein Bestandteil des Reichtums. Wir sind ein multiethnisches und multikulturelles Volk, vereint in der Unterschiedlichkeit. Und um diese Vision zu verteidigen, ist eine eigene Erziehung in unseren Kommunen wesentlich für unsere eigenen Werte. Die gegenwärtige Erziehung drängt uns ein Modell auf. Man möchte uns glauben machen, daß die nordamerikanischen oder europäischen Werte die einzigen sind, die in der Welt existieren. Aber das ist nicht so.

Was schließt diese Betonung auf den kulturellen Aspekt ein?

Wir Indigenas haben viele Male den kulturellen Aspekt beiseite gelassen. Wir haben uns verstärkt den organisatorischen Dingen gewidmet, aber solche bedeutenden Dinge wie die Identität außer acht gelassen, ohne zu bemerken, daß uns die Völker immer ohne Widerspruch in ihrer Geschichte geleitet haben. Das schließt dabei viele Aspekte mit ein. Vieles von der aktuellen Krise der indigenen Organisationen rührt aus einem Mangel an einer gründlichen Reflektion darüber, was wir sind. Andererseits sind viele unserer Brüder, die die Gemeinden verlassen haben, um zu studieren, nicht wieder zurückgekehrt. Und viele von den Führern blieben auf halbem Wege zurück. Mag sein, daß die Macht sie gefangennimmt oder weil es schwierig ist, zur Basis zurückzukehren.

Sie sprachen vorhin von den Fortschritten im Dialog der indigenen Organisationen mit ihren Gegenstücken im Norden. Wie interpretieren Sie diesen Prozeß?

Man fängt an, Erfahrungen auszutauschen und engere Kontakte zu knüpfen, z.B. die zwischen unseren Organisationen und einigen europäischen Städten bestehenden Beziehungen, die man als Klima-Bündnis bezeichnet. Dies erlaubt uns, einen Dialog darüber einzuleiten, wie jeder unsere Entwicklung versteht, das wirtschaftliche Leben, die Müllproblematik, den CO2 -Ausstoß, die Umwelt, das Wasser … Es sind gemeinsame Probleme und man muß sie zusammen in Angriff nehmen. Wir akzeptieren nicht, daß sie sagen: „Die armen Indios, die es da gibt und denen geholfen werden muß.“ Vielmehr muß man die Ursachen auch hier finden und man muß ihnen gemeinsam die Stirn bieten.

Wie ich bereits sagte, gibt es Situationen, wo wir als Gemeinden allein nicht die Fähigkeit haben, die Gebiete zu verwalten und zu verteidigen. Deswegen merken wir, daß es unumgänglich ist, neue Verbündete in Kolumbien selbst zu finden. Ich beziehe mich dabei auf Anthropologen, Ökonomen, Intellektuelle überhaupt, die mitwirken können. Und auch im Ausland. Die europäischen Ökologen sind für uns potentielle Verbündete von großem Gewicht im internationalen Maßstab. Das sind Zweige, die auf unsere Regierungen, die lügen, Druck ausüben können.

Da gibt es das Beispiel des Präsidenten Gaviria, der anhand der neuen Verfassung von 1991 zeigen will, daß wir Indigenas keine Probleme in Kolumbien haben. Das zeigt uns, daß enorme ungelöste Probleme existieren und die Regierung absolut nichts unternimmt, um sie zu lösen.

Welches würden die aktuellsten Themen in diesem gemeinsamen Dialog sein?

Es gibt sehr konkrete Aspekte. Zum Beispiel, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2010 zu senken. Es gibt Stadtverwaltungen in Europa, die schon den Kauf von tropischen Hölzern blockieren. Gewiß, man kann die privaten Firmen nicht aufhalten, wenn sie es weiterhin tun. Aber dies ruft eine bedeutende und sehr nutzbringende Diskussion hervor. Ein anderes Thema bezieht sich auf die Projekte und die Unterstützung. Der Norden darf sich nicht damit zufrieden geben, nur Gespräche zu fuhren, sondern die Projekte müssen sich als Mittel für ein zukünftiges Leben der Gemeinschaften verstehen. Es muß an die Vorbereitung gedacht werden, an die notwendige Ausbildung in diesen Gemeinden. Keine lateinamerikanische Regierung wird die Ausbildung der Indios finanzieren, weil sie uns nicht die Mittel bieten wollen, mit denen wir ihnen später den Schlag verpassen. Auf den Bildungsaspekt muß die internationale Gemeinschaft die Prioritäten legen. Außerdem sollten alle Projekte direkt mit den indigenen Kommunen gemacht werden, ohne Vermittlungsinstanzen.

Schließt das eine generelle Kritik an allen nationalen NGO’s ein?

Nein. Es gibt zwei Organisationstypen. Die einen sind von Ex-Funktionären der Regierung künstlich geschaffen worden. Sie benutzen das Thema „Indigenas“, um Fonds zu erhalten und um eigene Vorteile zu erlangen. Nichts davon kommt bei uns an, auch wenn sie versuchen, in unserem Namen zu sprechen. Das Land interessiert sie nicht.

Es gibt andere Organisationen, die sich mit den Volksinteressen, die sie vertreten, identifizieren. Sie sprechen nicht im Namen der Indigenas, weil sie im allgemeinen mit anderen Sektoren des Volkes arbeiten. Mit ihnen setzen wir uns in Verbindung, wir arbeiten mit Ihnen zusammen und haben ähnliche Horizonte.

In der Hinsicht, die Zivilgesellschaft von verschiedenen Sektoren aus zu stärken?

Genau.

Bezüglich einiger Ihrer kritischen Überlegungen kann man meinen, daß die indigenen Organisationen vom Norden eine neue Form der Zusammenarbeit fordern, abweichend von der traditionellen?

Ja. Wir denken, daß man eine Strategie der Gleichheit entwickeln muß. Die Gemeinschaften können in den Dialog treten, den Austausch vorschlagen, und nicht nur Empfänger sein. Wie ich vorhin sagte, umfassen die Projekte die Erziehung und Ausbildung der Indigenas unter Berücksichtigung ihrer Kulturen und ohne Auflagen.

Ich möchte auf den Beschluß des jüngsten Treffens in Loccum verweisen, welches in den letzten Apriltagen unter dem Titel „Klimapolitik. Perspektive einer indigenen Wirtschaft in der Amazonas-Region und die Handlungsmöglichkeiten für eine globale Verantwortlichkeit in Europa“ stattfand. So wurde deutlich gesagt, daß „die nationalen und internationalen Entwicklungsprojekte die Zerstörung der tropischen Urwälder und die Bedrohung der indigenen Völker verursacht haben. Um diese schädlichen Konsequenzen in der Zukunft zu vermeiden, müssen die indigenen Völker direkt an einer Ausarbeitung, Ausführung und Evaluierung der Projekte teilnehmen“.

Das Gespräch führte Sergio Ferrari im Juni 1994

Aus: EL NUEVO AMANECER Cultural, El Nuevo Diario, 06.08.1994, S. 6.

Übers. aus dem Spanischen: Barbara Baumrucker

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* Der gebürtige Kuna (Ethnie im Norden Kolumbiens, an der Grenze zu Panama) ist 35 alt. Er hatte die Möglichkeit, ein Universitätsstudium in Philosophie, Theologie und Linguistik zu absolvieren. Schon immer widmete er sich in seiner Heimatgemeinde der Unterrichtung von Kindern, später auch von Lehrern. Nach seinen Worten alles ein Versuch, eine andere Weltanschauung zu befestigen. Green beschreibt die empfindlichsten und aktuellsten Themen seines Gebietes und benennt dabei Schwerpunkte und verbesserungsbedürftige Arbeitsmethoden. Dabei ruft er den Norden auf, eigene Verantwortlichkeiten zu übernehmen und die traditionellen Formen der Zusammenarbeit zu hinterfragen, die nicht immer den wahren Interessen entsprechen, die man zu fördern vorgibt.

[1] Die ONIC umfaßt 84 Völker – das sind 2% der Gesamtbevölkerung des Landes -, die in ganz Kolumbien angesiedelt und Inhaber von 64 Sprachen sind. Sie integriert die „Koordination der indigenen Organisationen des Amazonas-Flußgebietes“ (COICA). Die COICA ihrerseits ist der Gegenpart „Süd“ zum „Klima-Bündnis“, das ein erstmalig formulierter Antrag von mehr als 300 europäischen Städten ist, vor allem aus Deutschland – mit mehr als der Hälfte -, Holland, Italien und anderen EG-Staaten. In der Schweiz unterstützen 11 Städte und der Kanton Baseler Land diese Initiative, die in den letzten Monaten an Gewicht gewonnen hat.

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