Honduras gilt gemeinhin als das Muster einer Bananenrepublik. Worin würden Sie die Ursachen für dieses Negativbild sehen?
In Honduras trug die Herausbildung des Nationalstaats besondere Merkmale und unterschied sich deutlich vom Rest Zentralamerikas. Zunächst einmal ist Honduras ein Land, das sich auf besondere Weise und erst sehr spät in den Weltmarkt eingegliedert hat. Während andere Länder der Region dies mit eigenen Exportgütern – wie z.B. Kaffee – taten, vollzog Honduras diesen Schritt mit einem Produkt, das zwar hier wächst, über das es aber keine Kontrolle besaß – die Banane. Die Integration in den Weltmarkt wurde direkt durch ausländisches Kapital realisiert. Das führte zu einer Schwächung der einheimischen Elite. Die hiesigen Wirtschaftsgruppen waren vergleichsweise schwach und vom Auslandskapital stärker abhängig. Politisch schlug sich dies in einer extremen Unterwürfigkeit nieder. Deshalb war die Bildung eines Nationalstaats in Honduras ein langsamer und schwieriger Prozeß. Die honduranische Bourgeoisie bildete sich nur unendlich langsam und unter großen Schwierigkeiten heraus, und so war auch die Bildung eines wirklich modernen Staates viel schwieriger. Die Bildung des Nationalstaates in Honduras ist also durch folgende Punkte gekennzeichnet: 1. von der entscheidenden Rolle des Auslandskapitals bei der Eingliederung des Landes in den Weltmarkt, 2. von der Schwäche der einheimischen Wirtschaftsgruppen und 3. von der weitgehenden Unterordnung und politischen Abhängigkeit der nationalen Gruppen gegenüber dem Ausland und dem Auslandskapital – besonders gegenüber den USA. All das sind die Ursachen dafür, daß der politische Klasse so schwach und völlig zersplittert ist und das Land von zahlreichen Bürgerkriegen ausgezehrt wurde. In der Geschichte Lateinamerikas, zumindest bis zum 2. Weltkrieg, hat Honduras die meisten Bürgerkriege erlebt, die ihre Wurzeln in der Manipulation der politischen Klasse durch die Interessen der Bananengesellschaften haben. Erst ab den 50er und 60er Jahren, unter dem Schutz der Politik des US-Präsidenten Kennedy und seiner „Allianz für den Fortschritt“ und im Zuge der wirtschaftlichen Integration, werden die einheimischen Wirtschaftsgruppen allmählich etwas stärker.
In anderen Ländern Zentralamerikas wie in El Salvador oder Costa Rica agierte die Oligarchie als nationale Klasse, indem sie die Bildung eines Nationalstaates vorantrieb. Und eine solche Oligarchie fehlte demzufolge in Honduras?
Genau. Ich halte dies für einen der Hauptunterschiede, den man unbedingt beachten muß, wenn man die heutigen Unterschiede zwischen Honduras und den andereren Ländern Zentralamerikas verstehen will.
Und nicht einmal die Militärs, die ab den 50er Jahren diese Lehrstelle ausfüllten, haben ein nationales Projekt erarbeiten können?
Nun, vielleicht gab es in der Reformphase ein Generation von Militärs, der nach dem verlorenen Krieg gegen El Salvador bewußt wurde, daß es nötig war, ein nationales Projekt zu erarbeiten. Der Krieg gegen El Salvador wirkte wie ein Motor auf die Geschichte von Honduras. Er brachte die Schwäche des Landes zu Bewußtsein, die Schwäche der Streitkräfte und die Korruption in der Regierung. Der Krieg machte einer Gruppe von Militärs die Notwendigkeit bewußt, etwas zu verändern, das Land zu modernisieren, es auf einen neuen Stand zu bringen -sie nannten das die „Aktualisierung von Honduras“ -, um es verteidigungsfähig zu machen. Dieser Versuch ist jedoch gescheitert.
Was sind die Gründe dafür gewesen? Immerhin gab es doch eine für lateinamerikanische Verhältnisse ziemlich erfolgreiche Agrarreform.
Nun, in erster Linie liegt es daran, daß der Militärreformismus als Folge des Krieges gegen El Salvador entstanden war. Dieser Krieg zeigte allen Honduranern, und besonders den Militärs, wie schwach und korrupt das Land war. So entstand also das Bewußtsein, daß Reformen notwendig waren. Aber mit welchem Ziel? Um das Land zu stärken, doch auch, um solche Situationen zu verhindern, wie sie später in El Salvador und Nicaragua entstanden sind. Die Agrarreform, die in dieser Phase durchgeführt wurde, sollte die sozialen Spannungen abbauen, die woanders entscheidend zum Entstehen von Konflikten und Bürgerkriegen beitrugen. Diese Militärbewegung scheiterte jedoch, weil sie zu schwach, weil sie keine wirkliche Bewegung war. Sie besaß keinen inneren Zusammenhalt, die Gruppen der Militärs bildeten eine biologische, jedoch keine ideologische Einheit. Der Staat war extrem schwach und besaß keinerlei Verbindung zur Bevölkerung; die gesamte Struktur des Militärs war von Korruption durchsetzt.
Kann die Autonomie der Streitkräfte aus dem Fehlen einer Oligarchie erklärt werden?
Zweifellos. Das ist zwar nicht die einzige Ursache, aber eine der wichtigsten. Das Fehlen einer mächtigen Oligarchie ließ ein politisches Vakuum entstehen, das dann von den Militärs ausgefüllt wurde. Doch noch etwas anderes spielte eine Rolle: das Bündnis der Militärs mit den USA. Aufgrund der strategischen Lage des Landes spielten die honduranischen Militärs, vor allem in den 80er Jahren, zwangsläufig eine wichtige Rolle für die Politik der USA. Die Militärs waren der verläßlichste und nützlichste Verbündete für sie. So befanden sich die USA in den 80er Jahren in einem Dilemma: öffentlich erklärten sie, die Demokratie in Honduras stärken zu wollen, doch in Wirklichkeit unterstützten sie die Militärs, die wiederum die Demokratie untergruben. Die Politik der USA wand sich also in einem unauflösbaren Widerspruch. Man konnte nicht die Demokratie und die Militärs unterstützen. Um den Aufbau der Demokratie zu stärken, muß man die Militärs schwächen. Aber das Gegenteil ist nicht möglich.
Es gibt verschiedene Auffassungen zur allgemeinen Situation in Honduras. Eine besagt, daß das Land eines der ärmsten Länder Zentralamerikas und deshalb extrem zersplittert sei.
In welcher Hinsicht zersplittert? Politisch sehe ich keine Zersplitterung. Im Gegenteil. Gerade die Schwäche der politischen Klasse in Honduras ist die Ursache der Beständigkeit zweier großer Parteien (gemeint sind die Liberale und die Konservative Partei – P.G.). Sozial erlebt es die natürliche Zersplitterung der übrigen Länder. Wir haben eine sehr starke bäuerliche Bevölkerung, trotz der zunehmenden Verstädterung. Ich denke, es ist weniger eine Verstädterung als eine Verländlichung der Städte. Denn der Bauer, der in die Stadt geht, wird dort nicht zum Industriearbeiter. Im Grunde bleibt er ein Bauer, ein Landmensch, der in den informellen Sektor gegangen ist. Er hält dort seine traditionellen Verbindungen aufrecht – zur Familie, zu seinem Stück Land oder seinem Dorf. Dieser Prozeß zunehmender Verländlichung der Städte hat einen interessanten politischen Effekt: Seltsamerweise werden dadurch die beiden traditionellen Parteien gestärkt, während sie in anderen Ländern schwächer werden. Unser Land ist weiterhin das einzige mit Wahlbeteiligungen von 70 bis 80%. In Zentralamerika gibt es keine Partei, die eine Million Stimmen auf sich vereint. Keine einzige. Außer der Liberalen Partei (Partido Liberal) und manchmal der Nationalen Partei (Partido Nacional) in Honduras, die eine Million oder 900.000 erreichen. Vielleicht könnte man unter Zersplitterung ein wirtschaftlich fragmentiertes Land verstehen. Das schon eher. In unserem Land hat man es nicht geschafft, einen einheitlichen, starken Markt aufzubauen. Warum? Weil das Land seine wirtschaftliche Entwicklung von spezifischen geographischen Polen aus begonnen hat. Im Norden gibt es die Bananenenklave und im Süden haben wir mittlerweile eine Enklave mit neuen Produkten. Das ist ein neuer Entwicklungspol. Das Land entwickelt sich also nicht in seiner Gesamtheit, sondern von Polen ausgehend. Eine soziale Zerrissenheit würde ich jedoch verneinen.
Honduras zeichnet sich durch hohe politische Stabilität und relativ geringe soziale und politische Polarisierung aus – wegen oder trotz der Rückständigkeit des Landes?
Ich denke, es gibt da mehrere Faktoren. Zunächst einmal muß man sehen, daß der geringe Grad an Polarisierung einigen Reformen zu verdanken ist, die von der zivilen Reformbewegung Anfang der 60er Jahren eingeleitet wurden. Das erste Agrarreformgesetz wurde 1962 verabschiedet, 1959 bereits das Arbeitsgesetz und 1962/3 die Sozialversicherung. Die zivile Reformbewegung konnte die sozialen Spannungen ein wenig abbauen. Die Reformen der Militärregierung in der ersten Hälfte der 70er Jahre – vor allem die Agrarreform 1972-1975 – haben dazu beigetragen, die Situation erneut zu entschärfen. Das zweite ist die Zurückgebliebenheit der herrschenden Klasse und ihrer Gegenspieler bei den Linken.
Die honduranische Rechte ist die dümmste, die ungebildetste Rechte Zentralamerikas…doch dasselbe trifft auf die Linke zu. Die Mauer war gefalllen und die honduranische Linke blieb weiterhin stalinistisch, verschlossen und orthodox. Eine solche Linke konnte den Massen keine politische Alternative bieten. Aber dann muß man auch sehen, daß in den 60er Jahren die honduranische Bauernbewegung die am besten organisierte Zentralamerikas war. Wir können also die fehlende Polarisierung nicht auf eine politische Rückständigkeit der Bevölkerung zurückführen. Im Gegenteil. Das heißt, daß mehr Organisation zu weniger Polarisierung führt. Warum? Weil es bei mehr Organisation mehr Kanäle gibt, um sich auszudrücken, mehr Verhandlungswege. Daher sind Verhandlung, Dialog und Konsens ein Merkmal der sozialen Konflikte in Honduras gewesen. Kürzlich hat ein Führer der salvadorianischen Guerilla zu mir gesagt: „Um das zu vollbringen, was ihr bei der Entmilitarisierung vollbracht habt, mußten wir einen Bürgerkrieg mit 50.000 Toten durchmachen. Ihr habt es auf andere Weise geschafft.“
Damit wären wir schon beim Thema Demokratisierung. Inwiefern hat die strategische Bedeutung, die Honduras für die USA hatte, die Demokratisierung gebremst?
Diese Bedeutung kam den Militärs zugute, die diese Situation genutzt haben, um ihre Machtstellung auszubauen. Der Übergang zur Demokratie in Honduras ist aus diesem Grund sui generis, sehr speziell. Er wurde von zwei Faktoren abgebremst, einem äußeren und einem inneren. Der äußere Faktor sind die USA und die Wirkung der Bürgerkriege in den Nachbarländern. Der innere Faktor sind die Militärs. Nur so läßt sich das Verschwindenlassen von 200 Menschen in Honduras erklären.
Wie ist das Verhältnis zwischen den inneren und äußeren Faktoren? Welche waren entscheidend für den Beginn der Transition und warum gaben sie erst den Anstoß zur Demokratisierung und bremsten diese dann? Welche Rolle spielten dabei die USA?
Warum sie den Anstoß zur Demokratisierung gaben? Wegen der sandinistischen Revolution. Es war einfacher, eine Zivilregierung zu verteidigen, die in freien Wahlen ordnungsgemäß gewählt worden war, als eine Militärregierung. Es wurde den USA und auch den Militärs bewußt, daß man den Prozeß der Verfassungsreform vorantreiben mußte, die Rückkehr zum Rechtsstaat, weil in Nicaragua gerade eine Revolution begonnen hatte und in El Salvador Krieg herrschte. Also mußte zwischen den beiden Ländern eine Art demokratisches Schaufenster eingebaut werden, und das war Honduras. Die Dynamik des Krieges machte jedoch den Demokratisierungsprozeß zunichte, erschwerte und deformierte ihn. Und das erkannten die USA: Je mehr sie die Militärs unterstützten, desto mehr schwächten sie die politischen Parteien und die zivilen Institutionen. Ein Übergang zur Demokratie war damit nicht möglich. Erst als der Krieg in Nicaragua beendet war und die Sandinisten die Wahlen verloren hatten, als in El Salvador die Friedensverhandlungen eingeleitet worden waren, erst da verlor der militärische Faktor an Bedeutung. Erst dann wurde der Demokratisierungsprozeß in Honduras beschleunigt und lief flüssiger ab. Im Zuge dieser Beschleunigung glich er -erstaunlicherweise – dem Prozeß in Costa Rica.
Kann man sagen, daß dabei die äußeren Faktoren wichtiger waren?
In bestimmten Momenten, aber nicht immer. Der äußere Faktor war z. B. in den 80er Jahren von entscheidender Bedeutung. In den 90ern übte er noch einen gewissen Einfluß aus. Doch ein anderer Faktor gewann an Eigendynamik: die honduranische Zivilgesellschaft. Sie ist noch immer sehr schwach und abhängig von äußeren Impulsen. Wenn diese Impulse von außen verschwänden, würde sie ihre Dynamik verlieren. Die momentane Konstellation ist wirklich eine dialektische Verbindung von äußeren und inneren Faktoren. Doch in der Konstellation der 80er Jahre überwog der äußere Faktor gegenüber den inneren, der aber schon Ende des Jahrzehnts an Stärke gewann. Der Contra-Krieg flaute ab, die Flüchtlinge kehrten zurück, die Militärs stürzten Gustavo Alvarez, und es öffneten sich Räume für die Zivilgesellschaft. Noch sehr kleine, doch sie öffneten sich und der innere Faktor gewann an Stärke. Und er wurde durch den äußeren Faktor weiter gestärkt, denn die Politik der USA änderte sich. Noch immer besitzt die Zivilgesellschaft wenig inneren Zusammenhalt und ist politisch sehr eingeschränkt. Aber es ist auf jeden Fall ein neues Phänomen für Honduras.
Was unterscheidet die 80er von den 90ern? Gab es eine qualitative Veränderung der Demokratisierung?
Es gab eine wichtige Veränderung durch das Erscheinen dieses neuen Faktors, der Zivilgesellschaft. Ihr Aufstieg drückte sich anfangs über die Parteien aus. Doch ab den 90er Jahren sind auf der politischen Bühne von Honduras neue Akteure aufgetaucht. Umwelt- und Frauengruppen, Vertretungen der Bewohner der Elendssiedlungen und nun auch der Ureinwohner sind entstanden und stärker geworden. Man kann sagen, daß in Zentralamerika während der 80er Jahren nur zwei Organisationen wirklich groß geworden sind: die Militärs und die Zivilgesellschaft.
Demzufolge gab es in den 80ern einen inneren Widerspruch im honduranischen Demokratisierungsprozeß?
Ja, den gab es ohne Zweifel. Die USA verkündeten vier Ziele ihrer Politik gegenüber Honduras: Demokratie, Entwicklung, Dialog und Entmilitarisierung. Um Zentralamerika entmilitarisieren zu können, mußte die Guerrilla zerschlagen werden. Und um die Guerrilla zu zerschlagen, mußte man die Militärs aufrüsten. Das war eine Methode, die den genannten Zielen völlig widersprach. Und sobald dieser Widerspruch zu wirken begann, deformierte er den Gang der Politik. Die Zivilregierung, die die Wahlen gewonnen hatte, verspürte das Gewicht der Militärs in so großem Maße, daß sie die gesamte Sicherheitspolitik guthieß und unterstützte.
Kann man soweit gehen und die Demokratie der 80er Jahre als Counterinsurgency-Demokratie bezeichenen?
Nein, ich würde sie nicht so nennen. Nein, eine Demokratie kann nicht der Aufstandsbekämpfung (= Counterinsurgency) dienen. Entweder Demokratie oder Aufstandsbekämpfung. Denn die Aufstandsbekämpfung bedingt den Einsatz repressiver Mittel, die der Demokratie widersprechen. Unter einer demokratischen Gesellschaft verstehe ich eine tolerante, pluralistische Gesellschaft, in der es friedlichen Machtwechsel und Partizipation gibt. Dem widerspricht die Aufstandsbekämpfung jedoch völlig. Was es damals gab, war ein blockierter, deformierter Übergangsprozeß. Doch es war keine Demokratie. Statt es als statisches politisches Phänomen zu betrachten, sollte man es eher als Prozeß sehen. Einen Prozeß, der 1980 beginnt, dann aber von der Dynamik der Aufstandsbekämpfung blockiert wird. Und im Fall von Honduras deformiert wird. Er ist kein wirklicher Übergang zur Demokratie mehr. Erst als die Faktoren verschwinden, die ihn blockiert haben, wird er wieder ein demokratischer Übergangsprozeß.
Eine zentrale Frage des Demokratisierungsprozesses ist die Entmilitarisierung des Landes. Die Armee hat ja bislang eine zentrale Machtstellung eingenommen. Wie steht es in Honduras in den 90er Jahren um die Entmilitarisierung?
Die Militärs haben an Gefährlichkeit eingebüßt haben. Die nordamerikanische Unterstützung, der sie ihre große Bedeutung verdankten, wurde eingestellt. Danach gab es noch Kürzungen des Militärbudgets. Und nun gibt es sogar eine Freiwilligenarmee. Es gibt einen Entmilitarisierungsprozeß, doch wir sollten ihn nicht ausschließlich als Reduzierung verstehen. Statt Entmilitarisierung sollten wir vielleicht eher Rekonvertierung des Militärs sagen. Wenn es nun eine Entmilitarisierung gibt, ist es vor allem von Bedeutung, die Angst vor dem Militär aus den Köpfen der Zivilisten zu vertreiben. Das ist wirklich wichtig, und dafür braucht es eine demokratische Kultur. Das wird nicht einfach werden.
In El Salvador gibt es das interessante Phänomen: die Rückeroberung des politischen Raumes durch die Oligarchie in Gestalt der Regierung der rechten ARENA. Wäre in Honduras ebenfalls der politische Aufbruch der Oligarchie möglich?
Das glaube ich nicht, jedenfalls nicht in nächster Zukunft. Denn die beiden großen Parteien befriedigen effizient die Bedürfnisse der herrschenden Klassen. Ich stelle mir auch oft diese Frage, ob es in Honduras nicht zwei Parteien, sondern nur eine gibt: die Konservative Partei, die in zwei Flügel gespalten ist, einen roten (Liberale) und einen blauen (Nationale Partei). Wenn man die Programme beider Parteien vergleicht, findet man kaum Unterschiede – höchstens das Postfach. Ich habe das Gefühl, daß ein politisches Desinteresse bereits einsetzt hat, eine Enttäuschung über die Demokratie. Dieser Prozeß läuft in breiten Schichten der Bevölkerung, denn das größte Problem, die Armut, ist bisher nicht gelöst worden. Und diese Regierung wird das unmöglich fertigbringen. Das ist die politische Herausforderung, der unser Land im Moment gegenübersteht. Man kann ihr nur dadurch begegnen, daß man die Zivilgesellschaft stärkt, und eine wehrhafte demokratische Kultur schafft.
Es besteht also eine Kluft zwischen den Erfordernissen dieses Prozesses und den vorhandenen Kräften?
Ja, ich habe das Gefühl, daß die Erfordernisse der Demokratisierung bereits die politischen Kräfte von Honduras übersteigen. Die politische Klasse konnte mit diesem historischen Prozeß nicht mithalten. Und die von der Zivilgesellschaft formulierten Bedürfnisse wurden vernachlässigt. Ja, ich glaube, es gibt diese Kluft, und sie ist gefährlich.
Welchen Beitrag kann die jetzige Regierung zur Verringerung dieser Kluft leisten?
Die Schaffung und Festigung eines Rechtsstaates ist eine Aufgabe, die man unmöglich in vier Jahren zu Ende bringen kann. Innerhalb der Liberalen Partei gibt es eine etwas modernere Kraft, einen zeitgemäßeren Kern. Doch dieser ist nicht als Strömung organisiert, sondern findet nur über Einzelpersonen seinen Ausdruck. Es sind nur verstreute, einzelne Stimmen. Das macht die Sache schwierig.
Das Interview wurde am 1. März 1996 von Peter Gärtner in Tegucigalpa geführt.
Victor Meza ist Direktor des Centro de Documentación de Honduras und Autor zahlreicher Artikel und Bücher über Honduras