Die Wahl von Mauricio Funes, Kandidat des Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN – Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí), zum Präsidenten El Salvadors markiert zweifellos einen Epochenbruch: Erstmals stellt die Linke im kleinsten Land Zentralamerikas das Staatsoberhaupt. Dies verdient aus drei Gründen tatsächlich das Prädikat „historisch“, welches viele Nachrichtenagenturen und Pressemedien dem Wahlgang vom 15. März 2009 inzwischen angeheftet haben.
Zum ersten wird damit die Herrschaft von ARENA (Alianza Republicana Nacionalista – Nationalistisch-Republikanische Allianz), die 20 Jahre regiert hatte, beendet. Beide Parteien waren im unmittelbaren Vorfeld des Bürgerkrieges, der in El Salvador bis zum Friedensvertrag von Chapultepec im Januar 1992 wütete, gegründet worden. Während ARENA ursprünglich als Partei der Todesschwadrone fungierte, ging der FMLN aus dem Zusammenschluss von fünf linken Guerillaorganisationen hervor und wandelte sich erst nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages in eine legale politische Partei um. Seitdem besteht auch das polarisierte Zweiparteien-System, in dem die beiden anderen Parteien, die Christdemokraten (PDC) und der in den Militärdiktaturen der 1960er und 1970er Jahre dominante PCN (Partido Conciliación Nacional) bestenfalls das Zünglein an der Waage spielen.
Zum zweiten stellt der Wahlsieg von Funes eine Zäsur dar, weil sich der FMLN in einem fortdauernden Klima politischer Polarisation durchsetzen konnte, das sich immer noch aus der Konfrontation des Bürgerkrieges speiste. Maßgeblichen Anteil an der Kultivierung dieses Klimas hatte ARENA, die auch im jüngsten Wahlkampf die „Verteidigung des Vaterlandes gegen die kommunistische Gefahr“ predigte. Im Unterschied dazu rückte der FMLN mit der Nominierung von Mauricio Funes erstmals symbolisch von seiner Vergangenheit als Guerillaorganisation ab und signalisierte damit sein Interesse an der Überwindung der durch verhärtete Fronten gekennzeichneten Nachkriegsära. Denn im Unterschied zu allen vorangegangenen Präsidentschaftswahlen seit dem Ende des Bürgerkrieges besitzt der FMLN-Kandidat keine Guerilla-Vergangenheit. Der 1959 geborene Funes war erst im Zuge seiner Nominierung dem FMLN beigetreten und hatte sich zuvor als kritischer Journalist und populärer Fernsehmoderator einen Namen gemacht. Für einige Jahre arbeitete er sogar für CNN als Korrespondent.
Aus beidem zusammen – dem erstmaligen Sieg der Linken und ihrer symbolischen Absage an die vom Bürgerkrieg geprägte Konfrontation – ergibt sich drittens die eigentliche Bedeutung des 15. März 2009: Er markiert unwiderruflich das Ende der Nachkriegsära. Mit fast einem Jahrzehnt Verspätung ist El Salvador damit im 21. Jahrhundert angekommen. Das wird nicht zuletzt daran deutlich, dass der unerwartet ruhige Wahlverlauf und die prompte Anerkennung des Wahlsieges von Funes durch den unterlegenen Rodrigo Avila den letzten, bisher fehlenden Test für die allgemeine Akzeptanz des demokratischen Regimes erbracht haben.
Der Wahlsieg der Linken verdient umso mehr Beachtung, als ARENA sowohl den PDC als auch den PCN dazu brachte, auf die Aufstellung eigener Kandidaten zu verzichten. Damit war bereits im ersten Wahlgang eine rechte Einheitsfront installiert worden, was ebenfalls ein Novum der jüngeren Wahlgeschichte darstellte. Nichtsdestotrotz bleibt die Wahl von Funes eine mit knappem Ausgang (ca.51 Prozent). Hinzu kommt, dass er nicht über eine eigene Parlamentsmehrheit verfügt. Bei den Parlamentswahlen vom 18. Januar 2009 hatte der FMLN zwar mit 35 von 84 Parlamentssitzen vorn gelegen, da aber sein Bündnispartner CD (Convergencia Democrática) nur einen Sitz erobern konnte, verfügt die Dreier-Allianz von ARENA (32 Sitze), PCN (11 Sitze) und PDC (5 Sitze) über ein klares Übergewicht. Diese Konstellation ist im Hinblick auf die nächsten Jahre höchst ambivalent: Zum einen erhöhen sich damit die Chancen für eine Politik des Ausgleichs, zum anderen wird der neue Präsident zu zahlreichen Kompromissen mit dem politischen Gegner und zum Lavieren gezwungen sein.
Dies mag seinem politischen Naturell entgegenkommen, bedeutet jedoch zugleich, dass die schwerwiegenden Probleme, vor denen El Salvador steht, schwieriger zu lösen sein werden. Immerhin sind die strukturellen Defizite und Verwerfungen, die bereits wesentlich zum Ausbruch des Bürgerkrieges beigetragen haben, durch die marktradikale Politik in den 20 Jahren der ARENA-Herrschaft weiter vertieft und verfestigt worden. Ob eine Politik á la Luna, zu der sich Funes bereits im Vorfeld der Wahlen bekannt hatte, ausreicht, um Armut, soziale Polarisierung, ökonomische Deformation, oligarchische Machtstrukturen und kriminelle Gewalt in den Griff zu bekommen, darf bezweifelt werden. Zwar hat die Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten Funes zweifellos Rückenwind verschafft, dennoch bleibt sein politischer Spielraum angesichts der extrem hohen Verwundbarkeit El Salvadors gegenüber den Turbulenzen der Weltwirtschaftskrise und der ungebrochenen Dominanz der salvadorianischen Oligarchie bedenklich klein. Ein ALBA-Beitritt, wie ihn das keinesfalls links regierte Nachbarland Honduras vollzogen hat, könnte zwar einiges bewirken, jedoch hat sich Funes bisher noch nicht dazu geäußert. Selbst die Geldüberweisungen der 2,3 Mio. in den USA lebenden Salvadorianer, die ca. 20% des BIP ausmachen und bisher die schlimmsten Defizite wenigstens teilweise gemildert haben, drohen angesichts der globalen Wirtschaftkrise wegzubrechen. Hier zeigt sich das Dilemma von Linksregierungen, die sich nicht auf starke soziale Bewegungen stützen und relevante Naturressourcen nutzen können, in seiner ganzen Schärfe: Die Kräfteverhältnisse erlauben nur eine Politik der kleinen Schritte, die aber nicht in der Lage ist, einen Ausweg aus der Sackgasse verfehlter Entwicklung zu weisen und eine echte Alternative einzuleiten. Es bleibt nur zu hoffen, dass wenigsten die gröbsten Ungerechtigkeiten beseitigt werden können, so dass eine Revanche von rechts vorerst erfolglos bleibt und über globale Kräfteverschiebungen auch die Spielräume für die Linke solcher Länder wie El Salvador ausgeweitet werden können. Es bleibt zu hoffen, dass Maurico Funes die Statur und das Durchhaltevermögen hat, diese kleine Chance für sein Land zu nutzen