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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Interview mit Héctor Rosada Granados
Chef der Regierungskommission für die Friedensverhandlungen (COPAZ) in Guatemala

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 10 Minuten

Wandel der Strukturen durch Wandel der Akteure?

Inwiefern könnte die Unterzeichnung eines Friedensabkommens die Situation des Landes verändern?

Betrachten wir beispielsweise die Identität und das Recht der indigenen Völker. Dies erfordert natürlich Reformen der Verfassung sowie ein Abkommen über die sozial-ökonomische Lage. Das Agrarproblem erfordert ebenfalls Reformen in diesem Sektor. Die Abkommen allein erzeugen jedoch keine Veränderungen, sie schaffen lediglich ein günstiges Klima dafür. Wir, die Regierung, teilen die Auffassung, dass diese Gesellschaft große und tiefgreifende Veränderungen nötig hat.

Das ist die Haltung der Regierung?

Ja, das ist unsere Position. Die Transformationen müssen in erster Linie darauf orientiert sein, die Armut sowie die Ungerechtigkeiten, die Verletzung der Menschenrechten zu bekämpfen. Diese Abkommen, d. h. zunächst die Verhandlungen, funktionieren wie eine Art Selbstkritik. Wir sehen uns veranlasst, die realen Probleme zu sehen und können der Gesellschaft dann vorschlagen, was wir als den richtigen Weg erachten, diese Probleme zu lösen. Der Verhandlungstisch kann jedoch niemals den politischen Prozess ersetzen, vielmehr hat er die Aufgabe, den inneren politischen Prozess zu stärken.

Wo liegen die Grenzen, die diesen Prozess der Transformation behindern?

Ich würde sagen, in erster Linie handelt es sich um Grenzen konstitutioneller Art, der Gesetzgebung und struktureller Art. Die ersten beiden sind relativ leicht zu überwinden, z. B. indem man die Verfassung ändert. Ein Prozess der Umstrukturierung hingegen erfordert entweder konzentrierte, freiwillige, politisch realistische Aktionen oder einen gewaltsamen Prozess. Die Regierung ist nicht für gewaltsame Prozesse. Wir wollen Veränderungen, aber keine gewaltsamen. Wir bevorzugen eine geordnete, auf demokratische und partizipative Weise herbeigeführte Transformation der Strukturen.

Leider ist dabei unser größter Feind die Zeit, weil dies viel Zeit erfordert. Erst muss sich ein Nährboden, eine politische Kultur entwickeln, die künftig Stütze einer Demokratie sein kann. Was werden die Akteure der Transformation tun, wie werden diese Umwandlungen vonstatten gehen, was werden sie verändern – das ist die große Herausforderung beim Aufbau des Friedens. Die Mehrheit der Leute glaubt, dass allein schon die Unterzeichnung eines Friedensabeinkommens genügt, um zum Frieden zu gelangen, und das stimmt so nicht.

Die Unterzeichnung wäre lediglich ein Anfang?

Die Unterzeichnung bedeutet nur das Ende der bewaffneten Auseinandersetzung. Aber Frieden zu schaffen, erfordert einen komplexen Prozess, in dem die künftigen Akteure „konstruiert“ werden, die schließlich die Stützen der künftigen demokratischen Strukturen sein sollen.

Sind der Friedensprozess und die Transition Teil eines umfassenderen Prozesses, eines Prozesses der Modernisierung des Landes?

Genau so ist es. Vor ungefähr acht oder zehn Jahren begann ich zum Prozess der politischen Transition zu arbeiten. Ich habe eine Menge über die politische Transition geschrieben, und meine grundlegende Idee war die, dass es in diesem Land keine Transition in Richtung Demokratie gibt. Wir haben keine politische Transition. Wir sind dabei, uns zu verändern, wir lassen autoritäre Strukturen hinter uns und versuchen uns in Richtung partizipative Strukturen zu bewegen. Diese werden sich in Zukunft dann hoffentlich zu demokratischen wandeln. Aber schon damals hatte ich die Vorstellung, dass sich die Transition in etwas Unereichbares verwandeln könnte. Es ist eine Transition ohne vorhersagbare Verknüpfungen. „Bei dieser Transition weiß keiner, in welche Richtung sie eigentlich geht“, wie Alfredo Guerra Borges das einmal ausgedrückt hat. „Es ist, als ob man anfinge, eine Brücke auf einer Seite zu bauen, ohne darauf zu achten, wo sich das andere Ufer befindet“, so Edelberto Torres Rivas. Oder wie Padilla meinte: „Es ist, als ob man versuche, eine Brücke ohne Stützpfeiler zu bauen“.

Wir glauben, dass der Weg zur Transition in dem Maße zum politische Phänomen wird, wie sich die verändernde Aktion in der Praxis, die von der Gesellschaft übernommen wird, sich auf das Wesentliche konzentriert, auf die großen Verständnis- und Verständigungsprozesse. Egal, ob wir schon wissen, wie man die Gesellschaft demokratisch macht. Entscheidend ist, dass wir das, was wir beginnen, demokratisch angehen, damit am Ende ein demokratisches Produkt vorliegt.

Welche politischen und sozialen Kräfte sind mit dem Projekt der Demokratisierung verbunden? Mir scheint, dass in Guatemala wie El Salvador Kräfte existieren, die gegen diese Veränderungen sind?

Ich glaube, dass der Widerstand gegen Umwälzungen in Guatemala noch tiefer und stärker ist, was seine Wurzeln in den quasi-feudalen Strukturen hat. Die Conquista und die Kolonie haben eine Machtstruktur geschaffen, die sich selbst reproduziert, ausgedehnt und mystifiziert hat. Das Problem besteht darin, dass diese Mythen wie der Landbesitz als Machtquelle die Möglichkeit der Transformation behindern. Da sind zum einen die großen Gegner, die reichen Großeigentümer, die sich weigern zu verstehen, dass die Basis des Reichtums Gerechtigkeit sein muss und nicht unbedingt die Ausbeutung derer, die den Reichen dienen. Gewalt statt Konsens, das funktioniert nicht.

Wer sind nun die Freunde der Transition? Augenblicklich ist es die neue Generation. Die Herausforderung besteht darin, diese junge Generation zu erziehen. Es ist ein Irrtum anzunehmen, die alte Generation wäre fähig, die Transition durchzuführen. Diese Generation kann dafür sorgen, die entsprechenden Grundlagen zu schaffen, damit die neue Generation dann die Herausforderung annehmen kann, eine demokratische Gesellschaft aufzubauen. Aber die alte Generation -abgesehen davon, dass sie Selbstkritik üben sollte -kann sich in Richtung Demokratie bewegen und sich wie ein Freund der Demokratie verhalten. So sind zum Beispiel die politisch gemäßigten Sektoren, die weder fanatisch noch extremistisch geprägt sind, Freunde der Demokratie. Der moderne Unternehmer zählt genauso dazu wie der Militär, der nur seine Karriere sieht und genau weiß, dass eine professionelle Verhaltensweise bedeutet, dass er sich einer konstitutionellen Autorität unterzuordnen hat, die aus einem zivilen politischen, Prozess entstanden ist. Der Arbeiter, der seine Pflicht erfüllt, der konsequente Gewerkschafter, genau wie der Bauer, der Händler, der die Preise nicht in die Höhe schraubt, unterstützen die Demokratie. Schlicht alle, die über eine Ethik des sozialen Zusammenlebens verfügen und verstehen, dass wir uns in den vergangen Jahren geirrt haben, sind Freunde der Demokratie.

Gibt es zwischen den Auffassungen der Guerilla und denen, die Sie beschreiben, eine Annäherung?

Mehr noch, ich hoffe, dass es bereits einen Prozess des Verstehens gibt. So hoffe ich, am Verhandlungstisch in den wesentlichen Punkten zu einem Abkommen zu gelangen, vor allem über die sozioökonomische Situation und im Agrarbereich. Das wäre ein Grundelement für den Beginn einer Diskussion und könnte dazu führen, die sozialen, ökonomischen und landwirtschaftlichen Strukturen zu verändern. Das ist die Hauptsache.

Wie hat sich die Haltung der Guerilla verändert? Anfangs wollte die Guerilla die Macht auf revolutionärem Weg erlangen. Heute bezieht sie eine vollkommen andere Position: Sie spricht nicht mehr von Sozialismus, sondern von einem sozialen Kapitalismus, statt von Revolution ist nur noch von Reformen die Rede. Wie ist das zu erklären?

Das ist ein gutes Beispiel, das zeigt, dass der Übergang qualitative Sprünge hat. Die Transition selber besteht aus qualitativen Sprüngen. Der erste und interessanteste, den die Guerilla wagte, war der Schritt vom bewaffneten Kampf zum Dialog. Sie sagten, der Dialog sei Kampf und nicht Kapitulation, sie nützten den Dialog als Ergänzung der politischen Verhandlung, welche den bewaffneten Kampf unterstütze. Aber allein schon der simple Akt, den Dialog in Betracht zu ziehen, zeigt den Umschwung der Mentalität. Sie gingen den Schritt vom Kampf zum Dialog.

Das war der erste Schritt?

Ja, der zweite war dann vom Dialog zur Verhandlung. Hier zeigten sie jedoch weniger Geschick. Auf gewisse Art sind sie erst dabei, sich bewusst zu machen, dass angefangen werden muss, institutionelle und politische Räume zu nutzen. Für mich war der wichtigste Schritt beim Übergang vom Dialog zur Verhandlung bei ihnen, dass sie verstanden haben: Es gibt eine Realität, die sich nicht revolutionär, auf dem Weg der Gewalt verändern lässt. Und sie verstanden, dass Veränderungen auf dem institutionellen Weg möglich sind. Sie mussten akzeptieren lernen, dass sich die Verfassung durch einen innenpolitischen Prozess ändern lässt, über Abstimmungen im Parlament, eine Volksbefragung oder Abstimmung. Heute muss die Guerilla den nächsten qualitativen Sprung wagen, der gerade jetzt abläuft: den Übergang von der Verhandlung zur Wiedereingliederung. Dazu gehört die Abgabe der Waffen, die Rückkehr in die Gesellschaft, die Umwandlung ihrer politischen Strategien in solche, die auf Umgestaltungen im Innern des Regimes gerichtet sind. Damit kommt jetzt für sie das Schwierigste, ohne dass sie sicher sein könnten, dass sich das System auch wirklich ändert.

Mir scheint, dass die Guerilla derzeit über kein ausgereiftes Projekt für diesen Schritt zum institutionellen Prozess verfügt. Wie sind die Aussichten für diesen Schritt?

Wenn man davon ausgeht, dass sie diesen qualitativen Schritt zur Reintegration als revolutionäres Projekt betrachten, dann ist diese Einschätzung korrekt. Mit welchem Projekt werden sie sich reintegrieren? Wenn man annimmt, dass das revolutionäre Projekt die theoretische und strategisch-logistische Grundlage ihrer politischen Arbeit sein soll, wird man zu der Schlussfolgerung kommen, dass dies nicht möglich ist, weil es nicht funktioniert. Ein Teil dieser enormen Komplexität, in der wir momentan leben, wurzelt genau darin. Anstelle eines felsenfesten Projektes revolutionären Zuschnittes, das sich in ein institutionelles umwandeln ließe, existieren nur Tendenzen, die sich in Ansichten der verschiedenen Teilgruppierungen (der URNG -P.G.) manifestieren. Diese Gruppierungen sind offenbar alle revolutionärer Tendenz. Ich denke aber, dass Rodrigo Asturias, Kommandant der ORPA, bekannt als Gaspar Ilom, sich innerhalb einer sozialdemokratischen Perspektive perfekt wiedereingliedern könnte.

Wie Villalobos?

Genau, wie Villalobos in El Salvador. Ricardo Rosales Román, bekannt als Carlos González, Generalsekretär des PGT, könnte ebenfalls, wieder eintreten, wenn auch vielleicht etwas weiter links von einer Sozialdemokratie. Dies müsste aber nicht notwendigerweise mit einer marxistisch-leninistischen Partei einhergehen, denn das würde ihm momentan nicht viel nützen. Ich denke jedoch nicht dasselbe über die Möglichkeit der Wiedereingliederung und die Basis des politischen Projektes, wie sie von Pablo Monsanto (Jorge Ismael Soto) oder Rolando Morán (Ricardo Ramírez) vertreten werden könnten. Teil der Vielschichtigkeit ist, dass es kein einheitliches‘ Projekt gibt, wie es die FMLN einst präsentiert hat oder die FSLN zu präsentieren versuchte. Aber der Umstand, dass der äußere Schein eines Blockes existiert, beseitigt nicht das Risiko, dass er in dem Moment, in dem er in die Institutionalität eintreten würden, auseinanderbricht, so wie damals in Nicaragua oder gegenwärtig in El Salvador.

Welchen Beitrag könnte eine legale und demokratische Linke im weiteren Verlauf der Transition spielen?

Das Wichtigste wäre das Gleichgewicht im politischen Spiel, das sich z.Z. auf die Streitereien einer zerstrittenen und zersplitterten Rechten reduziert, weil keine Linke existiert. In dem Augenblick, wo eine Linke existiert, wird sich diese Rechte erneut profilieren, ausbilden und Geltung erlangen. Augenblicklich ist die Rechte derart zersplittert, dass sie sich den Luxus erlauben kann, eine Wahl mit 18 oder 19% der Stimmen zu gewinnen. Aber was würde passieren, wenn es eine Linke gäbe? Eine Linke, die ein Gleichgewicht und ein Niveau der politischen Partizipation schafft, das den inneren politischen Prozess legitimiert. Das ist das wirklich Wichtige.

Andererseits könnte der Beitrag der Linken darin bestehen, die großen sozialen Forderungen vorzubringen und Lösungen für diese vorzuschlagen. Dies würde vielleicht die Errichtung eines gemäßigten Blockes gestatten, für mich eine logische Ergänzung im Prozess der Verständigung mit moderaten Unternehmern mit progressiven Ideen oder professionellen Offizieren, die die institutionelle Ordnung respektieren. Das wäre wie eine Anti-These im politischen Spiel Guatemalas, in dem es nur einen Pol gibt, nur einen Ausdruck politischen Willens.

Welche Rolle spielt die Asamblea de la Sociedad Civil (ASC) im politischen Prozess?

Die ASC ist ein Kind der Verhandlungen. Sie schuf so etwas wie einen Raum, der uns gewissermaßen zum Verhandlungstisch führt. Jeder Sektor beschäftigt sich mit jedem der Themen und diese Ergebnisse dienen als Grundlage für den Beginn der Verhandlungen.

Wenn die Abkommen dann fertig sind, werden sie diese legitimieren, in nationale Abkommen umwandeln, indem sie per Konsens angenommen werden. Für mich hat die ASC noch eine andere Rolle als Raum politischer Pädagogik, der bisher leider nicht voll genutzt worden ist. Aber das ist Teil des Bizarren und Komplizierten dieser Gesellschaft. Wir verfügen bereits über die Erfahrungen des großen Dialoges von 1985, der Nationalen Versöhnungskomission von1988, des Sozialpaktes von 1991, der Intervention der Zivilgesellschaft von 1993 und jetzt der ASC. Das ist eine kleine, aber wichtige Entwicklung in der Partizipationskultur auf nationaler Ebene.

Welche Rolle wird die ASC künftig spielen ?

Das hängt dann von ihnen ab, nicht mehr von uns.

* Das Interview wurde von Peter Gärtner am 4. April 1995 in Guatemala-Stadt geführt.

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